Entscheidungsdatum: 12.07.2011
Für den Erlass eines Abrechnungsbescheids ist die Finanzbehörde zuständig, die den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, um dessen Verwirklichung gestritten wird, festgesetzt hat. Nachträgliche Änderungen der die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung begründenden Umstände --wie z.B. ein Wohnsitzwechsel des Steuerpflichtigen-- führen nicht zu einem Wechsel jener Zuständigkeit.
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Treuhänder in dem am 25. März 2002 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des X (Insolvenzschuldner). Dieser war zusammen mit seiner Ehefrau zunächst beim FA L zur Einkommensteuer veranlagt worden. Nachdem er seinen Wohnsitz in den Zuständigkeitsbereich des FA F verlegt hatte, gab er dort Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2002 bis 2004 ab. Aus den daraufhin ergangenen Einkommensteuerbescheiden ergaben sich für die Veranlagungszeiträume 2003 und 2004 jeweils Erstattungsansprüche (Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer), die das FA F durch Überweisung auf das gemeinsame Konto des Insolvenzschuldners und seiner Ehefrau erfüllte.
Nachdem der Kläger vom inzwischen für den Insolvenzschuldner örtlich zuständig gewordenen Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) die nochmalige Auszahlung der Erstattungsbeträge (abzüglich eines zunächst aufgerechneten, später aber dem Kläger überwiesenen Teilbetrags) verlangt hatte, erließ dieses unter dem 4. Dezember 2007 einen Abrechnungsbescheid, mit dem es die Erstattungsansprüche aus den Veranlagungen 2003 und 2004 als durch Zahlung erfüllt feststellte.
Auf die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage änderte das Finanzgericht (FG) den Abrechnungsbescheid aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 777 veröffentlichten Gründen dahin, dass dieser hinsichtlich Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für die Veranlagungszeiträume 2003 und 2004 Guthaben für den Kläger in Höhe von 7.173,05 € bzw. 1.702,14 € ausweist.
Mit seiner Revision macht das FA geltend, dass bereits schuldbefreiend an den Insolvenzschuldner gezahlt worden sei. Mit der Zahlung auf ein zur Insolvenzmasse gehörendes Bankkonto des Insolvenzschuldners sei das Geld gemäß § 80 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) in den Verfügungsbereich des Insolvenzverwalters und mithin in die Insolvenzmasse gelangt. Jedenfalls habe das FG zu Unrecht angenommen, dass das FA F im Zeitpunkt der Zahlung Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehabt habe. Hinweise auf ein Insolvenzverfahren, einen eingesetzten Treuhänder oder ein Treuhandkonto hätten sich aus den vom Insolvenzschuldner eingereichten Einkommensteuererklärungen nicht ergeben. Die Kenntnis des FA L vom Insolvenzverfahren könne den übrigen beteiligten Finanzämtern nicht zugerechnet werden, zumal es sich um Behörden verschiedener Bundesländer handele.
Der Kläger schließt sich den Ausführungen des FG an.
II. Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) wird über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, durch Verwaltungsakt (sog. Abrechnungsbescheid) entschieden; dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch betrifft, der nach § 37 Abs. 1 AO ebenfalls ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis ist. Gegenstand des Abrechnungsbescheids ist die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens reiner Zahlungsansprüche; er entscheidet, inwieweit bestimmte Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis noch bestehen oder durch einen der in § 47 AO aufgeführten Erlöschenstatbestände ganz oder teilweise erloschen sind, und zwar nur, soweit dies im Streit ist (vgl. Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 218 Rz 10a, 13, m.w.N.).
Diese Entscheidung durch Abrechnungsbescheid trifft nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO "die Finanzbehörde", und zwar diejenige, die den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, um dessen Verwirklichung gestritten wird, festgesetzt hat (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Dezember 1999 V B 115/99, BFH/NV 2000, 937; Klein/Rüsken, a.a.O., § 218 Rz 34a; Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 218 AO Rz 114). Im Streitfall wäre daher der vom Kläger geltend gemachte Anspruch, durch Abrechnungsbescheid festzustellen, dass die Erstattungsansprüche der Veranlagungszeiträume 2003 und 2004 nicht durch Zahlung an den Insolvenzschuldner erloschen sind, gegen das FA F zu richten, aus dessen Steuerfestsetzungen sich diese Erstattungsansprüche ergeben.
Anders als das beklagte FA meint, ist die danach bestehende Zuständigkeit des FA F, die Erstattungsansprüche der Veranlagungszeiträume 2003 und 2004 "abzurechnen", d.h. über die streitige Frage des Fortbestehens oder Erlöschens dieser Ansprüche durch Abrechnungsbescheid zu entscheiden, nicht gemäß §§ 19, 26 AO durch den Wohnsitzwechsel des Insolvenzschuldners auf das beklagte FA übergegangen. Diese Vorschriften betreffen --wie der Wortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 1 AO zeigt-- die örtliche Zuständigkeit der Finanzbehörden für die "Besteuerung", deren Durchführung im Vierten Teil der AO (§§ 134 ff. AO) geregelt ist; sie regeln somit nicht die Zuständigkeit der Finanzbehörden im Erhebungsverfahren (§§ 218 ff. AO). Fände § 26 AO neben der Besteuerung auch auf die übrigen Verfahren der AO Anwendung, bedürfte es im Übrigen der den Zuständigkeitswechsel im Einspruchsverfahren regelnden Vorschrift des § 367 Abs. 1 Satz 2 AO nicht.
Sollte es zutreffen --wie der Kläger geltend macht--, dass die Erstattungsansprüche der Veranlagungszeiträume 2003 und 2004 weiter bestehen und nicht durch Zahlung erloschen sind, wäre das FA F nach wie vor Schuldner der Steuererstattungen, da der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit für die Besteuerung gemäß § 26 AO nicht zu einer Rechtsnachfolge unter den Finanzbehörden führt. Dementsprechend muss auch das FA F diejenige Finanzbehörde i.S. des § 218 Abs. 2 AO sein, die in Gestalt des Abrechnungsbescheids einen feststellenden Verwaltungsakt über das Bestehen oder Nichtbestehen der streitigen Ansprüche erlässt. Insoweit einen möglichen Zuständigkeitswechsel gemäß § 26 AO anzunehmen, führte --wie der Streitfall zeigt-- zu dem kaum vertretbaren Ergebnis, dass die Finanzbehörde eines Bundeslandes über die Zahlungsverpflichtungen der Finanzbehörde eines anderen Bundeslandes entscheidet.
Da --wie ausgeführt-- Gegenstand des Abrechnungsbescheids die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens von Zahlungsansprüchen (entweder der den Abrechnungsbescheid erlassenden Finanzbehörde oder des Steuerpflichtigen gegen diese Behörde) ist, ist der im Streitfall angefochtene Abrechnungsbescheid vom 4. Dezember 2007 dahin zu verstehen, dass er in seinem feststellenden Ergebnis eine noch offene Steuererstattungsschuld des beklagten FA verneint. Mit diesem Ergebnis erweist sich der angefochtene Abrechnungsbescheid als rechtmäßig, weil allenfalls das FA F, nicht aber das beklagte FA dem Kläger Steuererstattungen aus den Veranlagungszeiträumen 2003 und 2004 schuldet. Dass das beklagte FA den Abrechnungsbescheid anders begründet hat und sogar meint, dass ein solcher Erstattungsanspruch des Klägers generell nicht bestehe, ist für die Frage, ob der Abrechnungsbescheid rechtmäßig ist, ohne Bedeutung. Das rechtliche Ergebnis des angefochtenen Abrechnungsbescheids, nämlich die Feststellung, dass das beklagte FA dem Kläger keine Zahlungen aus den Veranlagungszeiträumen 2003 und 2004 schuldet, ist zutreffend.
2. Es kommt daher für die Entscheidung des Streitfalls nicht darauf an, ob das FA F durch die Überweisung der Erstattungsbeträge auf ein vom Insolvenzschuldner angegebenes Konto gemäß § 82 InsO mit befreiender Wirkung geleistet hat. Da sich das FA F zu dieser Frage im vorliegenden Verfahren nicht äußern konnte, belässt es der erkennende Senat insoweit bei den Hinweisen, dass nach allgemeiner Ansicht nur positive Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, nicht aber fahrlässige --auch nicht grob fahrlässige-- Unkenntnis den Gutglaubensschutz nach § 82 InsO ausschließt und dass hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen sich ein Finanzamt die Kenntnis eines anderen Finanzamts von der Insolvenz eines Steuerpflichtigen zurechnen lassen muss, unbeschadet des § 82 InsO möglicherweise die zu § 173 Abs. 1 AO entwickelten Grundsätze zu berücksichtigen sind (vgl. dazu: Klein/Rüsken, a.a.O., § 173 Rz 60 ff.; BFH-Urteil vom 13. Januar 2011 VI R 63/09, BFH/NV 2011, 743).