Entscheidungsdatum: 05.05.2011
§ 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO ist dahin auszulegen, dass die Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil auch dann nicht von der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer abhängt, wenn das Berufungsgericht die Berufung objektiv willkürlich als unbegründet zurückweist, obwohl seine Entscheidung ausschließlich auf Erwägungen beruht, die zu einer Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig hätten führen müssen .
Der Beschwerde der Beklagten wird stattgegeben.
Das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 15. Januar 2008 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 11.157,66 €
I.
Die Parteien streiten über die Abrechnung wechselseitiger Ansprüche aus einem Vertrag über den Erwerb einer von der Beklagten neu zu errichtenden Eigentumswohnung.
Die hiesige Beklagte hatte in einem Vorprozess vor dem Landgericht M. die beiden letzten Raten des Erwerbspreises eingeklagt. Der Anspruch auf Zahlung der vorletzten Rate des Erwerbspreises war nach Auffassung des Landgerichts durch Aufrechnung der Kläger mit Gegenforderungen erloschen. Die letzte Rate des Erwerbspreises (11.157,66 €) hat es für nicht fällig gehalten. Im vorliegenden Verfahren haben die Kläger geltend gemacht, dass auch die nach dem Ergebnis des Vorprozesses noch bestehenden Restvergütungsansprüche der Beklagten durch Aufrechnung mit Gegenansprüchen erloschen seien. Sie haben deshalb unter anderem auf Feststellung angetragen, dass den Beklagten keine "Restkaufpreisforderung" mehr zusteht.
Das Landgericht hat diesem Antrag stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen haben die Beklagte Berufung und die Kläger Anschlussberufung eingelegt. Beide Rechtsmittel sind ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, die nach Zulassung der Revision die vollständige Abweisung der Klage erreichen will.
II.
1. Das Berufungsgericht, das von der Darstellung eines Tatbestands gemäß § 540 Abs. 2, § 313b Abs. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen hat, hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufungsangriffe genügten nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO, weil keine konkreten Auswirkungen der behaupteten Rechtsverletzungen auf das angefochtene Urteil dargelegt seien. Darauf sei die Beklagte bereits mit Verfügung vom 10. August 2007 hingewiesen worden.
2. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist zulässig gemäß § 544 Abs. 1, 2 ZPO, § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO.
a) Die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde ergibt sich allerdings nicht aus § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO, weil die Wertgrenze von 20.000 € nicht überschritten ist. Die Beschwer der Beklagten entspricht dem offen stehenden Restwerklohn von 11.157,66 €, dem nach der Darstellung der Beklagten allenfalls noch Gutschriftbeträge von 2.084,81 € und 782 € hinzuzurechnen sind.
b) Zu Unrecht hält die Beklagte ihre Beschwerde gemäß § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO für zulässig, weil das Berufungsgericht ihre Berufung, wie sich aus der Heranziehung des § 520 Abs. 3 ZPO ergebe, als unzulässig verworfen habe. Das ist unzutreffend. Tatsächlich hat das Berufungsgericht die Zulässigkeit der Berufung besonders geprüft und für gegeben erachtet. Sodann hat es entschieden, dem Rechtsmittel könne "jedoch" kein Erfolg beschieden sein, es sei als unbegründet zurückzuweisen. Diese Ausführungen sind eindeutig. Sie können nicht dahin verstanden werden, dass das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig habe verwerfen wollen, zumal es von der Darstellung eines Tatbestands unter Hinweis auf § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen hat, was wegen § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO nur bei einer Zurückweisung der Berufung als unbegründet möglich war.
Etwas anderes lässt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14. Februar 2007 (XII ZB 171/06, NJW-RR 2007, 779) herleiten. In dem dort zu entscheidenden Fall hatte das Berufungsgericht zunächst darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung "gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO" als unzulässig zu verwerfen, da der Kläger nicht die Beseitigung einer Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil erstrebe. Im nachfolgenden einstimmigen Beschluss hatte es die Berufung dann unter Bezugnahme auf seinen Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO "zurückgewiesen". Der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidung dahin ausgelegt, dass das Berufungsgericht die Berufung tatsächlich nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen habe, weil davon auszugehen sei, dass es unter Wahrung des Anspruchs des damaligen Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs seinen einstimmigen Zurückweisungsbeschluss nur auf solche Gründe gestützt habe, die dem Kläger zuvor mitgeteilt worden seien.
Hier liegen die Dinge anders. Dem Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass es eine Verwerfung der Berufung als unzulässig beabsichtigte. Allein der Umstand, dass die vom Berufungsgericht angekündigte Heranziehung des § 520 Abs. 3 ZPO nach allgemeiner Auffassung zu einer Verwerfung des Rechtsmittels hätte führen müssen, rechtfertigt es nicht, die unmissverständlich auf eine Zurückweisung der Berufung als unbegründet abzielende Entscheidung in jenem Sinne auszulegen.
c) Gleichwohl ist die Beschwerde gemäß § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO statthaft. In dieser, durch Art. 2 Nr. 1 des ersten Justizmodernisierungsgesetzes vom 24. August 2004 (BGBl. I, 2198) eingeführten Vorschrift hat der Gesetzgeber den Grundsatz verankert, dass die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein die Berufung verwerfendes Urteil nicht der Wertgrenze des § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO unterliegt. Hintergrund hierfür ist die Vereinheitlichung der Rechtsmittelmöglichkeiten bei verwerfenden Entscheidungen des Berufungsgerichts, gegen die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO wertunabhängig die Rechtsbeschwerde stattfindet, wenn sie nach § 522 Abs. 1 Satz 2, 3 ZPO als Beschluss ergangen sind. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll ein weiter Rechtsschutz gegen Verwerfungsentscheidungen des Berufungsgerichts unabhängig davon gewährleistet sein, ob sie als Urteil oder als Beschluss ergehen (vgl. BT-Drucks. 15/1508, 22).
Die Umsetzung dieser gesetzgeberischen Entscheidung erfordert eine Auslegung des § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO dahin, dass die Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil auch dann nicht von der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer abhängt, wenn das Berufungsgericht die Berufung objektiv willkürlich als unbegründet zurückweist, obwohl seine Entscheidung ausschließlich auf Erwägungen beruht, die zu einer Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig hätten führen müssen. Andernfalls hätte es das Berufungsgericht in der Hand, die vom Gesetzgeber beabsichtigte Gewährung eines weiten Rechtsschutzes gegen Verwerfungsentscheidungen in Fällen, in denen die Beschwer 20.000 € nicht übersteigt, allein dadurch außer Kraft zu setzen, dass es die Berufung ohne erkennbaren sachlichen Grund formal als unbegründet zurückweist, obwohl die vom ihm für seine Entscheidung angeführten Gründe bei objektiver Betrachtungsweise nur eine Verwerfung der Berufung als unzulässig zu rechtfertigen vermögen. Eine Verkürzung der Rechtsmittelmöglichkeiten des Berufungsführers durch eine in diesem Sinne objektiv willkürliche Vorgehensweise des Berufungsgerichts hat der Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt. Ihr ist durch eine zweckentsprechende Auslegung des § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO zu begegnen.
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zulässig. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung allein darauf gestützt, dass die nach § 520 Abs. 3 ZPO an die Berufungsbegründung zu stellenden Anforderungen nicht eingehalten seien. Diese Begründung hätte kraft Gesetzes zu einer Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig führen müssen, § 522 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO. Dementsprechend sind in der Rechtsprechung Berufungen stets als unzulässig zurückgewiesen worden, wenn die Gerichte zu der Auffassung gelangten, die Berufungsbegründung genüge nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO (vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - V ZB 154/06, NJW 2007, 1534; Beschluss vom 21. Mai 2003 - VIII ZB 133/02, NJW-RR 2003, 1580; Versäumnisurteil vom 15. Oktober 2004 - V ZR 223/03, NJW 2005, 983). Die davon abweichende, nicht näher begründete Entscheidung des Berufungsgerichts, mit der die Berufung als unbegründet zurückgewiesen wird, ist sachlich unter keinem Gesichtspunkt nachvollziehbar. Sie stellt sich als objektiv willkürlich dar.
3. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision ist auch begründet. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG. Es ist deshalb aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 544 Abs. 7 ZPO.
a) Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör liegt vor, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht nicht seiner Pflicht nachgekommen ist, entscheidungserhebliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das muss angenommen werden, wenn das Gericht zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, trotz entsprechenden Parteivortrags in den Entscheidungsgründen nicht Stellung nimmt (BVerfG, NJW-RR 1995, 1033).
So liegt es hier. Das Berufungsgericht setzt sich mit der zentralen Frage, warum die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO entspricht, nicht in der gebotenen Weise auseinander. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Inhalt der Berufungsbegründungsschrift sind mit einer Ausnahme lediglich die Zusammenfassung einer Würdigung, die anhand der Berufungsbegründung nicht nachvollzogen werden kann. Aus dieser ergibt sich ohne weiteres, auf welche der nach § 513 ZPO zulässigen Gründe die Beklagte ihr Änderungsbegehren stützt. Sie setzt sich eingehend in der vom angefochtenen Urteil vorgezeichneten Reihenfolge mit den Erwägungen des Landgerichts auseinander und zeigt im Einzelnen auf, welche Fehler es bei der Anwendung des Rechts und der Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts begangen haben soll. Das Vorbringen lässt auch keine Zweifel darüber aufkommen, welche konkreten Auswirkungen die behaupteten Rechtsverletzungen auf das angefochtene Urteil haben sollen. Die Beklagte wendet sich einerseits dagegen, dass das Landgericht bei der Abrechnung der wechselseitigen Forderungen Gutschriftenbeträge nicht berücksichtigt hat und beanstandet andererseits die Zubilligung von zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen, die sie aus näher dargelegten Gründen für nicht gerechtfertigt erachtet. Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe sich in der Berufung nicht mit der Erwägung des Landgerichts auseinandergesetzt, wonach "die Parteien des Rechtsstreits völlig zerstritten seien, so dass auch aus diesem Gesichtspunkt das Erfordernis einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung nicht zumutbar" erscheine, ist zudem verfehlt, weil die Beklagte der Auffassung des Landgerichts auch in diesem Punkt dezidiert entgegengetreten ist. Aus ihrem Berufungsvorbringen ergibt sich ohne weiteres, dass sie die Auffassung des Landgerichts nicht teilt.
b) Der Verstoß des Berufungsgerichts gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ist erheblich. Die Berufungsbegründungsschrift entspricht aus den dargelegten Gründen den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO.
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