Entscheidungsdatum: 22.11.2012
Ein Beschwerdegericht, das eine Sache an die erste Instanz zurückverwiesen hat, ist, wenn es erneut damit befasst wird, nicht mehr an seine entscheidungserhebliche Rechtsansicht gebunden, wenn zwischenzeitlich erstmalig eine davon abweichende höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist.
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 15. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Wert des Beschwerdegegenstands: 327.080,52 €
I.
Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren darüber, ob die Beklagte die nach tschechischem Recht berechneten Gebühren ihrer Verkehrsanwälte erstattet verlangen kann.
Im zugrundeliegenden Rechtsstreit hatte der Kläger als Verwalter im Konkursverfahren über das Vermögen der I. GmbH vor dem Landgericht gegen die beklagte tschechische Aktiengesellschaft Ansprüche aus einem Projektmanagement- und Generalplanungsvertrag zwischen der Gemeinschuldnerin und der Beklagten auf Zahlung von ca. 6,12 Mio. DM erhoben. Die Klage wurde nach Beweisaufnahme durch Endurteil vom 6. April 2001 als unzulässig abgewiesen, weil die Gerichtsstandsklausel im Vertrag die Beklagte nicht binde und sonst kein Gerichtsstand im Inland begründet sei. Die Kosten des Rechtsstreits wurden dem Kläger auferlegt.
Mit ihren Kostenfestsetzungsanträgen hat die Beklagte unter anderem die Festsetzung der Kosten für ihren tschechischen Verkehrsanwalt (8.239.346,20 CZK = ca. 326.200 €) und Reisekosten für den tschechischen Rechtsanwalt Dr. S., der einen Gerichtstermin in Deutschland wahrgenommen habe (654.080 CZK = ca. 26.000 €), unter Bezugnahme auf tschechisches Gebührenrecht begehrt, dessen Gebührensätze über denjenigen der damals maßgeblichen Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung liegen.
Mit Beschluss vom 27. Dezember 2001 hat das Landgericht die vom Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten weitgehend antragsgemäß festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 20. März 2002 den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts unter anderem hinsichtlich der festgesetzten Kosten für den tschechischen Verkehrsanwalt und der Reisekosten des tschechischen Rechtsanwaltes Dr. S. aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Oberlandesgericht hat in diesem Beschluss die Ansicht vertreten, dass die Verkehrsanwaltskosten grundsätzlich nach Maßgabe des tschechischen Gebührenrechts erstattungsfähig seien, die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen dafür jedoch nicht hinreichend geprüft seien. Die Reisekosten des tschechischen Rechtsanwalts Dr. S. seien (lediglich) als Parteikosten erstattungsfähig, da die Partei auch eine sachinformierte Person ihres Vertrauens zum Gerichtstermin schicken könne.
Das Landgericht hat darauf ein Gutachten zum tschechischen Gebührenrecht eingeholt und mit Beschluss vom 27. Mai 2008 die Kosten des tschechischen Verkehrsanwalts wegen der Bindungswirkung des Beschlusses des Oberlandesgerichts nach tschechischem Recht auf 949.671,37 CZK (entspricht zum damaligen Kurs 37.591,91 €) nebst Zinsen und die Reisekosten für Rechtsanwalt Dr. S. unter Anwendung des Zeugen- und Sachverständigenentschädigungsgesetzes auf 1.271,44 € nebst Zinsen festgesetzt.
Gegen diesen Beschluss haben beide Parteien sofortige Beschwerde eingelegt.
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hat das Beschwerdegericht die Gebühren für den tschechischen Verkehrsanwalt nach den Sätzen der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung berechnet und auf 11.158,95 € nebst Auslagen in Höhe von 4.387,82 € festgesetzt und im Übrigen die sofortigen Beschwerden zurückgewiesen.
Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Beklagte die Festsetzung der Kosten in der von ihr geltend gemachten Höhe nach tschechischem Gebührenrecht und weiterhin eine Bankbearbeitungsgebühr für die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung vorläufig geleistete Zahlung des Klägers.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, die Kosten des tschechischen Verkehrsanwaltes seien unter Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lediglich in Höhe der Gebühren eines deutschen Rechtsanwaltes erstattungsfähig.
An dieser Entscheidung sei es nicht durch die Bindungswirkung seiner Entscheidung vom 20. März 2002 und die darin geäußerte Rechtsansicht zur Anwendbarkeit tschechischen Gebührenrechts gehindert. Zwar bestehe grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren eine (Selbst-) Bindungswirkung entsprechend § 563 Abs. 2 ZPO. Von der Bindungswirkung im Revisionsverfahren seien in der Rechtsprechung jedoch Ausnahmen anerkannt wie eine Änderung des zugrunde liegenden Sachverhalts, eine anderweitige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Gerichtshofs der Europäischen Union oder eine Änderung der Rechtsprechung des Revisionsgerichts selbst. Das gelte auch für die grundsätzliche Bindung des Berufungsgerichts an eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Eine Bindungswirkung entfalle auch, wenn die Rechtsfrage, die Anlass zur Aufhebung und Zurückverweisung gegeben habe, vor der zweiten Entscheidung des Beschwerdegerichts höchstrichterlich geklärt worden sei.
Die Erstattung der Bankbearbeitungsgebühren für die Zahlung des Klägers vom 16. Januar 2002 könne die Beklagte nicht verlangen, da es sich hierbei nicht um Kosten des Rechtsstreits handele.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Das Beschwerdegericht hat zu Recht die Erstattungsfähigkeit der Gebühren für den tschechischen Verkehrsanwalt nach § 91 ZPO und deren Höhe nach den Sätzen der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung beurteilt.
Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass sich sowohl die Frage der generellen Erstattungsfähigkeit der Kosten eines ausländischen Rechtsanwaltes als auch die Höhe dieser Kosten nach deutschem Recht richtet (Beschlüsse vom 28. September 2011 - I ZB 97/09, NJW 2012, 938; vom 14. Juni 2005 - VI ZB 5/05, NJW-RR 2005, 1375; vom 8. März 2005 - VIII ZB 55/04, NJW 2005, 1373; jeweils m.w.N.). Dem schließt sich der erkennende Senat an und verweist zur Begründung auf die genannten Entscheidungen. Die Rechtsbeschwerde bringt keine neuen Argumente gegen diese Rechtsprechung vor.
b) Der Senat ist an dieser Entscheidung nicht dadurch gehindert, dass das Beschwerdegericht in seiner ersten Entscheidung eine gegenteilige Rechtsauffassung vertreten hat. Etwas anderes könnte gelten, wenn das Beschwerdegericht bei seiner zweiten Entscheidung an diese Rechtsauffassung gebunden gewesen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.
aa) Grundsätzlich gilt auch im sofortigen Beschwerdeverfahren die Bindungswirkung des § 563 Abs. 2 ZPO entsprechend (§ 577 Abs. 4 Satz 4 ZPO). Hebt das Beschwerdegericht einen mit der sofortigen Beschwerde angefochtenen Beschluss auf und verweist es die Sache zur erneuten Entscheidung an das Ausgangsgericht zurück, ist dieses an die vom Beschwerdegericht vertretene Rechtsansicht, welche der Aufhebung zugrunde lag, gebunden (§ 563 Abs. 2, § 577 Abs. 4 Satz 4 ZPO analog). Entscheidet das Ausgangsgericht entsprechend, ist seine Entscheidung rechtmäßig. Das Beschwerdegericht kann seiner zweiten Entscheidung deshalb nicht eine andere Rechtsauffassung zugrunde legen als die, auf der sein zurückverweisender Beschluss beruhte.
bb) Von der Bindungswirkung sind jedoch im Revisionsrecht verschiedene Ausnahmen allgemein anerkannt: die Änderung des zugrundeliegenden Sachverhalts, eine zwischenzeitlich veröffentlichte, abweichende Entschei-dung des Bundesverfassungsgerichts oder des Gerichtshofs der Europäischen Union oder die Aufgabe anderslautender Rechtsprechung durch das Revisionsgericht oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB 1/72 vom 6. Februar 1973, BGHZ 60, 392, 395 f.; BGH, Urteil vom 18. Januar 1996 - IX ZR 69/95, NJW 1996, 924, 925; BGH, Urteil vom 21. November 2006 - XI ZR 347/05, NJW 2007, 1127 Rn. 20; BAGE 85, 155; MünchKommZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 563 Rn. 12-14; HK-ZPO/Kayser, 4. Aufl., § 563 Rn. 10, 11; PG/Ackermann, ZPO, 4. Aufl., § 563 Rn. 8, 9; jeweils m.w.N.).
Das Revisionsgericht kann nicht mehr an die der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung gebunden sein, wenn es inzwischen selbst seine Rechtsauffassung geändert hat. Es ist zu berücksichtigen, dass bei der Bedeutung höchstrichterlicher Rechtsprechung für die Auslegung und Anwendung von Gesetzen in den Augen der Rechtsuchenden eine neue Rechtsprechung des Revisionsgerichts gegenüber seiner inzwischen aufgegebenen Rechtsprechung die höhere Autorität genießt und daher nunmehr als zutreffende Auslegung des Rechts angesehen wird. Der durch diese Vorschriften angeordneten Institutionalisierung der Autorität höchstrichterlicher Rechtsprechung würde es geradezu widersprechen, wenn die Bindung an eine inzwischen aufgegebene höchstrichterliche Rechtsprechung weiter bestehen würde. Die Rechtsfortbildung muss zudem gegenüber der Bindung an die alte, inzwischen aufgegebene Rechtsauffassung das größere Gewicht haben. Infolgedessen muss der prozessuale Grundsatz der Bindung und der Selbstbindung zurücktreten hinter dem, was die Rechtsprechung nunmehr sachlich als rechtens erkannt hat. Denn es erscheint nicht vertretbar, das Urteil auf eine Rechtsauffassung zu stützen, die mit einer neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht in Einklang steht (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 6. Februar 1973 - GmS-OGB 1/72, BGHZ 60, 392, 395 f.).
cc) Diese Grundsätze finden auch dann Anwendung, wenn ein Beschwerdegericht nach Aufhebung und Zurückverweisung an das Ausgangsgericht erneut mit der Sache befasst wird (vgl. dazu OLGR Schleswig 2008, 118; MünchKommZPO/Wenzel, aaO Rn. 12; HK-ZPO/Kayser, 4. Aufl., § 563 Rn. 10).
dd) In gleicher Weise entfällt die Bindungswirkung, wenn es nicht zu einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung gekommen ist, sondern zwischenzeitlich - wie hier durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. März 2005 (VIII ZB 55/04, NJW 2005, 1373) - erstmalig eine von der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts abweichende höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist. Auch in diesem Fall hat die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und die Autorität der höchstrichterlichen Rechtsprechung Vorrang vor dem formalen Gesichtspunkt der Selbstbindung.
c) Die Angriffe der Rechtsbeschwerde gegen die Nichtberücksichtigung der im Zusammenhang mit der Zahlung des Klägers angefallenen Bearbeitungsgebühren der tschechischen Bank, die der Beklagten in Rechnung gestellt wurden, haben einerseits keinen Erfolg, da die Rechtsbeschwerde, wie sich aus der Begründung des Beschwerdegerichts ergibt, insoweit nicht zugelassen ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Kniffka Eick Halfmeier
Leupertz Kosziol