Entscheidungsdatum: 26.06.2014
Zur Auslegung einer Vereinbarung über die Stellung einer Sicherheit, die allein der Abwendung eines Zurückbehaltungsrechts dient.
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. September 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde, mit der sich die Sparkasse H. für einen Betrag von 904.915,79 € betreffend angebliche Ansprüche der Beklagten gegen die Klägerin aus zwei Nachtragsforderungen (NA 01 und NA 02) verbürgt hat. Wegen der Herausgabe der Bürgschaftsurkunde begehrt die Klägerin zusätzlich im Wege der Zwischenfeststellungsklage die Feststellung, dass der Beklagten aus den Angeboten NA 01 und NA 02 kein Honorar zusteht.
Aufgrund Vertrages von September 2008 beauftragte die Klägerin die Beklagte mit der Erbringung von Leistungen der "technischen Ausrüstung" für eine Baumaßnahme. § 10 des Vertrages enthielt folgende Regelung:
"Macht einer der Vertragspartner Leistungsverweigerungs- oder Zurückbehaltungsrechte geltend, so ist er verpflichtet, denjenigen Betrag zu beziffern, wegen dessen er das Recht geltend machen will. Der andere Vertragspartner ist in diesem Fall berechtigt, die Geltendmachung des Leistungsverweigerungs- oder Zurückbehaltungsrechts durch Sicherheitsleistung in Höhe des bezifferten Betrages abzuwenden. Sicherheit kann insbesondere durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft geleistet werden."
Mit Schreiben vom 18. September 2009 bezifferte die Beklagte gegenüber der Klägerin einen zusätzlichen Vergütungsanspruch aus den Nachträgen NA 01 und NA 02 in Höhe von insgesamt 904.915,79 €. Mit weiterem Schreiben vom 2. Oktober 2009 verlangte die Beklagte für die Nachtragsforderungen Sicherheitsleistung durch Stellung einer Bürgschaft. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2009 stellte die Klägerin die Berechtigung der Nachtragsforderungen in Frage und teilte mit, "ohne jegliches Präjudiz nur zur Abwendung eines Zurückbehaltungsrechtes" für die Nachtragsforderung eine entsprechende Bürgschaft vorzubereiten. Wörtlich heißt es in dem Schreiben:
"Unbeschadet der Tatsache, dass wir kurzfristig eine Bürgschaft über insgesamt brutto 904.915,79 € zur Verfügung stellen werden, bedarf es einer sehr viel substantiierteren und vertiefteren Darlegung der anspruchsbegründenden Tatsachen."
Die Klägerin übergab an die Beklagte eine selbstschuldnerische Bürgschaft der Sparkasse H. vom 13. Oktober 2009 über einen Betrag von 904.915,79 €.
In der Folgezeit kündigten beide Parteien das Vertragsverhältnis.
Die Beklagte hat über die in den Nachträgen NA 01 und NA 02 geltend gemachten Forderungen keine Rechnung erstellt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klagebegehren weiter.
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der Klägerin stehe aus der Sicherungsabrede der Parteien kein Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaft zu. Nach dem Willen der Parteien habe die weitere Auftragsausführung nicht durch die unterschiedlichen Auffassungen über den Bestand der Nachtragsforderung behindert werden sollen. Mit diesem Zweck sei es nicht vereinbar, wenn die Klägerin die Bürgschaft sofort nach Hingabe mit der Begründung hätte zurückfordern können, die Nachtragsforderungen seien nicht begründet bzw. nicht prüffähig dargelegt. Dementsprechend beinhalte die Sicherungsabrede ein Stillhalteabkommen, dass die Beklagte bis zur Klärung in einem der Auftragserfüllung nachfolgenden Verfahren die Nachtragsforderung gegenüber der Klägerin nicht durchsetze. Danach sei der Sicherungszweck bereits deshalb nicht entfallen, weil zwischen den Parteien bisher nicht rechtsverbindlich in einem gesonderten, der Auftragserfüllung nachfolgenden Verfahren geklärt sei, ob die Nachtragsforderungen der Beklagten bestünden. Nach wie vor sei der Bestand der Nachtragsforderungen streitig. Deshalb sei auch die Zwischenfeststellungsklage unbegründet, da es an der Vorgreiflichkeit eines festzustellenden Rechtsverhältnisses fehle.
Zudem bestehe kein Anspruch aus der Sicherungsvereinbarung, da die Klägerin ihrer Darlegungslast hinsichtlich des Wegfalls der zu sichernden Nachtragsforderungen nicht genügt habe. Für die Darlegungs- und Beweislast sei auf die insoweit vergleichbare Interessenlage für den Fall der Rückforderung von Voraus- oder Abschlagszahlungen zurückzugreifen. Danach habe der Auftraggeber unter zumutbarer Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Quellen darzulegen, dass seinen Vorauszahlungen ein entsprechender Vergütungsanspruch des Architekten nicht gegenüberstehe. Auch aus diesem Grund sei zusätzlich die Zwischenfeststellungsklage unbegründet.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Auffassungen des Berufungsgerichts zur Auslegung der Sicherungsabrede und zur Verteilung der Darlegungslast sind von Rechtsfehlern beeinflusst.
1. Die Auslegung der Vereinbarung über die Leistung einer Sicherheit und deren Rückgabe obliegt dem Tatrichter. Eine revisionsrechtliche Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (BGH, Urteil vom 12. September 2013 - VII ZR 227/11, BauR 2013, 2017 Rn. 11 m.w.N. = NZBau 2013, 695). Das Berufungsurteil beruht auf derartigen Auslegungsfehlern.
a) Noch richtig geht das Berufungsgericht davon aus, dass es mit dem Zweck der von den Parteien getroffenen Sicherungsabrede nicht vereinbar wäre, wenn die Klägerin die Bürgschaft sofort nach Hingabe mit der Begründung hätte zurückfordern können, die Nachtragsforderungen seien nicht begründet bzw. nicht prüffähig dargelegt. Diesen Ansatz stellt auch die Revision nicht in Frage, sondern weist ausdrücklich darauf hin, dass eine Klärung der strittigen Nachtragsforderungen erst nach Eintritt der Abrechnungsreife erfolgen könne. Unstreitig ist Abrechnungsreife eingetreten, da beide Parteien den Vertrag gekündigt haben.
b) Soweit das Berufungsgericht jedoch meint, aus der Sicherungsvereinbarung der Parteien ableiten zu können, die Klägerin könne nach Eintritt der Abrechnungsreife nicht unmittelbar auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde klagen, sondern müsse zunächst in einem gesonderten Verfahren die Berechtigung der Nachtragsforderungen der Beklagten klären lassen, verstößt es gegen den Grundsatz der beiderseits interessengerechten Auslegung. Die von dem Berufungsgericht aus der Sicherungsabrede abgeleitete Notwendigkeit der Einleitung zweier Klageverfahren verdoppelt die Kosten und liegt deshalb weder im Interesse der Klägerin noch der Beklagten. Es ist daher nicht nachvollziehbar und wird vom Berufungsgericht nicht näher begründet, warum es dem Interesse und dem Willen der Parteien entsprechen sollte, eine solche Verfahrensweise zu vereinbaren.
c) Der Senat kann, da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, die Auslegung selbst vornehmen. Sie führt dazu, dass es der Klägerin nach Eintritt der Abrechnungsreife möglich ist, unmittelbar auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde zu klagen, und im Rahmen der Herausgabeklage zu prüfen ist, ob die von der Beklagten geltend gemachten Forderungen berechtigt sind.
Die Sicherungsvereinbarung der Parteien diente einerseits dem Zweck, der Beklagten eine Sicherung für die von ihr geltend gemachten, aber bestrittenen Forderungen zu gewähren. Andererseits ermöglichte sie der Klägerin, ein Leistungsverweigerungs- oder Zurückbehaltungsrecht der Beklagten entsprechend § 10 des Vertrags abzuwehren und damit das Bauvorhaben ungestört fortzuführen. Letzterer Zweck ist entfallen, seitdem der Vertrag von beiden Parteien gekündigt worden ist. Mit der beidseitigen Kündigung ist zudem Abrechnungsreife für die Arbeiten der Beklagten eingetreten, so dass die Berechtigung der von der Beklagten geltend gemachten Forderungen geprüft werden kann. Soweit die Parteien in diesem Zusammenhang von einem "nachfolgenden Verfahren" ausgegangen sind, könnte dies ein von der Beklagten eingeleitetes Klageverfahren auf Zahlung der geschuldeten Vergütung, eine negative Feststellungsklage der Klägerin oder auch - wie hier - eine Klage der Klägerin auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde sein. In allen Verfahren ist zu prüfen, ob und inwieweit die von der Beklagten geltend gemachten Vergütungen berechtigt sind. Ob die Interessenlage der Parteien es gebietet, über die Frage des Bestehens von Vergütungsforderungen der Beklagten eine rechtskräftige Entscheidung herbeizuführen, kann dahingestellt bleiben, da die Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO beiden Parteien dies auch im Rahmen einer Klage auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde ermöglicht.
2. Das Berufungsgericht hat zudem im Rahmen der Prüfung des Herausgabeanspruchs rechtsfehlerhaft angenommen, die Klägerin trage grundsätzlich die Darlegungslast dafür, dass der Beklagten kein Vergütungsanspruch zustehe.
a) Die Darlegungslast richtet sich grundsätzlich nach der Beweislast. Für die Beweislast gilt: Jede Partei, die eine Rechtsfolge begehrt, trifft die Beweislast für rechtsbegründende Tatsachen; die Gegenpartei trägt die Beweislast für rechtshindernde, rechtshemmende und rechtsvernichtende Tatsachen. Ob eine Tatsache rechtsbegründend oder rechtshindernd ist, ergibt sich aus dem materiellen Recht (BGH, Urteil vom 14. Januar 1991 - II ZR 190/89, BGHZ 113, 222, 225; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 286 Rn. 62, 65; MünchKommZPO/Prütting, 4. Aufl., § 286 Rn. 112, 113). Dieser Ansatz führt zur Sicherungsvereinbarung der Parteien als Anspruchsgrundlage für den Herausgabeanspruch, deren anspruchsbegründende Voraussetzungen durch Auslegung zu ermitteln sind.
b) Zum Inhalt der Sicherungsabrede hat das Berufungsgericht - unangegriffen - festgestellt, dass die von der Beklagten geltend gemachten Honorarforderungen vollständig streitig waren, die Bürgschaft ohne Präjudiz gestellt wurde und allein den Zweck hatte, die Streitigkeiten der Parteien auf einen späteren, nach Erbringung der Leistungen liegenden Zeitpunkt zu verschieben. Anspruchsbegründend für die Rückgabe der Sicherheit ist deshalb allein, dass der spätere Zeitpunkt im Sinne von Abrechnungsreife eingetreten ist. Anspruchshindernd ist dagegen das Bestehen eines Honoraranspruchs, den die Bürgschaft sichert. Dessen Voraussetzungen muss die Beklagte beweisen und deshalb darlegen. Für eine sekundäre oder ergänzende Darlegungslast der Klägerin besteht keine Notwendigkeit.
c) Soweit das Berufungsgericht die Rechtsprechung des Senats zur Verteilung der Darlegungslast im Rahmen der Rückforderung überhöhter Vorauszahlungen an Architekten (BGH, Urteil vom 22. November 2007 - VII ZR 130/06, BauR 2008, 540, 542 = NZBau 2008, 256) heranzieht, ist das nicht gerechtfertigt. Im Rahmen der Rückforderung überhöhter Vorauszahlungen an Architekten hat der Senat entschieden, dass der Auftraggeber, wenn der Architekt keine Abrechnung vornimmt, die Klage auf Zahlung des Überschusses mit einer eigenen Abrechnung begründen könne. Habe der Auftraggeber ausreichend vorgetragen, müsse der Architekt darlegen und beweisen, dass er berechtigt sei, die Voraus- und Abschlagszahlungen endgültig zu behalten.
Der dieser Rechtsprechung zugrunde liegende Fall ist mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Bei Abschlags- und Vorschusszahlungen werden im Regelfall Leistungen vom Auftragnehmer erbracht, so dass in jedem Fall eine berechtigte Honorarforderung besteht und es ausschließlich darauf ankommt, inwieweit eine Überzahlung vorliegt. In dem Fall ist es gerechtfertigt, wenn der Auftraggeber auf Rückzahlung eines Teils des Vorschusses klagt, ihm die Darlegungslast aufzubürden, soweit ihm dies aufgrund seiner eigenen Erkenntnis möglich ist. Hier ist dagegen die Frage zu klären, ob die Beklagte überhaupt eine Leistung erbracht hat, die gesondert zu vergüten ist.
3. Die Klageabweisung des Berufungsgerichtes kann daher keinen Bestand haben. Da das Berufungsgericht keine Feststellungen zu der Berechtigung der von der Beklagten beanspruchten Nachtragsforderungen getroffen hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben, und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Eick Safari Chabestari Halfmeier
Kartzke Jurgeleit