Entscheidungsdatum: 25.01.2018
Eine Stoffpreisgleitklausel des öffentlichen Auftraggebers von Bauleistungen ist überraschend und wird nicht Vertragsbestandteil, wenn sie ohne ausreichenden Hinweis den Auftragnehmer zur Vermeidung erheblicher Nachteile bei Stoffpreissenkungen dazu anhält, bereits bei seiner Kalkulation von üblichen Grundsätzen abzuweichen (Festhaltung BGH, Urteil vom 1. Oktober 2014, VII ZR 344/13, BGHZ 202, 309).
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 20. August 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung ihrer Klage auf Zahlung von 208.267,11 € nebst Zinsen zurückgewiesen wurde.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 26. Februar 2014 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 208.267,11 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. Mai 2012 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz tragen die Beklagten gesamtschuldnerisch zu 85 %, die Klägerin zu 15 %. Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin fordert die Zahlung restlichen Werklohns. Die Beklagten schrieben im Herbst 2008 die Baumaßnahme "Hochwasserschutz zwischen S. und V." aus. Die Vergabeunterlagen nahmen auf die VOB/B (2006) Bezug und umfassten die "Stoffpreisgleitklausel Stahl", die unter anderem folgende Bestimmungen enthielt:
"1. Anwendungsbereich
Die Klausel gilt nur für Stoffe, die im "Verzeichnis für Stoffpreisgleitklausel Stahl" genannt sind. (…) Mehr- oder Minderaufwendungen werden nach den folgenden Regelungen abgerechnet.
2. Allgemeines
2.1 Der Auftragnehmer hat dem Auftraggeber über die Verwendung der Stoffe nach Nr. 1 prüfbare Aufzeichnungen vorzulegen, wenn Mehr- oder Minderaufwendungen abzurechnen sind. Aus den Aufzeichnungen müssen die Menge des Stoffes und der Zeitpunkt des Einbaus bzw. der Verwendung hervorgehen. (…)
2.2 Der Ermittlung der Mehr- oder Minderaufwendungen werden nur die Baustoffmengen zugrunde gelegt, für deren Verwendung nach dem Vertrag eine Vergütung zu gewähren ist. (…)
Vermeidbare Mehraufwendungen werden nicht erstattet; vermeidbar sind insbesondere Mehraufwendungen, die dadurch entstanden sind, dass der Auftragnehmer
- Vertragsfristen überschritten,
- die Bauausführung nicht angemessen gefördert
hat.
2.3 An den ermittelten Aufwendungen wird der Auftragnehmer beteiligt, seine Selbstbeteiligung beträgt 10 v. H. der Mehraufwendungen, mindestens aber 0,5 v. H. der Abrechnungssumme (Vergütung für die insgesamt erbrachte Leistung bzw. wenn mehrere Fachlose zusammen vergeben wurden, für das Fachlos, das von der Nennung von Ordnungsziffern im Verzeichnis betroffen ist). Für die Berechnung des Selbstbehalts zugrunde zu legen sind der Mehrbetrag ohne Umsatzsteuer sowie die Abrechnungssumme ohne die aufgrund von Gleitklauseln zu erstattenden Beträge und ohne Umsatzsteuer.
Ein Mehr- oder Minderbetrag kann erst geltend gemacht werden, wenn der Selbstbeteiligungsbetrag überschritten ist; bis zur Feststellung der Abrechnungssumme wird 0,5 v. H. der Auftragssumme für die insgesamt zu erbringende Leistung bzw. für den/die Abschnitt(e)/Titel, der/die von der Nennung von Ordnungsziffern im Verzeichnis betroffen ist/sind, zugrunde gelegt.
2.4 Bei Stoffpreissenkungen ist der Auftragnehmer verpflichtet, die ersparten (=Minder-)Aufwendungen von seinem Vergütungsanspruch abzusetzen. Er ist berechtigt, 10 v. H. der ersparten Aufwendungen, mindestens aber 0,5 v. H. der Aufrechnungssumme (vgl. Nr. 2.3) einzubehalten.
2.5 Sind sowohl Mehraufwendungen als auch Minderaufwendungen zu erstatten, so werden diese getrennt ermittelt und gegeneinander aufgerechnet; auf die sich ergebende Differenz wird Nr. 2.3 bzw. 2.4 angewendet.
3. Abrechnung
3.1 Der Auftraggeber setzt im Einheitlichen Formblatt - EFB-StGL-319 einen "Marktpreis" (Grundpreis zuzüglich ggf. des Abmessungsaufpreises, des Güteaufpreises und des Schrottpreiszuschlages, jedoch ohne etwaige Lieferanten- und Transportzuschläge) für die jeweilige Stahlart zum Zeitpunkt der Versendung der Angebotsunterlagen (Monat/Jahr) als Nettopreis in Euro/Tonne fest.
3.2 Der Preis zum Zeitpunkt des Einbaus bzw. der Verwendung wird ermittelt aus dem vorgegebenen "Marktpreis" (3.1) multipliziert mit dem Quotienten der Preisindizes (Monat/Jahr) der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte (GP) des Statistischen Bundesamtes vom Tag des Einbaus bzw. der Verwendung und dem vom Auftraggeber unter Nr. 3.1 genannten Zeitpunkt, veröffentlicht in der Fachserie 17, Reihe 2 unter der entsprechenden GP-Nummer.
3.3 Mehr- oder Minderaufwendungen werden errechnet für jeden einzelnen im Verzeichnis genannten Stoff aus der Differenz des "Preises" vom Tag des Einbaus bzw. der Verwendung (Nr. 3.2) und des vom Auftraggeber vergebenen "Marktpreises" zu dem im Verzeichnis vorgegebenen Zeitpunkt (Nr. 3.1).
3.4 Die nach Nr. 3.3 errechneten Mehr- oder Minderaufwendungen werden für jede im "Verzeichnis für Stoffpreisgleitklausel - Stahl" angegebene OZ und der nachgewiesenen Menge (vgl. Nr. 2) unter Berücksichtigung der Selbstbeteiligung gemäß Nr. 2.3 und 2.4 zusätzlich zum Angebotspreis vergütet bzw. von diesem abgezogen."
Mit nachgereichtem Schreiben machten die Beklagten das ergänzte "Verzeichnis für Stoffpreisgleitklausel Stahl" zum Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen.
Die Klägerin, die auf ihr Angebot vom 30. Oktober 2008 am 15. Dezember 2008 den Zuschlag erhielt, erbrachte im Jahr 2009 ihre Leistungen. Nach Abnahme im Oktober 2011 legte die Klägerin am 31. Dezember 2011 Schlussrechnung. Diese kürzten die Beklagten unter Berufung auf Minderaufwendungen, berechnet nach der Stoffpreisgleitklausel Stahl in Höhe von insgesamt 208.267,11 € brutto.
Die Klägerin, die diese Abzüge für unberechtigt hält, begehrt - soweit für die Revision noch von Bedeutung - Restwerklohn in dieser Höhe nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Stattgabe ihrer Klage im oben genannten Umfang.
Die Revision hat in ihrem zugelassenen Umfang Erfolg und führt zur Verurteilung der Beklagten.
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagten hätten die Schlussrechnung der Klägerin zu Recht wegen Minderaufwendungen nach der Stoffpreisgleitklausel Stahl um 208.267,11 € gekürzt. Die Stoffpreisgleitklausel Stahl sei als Preisnebenabrede einer Kontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterzogen. Die Klausel sei jedoch wirksam vereinbart worden.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Die Beklagten waren nicht berechtigt, die klägerische Schlussrechnung um "Minderaufwendungen", berechnet nach der Stoffpreisgleitklausel Stahl zu kürzen, die nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts eine von den Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung ist. Die Stoffpreisgleitklausel Stahl ist, soweit sie den Abzug ersparter "Minderaufwendungen" betrifft, wegen ihres überraschenden Charakters gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden, was der Senat nach der Entscheidung des Berufungsgerichts für eine gleichlautende Klausel bereits entschieden hat (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 344/13, BGHZ 202, 309). Daran hält der Senat fest. Zur Begründung wird auf die dortigen Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten rechtfertigen die individuellen Begleitumstände des Streitfalls keine andere rechtliche Beurteilung. Ob eine Klausel überraschend im Sinne von § 305c BGB ist, bestimmt sich nach einem generell-konkreten Maßstab. Die Klausel muss im Hinblick auf den typischen Inhalt des Vertrags aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise nach den Gesamtumständen objektiv ungewöhnlich sein. Daneben ist festzustellen, ob die Klausel so ungewöhnlich ist, dass der Kunde mit ihr nicht zu rechnen braucht. Auch der Überraschungseffekt ist anhand einer typisierenden Betrachtung des für derartige Verträge typischen Kundenkreises zu prüfen (vgl. Ulmer/Schäfer in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl., § 305c Rn. 12 f.; PWW/Berger, BGB, 12. Aufl., § 305 c Rn. 6).
Ob eine Klausel ungewöhnlich ist, beurteilt sich aus der Perspektive des vertragstypischen Durchschnittskunden nach objektiven Kriterien. Zu beurteilen ist die Klausel, nicht deren Auswirkungen im Einzelfall. Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob die Beklagten für den 9. Oktober 2008 einen Wert vorgaben, der zum damaligen Zeitpunkt oder zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe mit dem aktuell ermittelten und damit realistischen Preis für Spundwandbohlen übereingestimmt hat. Selbst wenn der von den Beklagten vorgegebene "Marktpreis" - zufällig - den tatsächlichen Preisverhältnissen im Oktober 2008 entsprochen haben sollte, würde dies an der Ungewöhnlichkeit des Berechnungsmodus nichts ändern.
Entgegen der Auffassung der Beklagten hindert eine branchenübliche Verwendung von Stoffpreisgleitklauseln nicht, die Klausel als überraschend anzusehen. Mögen Stoffpreisgleitklauseln bzw. Materialpreisgleitklauseln branchenüblich verwandt werden, bedeutet dies nicht, dass dem Vertragspartner die Voraussetzungen und Auswirkungen der von der Beklagten vorgegebenen Stoffpreisgleitklausel so vertraut sind, dass er ohne besonderen Hinweis des Verwenders die sich für ihn hieraus ergebenden Risiken erkennen und bei seiner Kalkulation berücksichtigen kann (vgl. Ulmer/Schäfer, aaO, § 305c Rn. 52 "Stoffpreisgleitklausel"). Gleiches gilt für den Einwand der Revisionsbeklagten in der mündlichen Verhandlung, dass mit einem nachgereichten Schreiben die Berechnungsfaktoren der Ausschreibung vervollständigt wurden.
2. Der Beschluss des Berufungsgerichts kann im angegriffenen Umfang danach keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht zu treffen sind und der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO.
a) Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung des Restwerklohns in Höhe von 208.267,11 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 30. Mai 2012 gemäß § 631 Abs. 1, § 288 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 286 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB i. V. m. § 16 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 VOB/B.
b) Für die von der Stoffpreisgleitklausel erfassten Leistungen verbleibt es bei den vertraglich vereinbarten und abgerechneten Preisen, denn die durch die fehlende Einbeziehung der Stoffpreisgleitklausel Stahl betreffend die Herabsetzung der Vergütung wegen "Minderaufwendungen" entstandene Regelungslücke kann nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung nach §§ 157, 133 BGB gefüllt werden (Urteil vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 344/13, BGHZ 202, 309 Rn. 24 f.). Besonderheiten, die eine andere Bewertung rechtfertigen würden, weist der Fall nicht auf.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 4 Satz 1 ZPO.
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