Entscheidungsdatum: 13.01.2011
Der Beschwerde der Beklagten wird teilweise stattgegeben.
Das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 12. Januar 2010 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, einen über 15.268,51 Euro nebst Zinsen hinausgehenden Betrag zu zahlen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.
Gegenstandswert der Nichtzulassungsbeschwerde: 24.598,09 Euro;
des stattgebenden Teils: |
12.594,69 Euro |
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(11.844,69 Euro + 710,27 Euro + 39,73 Euro) |
I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten Restwerklohn.
Im Rahmen eines Bauvorhabens der Universität H. wurden der Beklagten die Bauleistungen übertragen. Mit den Fliesenarbeiten beauftragte sie mit Vertrag vom 30. Mai 2005 den Kläger zu einem Pauschalfestpreis von 54.900 Euro netto. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vereinbarten die Parteien kurz nach Vertragsschluss, dass die Beklagte das vom Kläger benötigte Material bezahlen und diese Kosten vom Pauschalpreis absetzen sollte. Der Kläger erstellte über seine Leistungen drei Schlussrechnungen. In der letzten vom 15. Mai 2009 errechnete er eine Restwerklohnforderung von 24.598,09 Euro netto.
Das Landgericht hat die zunächst weitergehende Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger seinen Anspruch nur noch in Höhe von 24.598,09 Euro weiterverfolgt. Das Berufungsgericht hat ihm diesen Betrag nebst Zinsen zugesprochen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten. Sie will mit der Revision die Abweisung der Klage erreichen.
II.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat teilweise Erfolg.
1. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör, soweit das Berufungsgericht bei der Berechnung der Werklohnforderung des Klägers 16 % Umsatzsteuer angesetzt hat.
a) Der Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör soll diese vor Überraschungsentscheidungen schützen. Art. 103 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte oder Erwägungen abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfG, NJW 2003, 2524). Die in § 139 Abs. 2 ZPO normierte Hinweispflicht konkretisiert diesen Anspruch auf rechtliches Gehör.
b) Danach hat hier das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt.
Es besteht keine Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger hinsichtlich der von ihm erbrachten Leistungen zuzüglich zu dem Nettowerklohn noch darauf entfallende Umsatzsteuer zu zahlen. Gemäß § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG schuldet nicht der Kläger die Umsatzsteuer, sondern die Beklagte selbst als Leistungsempfängerin. Dementsprechend legten beide Parteien während des gesamten Rechtsstreits ihren Berechnungen Nettobeträge zugrunde. Weder die drei Schlussrechnungen des Klägers noch die Abrechnung der Beklagten vom 13. Dezember 2005 weisen Umsatzsteuer aus. Diese war zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Vortrags der Parteien. In den Schlussrechnungen des Klägers vom 23. Juli 2008 und 15. Mai 2009 ist sogar ausdrücklich vermerkt, dass die Steuerschuld gemäß § 13b UStG vom Empfänger der Leistung geschuldet werde. Bei dieser Sachlage stellt das ohne vorherige Erörterung fehlerhaft die Umsatzsteuer zusprechende Berufungsurteil eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung dar.
c) Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Bei dem gebotenen Hinweis hätte die Beklagte die Rechtslage klargestellt.
2. Das Berufungsurteil beruht des weiteren auf einer Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör, soweit das Berufungsgericht bei den Abzügen für die der Beklagten entstandenen Materialkosten die Belege 379 und 406 nicht berücksichtigt hat.
a) Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, diese Positionen seien unschlüssig; die Beklagte habe beide Belege nicht vorgelegt.
Damit hat das Berufungsgericht gegen § 139 Abs. 1, Abs. 2 ZPO verstoßen. Es hätte die Beklagte vor seiner Entscheidung auf das Fehlen der beiden Belege hinweisen und ihr Gelegenheit geben müssen, sie nachzureichen.
b) Zwar stellt nicht jeder Verstoß gegen § 139 ZPO eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Die Vorschrift geht über das verfassungsrechtlich gebotene Minimum hinaus (BVerfG, NJW-RR 2005, 936, 937). Es bedarf vielmehr im Einzelfall der Prüfung, ob dadurch zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt worden ist (BVerfGE 60, 305).
Das ist hier der Fall. Die Beklagte hatte bereits in erster Instanz eine Aufstellung über die von ihr bezahlten Materiallieferungen vorgelegt. Diese umfasste zahlreiche Einzelpositionen, die sämtlich bis auf die vom Berufungsgericht monierten durch Rechnungen oder Lieferscheine belegt waren. Hierauf kam es letztlich nicht an, weil das Landgericht die Klage wegen Unschlüssigkeit abgewiesen hat. Die Aufstellung der Beklagten erlangte dann im Berufungsrechtszug Bedeutung, weil das Berufungsgericht aufgrund der Schlussrechnung des Klägers vom 15. Mai 2009 davon ausging, dass der Kläger nunmehr prüfbar abgerechnet habe. Der Kläger hat allerdings, wie das Berufungsgericht ausführt, die Aufstellung der Beklagten lediglich als unübersichtlich oder ungeordnet oder nicht prüfbar oder ähnlich bezeichnet, ohne zu bestimmten konkreten Positionen vorzutragen, dass sie nicht für das Bauobjekt bestimmt gewesen seien. Zudem hat die Beklagte in ihren Stellungnahmen vom 9. Juni und 18. August 2005 zu Abschlagsrechnungen des Klägers Materiallieferungen, darunter auch die beiden fraglichen Positionen, in Abzug gebracht.
Wenn das Berufungsgericht trotz dieses Prozessverlaufs erst in seinem Urteil ohne vorherigen Hinweis das Fehlen der Belege 379 und 406 beanstandet und diese Positionen der Beklagten abspricht, stellt dies eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung dar.
c) Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Nach dem Vortrag der Nichtzulassungsbeschwerde hätte die Beklagte auf einen entsprechenden Hinweis darauf aufmerksam gemacht, dass der Kläger selbst diese fraglichen Materiallieferungen abgezeichnet hatte. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht dann auch diese beiden Positionen, gegebenenfalls nach Vorlage der Belege, als ausreichend dargelegt angesehen hätte.
III.
Im Übrigen wird von einer Begründung der Entscheidung über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).
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