Entscheidungsdatum: 07.03.2013
Eine Zwischenfeststellungsklage ist zulässig, wenn beide Parteien mit Klage und Widerklage selbständige Ansprüche verfolgen, für die das streitige Rechtsverhältnis vorgreiflich ist, mögen sie auch in ihrer Gesamtheit die Ansprüche erschöpfen, die sich aus dem Rechtsverhältnis überhaupt ergeben können (Anschluss an BGH, Urteil vom 13. Oktober 1967, V ZR 83/66, WM 1967, 1245, 1246).
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 18. Oktober 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist.
Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens sowie über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens betreffend die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Parteien streiten im Rahmen von Klage und Widerklage über gegenseitige Ansprüche aus einem Bauvertrag vom 21. September 1999.
Mit Schreiben vom 3. Mai 2001 entzog die Klägerin der Beklagten unter Hinweis auf § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B den Auftrag mit sofortiger Wirkung. Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob es sich bei dieser Kündigung um eine Kündigung aus wichtigem Grund oder um eine freie Kündigung handelt.
Die Klägerin begehrt die Rückzahlung einer angeblichen Überzahlung (6.254.727,71 € und 457.533,86 €), den Ersatz von entstandenen Mehrkosten für die drittseitige Fertigstellung des Bauvorhabens (12.583.287,35 €) sowie den Ersatz von Schäden aus Bauzeitverlängerung (1.369.950,35 €).
Mit der Widerklage begehrt die Beklagte Schadensersatz für Gutachter- und Kopierkosten (309.042,09 € netto) sowie eine Schlussrechnungs-Restforderung (18.858.567,28 € brutto), der unter anderem eine so genannte Kündigungsvergütung für nicht erbrachte Leistungen in Höhe von 9.583.947,44 € netto zugrunde liegt.
In erster Instanz hat die Klägerin eine Zwischenfeststellungsklage erhoben und beantragt:
Es wird festgestellt, dass die von der Klägerin mit Schreiben vom 3. Mai 2001 ausgesprochene Kündigung des Bauvertrages ihrer Rechtsnatur nach eine berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund (Entziehung des Auftrags gemäß § 8 Nr. 3 VOB/B) ist.
Das Landgericht hat die beantragte Feststellung getroffen. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und in der Berufungsinstanz beantragt:
I. Das Zwischenfeststellungsurteil vom 26. November 2010 wird aufgehoben.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Es wird festgestellt, dass der Beklagten dem Grunde nach ein Anspruch auf Vergütung infolge der Kündigung des Bauvertrages für das Bauprojekt "H.S." durch die Klägerin mit Schreiben vom 3. Mai 2001 gemäß § 649 BGB i.V.m. § 8 Nr. 1 VOB/B gegen die Klägerin zusteht.
Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Zwischenfeststellungsurteil des Landgerichts aufgehoben, den Antrag der Klägerin auf Erlass des Zwischenfeststellungsurteils abgewiesen und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Den Antrag der Beklagten Ziffer III hat das Berufungsgericht abgewiesen und die Berufung der Beklagten im Übrigen zurückgewiesen.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der Senat hat die Revision der Klägerin zugelassen und die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zurückgewiesen.
Die Klägerin erstrebt mit der Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Zwischenfeststellungsurteils.
Die Beklagte hat zur Wahrung ihrer Rechte Anschlussrevision eingelegt, mit der sie den im Berufungsrechtszug gestellten Antrag Ziffer III weiterverfolgt.
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Anschlussrevision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hält die Zwischenfeststellungsklage für unzulässig. Eine Zwischenfeststellungsklage sei nur dann zulässig, wenn nicht ausgeschlossen sei, dass der Gegenstand der Feststellung auch außerhalb des Gegenstands des Klageverfahrens in der Hauptsache von präjudizieller Bedeutung sein könne. An diesem Erfordernis fehle es hier. Die wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Bauvertrag mit Bezug zu der Kündigung seien vollständig Gegenstand der Klage- und der Widerklageanträge. Eine darüber hinausgehende Bedeutung der Feststellung sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dass die Berechtigung der Kündigung aus wichtigem Grund die zentrale Vorfrage für einen Teil der Klage- und der Widerklageanträge bilde, genüge gerade nicht.
Keinen Erfolg habe die Berufung der Beklagten, soweit die Feststellung der Berechtigung von Ansprüchen der Beklagten aus § 649 BGB begehrt werde. Dieser erstmals in zweiter Instanz gestellte Antrag sei nicht an § 533 ZPO zu messen. Er stelle jedoch ebenfalls einen Zwischenfeststellungsantrag dar und sei aus den gleichen Gründen unzulässig wie derjenige der Klägerin.
II. Revision der Klägerin
Das Berufungsurteil hält, soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Zwischenfeststellungsklage der Klägerin ist nach § 256 Abs. 2 ZPO zulässig.
1. Die Klägerin begehrt mit ihrem Antrag die Feststellung eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO.
a) Unter Rechtsverhältnis ist eine bestimmte, rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu anderen Personen oder einer Person zu einer Sache zu verstehen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2008 - VI ZR 244/07, NJW 2009, 751 Rn. 10 m.w.N.). Darunter sind auch einzelne auf einem umfassenderen Rechtsverhältnis beruhende Ansprüche oder Rechte zu verstehen, nicht dagegen einzelne Vorfragen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 1967 - II ZR 171/65, WM 1967, 419). Ein Kündigungsgrund kann allein das Rechtsverhältnis darstellen, wenn die Kündigung selbst bereits zu bestimmten Rechtsfolgen führt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 1967 - II ZR 171/65, WM 1967, 419; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, 3. Aufl., § 256 Rn. 79).
b) Entsprechend diesen Grundsätzen handelt es sich bei "der Rechtsnatur" der mit Schreiben vom 3. Mai 2001 ausgesprochenen Kündigung (Kündigung aus wichtigem Grund oder freie Kündigung) um ein - zwischen den Parteien streitiges - Rechtsverhältnis, weil hiervon im Hinblick auf § 8 Nr. 3 VOB/B einerseits und auf § 8 Nr. 1 VOB/B, § 649 BGB andererseits unterschiedliche Rechtsfolgen abhängen.
2. Auch im Übrigen sind die Voraussetzungen des § 256 Abs. 2 ZPO im Streitfall gegeben.
a) Mit der Zwischenfeststellungsklage wird es dem Kläger ermöglicht, neben einer rechtskräftigen Entscheidung über seine Klage auch eine solche über nach § 322 Abs. 1 ZPO der Rechtskraft nicht fähige streitige Rechtsverhältnisse herbeizuführen, auf die es für die Entscheidung des Rechtsstreits ankommt. Die begehrte Feststellung muss sich allerdings grundsätzlich auf einen Gegenstand beziehen, der über den der Rechtskraft fähigen Gegenstand des Rechtsstreits hinausgeht. Für eine Zwischenfeststellungsklage ist daher grundsätzlich kein Raum, wenn mit dem Urteil über die Hauptklage die Rechtsbeziehungen der Parteien erschöpfend geregelt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 2006 - VII ZR 247/05, BGHZ 169, 153 Rn. 12; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 256 Rn. 26). Eine Zwischenfeststellungsklage ist jedoch dann zulässig, wenn mit der Hauptklage mehrere selbständige Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis verfolgt werden, mögen sie auch in ihrer Gesamtheit die Ansprüche erschöpfen, die sich aus ihm überhaupt ergeben können (vgl. RGZ 144, 54, 59 ff.; RGZ 170, 328, 330). Diesen Rechtsgrundsatz hat der Bundesgerichtshof auf den Fall übertragen, dass die Parteien mit Klage und Widerklage mehrere selbständige Ansprüche verfolgen, für die das streitige Rechtsverhältnis vorgreiflich ist, mögen sie auch in ihrer Gesamtheit die Ansprüche erschöpfen, die sich aus dem Rechtsverhältnis überhaupt ergeben können (BGH, Urteil vom 13. Oktober 1967 - V ZR 83/66, WM 1967, 1245, 1246; Urteil vom 2. März 1979 - V ZR 102/76, MDR 1979, 746, 747). Dies wird damit begründet, dass in beiden Fällen Teilurteile ergehen können und deshalb die Entscheidungen über das zugrundeliegende Rechtsverhältnis für nachfolgende Teilurteile und das Schlussurteil von Bedeutung sein können.
b) Entsprechend diesen Grundsätzen ist die Zwischenfeststellungsklage der Klägerin im Streitfall zulässig. Die Rechtsnatur der Kündigung ist jedenfalls sowohl für die Klage auf Erstattung der Mehrkosten für die drittseitige Fertigstellung des Bauvorhabens als auch für die Widerklage auf Zahlung einer Kündigungsvergütung für nicht erbrachte Leistungen vorgreiflich. Der Einwand der Beklagten, wegen des engen Verbunds zwischen Klage- und Widerklageantrag sei für den Erlass von Teilurteilen, für die die Zwischenfeststellung von Bedeutung sein könnte, kein Raum, weshalb die Zwischenfeststellungsklage unzulässig sei, ist nicht stichhaltig. Grundsätzlich darf allerdings bei Klage und Widerklage ein Teilurteil nur erlassen werden, wenn die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2002 - VII ZR 270/01, BauR 2003, 381, 382 = NZBau 2003, 153). Die Gefahr der Widersprüchlichkeit kann indes gerade dadurch beseitigt werden, dass über eine für Klage und Widerklage vorgreifliche Vorfrage ein Zwischenfeststellungsurteil gemäß § 256 Abs. 2 ZPO ergeht (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2002 - VII ZR 270/01, BauR 2003, 381, 382 f. = NZBau 2003, 153; Urteil vom 26. April 2012 - VII ZR 25/11, BauR 2012, 1391 Rn. 13 = NZBau 2012, 440).
III. Anschlussrevision der Beklagten
Die Anschlussrevision der Beklagten ist nicht begründet.
1. Allerdings ist die Auslegung des Berufungsgerichts, wonach es sich bei dem Berufungsantrag Ziffer III der Beklagten um einen Zwischenfeststellungsantrag handelt, rechtsfehlerhaft.
a) Für die Auslegung von Prozesserklärungen, die der erkennende Senat als Revisionsgericht selbst vornehmen kann (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2008 - VI ZR 244/07, NJW 2009, 751 Rn. 11), ist - ebenso wie bei materiell-rechtlichen Willenserklärungen - nicht allein der Wortlaut maßgebend. Entscheidend ist vielmehr der erklärte Wille, wie er auch aus Begleitumständen und nicht zuletzt der Interessenlage hervorgehen kann. Für die Auslegung eines Klageantrags ist daher auch die Klagebegründung heranzuziehen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2008 - VI ZR 244/07, NJW 2009, 751 Rn. 11 m.w.N.).
b) Entsprechend diesen Grundsätzen ist der Berufungsantrag Ziffer III dahingehend auszulegen, dass es sich nicht um einen Zwischenfeststellungsantrag, sondern um einen Antrag auf Erlass eines Grundurteils (§ 304 Abs. 1 ZPO) bezüglich des geltend gemachten Vergütungsanspruchs nach § 649 BGB i.V.m. § 8 Nr. 1 VOB/B handelt. Nachdem die Beklagte in der Berufungsinstanz die Zwischenfeststellungsklage der Klägerin im Hinblick darauf, dass die Klage abweisungsreif sei, für unzulässig erachtet hat und den Berufungsantrag Ziffer III, wie sich aus dem Schriftsatz vom 30. September 2011, Seite 4 ergibt, nicht als Zwischenfeststellungsantrag verstanden wissen wollte, kann dieser Antrag unbeschadet der Formulierung als Feststellungsantrag nur als Antrag auf Erlass eines Grundurteils bezüglich des geltend gemachten Vergütungsanspruchs nach § 649 BGB i.V.m. § 8 Nr. 1 VOB/B verstanden werden, wie das die Beklagte in ihrer Nichtzulassungsbeschwerdebegründung getan hat.
2. Mit dem Berufungsantrag Ziffer III hat die Beklagte jedoch aus einem anderen Grund keinen Erfolg. Das Landgericht hat, wie sich aus dem Hinweisbeschluss vom 19. August 2010 ergibt, angesichts der Komplexität des Streitstoffes und der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen davon abgesehen, ein Grund- bzw. Teilurteil zu erlassen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht es für nicht angemessen erachtet hat, den im ersten Rechtszug anhängig gebliebenen Teil des Rechtsstreits, darunter die Widerklage, an sich zu ziehen. Für den von der Beklagten begehrten Erlass eines Grundurteils in der Berufungsinstanz ist damit kein Raum, weil der betreffende Streitstoff im ersten Rechtszug verblieben ist.
IV.
Das Berufungsurteil kann somit nicht bestehen bleiben, soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da Feststellungen zur Begründetheit der Zwischenfeststellungsklage der Klägerin fehlen. Die Sache ist deshalb im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
V.
Der Senat hat entgegen der Anregung der Beklagten von der in § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG vorgesehenen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Nach dieser Vorschrift werden Gerichtskosten nicht erhoben, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Das setzt voraus, dass das Berufungsgericht gegen eine klare gesetzliche Regelung verstoßen, insbesondere einen schweren Verfahrensfehler begangen hat, der offen zu Tage tritt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 2003 - IV ZR 306/00, NJW-RR 2003, 1294, m.w.N.). Ein solcher Verstoß liegt hier nicht vor.
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Kartzke Kosziol