Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 08.09.2011


BGH 08.09.2011 - VII ZR 125/10

Berufungsverfahren: Unterlassene Erhebung der angebotenen Beweise als Gehörsverstoß


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
08.09.2011
Aktenzeichen:
VII ZR 125/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, 6. Juli 2010, Az: 4 U 162/09 - 45, Urteilvorgehend LG Saarbrücken, 18. Februar 2009, Az: 16 O 146/05
Zitierte Gesetze

Tenor

Der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Das Urteil des 4. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 6. Juli 2010 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Die Sache wird insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 155.857,66 € (beziffert 70.857,66 €, Feststellung 85.000 €).

Gründe

I.

1

Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Bezahlung restlichen Werklohns in Höhe von 3.930,81 €. Die Beklagten begehren mit der Widerklage Ersatz von Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 18.626,85 €, Ersatz eines Mietausfallschadens von 48.600 € und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden wegen angeblicher Mängel des von der Klägerin hergestellten Werks.

2

Die Klägerin führte im Jahre 2000 Bodenbelagsarbeiten (Wärmedämmung, Trittschalldämmung, Fließestrich) in den drei Wohnungen des Mehrfamilienhauses der Beklagten aus. Die Beklagten nahmen die Werkleistung nicht ab. Sie forderten die Klägerin vielmehr auf, den Bodenbelag wegen Mängeln insgesamt zu entfernen und neu herzustellen. Dies lehnte die Klägerin ab. Ein im selbständigen Beweisverfahren eingeholtes Sachverständigengutachten hat die Mangelhaftigkeit des Estrichs und der Wärmedämmung bestätigt. Während des anschließenden Rechtsstreits haben die Beklagten vor Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens den Estrich entfernt. Im Anschluss daran haben sie unter anderem geltend gemacht, dass sowohl die Wärmedämmung als auch die Trittschalldämmung nicht fachgerecht eingebaut worden sei. Die Klägerin habe kleine Bruchstücke und Abfallstücke eingebaut; richtigerweise hätte sie die Dämmung ordnungsgemäß zuschneiden und ganzflächig einbauen müssen. Darüber hinaus habe sie keine Maßnahmen getroffen, um die Rohrleitungen durch eine belastbare Schicht abzudecken. Nach den Regeln der Technik hätte die Klägerin die Rohre durch eine Schüttung überbauen müssen. Zu diesen Behauptungen hat das Landgericht ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen H. eingeholt.

3

Das Landgericht hat einen Mangel des eingebauten Estrichs angenommen und deshalb - ohne dass es für seine Entscheidung auf die Begutachtung durch den Sachverständigen H. zum Einbau der Wärme- und Trittschalldämmung angekommen wäre - die Klage abgewiesen und der Widerklage überwiegend stattgegeben. Dagegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung einen Mangel des Estrichs weitgehend verneint und die Beklagten verurteilt, an die Klägerin 3.930,81 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Klägerin hat es auf die Widerklage verurteilt, an die Beklagten wegen eines geringen Mangels, der nicht beseitigt werden müsse, 300 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Widerklage im Übrigen und die weitergehenden Berufungen der Parteien hat es zurückgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Sie wollen weiterhin die Abweisung der Klage erreichen und ihre Widerklage in vollem Umfang weiterverfolgen.

II.

4

Der Beschwerde ist stattzugeben. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Rechts der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG. Es ist deshalb aufzuheben, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist, und die Sache ist insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 544 Abs. 7 ZPO.

5

1. Das Berufungsgericht hat sich erstmals mit den Mängelrügen befasst, die die Beklagten nach Entfernung des Estrichs hinsichtlich der Dämmung erhoben haben. Es vertritt die Auffassung, die Beklagten hätten den bis zur Abnahme grundsätzlich der Klägerin obliegenden Nachweis der vertragsgerechten Herstellung der Trittschall- und Wärmedämmung dadurch vereitelt, dass sie den Estrich vor der gerichtlich angeordneten Begutachtung durch einen Sachverständigen eigenmächtig beseitigt hätten. Nach den Feststellungen des Sachverständigen könne der Zustand der Dämmung vor der Beseitigung des Estrichs nicht mehr zweifelsfrei rekonstruiert werden. Die sich hieraus hinsichtlich der behaupteten Mängel der Dämmung ergebenden Unklarheiten gingen in Anwendung der zur Beweisvereitelung entwickelten Grundsätze prozessual zulasten der Beklagten. Diese hätten den Beweis, dass der vorhandene Zustand dem ursprünglichen Zustand der Dämmung entspreche, nicht geführt.

6

Der Sachverständige H. habe bei seiner Besichtigung festgestellt, dass in der untersten und obersten Lage der Dämmebene Kleinstteile "puzzleartig" zusammengefügt worden seien. Die Art der Verlegung im Ist-Zustand sei insbesondere im Bereich der oberen Dämmlage in Verbindung mit den Rohrtrassenüberbrückungen als mangelhaft zu bewerten, zumal die Rohrtrassen nicht mit einer gebundenen Schüttung ausgeglichen worden seien. Der Sachverständige habe aber nicht feststellen können, ob die Puzzleteile von Anfang an in dieser Form auf der obersten Lage verlegt worden seien oder sie bei dem Ausbau des Estrichs zu Bruch gegangen und anschließend in der vorhandenen Form in die oberste Lage gelegt worden seien. Auch hinsichtlich der Frage, ob das Fehlen der Schüttung im Bereich der Rohrtrassenführung einen die Kompletterneuerung erforderlich machenden Mangel darstelle, habe sich der Sachverständige nicht festlegen können. Hinsichtlich der "Puzzleteile" seien den Ist-Zustand der Dämmung beeinflussende Manipulationen der Beklagten zumindest nicht ausgeschlossen.

7

2. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass den Beklagten eine Beweisvereitelung vorzuwerfen ist und sie deshalb beweisen müssen, die Dämmung im Zusammenhang mit der eigenmächtigen Entfernung des Estrichs nicht verändert zu haben. Dagegen bringen die Beklagten nichts vor. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts kann dennoch keinen Bestand haben, weil sie auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht.

8

a) Das Berufungsgericht hat die nach Entfernung des Estrichs erhobenen Mängelrügen, auf die es für die landgerichtliche Entscheidung nicht ankam, aufgegriffen. Es hätte nicht nur den Vortrag der Beklagten dazu würdigen, sondern auch deren darauf bezogenen Beweisangeboten nachgehen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1990 - IV ZR 69/89, NJW-RR 1990, 831). Die Beklagten haben - wie die Beschwerde zurecht geltend macht - Beweis durch Vernehmung ihres Sohnes, des Zeugen G., dafür angetreten, dass an der Trittschall- und Wärmedämmung nach Herausnahme des Estrichs nichts verändert worden sei. Ohne Erhebung dieses Beweises durfte das Berufungsgericht nicht annehmen, Manipulationen der Beklagten an der Wärme- und der Trittschalldämmung seien insbesondere bezogen auf die "Puzzleteile" nicht auszuschließen. Unabhängig davon war das Berufungsgericht gehalten, die Indizien, die deutlich gegen solche Manipulationen sprechen, zu würdigen.

9

b) Das Berufungsgericht erwähnt zwar das vom Sachverständigen festgestellte Fehlen einer Schüttung im Bereich der Rohrtrassenführung. Es sieht darin wohl auch einen Mangel. Denn es stellt fest, der Sachverständige habe sich nicht festlegen können, ob es sich insoweit um einen die Kompletterneuerung erforderlich machenden Mangel handele. Mit den möglichen Rechtsfolgen dieses Mangels setzt sich das Berufungsgericht nicht auseinander. Dass auch insoweit ein Manipulationsverdacht besteht, lässt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen.

10

3. Die Gehörsverstöße des Berufungsgerichts sind entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn es sich mit allen von dem Sachverständigen H. festgestellten Mängeln hinreichend auseinandergesetzt und den von den Beklagten angebotenen Beweis erhoben hätte.

11

Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Berufungsgericht zudem Gelegenheit, sich auch mit dem vom Sachverständigen festgestellten Mangel zu beschäftigen, der darin besteht, dass durch das Verschweißen der Bitumenschweißbahnen die Rohrdämmung so beschädigt worden ist, dass ein erhöhter Wärmeverlust erfolgt.

Kniffka                                                        Kuffer                                           Bauner

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