Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 08.12.2011


BGH 08.12.2011 - VII ZR 12/09

Verfahrensfehlerhaftes Zwischenurteil: Teilgrundurteil über einen Schadensersatzanspruch wegen der Nichtabnahme vereinbarter Abfallmengen durch ein Abfallentsorgungsunternehmen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
08.12.2011
Aktenzeichen:
VII ZR 12/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Frankfurt, 19. Dezember 2008, Az: 10 U 119/08, Urteilvorgehend LG Wiesbaden, 30. April 2008, Az: 11 O 20/06
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Lässt sich ohne weitere Tatsachenaufklärung nicht feststellen, ob dem Kläger ein von ihm ausschließlich konkret nach dem entgangenen Rohertrag berechneter Schaden entstanden ist, kann die für den Erlass eines Zwischenurteils über den Grund erforderliche Wahrscheinlichkeit, dass der geltend gemachte Schadensersatzanspruch in irgendeiner Höhe besteht (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2005, II ZR 144/03, NJW-RR 2005, 1008, 1009 m.w.N.), nicht damit begründet werden, dass der Kläger den Schaden auch abstrakt berechnen könnte.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19. Dezember 2008 aufgehoben.

Das Verfahren wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten in seiner Eigenschaft als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der ursprünglichen Beklagten, der S.-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), auf Schadensersatz für die angeblich vertragswidrige Nichtannahme von zur Verwertung bestimmtem Abfall in Anspruch.

2

Die Klägerin und die Schuldnerin betreiben Unternehmen im Bereich der Entsorgungs- und Abfallwirtschaft. Sie schlossen am 7./19. April 2005 einen Liefer- und Annahmevertrag, wonach die Schuldnerin bestimmte, von der Klägerin angelieferte Abfälle annehmen und verwerten sollte. Der Vertrag hatte eine Laufzeit vom 1. Juni 2005 bis zum 31. Dezember 2007. Im Vertrag heißt es u.a.:

"§ 1 Vertragsgegenstand

1. R. (Klägerin) liefert zur Anlage der S. (Beklagte) während der Laufzeit dieses Vertrages bis zu 15.000 Mg pro Jahr an geeigneten Abfällen…

2. S. verwertet die durch R. angelieferten Abfälle durch folgende Anlage: … S. verpflichtet sich, die übernommenen Abfälle entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu verwerten.

§ 4 Leistungen der S.

S. übernimmt bis zu 15.000 Jahrestonnen an Abfällen von R. durch die in § 1 Abs. 2 genannten Anlagen und verwertet die Abfälle entsprechend den jeweiligen öffentlich-rechtlichen Vorschriften.

§ 5 Leistungen der R.

1. R. beabsichtigt jährlich bis zu 15.000 to an Abfällen zur Verwertung anzuliefern.

2. R. verpflichtet sich entsprechend der Betriebsgenehmigung der Anlage der S. geeignete Abfälle anzuliefern…"

3

Von den ersten sieben Lieferungen der Klägerin am 4. Juli 2005 wies die Schuldnerin fünf zurück. Mit Schreiben vom 25. Juli 2005 zeigte sie technische Probleme an und bat, vorläufig von weiteren Anlieferungen abzusehen. Auf Nachfrage der Klägerin, wann Anlieferungen wieder möglich seien, erwiderte sie mit Schreiben vom 12. August 2005, das bisher gelieferte Material der Klägerin könne lediglich beseitigt, nicht hingegen verwertet werden. Sie sei gegen einen Aufpreis von 70 €/t zur Vermittlung von Beseitigungsmöglichkeiten bereit. Die Klägerin erklärte daraufhin, zu den vereinbarten Konditionen weiterhin erfüllungsbereit zu sein. Unter dem 27. Oktober 2005 teilte die Schuldnerin mit, sie werde sich wegen der mangelhaften Qualität des von der Klägerin gelieferten Materials an der Durchführung des Vertrages nicht beteiligen. Nach einer Besprechung im November 2005, über deren Verlauf und Inhalt die Parteien streiten, forderte sie die Klägerin mit Schreiben vom 21. Dezember 2005 auf, die Anlieferungen bis zum 30. Dezember 2005 wieder aufzunehmen. Die Klägerin erklärte daraufhin, sie werde sich mit der Schuldnerin in Verbindung setzen. Daraufhin erklärte die Schuldnerin mit Schreiben vom 2. Januar 2006 den Rücktritt vom Vertrag.

4

Die Klägerin hat den Rücktritt für unwirksam gehalten und behauptet, sie hätte im Vertragszeitraum die vereinbarten Abfallmengen anliefern können. Weil die Schuldnerin nicht zur Annahme bereit gewesen sei, hätte sie von ihren Kunden in entsprechender Größenordnung keine Abfälle abnehmen können. Den ihr so entgangenen Gewinn hat sie für den Zeitraum vom 1. Juni 2005 bis zum 1. Juni 2006 auf insgesamt 659.745 € beziffert. Diesen Betrag nebst Zinsen hat sie nach übereinstimmender Erledigung des ursprünglich auf Verurteilung der Beklagten zur Annahme und Verwertung der bei ihr vertragskonform angelieferten Abfälle gerichteten Klageantrages zu 1 mit dem Klageantrag zu 2 geltend gemacht. Darüber hinaus hat sie mit dem Klageantrag zu 3 auf Feststellung angetragen, dass die Schuldnerin ihr den weiteren Schaden zu ersetzen habe, der aus der Nichtannahme der vereinbarten Abfallmengen im Zeitraum zwischen dem 2. Juni 2006 und dem 31. Dezember 2007 entstanden sei.

5

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat durch Grund- und Teilurteil dem mit dem Klageantrag zu 2 geltend gemachten Schadensersatzanspruch dem Grunde nach, dem Feststellungsantrag insgesamt stattgegeben und die Berufung der Schuldnerin insoweit zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der S.-GmbH nunmehr der Beklagte in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

7

Das Berufungsgericht meint, die Klägerin könne dem Grunde nach gemäß §§ 631, 283, § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 1 BGB Schadensersatz von der Schuldnerin verlangen. Nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag sei die Klägerin zwar zur Anlieferung der vereinbarten Abfallmengen berechtigt, nicht aber verpflichtet gewesen, wohingegen die Schuldnerin die ihr entsprechend den Vorgaben des Vertrages zur Verwertung angebotenen Abfälle habe annehmen und verwerten müssen. Die Schuldnerin sei nicht zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt gewesen, weil es sich um ein bereits in Vollzug gesetztes Dauerschuldverhältnis gehandelt habe und an die Stelle des Rücktrittsrechts gemäß § 314 BGB ein Recht zur Kündigung des Vertrages mit Wirkung für die Zukunft getreten sei.

8

Der Schuldnerin sei die Erfüllung ihrer Leistungspflichten aus in ihre Verantwortung fallenden Gründen unmöglich geworden. Sie habe mit ihren Erklärungen vom 12. August 2005 und 27. Oktober 2005 die Annahme weiterer Lieferungen der Klägerin zu den ausgehandelten Preisen ohne hinreichenden sachlichen Grund abgelehnt und sei im Übrigen zur Annahme auch tatsächlich nicht mehr bereit gewesen.

9

Hinsichtlich des bezifferten Schadensersatzbegehrens sei die Klage nicht entscheidungsreif. Es bestünden Bedenken, ob die Klägerin über die behaupteten Abfallmengen hätte verfügen können und ihr der auf dieser Grundlage konkret berechnete Schaden entstanden sei. Darüber hinaus sei fraglich, ob das Verhalten der Schuldnerin kausal für den Schaden geworden sei. Schließlich habe die Klägerin bisher den Vorwurf eines Mitverschuldens gemäß § 254 Abs. 2 BGB nicht ausgeräumt; sie habe nicht dargelegt, welche Bemühungen sie unternommen habe, die ihr angeblich von ihren Kunden avisierten Abfallmengen anderweitig verwerten zu lassen. Da die Klägerin ihren Schaden nach § 252 Satz 2 BGB abstrakt berechnen könne, bestehe gleichwohl die Wahrscheinlichkeit, dass ihr jedenfalls ein Schaden in gewisser Höhe zustehe.

10

Der Feststellungsantrag sei begründet. Die Schuldnerin sei aus den dargelegten Gründen verpflichtet, der Klägerin den aus der Nichtannahme der Abfälle resultierenden Schaden zu ersetzen. Diese Verpflichtung beziehe sich auf den gesamten Zeitraum bis zum Ende der Laufzeit des Vertrages, der in Ermangelung eines wichtigen Grundes nicht durch die im "Rücktritt" enthaltene außerordentliche Kündigung vorzeitig beendet worden sei.

II.

11

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

12

1. Das Berufungsgericht hat durch nunmehr vom Beklagten angegriffenes Teilgrundurteil entschieden, dass die Schuldnerin gemäß §§ 631, 283, § 281 Abs. 1, § 241 Abs. 1 BGB dem Grunde nach verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Nichtannahme von Abfalllieferungen in der Zeit vom 1. Juni 2005 bis zum 1. Juni 2006 entstanden ist. Das ist verfahrensfehlerhaft. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils liegen nicht vor, § 304 Abs. 1 ZPO.

13

a) Ein Zwischenurteil über den Grund darf nur ergehen, soweit alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind und es nach dem Sach- und Streitstand zumindest wahrscheinlich ist, dass der Anspruch in irgendeiner Höhe besteht (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2005 - II ZR 144/03, NJW-RR 2005, 1008, 1009 m.w.N.). Diese Wahrscheinlichkeit ergibt sich aus den hierzu vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht.

14

b) Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob der Klägerin ein von ihr konkret nach dem entgangenen Rohertrag berechneter Schaden entstanden ist und die Wahrscheinlichkeit, dass der Klägerin gleichwohl ein Schadensersatzanspruch in gewisser Höhe zusteht, alleine damit begründet, dass die Möglichkeit einer abstrakten Schadensberechnung nach § 252 Abs. 2 BGB bestehe. Damit legt das Berufungsgericht seiner Entscheidung in verfahrensfehlerhafter Weise Sachvortrag zugrunde, den die Klägerin nicht gehalten hat und der überdies ebenso wenig wie das Vorbringen der Klägerin zur Berechnung des konkreten Schadens geeignet gewesen wäre, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines erstattungsfähigen Schadens zu begründen. Einen abstrakt nach der gewöhnlichen Gewinnerwartung berechneten Schaden macht die Klägerin nicht geltend. Darüber hinaus ergäbe sich auch auf der Grundlage einer solchen abstrakten Schadensberechnung kein erstattungsfähiger Schaden, wenn die Klägerin - wie es das Berufungsgericht ausdrücklich für möglich hält - gar nicht in der Lage war, Abfall von ihren Kunden abzunehmen, um ihn der Schuldnerin zur Weiterverwertung andienen zu können.

15

2. Ebenfalls keinen Bestand haben kann die Entscheidung des Berufungsgerichts, soweit es dem Feststellungsantrag der Klägerin durch Teilendurteil stattgegeben hat.

16

Ein Feststellungsurteil, das unter dem Vorbehalt eines später zu bestimmenden Mitverschuldens ausgesprochen wird, ist unzulässig (BGH, Urteil vom 10. Juli 2003 - IX ZR 5/00, NJW 2003, 2986 m.w.N.; Urteil vom 13. Mai 1997 - VI ZR 145/96, NJW 1997, 3176, 3177). Demnach hätte das Berufungsgericht über den Feststellungsantrag nicht befinden dürfen, ohne den von der Schuldnerin erhobenen Mitverschuldenseinwand (§ 254 Abs. 2 BGB) zu bescheiden. Es hat diesen Einwand im Zusammenhang mit der Entscheidung über den Zahlungsantrag erwogen und ein Mitverschulden der Klägerin ausdrücklich für möglich gehalten. Unabhängig von der Beantwortung der von der Revision aufgeworfenen Frage, ob das Berufungsgericht den bezifferten Schadenersatzanspruch unter dem Vorbehalt eines sich im Betragsverfahren danach möglicherweise ergebenden Mitverschuldens dem Grunde nach zusprechen durfte, hätte es jedenfalls die beantragte Feststellung nicht aussprechen dürfen. Denn ein eventuelles Mitverschulden der Klägerin betrifft auch alle weiteren, der Klägerin während der gesamten Vertragslaufzeit durch die Nichtannahme vertragsgemäßen Abfallmaterials entstandenen Schäden, die Gegenstand des Feststellungsbegehrens der Klägerin sind.

17

3. Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, sich erneut mit der Frage zu befassen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Klägerin die Verpflichtung übernommen hat, Abfall anzuliefern. Das Berufungsgericht wird sich dabei mit den im Revisionsverfahren vorgebrachten Einwendungen beschäftigen müssen.

18

Gleiches gilt für die Annahme der Erfüllungsverweigerung. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine Erfüllungsverweigerung sich nicht allein aus den Schreiben der Schuldnerin vom 12. August 2005 und 27. Oktober 2005 ergibt. Denn die Beklagte hat in diesen Schreiben nicht die Annahme vertragsgerechten Abfalls zu den ausgehandelten Preisen verweigert. Das Berufungsgericht erhält auch Gelegenheit, sich mit den Angriffen gegen seine Würdigung der Zeugenaussagen auseinanderzusetzen.

Kniffka                                                 Kuffer                                            Eick

                           Halfmeier                                           Leupertz