Entscheidungsdatum: 21.03.2013
Der öffentliche Auftraggeber hat in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelastung auszuhebenden und zu entfernenden Bodens nach den Erfordernissen des Einzelfalls anzugeben. Sind erforderliche Angaben zu Bodenkontaminationen nicht vorhanden, kann der Bieter daraus den Schluss ziehen, dass ein schadstofffreier Boden auszuheben und zu entfernen ist (Anschluss an BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011, VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172).
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 4. Mai 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als im Verhältnis zu den Beklagten zu 1 und 2 insgesamt und im Verhältnis zur Beklagten zu 3 hinsichtlich eines 7.518,28 € nebst Zinsen übersteigenden Betrags zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin verlangt von den Beklagten, einem Landkreis, einem Abwasserzweckverband und einer Gemeinde, zusätzliche Vergütung für Tiefbauarbeiten mit der Begründung, sie habe beim Ausbau einer Kreisstraße im Bereich einer Ortsdurchfahrt kontaminiertes Aushubmaterial angetroffen, das nicht ausgeschrieben gewesen sei.
Die Klägerin wurde von den Beklagten im Jahr 2006 mit Tiefbauarbeiten für den Ausbau einer Kreisstraße beauftragt. Die Leistung war in mehrere Lose aufgeteilt, für die teils der Beklagte zu 1, teils der Beklagte zu 2 und teils die Beklagte zu 3 als Auftraggeber fungierten.
In der Baubeschreibung heißt es unter Ziff. 2.7 (Baugrund) unter anderem wie folgt:
"Die Baugrunduntersuchung wurde von W. G. B. durchgeführt.
Die Untersuchung erfolgte mittels 4 Rammkernsondierungen. Dabei wurde eine lediglich ca. 4 cm dicke Asphaltdeckschicht aufgeschlossen, deren Teergehalt untersucht wurde. Dieser liegt noch unterhalb der Grenze für Wiedereinbau des Aufbruchgutes im Heißeinbau, so dass eine Wiederverwertung vollständig möglich ist …"
Das Leistungsverzeichnis für die gesamten Arbeiten sieht in verschiedenen Positionen vor, dass Boden zu lösen, in das Eigentum des Auftragnehmers zu übernehmen und von der Baustelle zu entfernen ist. Bei den Losen 2, 3 und 5 sind gesonderte Zulagen für die Bodenklassen 2, 6 und 7 vorgesehen.
Die Klägerin hat vorgetragen, das Aushubmaterial sei insbesondere wegen Chloridbelastung erheblich kontaminiert gewesen. Das Aushubmaterial habe nicht zum Wiedereinbau verwendet werden können und erhöhten Entsorgungsaufwand erfordert. Die Klägerin verlangt wegen Kontamination des Aushubmaterials zusätzliche Vergütung in Höhe von insgesamt 180.954,34 € nebst Zinsen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte zu 3 zur Zahlung von 1.094,82 € wegen einer anderen, in der Revision nicht mehr interessierenden Leistung verurteilt und im Übrigen die Klageabweisung bestätigt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche auf zusätzliche Vergütung wegen Kontamination des Aushubmaterials weiter, nicht dagegen einen Restvergütungsanspruch in Höhe von 7.518,28 € für Rohranschlüsse.
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit im Verhältnis zu den Beklagten zu 1 und 2 insgesamt und im Verhältnis zur Beklagten zu 3 hinsichtlich eines 7.518,28 € nebst Zinsen übersteigenden Betrags zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht führt aus, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Mehrvergütung der im Zusammenhang mit den behaupteten Kontaminationen entstandenen Kosten nicht zu.
Der Klägerin sei gemäß den maßgeblichen Vertragsunterlagen und sonstigen Umständen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein außergewöhnliches Wagnis aufgebürdet worden. Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. K. habe zwar bei seiner Anhörung im Termin vom 23. Juni 2010 zunächst ausgeführt, dass ein Bieter mangels Feststellungen in der Baugrunduntersuchung zum Salzgehalt der Asphaltdeckschicht davon habe ausgehen dürfen, dass dieser Parameter auch ansonsten keine Rolle spiele. Auf Vorhalt der Einwände der Beklagten habe der Sachverständige sodann in seiner Stellungnahme vom 17. Januar 2011 allerdings klargestellt, dass sich mangels einer Untersuchung der Asphaltdeckschicht auf eine Chloridbelastung für einen verständigen Bieter gerade nicht der Schluss habe aufdrängen dürfen, eine solche Belastung komme in den darunter befindlichen, hier relevanten Bodenschichten überhaupt nicht vor. In seiner weiteren Anhörung am 9. März 2011 habe der Sachverständige schließlich ausgeführt, dass eine Untersuchung der Asphaltdecke auf Chloride ohnehin üblicherweise nicht stattfinde, so dass sich aus dem vorliegenden Befund (keine Hinweise auf eine Chloridbelastung dieser Schicht) für die als Fachunternehmen ausreichend verständige Klägerin keinesfalls der Schluss habe aufdrängen dürfen, die darunter liegende Schicht sei auf jeden Fall ohne Einschränkungen zu verwenden.
Dies gelte hier umso mehr, als der fachkundigen Klägerin durchaus hätte bekannt sein können, dass der betreffende Streckenabschnitt angesichts seiner örtlichen Lage winterdienstlicher Behandlung ausgesetzt gewesen sein könnte, möge hieraus auch - zu Gunsten der Klägerin unterstellt - eine Salzbelastung nicht zwingend resultieren. Hinzu komme, dass nach den weiteren Erörterungen des Sachverständigen eine Salzbelastung in dieser Schicht ohnehin selten vorkomme, mithin eine diesbezügliche Untersuchung dieser Schicht auf eine solch seltene Belastung auch nicht naheliege. Umso weniger habe Anlass für einen durchschnittlichen Bieter bestanden, allein aus dem Fehlen weiterer Angaben zu einer vorhandenen Chloridbelastung der Deckschicht sicher zu schließen, dass eine solche auch in den darunter liegenden Schichten nicht auftreten würde.
Zu keinem anderen Ergebnis führe auch der von der Klägerin angeführte Umstand, dass in vergleichbaren Fällen bei entsprechenden Anhaltspunkten stets auf eine Kontamination in den Ausschreibungsunterlagen hingewiesen worden sei. Hieraus ergebe sich weder ausdrücklich noch konkludent eine Übernahme des Risikos etwaiger Kontaminationen durch den Bauherrn.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. In der Revision ist davon auszugehen, dass die von der Klägerin behaupteten Kontaminationen des Aushubmaterials vorliegen.
2. Die Auslegung, welche Leistung von der Vergütungsabrede in einem Bauvertrag erfasst wird, obliegt dem Tatrichter. Eine revisionsrechtliche Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 - VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 12; Urteil vom 22. Juli 2010 - VII ZR 213/08, BGHZ 186, 295 Rn. 13 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze verstoßen.
a) Ein Bieter darf die Leistungsbeschreibung einer öffentlichen Ausschreibung nach der VOB/A im Zweifelsfall so verstehen, dass der Auftraggeber den Anforderungen der VOB/A an die Ausschreibung entsprechen will (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 - VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 15; Urteil vom 11. März 1999 - VII ZR 179/98, BauR 1999, 897, 898 = ZfBR 1999, 256; Urteil vom 9. Januar 1997 - VII ZR 259/95, BGHZ 134, 245, 248; Urteil vom 11. November 1993 - VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64, 68). Danach sind die für die Ausführung der Leistung wesentlichen Verhältnisse der Baustelle, wie z.B. Bodenverhältnisse, so zu beschreiben, dass der Bewerber ihre Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann. Die "Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung" in Abschnitt 0 der Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen, DIN 18299 ff., sind zu beachten, § 9 Nr. 1 bis 3 VOB/A a.F. (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 - VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 15). Sowohl nach DIN 18299 [Ausgabe 2000] Abschnitt 0.1.18 (ebenso DIN 18299 [Ausgabe 2006] Abschnitt 0.1.20) als auch nach DIN 18300 [Ausgabe 2000 und Ausgabe 2006] Abschnitt 0.2.3 ist in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelastung nach den Erfordernissen des Einzelfalls anzugeben (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 - VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 22). Die ausdrückliche Angabe einer Bodenkontamination ist allerdings nicht in jedem Fall zwingend; sie kann unterbleiben, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass eine derartige Kontamination vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 - VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 22). Denn in solchen Fällen ist den in § 9 VOB/A a.F. zum Schutz des Bieters enthaltenen Ausschreibungsgrundsätzen Genüge getan, weil dieser auch ohne Angaben in der Ausschreibung eine ausreichende Kalkulationsgrundlage hat.
b) Diese Auslegungsgrundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Der Senat kann die fehlerhafte Auslegung des Berufungsgerichts durch eine eigene Auslegung der mit den Beklagten geschlossenen Verträge ersetzen, da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind.
Danach haben die Beklagten die betreffenden Bodenschichten schadstofffrei ausgeschrieben. Dabei kann dahinstehen, ob sich das bereits daraus ergibt, dass - wie die Klägerin behauptet - in vergleichbaren Fällen in den Ausschreibungsunterlagen stets auf eine Schadstoffbelastung hingewiesen worden ist, weshalb die Klägerin wegen dieses Ausschreibungsverhaltens habe annehmen dürfen, dass der Boden nicht kontaminiert sei. Der Boden ist schon deshalb als unbelastet ausgeschrieben, weil die Beklagten in ihrer Ausschreibung keine Angaben zu einer möglichen Chlorid- oder sonstigen Schadstoff-belastung gemacht haben. Die Beklagten waren gemäß DIN 18300 Abschnitt 0.2.3 gehalten, nach den Erfordernissen des Einzelfalls Angaben zur Schadstoffbelastung nach Art und Umfang zu machen. Es liegen keine Umstände vor, wonach die Beklagten von Angaben zu relevanten Schadstoffbelastungen hätten absehen können.
Sie machen nicht geltend, dass ihnen eine Untersuchung des Bodens vor der Ausschreibung auf eine Belastung der unterhalb der Tragschicht gelegenen Bodenschicht unzumutbar gewesen wäre. Es kann deshalb dahinstehen, wie eine Ausschreibung ohne Angaben zu Kontaminationen im Einzelfall zu verstehen ist, wenn der Auftraggeber auf eine Bodenuntersuchung verzichtet, weil diese einen unzumutbaren Aufwand erfordert.
Allein der Umstand, dass die Bieter - auch wegen eventueller Kenntnisse vom Winterdienst auf der betreffenden Straße - mit dem Vorliegen einer Chloridkontamination rechnen mussten, rechtfertigte es nicht, von Angaben dazu in der Ausschreibung abzusehen. Angaben zu Kontaminationen sind entbehrlich, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass der auszuhebende Boden kontaminiert ist. Ein derartiger Fall liegt hier angesichts der vom Berufungsgericht übernommenen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. K., wonach eine Salzbelastung in derartigen Bodenschichten selten vorkommt (vgl. Protokoll des Termins vom 9. März 2011, Seite 3), nicht vor. Ergibt sich eine Schadstoffbelastung aus den gesamten Vertragsumständen nicht klar, sind Angaben dazu nach Art und Umfang grundsätzlich erforderlich. DIN 18300 Abschnitt 0.2.3 dient gerade dazu, die bestehende Ungewissheit zu beseitigen und dem Bieter eine ausreichende Kalkulationsgrundlage zu verschaffen.
Die Klägerin durfte davon ausgehen, dass sich die Beklagten an die Ausschreibungsregeln halten. Sie durfte deshalb aus dem Umstand, dass eine Schadstoffbelastung des Bodens nach Art und Umfang nicht angegeben war, den Schluss ziehen, dass die Beklagten den Aushub schadstofffreien Bodens ausgeschrieben hatten. Genauso war das Angebot der Klägerin zu verstehen, das die Beklagten angenommen haben. Die Parteien haben danach den Aushub schadstofffreien Bodens vereinbart.
III.
1. Das Berufungsurteil kann nach alledem, soweit im Verhältnis zu den Beklagten zu 1 und 2 insgesamt und im Verhältnis zur Beklagten zu 3 hinsichtlich eines 7.518,28 € nebst Zinsen übersteigenden Betrags zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, mit der gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben. Es ist in diesem Umfang aufzuheben. Der Senat kann mangels hinreichender Feststellungen nicht in der Sache selbst entscheiden. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Das Berufungsgericht wird Feststellungen zu den von der Klägerin behaupteten Kontaminationen des Aushubmaterials zu treffen haben. Dabei wird zu beachten sein, dass die Klägerin nicht nur Chloridkontaminationen, sondern auch Arsenkontaminationen behauptet hat (vgl. insbesondere Schriftsatz vom 2. Juni 2009, Seite 7).
b) Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die von der Klägerin behaupteten Kontaminationen vorliegen, wird es sich mit den geltend gemachten Mehrvergütungsansprüchen zu befassen haben.
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