Entscheidungsdatum: 01.10.2014
Stützt ein Berufungsgericht in einem Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO seine Rechtsauffassung auf einen Gesichtspunkt, den der Berufungskläger erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, muss diesem Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die hierdurch veranlassten neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel dürfen nicht zurückgewiesen werden.
Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.
Der Beschluss des 27. Zivilsenats des Kammergerichts vom 22. November 2012 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 37.932,01 €
I.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Architektenhonorar. Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob zwischen ihnen ein Architektenvertrag zustande gekommen ist.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in der sich drei Architekten zur gemeinsamen Berufsausübung zusammengeschlossen haben. Der Beklagte ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein mit dem Ziel des deutsch-russischen Kulturaustauschs, der u.a. in B. zweisprachige Kindertagesstätten betreibt.
Der Beklagte plante die Eröffnung einer weiteren Kindertagesstätte und erwog die Einrichtung einer zweisprachigen Grundschule. Er suchte nach geeigneten Gewerberäumen. Im Rahmen dieser Suche wurde der Beklagte auf die Gewerberäume in der P. Straße 187 in B. aufmerksam.
Die Klägerin übersandte Frau K., der Geschäftsführerin des Beklagten, unter dem 8. Juli 2010 einen Architektenvertrag betreffend die Umnutzung des genannten Gebäudes zu einer Grundschule, einem Kindergarten, einer Kunstschule, einer Verwaltung, eines Internatsbereichs und einer Mensa. In diesem Vertrag sind der Beklagte als Bauherr und die Klägerin als Architekt genannt. Frau K. unterzeichnete diesen Vertrag unter dem 14. Juli 2010. Die Klägerin erbrachte daraufhin Planungsleistungen, für die sie als Abschlagszahlung 37.932,01 € verlangt. Der Beklagte meint, zur Zahlung unter anderem deshalb nicht verpflichtet zu sein, weil die Geschäftsführerin keine Vertretungsmacht zum Abschluss des Architektenvertrags gehabt habe und die Architektenleistung mangelhaft und für ihn wertlos sei.
In dem Vereinsregister heißt es zur Vertretung des Beklagten:
"Der Verein wird gerichtlich und außergerichtlich vertreten durch den Vorsitzenden oder seinen Stellvertreter zusammen mit einem anderen Vorstandsmitglied."
In der Satzung des Beklagten heißt es in § 7 unter anderem:
"Der Vorstand besteht aus
1. dem/der Vorsitzenden.
2. drei stellvertretenden Vorsitzenden
3. dem/der Schriftführer/in
4. dem/der Schatzmeister/in
…
2. Der Vorstand vertritt den Verein gerichtlich und außergerichtlich im Sinne des § 26 des BGB.
Der Vorsitzende oder sein Stellvertreter vertreten den Verein gemeinsam mit einem weiteren Vorstandsmitglied.
3. Über Grundstücks- und Kreditgeschäfte sowie Verpflichtungen über DM 10.000 entscheidet der Vorstand gemeinsam."
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Berufungsgerichts wendet sich die von der Klägerin eingelegte Beschwerde, mit der der Zahlungsantrag weiterverfolgt wird.
II.
1. Das Berufungsgericht führt aus, das Landgericht habe die Vernehmung der benannten Zeuginnen zu der Behauptung, die Geschäftsführerin K. sei vom Vorstand in Person des Vorstandsvorsitzenden bevollmächtigt gewesen, die Klägerin mit den Architektenleistungen zu beauftragen und den Architektenvertrag mit der Klägerin zu unterschreiben, nicht verfahrensfehlerhaft unterlassen. Diese Behauptung sei unerheblich, denn nach der Vertretungsregelung des Beklagten aus der Satzung werde dieser durch den Vorsitzenden oder seinen Stellvertreter zusammen mit einem weiteren Vorstandsmitglied vertreten. Eine Bevollmächtigung der Geschäftsführerin nur durch den Vorstandsvorsitzenden reiche nicht aus. Die neue Behauptung der Klägerin im nachgelassenen Schriftsatz vom 5. November 2012, dass neben dem Vorstandsvorsitzenden mindestens noch ein weiteres Vorstandsmitglied die Geschäftsführerin K. bevollmächtigt habe, sei nach §§ 520, 530, 296 ZPO verspätet. Dies hätte innerhalb der Berufungsbegründungsfrist vorgetragen werden können und müssen.
2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG. Es ist deshalb aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 544 Abs. 7 ZPO. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
a) Bleiben Angriffsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter sie in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 530 ZPO zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) der Partei verletzt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. September 2013 - VII ZR 242/12, juris Rn. 7; Beschluss vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12, BauR 2013, 1146 Rn. 9 = NZBau 2013, 433, jeweils zu § 531 ZPO).
Stützt ein Berufungsgericht in einem Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO seine Rechtsauffassung auf einen Gesichtspunkt, den der Berufungskläger erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, muss diesem Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die hierdurch veranlassten neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel dürfen nicht zurückgewiesen werden.
b) Danach ist die Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin mit ihrem - mit Zeugenbeweisantritt versehenen - Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 5. November 2012, Seite 4, neben dem Vorstandsvorsitzenden habe mindestens noch ein weiteres Vorstandsmitglied zusammen mit diesem die Geschäftsführerin K. bevollmächtigt, die Klägerin mit den Architektenleistungen zu beauftragen und den Architektenvertrag zu unterschreiben, gemäß §§ 530, 520, 296 ZPO ausgeschlossen bleibt.
Der vom Berufungsgericht präkludierte Vortrag der Klägerin, neben dem Vorstandsvorsitzenden habe mindestens noch ein weiteres Vorstandsmitglied zusammen mit diesem die Geschäftsführerin K. bevollmächtigt, die Klägerin mit den Architektenleistungen zu beauftragen und den Architektenvertrag zu unterschreiben, war durch den Hinweis des Berufungsgerichts im Beschluss vom 20. September 2012 veranlasst und erfolgte fristgerecht innerhalb der der Klägerin gewährten Stellungnahmefrist. Dieser Hinweis war nach § 139 Abs. 2 ZPO geboten. Den Gesichtspunkt, dass eine Bevollmächtigung der Geschäftsführerin K. zum Abschluss des Architektenvertrags durch den Vorstandsvorsitzenden allein nach der Satzung nicht genügt, sondern eine Bevollmächtigung durch ein weiteres Vorstandsmitglied erforderlich ist, hatte die Klägerin erkennbar übersehen; das Landgericht hat sich zu diesem Gesichtspunkt nicht geäußert. Die Klägerin hatte erkennbar weder den vom Beklagten mit der Klageerwiderung vorgelegten Vereinsregisterauszug noch die von ihr mit der Berufungsbegründung vorgelegte Satzung zum Anlass genommen, das Erfordernis der Vertretung durch mehrere Personen zu bedenken.
Soweit das Berufungsgericht im Beschluss vom 20. September 2012 ausführt, auf die einschlägige Vertretungsregel habe bereits der Beklagte im Schriftsatz vom 22. Juli 2011 hingewiesen, trifft dies so nicht zu. Der Vortrag des Beklagten in jenem Schriftsatz erschöpfte sich in einer Wiedergabe des Inhalts des Vereinsregisterauszugs.
c) Der angefochtene Beschluss beruht auf dem Verfahrensverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung gelangt wäre, wenn es den genannten Vortrag berücksichtigt und den angebotenen Zeugenbeweis (Schriftsatz vom 5. November 2012, Seite 4) erhoben hätte.
d) Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, sich gegebenenfalls mit den weiteren Rügen der Klägerin in der Nichtzulassungsbeschwerde auseinanderzusetzen.
e) Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass eine Beschränkung der Vertretungsmacht, die sich möglicherweise aus § 7 Nr. 3 der Satzung ergibt, in der Eintragung im Vereinsregister gemäß dem vorgelegten Ausdruck keine Entsprechung hat und deshalb § 70 i.V.m. § 68 Satz 1 BGB zu berücksichtigen ist.
Kniffka Halfmeier Kartzke
Jurgeleit Graßnack