Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 08.03.2010


BFH 08.03.2010 - VIII B 15/09

Keine Anlaufhemmung bei verspäteter Wahl der getrennten Veranlagung


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
08.03.2010
Aktenzeichen:
VIII B 15/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 26. November 2008, Az: 2 K 2118/08, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 56 S 1 Nr 1 EStDV 2000
§ 56 S 1 Nr 2 EStDV 2000

Leitsätze

1. NV: Nach Ablauf der Festsetzungsfrist besteht kein Recht mehr auf Wahl der getrennten Veranlagung (§ 25 Abs. 3 Satz 3 EStG) .

2. NV: Eine erst nach Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsfrist abgegebene Erklärung der Wahl der getrennten Veranlagung kann keine (rückwirkende) Anlaufhemmung und kein Ablaufhemmung mehr bewirken .

Tatbestand

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I. Der Kläger und seine verstorbene Ehefrau begehren die Durchführung getrennter Einkommensteuerveranlagungen mit dem Ziel der Anrechnung einbehaltener Kapitalertragsteuer (Zinsabschlag).

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist nicht begründet.

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Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.

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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) als grundsätzlich bedeutsam angesehene Frage, ob die Einschränkungen des § 56 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) beeinflussen, ist nicht klärungsbedürftig. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es u.a. dann, wenn die betreffende Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat, die Rechtslage also --wie hier-- eindeutig ist (s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 28, m.w.N.).

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a) Zutreffend geht das angefochtene Urteil davon aus, dass ein Recht zur Wahl der getrennten Veranlagung nach § 25 Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht mehr besteht, wenn wegen eingetretener Festsetzungsverjährung eine Steuerfestsetzung ausscheidet. Die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) beginnt gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Der Anlauf der Festsetzungsfrist war im Streitfall nicht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gehemmt, weil keine Steuererklärung einzureichen war. Wegen der unstreitig geringen Höhe der Einkünfte traf den Kläger und seine verstorbene Ehefrau keine Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung zwecks einer Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG, weil insoweit die Beschränkung der Steuererklärungspflicht gemäß § 56 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStDV aufgrund der Ermächtigung in § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG eingriff. Innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist ab Entstehung der Steuer haben der Kläger und seine verstorbene Ehefrau keine Wahl der getrennten Veranlagung getroffen, sodass in diesem Zeitraum keine Erklärungspflicht wegen getrennter Veranlagung bestand. Der Kläger und seine verstorbene Ehefrau sind auch nicht gemäß § 149 Abs. 1 Satz 2 AO zur Erklärungsabgabe aufgefordert worden (vgl. dazu Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. Februar 2008 I B 162/07, BFH/NV 2008, 1353), sodass eine Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ebenfalls ausscheidet.

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Da es somit an einem Grund für eine Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO --wie auch für eine Ablaufhemmung nach § 171 AO-- fehlte, trat mit Ablauf der vom FG für alle Streitjahre jeweils zutreffend berechneten Frist Festsetzungsverjährung ein.

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Der erst danach gestellte Antrag, getrennte Veranlagungen durchzuführen, konnte keine anlaufhemmende Wirkung mehr entfalten, weil sich aus § 169 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 AO eine zeitliche Grenze für Erklärungen ergibt, die den Beginn der Festsetzungsfrist beeinflussen (vgl. zur verspäteten Aufforderung zur Erklärungsabgabe BFH-Urteil vom 18. Oktober 2000 II R 50/98, BFHE 193, 48, BStBl II 2001, 14, m.w.N.).

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Erst recht gilt dies für die nachträgliche, freiwillige Abgabe von Steuererklärungen (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 14. Oktober 2003 I 42/02, juris).

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b) Auf die Ausführungen des FG im angefochtenen Urteil dazu, ob unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse des Klägers und seiner verstorbenen Ehefrau aus der Wahl der getrennten Veranlagung eine Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen folgte, kam es deshalb nicht mehr entscheidungserheblich an. Einwendungen der Kläger zu diesem Teil der Urteilsgründe können daher nicht zur Zulassung der Revision führen.

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2. Soweit die Kläger im Übrigen Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend machen, folgt daraus kein Zulassungsgrund (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. April 2003 VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; vom 23. Juni 2003 IX B 119/02, BFH/NV 2003, 1289).

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Ein schwer wiegender Rechtsanwendungsfehler im Sinne einer willkürlichen Entscheidung, der ausnahmsweise die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO rechtfertigt, haftet dem angefochtenen Urteil ersichtlich nicht an.

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3. Eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO) ist nicht geboten. Soweit die Kläger eine Divergenz zwischen dem angefochtenen Urteil und dem Urteil des FG Düsseldorf vom 24. April 2008  12 K 4730/04 E (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1088) geltend machen, waren die von den Klägern in Bezug genommenen --nicht durch Verweise auf Rechtsprechung oder Literatur abgesicherten-- Ausführungen des FG Düsseldorf zur Berechnung der Festsetzungsfrist letztlich nicht entscheidungserheblich (vgl. das BFH-Urteil vom 15. Januar 2009 VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755). Im Übrigen war der der Entscheidung des FG Düsseldorf zu Grunde liegende Sachverhalt nicht mit dem des Streitfalls vergleichbar.

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4. Der geltend gemachte Verfahrensfehler des nicht gewährten rechtlichen Gehörs ist nicht festzustellen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) umfasst das Recht der Beteiligten, sich zur Sache zu äußern und für das Gericht die Pflicht, entscheidungserhebliches Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dass das vorinstanzliche Verfahren diesen Anforderungen nicht genügt hätte, ist nicht zu ersehen. Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich in den Entscheidungsgründen des Urteils mit jedem Vorbringen (hier: zur Entstehungsgeschichte der §§ 25 Abs. 3 Satz 3 EStG und 56 EStDV) ausdrücklich zu befassen und insbesondere nicht, sich den Rechtsansichten eines Beteiligten anzuschließen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 8. Dezember 2000 I B 103/00, BFH/NV 2001, 631; vom 29. Mai 2007 VIII B 205/06, BFH/NV 2007, 1634).

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Das rechtliche Gehör ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer von den Klägern gerügten Überraschungsentscheidung verletzt. Es ist nicht ersichtlich, dass das Urteil des FG sich in einer die Entscheidung tragenden Weise auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Verfahrensverlauf nicht rechnen konnte (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Juli 2005 X B 30/05, BFH/NV 2005, 1861). Nach den Ausführungen dieses Beschlusses unter 1. kam es auf die --von den Klägern als fehlerhaft gerügte-- Auslegung des § 56 Satz 1 Nr. 2 EStDV nicht entscheidungserheblich an. Im Übrigen wäre das FG nicht gehalten, das Ergebnis einer Normauslegung und die Gründe hierfür im Einzelnen bereits im Verfahren darzulegen. Dass die gerichtliche Gesetzesauslegung im konkreten Einzelfall nicht den Erwartungen oder Hoffnungen eines Beteiligten entspricht, begründet noch keinen Verfahrensfehler.