Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 28.01.2016


BGH 28.01.2016 - VII ZR 162/13

Entschädigung eines Bauunternehmers wegen Bauzeitverzögerung: Nichtberücksichtigung von entscheidungserheblichem Parteivorbringen des Auftraggebers zur Behinderungsursache


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
28.01.2016
Aktenzeichen:
VII ZR 162/13
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:280116BVIIZR162.13.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend KG Berlin, 28. Mai 2013, Az: 7 U 12/12, Urteilvorgehend LG Berlin, 20. Januar 2012, Az: 35 O 218/10
Zitierte Gesetze

Tenor

Der Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision wird teilweise stattgegeben.

Das Urteil des 7. Zivilsenats des Kammergerichts vom 28. Mai 2013 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Beklagte zur Zahlung von 20.275,12 € nebst Zinsen für Bauzeitverlängerungen aus dem "Störungskomplex 2" verurteilt hat.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen.

Streitwert der Nichtzulassungsbeschwerde: 79.106,63 €; des stattgebenden Teils: 20.275,12 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin, ein Bauunternehmen, begehrt von der Beklagten eine Entschädigung nach § 642 BGB wegen Bauzeitverzögerungen.

2

Die Beklagte beauftragte die Klägerin im Juni 2009 unter Einbeziehung der VOB/B mit Arbeiten in drei Bauabschnitten betreffend ein Bauvorhaben zur Grundsanierung eines Bürogebäudes des Deutschen Bundestages. Nach Beginn der Arbeiten im Herbst 2009 kam es zu Verzögerungen bei der Bauausführung, die die Klägerin, die die Arbeiten durch Nachunternehmer ausführen ließ, vier "Störungskomplexen" zuordnet. Die Klägerin zeigte der Beklagten mehrfach Behinderungen bei der Bauausführung an. Die Fertigstellung des Bauwerks verzögerte sich insgesamt um mehrere Monate.

3

Die Klägerin hat mit der Klage eine Entschädigung von insgesamt 278.601,25 € nebst Zinsen geltend gemacht. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung verurteilt, an die Klägerin 79.106,73 € nebst Zinsen wegen Verzögerungen aus den "Störungskomplexen 1 und 2" zu zahlen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde.

II.

4

1. Das Berufungsgericht führt zum "Störungskomplex 2" aus:

5

Die Klägerin habe mit insgesamt acht Behinderungsanzeigen zwischen dem 21. Oktober 2009 und Ende November 2009 diverse Behinderungen bei der Bauausführung beanstandet, die von der Beklagten zu vertreten seien und überwiegend auf fehlenden bzw. zu spät beigebrachten Ausführungsplänen beruhten. Insgesamt ergebe sich daraus nach dem Klägervortrag eine Verzögerung von 69 Tagen, rund 2,26 Monate. Da von der insgesamt geltend gemachten Verzögerung auf den "Störungskomplex 2" nur rund ein Monat entfalle, komme es nicht darauf an, ob die Berechnung der Klägerin in vollem Umfang richtig sei. Allein der schlüssige Vortrag der Klägerin zu den Behinderungen lasse jedenfalls eine Mindestschätzung der Verzögerungen gemäß § 287 ZPO zu. Der Vortrag der Beklagten schließe die Mindestschätzung nicht aus, weil die Beklagte die Verzögerungen teilweise zugestehe und nicht darlege, wann der Klägerin die geforderten Pläne übergeben worden seien. Es reiche z.B. nicht, wenn die Beklagte hinsichtlich der zweiten Behinderungsanzeige die von der Klägerin berechneten 15 Arbeitstage zurückweise, wenn feststehe, dass die Vorleistungen nicht der ursprünglichen Planung entsprochen und erst hätten angepasst werden müssen. Eine eigene Berechnung zu den teilweise zugestandenen Verzögerungen lege die Beklagte nicht vor.

6

2. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat teilweise Erfolg.

7

Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, soweit das Berufungsgericht die Beklagte zur Zahlung von 20.275,12 € wegen einer Bauzeitverzögerung von einem Monat aus dem "Störungskomplex 2" verurteilt hat. Das Berufungsurteil ist deshalb insoweit aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 544 Abs. 7 ZPO.

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a) Ein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Parteivorbringen nicht zur Kenntnis nimmt (BGH, Beschlüsse vom 9. September 2015 - VII ZR 324/13 Rn. 11; vom 24. Juni 2015 - VII ZR 272/13 Rn. 9; vom 10. April 2014 - VII ZR 126/12 Rn. 7).

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b) So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat den Vortrag der Beklagten zu den Störungen, die der Behinderungsanzeige 2 vom 28. Oktober 2009, der Behinderungsanzeige 6 vom 11. November 2009, der Behinderungsanzeige 8 vom 24. November 2009 und der Behinderungsanzeige 9 vom 26. November 2009 zugrunde liegen, nicht berücksichtigt, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze finden würde.

10

aa) Die Beklagte hat zu der Behinderungsanzeige 2 vom 28. Oktober 2009 (Anlage K 1.41) bestritten, dass Pläne fehlten. Sie hat hierzu mit Schriftsatz vom 8. Februar 2011 (Band I d. A., S. 84) vorgetragen, dass die Klägerin spätestens mit Schreiben der bauüberwachenden Architekten vom 26. Oktober 2009 in die Lage versetzt worden sei, die Vorsatzschale herzustellen. Zudem hat sie im Schriftsatz vom 3. August 2012 (Band II d. A., S. 74 ff.) ergänzt, dass die Arbeiten ab dem 27. Oktober 2009 tatsächlich ausgeführt worden seien und eventuelle Störungen nicht auf fehlenden Plänen beruhten. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag übergangen. Es hat sich mit diesem erheblichen Vorbringen nicht auseinandergesetzt und keine Feststellungen dazu getroffen, welche Planunterlagen die Klägerin zu welchem Zeitpunkt benötigte und ob die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, diese zur Verfügung zu stellen. Auch zu dem erheblichen Einwand der Beklagten, dass Störungen ab dem 27. Oktober 2009 nicht auf fehlenden Plänen beruhten, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.

11

bb) Zur Behinderungsanzeige 6 vom 11. November 2009 (Anlage K 1.49) wegen Umplanungen im Bereich der Bodenplatte hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Februar 2011 (Band I d. A., S. 87) ausgeführt, dass diese Behinderung deckungsgleich mit der bereits am 3. November 2009 durch die Klägerin angezeigten Behinderung sei; die Klägerin habe diese Behinderungstage doppelt berechnet. Das Berufungsgericht hat sich mit diesem erheblichen Vorbringen nicht auseinandergesetzt.

12

cc) Zu der Behinderungsanzeige 8 vom 23. November 2009 (Anlage K 1.51), mit der die Klägerin das Fehlen von Planungsunterlagen für das obere Fugenband im Bereich der Außenwände des UG 2 gerügt hat, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Februar 2011 (Band I d. A., S. 87) dargelegt, dass die Angaben zur oberen Wandfugenabdichtung bereits am 16. Juni 2009 vorgelegen hätten und dass die Klägerin am 3. November 2009 zusätzliche Angaben zum Fugenverlauf erhalten habe. Im Schriftsatz vom 8. Juli 2011 (Band I d. A., S. 176) hat die Beklagte weiter vorgetragen, allein die Klägerin sei die Verursacherin des Anpassungsbedarfs gewesen, da die Klägerin abweichend von den Plänen eine eigene Fugenplanung vorgenommen habe. Darin, dass sich das Berufungsgericht mit diesem erheblichen Vortrag wiederum nicht auseinandergesetzt hat, liegt eine weitere Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG.

13

dd) Zur Behinderungsanzeige 9 vom 26. November 2009 (Anlage K 1.52) betreffend die fehlerhafte Bewehrungsplanung hat die Beklagte im Schriftsatz vom 8. Februar 2011 (Band I d. A., S. 88) auf ein Schreiben vom 22. Dezember 2009 (Anlage A 23) verwiesen und ausgeführt, dass die Bewehrungsplanänderungen vorgenommen werden mussten, weil die Klägerin den Fugenverlauf abweichend von der Planung ausgeführt habe. Darin, dass das Berufungsgericht diesen erheblichen Vortrag nicht verarbeitet hat, liegt ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

14

c) Die dargelegten Gehörsverstöße sind entscheidungserheblich.

15

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Sachvortrags und einer gegebenenfalls erfolgenden Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass in den oben genannten Zeiträumen ganz oder teilweise kein Annahmeverzug der Beklagten vorlag.

16

Da das Berufungsgericht zur Dauer der Verzögerungen aufgrund der einzelnen Störungen aus dem "Störungskomplex 2" keine Feststellungen getroffen hat, sondern für alle Störungen zusammen die Verzögerung auf mindestens einen Monat geschätzt hat, ist nicht feststellbar, welche Verzögerungen auf die Störungen entfallen, die der Behinderungsanzeige 2 vom 28. Oktober 2009, der Behinderungsanzeige 6 vom 11. November 2009, der Behinderungsanzeige 8 vom 23. November 2009 und der Behinderungsanzeige 9 vom 26. November 2009 zugrunde liegen und zu welchem Ergebnis das Berufungsgericht ohne Berücksichtigung dieser Störungen für den gesamten "Störungskomplex 2" gekommen wäre.

17

d) Daher ist das Berufungsurteil in Höhe des Teils der Forderung, der auf der vom Berufungsgericht für den gesamten "Störungskomplex 2" angenommenen Verzögerungszeit von einem Monat beruht, aufzuheben. Bei der erneut vorzunehmenden Beurteilung wird das Berufungsgericht einerseits das teilweise Zugeständnis einer Verzögerung durch die Beklagte zu berücksichtigen und andererseits Gelegenheit haben, sich mit den weiteren Einwänden der Beklagten aus ihrer Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu den Behinderungsanzeigen 1 und 3 bis 5 auseinanderzusetzen.

18

Die Aufhebung umfasst entsprechend der Berechnungsmethode des Berufungsgerichts 17,3 % (1 Monat von 5,78 Monaten) der Forderung, die die Klägerin mit dem Ergänzungsgutachten vom 1. Dezember 2011 und der als Anlage 8 zu jenem Gutachten vorgelegten Kalkulation beziffert hat (vgl. S. 14 des Berufungsurteils). Im Hinblick auf die vom Berufungsgericht zugesprochenen Allgemeinen Geschäftskosten (AGK) beträgt der Umfang der Aufhebung danach 9.928,09 € netto, im Hinblick auf die Baustellengemeinkosten (BGK) 6.365,37 € netto. Im Hinblick auf die Baustelleneinrichtungskosten (vgl. S. 15 des Berufungsurteils) beträgt er 744,46 € netto (10 % von 7.444,62 €, 1 Monat von 10 Monaten). Das ergibt insgesamt 17.037,92 € netto bzw. 20.275,12 € brutto.

19

3. Im Übrigen wird von einer Begründung der Zurückweisung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).

Eick     

Halfmeier     

     Jurgeleit

Graßnack     

Richterin Wimmer

ist aus dienstlichen

Gründen an der

Unterschriftsleistung

gehindert.

Eick