Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 20.03.2019


BGH 20.03.2019 - VII ZR 182/18

Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
20.03.2019
Aktenzeichen:
VII ZR 182/18
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2019:200319BVIIZB182.18.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend KG Berlin, 14. August 2018, Az: 27 U 154/16vorgehend LG Berlin, 9. November 2016, Az: 86 O 16/16
Zitierte Gesetze
Art 103 Abs 1 GG

Tenor

Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Das Urteil des 27. Zivilsenats des Kammergerichts vom 14. August 2018 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 3.211.020,54 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz im Zusammenhang mit angeblich zweckwidriger Verwendung von Baugeld geltend.

2

Unter dem 20. April 2011 schlossen die H.      S.      AG als Auftragnehmerin und die G.  F.   F.    GmbH (im Folgenden: G.  GmbH), deren Geschäftsführer der Beklagte war, als Auftraggeberin einen Bauvertrag über die schlüsselfertige und vollständige Erbringung der Bauleistungen für die komplette Sanierung und den Ausbau dreier denkmalgeschützter Baukörper zu 129 Wohnungen einschließlich Erstellung der Außenanlagen in Bezug auf das Bauvorhaben "U.    " in G.        . Die Auftragssumme betrug 4.881.513 €, wobei es sich um einen Pauschalfestpreis handelte.

3

Unter dem 12. April 2012 stellte die H.      S.        AG ihre neunte Abschlagsrechnung, unter dem 7. Mai 2012 ihre zehnte Abschlagsrechnung, unter dem 21. Juni 2012 ihre elfte Abschlagsrechnung und unter dem 23. Juli 2012 ihre zwölfte Abschlagsrechnung. Bereits im Juni 2012 kam es zu Gesprächen der Vertragsparteien über die Höhe der Vergütungsforderungen und über der H.      S.       AG durch die GM GmbH etwa zu stellende Sicherheiten. Am 13. Juli 2012 stellte die H.      S.      AG ihre Arbeit ein, am 20. Juli 2012 kündigte die G.  GmbH das Vertragsverhältnis fristlos. Das Bauvorhaben ist mittlerweile durch Dritte fertiggestellt worden.

4

Vor dem Landgericht Berlin führte die H.      S.     AG wegen des Bauvorhabens "U.    " mehrere gerichtliche Verfahren gegen die G.  GmbH, unter anderem erhob sie eine Restwerklohnklage in Höhe von 3.211.020,54 € (Az. 104 O 2/14).

5

Im Jahr 2014 stellte die G.  GmbH Insolvenzantrag und das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen wurde eröffnet.

6

Die Klägerin hat geltend gemacht, die H.      S.      AG habe im Wege der Ausgliederung gemäß § 123 UmwG ihren Betriebsteil "Building" auf die H.      B.     GmbH übertragen, dieses Unternehmen sei inzwischen auf sie übergegangen.

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Die auf Zahlung von 3.211.020,54 € nebst Zinsen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, die ihren Zahlungsantrag weiterverfolgen möchte.

II.

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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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1. Das Berufungsgericht führt, soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen Folgendes aus:

10

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 BauFordSiG scheitere daran, dass die Klägerin trotz umfangreichen Bestreitens durch den Beklagten eine Werklohnrestforderung nicht substantiiert vorgetragen habe. In erster Instanz habe sie "zur Vermeidung einer überlangen Klageschrift auf die Begründung der Werklohnforderung in der Klageschrift vom 13.1.2014", im vorliegenden Verfahren eingereicht als Anlage K 17, verwiesen und auf die Anlagen in diesem Verfahren 104 O 2/14 und dem Verfahren 104 O 3/14 Bezug genommen. Dahinstehen könne, ob diese Verfahrensweise den üblichen zivilprozessualen Gepflogenheiten entspreche, denn in jedem Fall hätten dann auch die die Schlussrechnungszusammenfassung erläuternden Unterlagen vorliegen müssen. Das Landgericht habe die Akten der beiden Verfahren beigezogen und dann mit Schreiben vom 7. September 2016 - zwei Monate vor dem Gerichtstermin - darauf hingewiesen:

"... Bei Durchsicht der Akten hat sich herausgestellt, dass von der dortigen Klägerin eingereichte Anlagen (vermerkt sind in den Akten jeweils mehrere Leitzordner mit Anlagen) sich nicht mehr bei den Akten befinden. ..."

11

Entgegen der Ansicht der Klägerin habe diese Mitteilung den an einen rechtlichen Hinweis nach § 139 ZPO zu stellenden Anforderungen entsprochen. Es sei klar gewesen, dass den beigezogenen Akten die Anlagen fehlten, auf die die Klage ausdrücklich gestützt gewesen sei. Diese seien aber für das Gericht notwendig gewesen, um die Schlussrechnung überhaupt nachzuvollziehen.

12

Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Verhandlungstermin erster Instanz sein Verhalten damit erklärt habe, dass er angenommen habe, die Sache sei nach dem Hinweis des Gerichts mittlerweile geklärt, erschließe sich diese Annahme nicht. Aber auch, wenn der Hinweis des Gerichts falsch verstanden worden sei, habe es im Hinblick auf die Eindeutigkeit entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht eines zweiten Hinweises auf fehlende Anlagen oder gar eines Hinweises darauf, dass das Landgericht die Klage wegen der fehlenden Anlagen abweisen könnte, nicht bedurft.

13

Demzufolge sei das Einreichen der in Bezug genommen umfangreichen Anlagen in zweiter Instanz mit der Berufungsbegründung verspätet (§ 531 Abs. 1 ZPO) und daher zurückzuweisen.

14

2. Die Zurückweisung der Berufung ist, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, unter Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) erfolgt.

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a) Bleibt ein Angriffsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie derjenigen des § 531 ZPO zu Unrecht zurückgewiesen hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2018 - VIII ZR 90/17 Rn. 13, NJW 2018, 1686; Beschluss vom 17. Mai 2017 - VII ZR 36/15 Rn. 17, BauR 2017, 1567 = NZBau 2017, 476; Beschluss vom 2. September 2013 - VII ZR 242/12 Rn. 7; jeweils m.w.N.).

16

b) Ein derartiger Fall liegt hier vor. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht in offenkundig fehlerhafter Anwendung des § 531 Abs. 1 ZPO die von der Klägerin mit der Berufungsbegründung vom 7. Februar 2017 eingereichten Anlagen, insbesondere die Anlagen zu der im Vorprozess 104 O 2/14 eingereichten Klageschrift, mit der Folge nicht berücksichtigt, dass es das Vorbringen der Klägerin zum Bestehen der gegen die spätere Insolvenzschuldnerin gerichteten Restwerklohnforderung für unzureichend substantiiert erachtet hat.

17

Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben nach § 531 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen. Zu den Angriffs- und Verteidigungsmitteln zählen insbesondere Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden, Beweismittel und Beweiseinrede (vgl. § 282 Abs. 1 ZPO). § 531 Abs. 1 ZPO ist nur anwendbar auf Angriffs- und Verteidigungsmittel, die in erster Instanz nach § 296 Abs. 1 oder 2 ZPO oder nach § 340 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 296 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen oder nicht zugelassen worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12 Rn. 10, BauR 2013, 1146 = NZBau 2013, 433). Von diesen Vorschriften hat das Landgericht indes keinen Gebrauch gemacht. Das Landgericht hat es vielmehr abgelehnt, der Klägerin eine Schriftsatzfrist zur Nachreichung weiterer, bis zum Termin der mündlichen Verhandlung in erster Instanz nicht eingereichter Unterlagen, insbesondere der Anlagen zu der im vorliegenden Verfahren als Anlage K 17 eingereichten Klageschrift aus dem Vorprozess 104 O 2/14, zu bewilligen. Sind Angriffsmittel unberücksichtigt geblieben, ohne nach den vorstehend genannten Bestimmungen präkludiert worden zu sein, so ist § 531 Abs. 1 ZPO nicht anwendbar (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12 Rn. 10 m.w.N., BauR 2013, 1146 = NZBau 2013, 433).

18

c) Ob das Berufungsgericht die in Rede stehenden Angriffsmittel aus einem anderen Grund hätte unberücksichtigt lassen dürfen, bedarf keiner Entscheidung. Nach ständiger Rechtsprechung darf eine fehlerhafte Begründung für die Zurückweisung verspäteter Angriffsmittel vom Rechtsmittelgericht nicht durch eine andere Begründung ersetzt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011 - X ZR 77/10 Rn. 15 f. m.w.N., BauR 2011, 1851 - Treppenlift).

19

d) Das Berufungsurteil beruht auch auf der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung der übergangenen Angriffsmittel anders entschieden hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2005 - V ZR 271/04, NJW 2005, 2624, juris Rn. 10 m.w.N.).

III.

20

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich - für den Fall, dass es sich bei dem Zitat "§ 531 Abs. 1 ZPO" auf Seite 5 des Berufungsurteils um ein Schreibversehen handeln und in Wirklichkeit § 531 Abs. 2 ZPO gemeint gewesen sein sollte - darauf hin, dass eine Zurückweisung der erstmals mit der Berufungsbegründung vorgelegten, vom Berufungsgericht ebenso wie vom Landgericht zur Substantiierung der Restwerklohnforderung für geboten erachteten Anlagen zur Klageschrift im Vorprozess 104 O 2/14 im Hinblick auf die Regelung in § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO ausscheiden dürfte. Denn es dürfte auf einen Verfahrensmangel des Landgerichts zurückzuführen sein, dass diese Anlagen nicht bereits in erster Instanz vorgelegt wurden. Das erstinstanzliche Gericht erfüllt seine Hinweispflicht nicht dadurch, dass es allgemeine und pauschale Hinweise erteilt; es muss vielmehr die Parteien auf fehlendes Vorbringen, das es als entscheidungserheblich ansieht, unmissverständlich hinweisen und ihnen die Möglichkeit eröffnen, dieses Vorbringen zu ergänzen (vgl. BGH; Beschluss vom 9. Juni 2005 - V ZR 271/04, NJW 2005, 2624, juris Rn. 8; Beschluss vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12 Rn. 12, BauR 2013, 1146 = NZBau 2013, 433). Dem dürfte das Landgericht nicht hinreichend Rechnung getragen haben. Denn mit dem vom Landgericht gemäß Verfügung vom 7. September 2016 erteilten Hinweis werden nicht explizit Defizite des klägerischen Vorbringens adressiert; dem Hinweis, bestimmte Anlagen befänden "sich nicht mehr bei den Akten" ist nicht unmissverständlich zu entnehmen, dass das Landgericht die klägerische Darlegung der behaupteten Restwerklohnforderung ohne weitere Erläuterungen etwa durch Vorlage der Anlagen zur im vorliegenden Verfahren als Anlage K 17 eingereichten Klageschrift aus dem Vorprozess 104 O 2/14 für unsubstantiiert erachtete.

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