Entscheidungsdatum: 26.10.2011
NV: Die nach § 9 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 StromStG einem Verwender erteilte Erlaubnis zur steuerbegünstigten Entnahme von Strom ist im Verhältnis zur Festsetzung der Stromsteuer gegenüber dem den begünstigten Strom leistenden Versorger kein Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO.
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin einer im Jahr 2003 auf sie verschmolzenen Aktiengesellschaft, die im Jahr 1999 u.a. eine Anstalt des öffentlichen Rechts (A) mit Strom belieferte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) hatte A mit Erlaubnisschein vom 7. Juli 1999 in Bezug auf die Abteilung Wasserversorgung die Erlaubnis zur steuerbegünstigten Entnahme von Strom gemäß § 9 Abs. 4 des Stromsteuergesetzes (StromStG) ab dem 1. April 1999 erteilt. Mit Bescheid vom 28. April 2003 ersetzte das HZA mit Wirkung vom 1. April 1999 die bestehende Erlaubnis durch eine nunmehr auf das gesamte Unternehmen --einschließlich der Abteilung Abwasserentsorgung-- bezogene Erlaubnis nach § 9 Abs. 3 StromStG. Unter Vorlage des neuen Erlaubnisscheins beantragte die Klägerin beim HZA mit Schreiben vom 8. April 2005 eine Herabsetzung der für 1999 festgesetzten Stromsteuer um … €. Mit der Begründung, es handele sich bei der neu erteilten Erlaubnis nicht um einen Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO) und inzwischen sei Festsetzungsverjährung eingetreten, lehnte das HZA den Antrag ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Festsetzungsfrist für die im Kalenderjahr 1999 entstandene Stromsteuer sei spätestens zum 31. Dezember 2002 abgelaufen. Die am 28. April 2003 erteilte Erlaubnis sei kein Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO, weil der Gesetzgeber eine verfahrensrechtliche Bindung des Stromsteuerfestsetzungsverfahrens an die Entscheidungen im Verfahren der Erlaubnisscheinerteilung nicht ausdrücklich angeordnet habe. Das Verhältnis zwischen Erlaubnisinhaber und Steuerschuldner, bei denen es sich im Regelfall um unterschiedliche Personen handele, unterscheide sich von der üblichen steuerrechtlichen Ausgestaltung von Grundlagen- und Folgebescheiden, bei denen die Adressaten beider Verwaltungsakte zumeist identisch seien. Auch wenn der Erlaubnis nach § 9 Abs. 3 StromStG konstitutive Wirkung zukomme, erscheine eine Bindungswirkung der Erlaubnis im Sinne eines Grundlagenbescheids nicht zwingend. Eine Bindungswirkung könne nicht allein mit Zweckmäßigkeitserwägungen begründet werden.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, es handele sich bei einer stromsteuerrechtlichen Erlaubnis um einen Grundlagenbescheid nach § 171 Abs. 10 AO. Bei seiner anders lautenden Entscheidung habe das FG die stromsteuerrechtlichen Besonderheiten unberücksichtigt gelassen. Eine verfahrensrechtliche Bindung der Stromsteuerfestsetzung an die Erlaubnis sei dem Wortlaut des § 9 Abs. 4 StromStG zu entnehmen. Das für den Versorger zuständige Hauptzollamt sei an die Entscheidung des für den Erlaubnisinhaber zuständigen Hauptzollamts gebunden. Eine zweckwidrige Verwendung des Stroms durch den Erlaubnisinhaber lasse das Steuerfestsetzungsverfahren des Versorgers unberührt. Der mit Wirkung zum 1. August 2006 neu gefasste § 9 Abs. 7 StromStG bestätige die Auffassung, dass es sich bei der Erlaubnis nach § 9 Abs. 4 StromStG um einen Grundlagenbescheid handele. Das vom FG vorgebrachte Argument der zeitlichen Perspektive sei nicht stichhaltig, wie das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. Dezember 1985 III R 204/81 (BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245) belege. Der Streitfall biete Anlass zu prüfen, ob eine Grundlagenwirkung deshalb anzunehmen sei, weil Sachverhalte zu beurteilen seien, die die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst nachzuprüfen vermag. Das für den Versorger zuständige HZA könne trotz vorhandener Rechtskunde die in der Erlaubnis getroffenen Feststellungen nicht hinreichend überprüfen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG sowie die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben und das HZA zu verpflichten, die Stromsteuer für das Jahr 1999 um … € herabzusetzen.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Aufgrund eingetretener Festsetzungsverjährung hat die Klägerin keinen Anspruch auf Neufestsetzung der Stromsteuer für die Zeit vom 1. April bis zum 31. Dezember 1999.
1. Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin die Änderung der Steuerfestsetzung für das Jahr 1999 mit Schreiben vom 8. April 2005 beantragt. Zu diesem Zeitpunkt war die Festsetzungsfrist, die für Verbrauchsteuern gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO ein Jahr beträgt, bereits abgelaufen. Sofern eine Steueranmeldung einzureichen ist, beginnt die Festsetzungsfrist bei der Stromsteuer nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Für das Jahr 1999 hatte die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Versorger eine Steueranmeldung bis zum 31. Mai 2000 abzugeben und die Steuer bis zum 25. Juni 2000 zu entrichten (§ 8 Abs. 1 und 4 StromStG). Folglich begann die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 2000 und endete ein Jahr später mit Ablauf des 31. Dezember 2001, nach der 2. Alternative des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des 31. Dezember 2002.
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nicht dadurch eingetreten, dass das HZA mit Bescheid vom 28. April 2003 A eine neue Verwendererlaubnis erteilt hat. Die nach § 9 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 StromStG erteilte Erlaubnis zur steuerbegünstigten Entnahme von Strom ist im Verhältnis zur Stromsteuerfestsetzung für das Jahr 1999 kein Grundlagenbescheid, so dass die Festsetzungsfrist im Streitfall nicht erst zwei Jahre nach Bekanntgabe dieses Verwaltungsakts abgelaufen ist.
a) Nach § 171 Abs. 10 AO endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids, soweit für die Festsetzung einer Steuer ein Feststellungsbescheid, ein Steuermessbescheid oder ein anderer Verwaltungsakt bindend ist (Grundlagenbescheid). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH und herrschender Literaturmeinung ist für die Grundlagenwirkung eines Verwaltungsakts eine gesetzgeberische Verfahrensentscheidung erforderlich (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11. April 2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679, und BFH-Urteil vom 20. August 2009 V R 25/08, BFHE 226, 479, BStBl II 2010, 15; Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 171 Rz 102; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 90, und Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 171 AO Rz 207). Ohne eine gesetzlich angeordnete Bindungswirkung hat der BFH einen Grundlagenbescheid nur dort für möglich gehalten, wo Sachverhalte zu beurteilen sind, die die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nachzuprüfen nicht in der Lage ist (BFH-Entscheidungen in BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245 zur Bindungswirkung hinsichtlich der Beurteilung medizinischer Sachverhalte zur Feststellung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit durch die nach dem Bundesversorgungsgesetz zuständige Behörde; vom 10. Juni 1988 III R 232/84, BFHE 154, 68, BStBl II 1988, 981, und in BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679).
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich den stromsteuerrechtlichen Vorschriften --insbesondere § 9 Abs. 4 StromStG-- eine verfahrensrechtliche Bindung des Erlaubnisverfahrens an das Stromsteuerfestsetzungsverfahren nicht entnehmen. Nach § 9 Abs. 4 Satz 1 StromStG bedarf u.a. derjenige einer Erlaubnis, der nach § 9 Abs. 3 StromStG begünstigten Strom entnehmen will. Die Verwendererlaubnis hat konstitutive Wirkung (Teichner in Teichner/Alexander/Reiche, MinöStG, StromStG, § 9 StromStG Rz 14). Der vom zuständigen HZA nach § 9 Abs. 1 der Stromsteuer-Durchführungsverordnung auszustellende Erlaubnisschein dient im Rechtsverkehr --insbesondere gegenüber Versorgern-- als Nachweis der Berechtigung, steuerlich begünstigten Strom beziehen zu dürfen. Dies besagt jedoch nicht, dass der Erlaubnisinhaber rechtlich verpflichtet wäre, von der erteilten Erlaubnis Gebrauch zu machen. Von Gesetzes wegen ist er auch nicht verpflichtet, das Original des Erlaubnisscheins einem Dritten zu überlassen. Allenfalls aufgrund zivilrechtlicher Vereinbarungen können Versorger die Vorlage eines Erlaubnisscheins verlangen, um Gewissheit über den stromsteuerrechtlichen Status ihres Kunden zu erlangen (Wundrack in Bongartz, EnergieStG, StromStG, § 9 StromStG Rz 81). Am Verfahren über die Erteilung der Verwendererlaubnis wird der Versorger, der nach § 5 Abs. 2 StromStG in Bezug auf den Erlaubnisinhabern gelieferten Strom Steuerschuldner ist, nicht beteiligt. Es ist durchaus möglich, dass der Stromlieferant im Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnis noch gar nicht feststeht. Bei der Erteilung der Verwendererlaubnis handelt es sich somit um ein selbstständiges Verfahren, bei dem das Steuerfestsetzungsverfahren, das lediglich den Versorger betrifft, zunächst nicht in den Blick genommen wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Versorger, der Kunden, die ihm keinen Erlaubnisschein vorgelegt haben, zum Regelsteuersatz mit Strom beliefert, die eigene Steuerlast vollständig auf den Letztverbraucher überwälzen wird.
Die Eigenständigkeit des Erlaubnisverfahrens wird auch durch den Umstand belegt, dass bei zweckwidriger Verwendung des Stroms der Erlaubnisinhaber selbst als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden kann (§ 9 Abs. 6 StromStG). Dies gilt ab dem 1. August 2006 auch in den Fällen, in denen der Verwender die Erlaubnis durch unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt hat. Somit kann eine zu fordernde gesetzgeberische Verfahrensentscheidung, nach der die Erlaubniserteilung Grundlagenwirkung für die Steuerfestsetzung gegenüber dem Versorger entfaltet, § 9 Abs. 4 StromStG nicht entnommen werden.
Auf eine ausdrückliche gesetzliche Regelung kann jedoch insbesondere deshalb nicht verzichtet werden, weil es sich bei Erlaubnisinhabern und Versorgern um unterschiedliche Verfahrensbeteiligte handelt. Wie bereits ausgeführt, erfolgt die Erlaubniserteilung ohne Einbindung des zukünftigen Stromlieferanten in das Verwaltungsverfahren. Die Wirkungen des begünstigenden Verwaltungsakts bleiben auf den eigentlichen Verfahrensbeteiligten --nämlich den Erlaubnisinhaber-- beschränkt; nur dieser kann in dem Verfahren Rechtsbehelfe einlegen.
c) Nach Auffassung des Senats liegt auch kein Ausnahmefall vor, bei dem die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde --wie z.B. bei der Beurteilung des Grades einer Schwerbehinderung-- daran gehindert ist, einen Sachverhalt selbst nachzuprüfen, so dass vom Vorliegen eines Grundlagenbescheids mit entsprechender Bindungswirkung trotz Fehlens einer diesbezüglichen gesetzlichen Regelung ausgegangen werden könnte. An der Erteilung einer stromsteuerrechtlichen Verwendererlaubnis und an der Festsetzung der Stromsteuer sind andere als Finanzbehörden grundsätzlich nicht beteiligt. Auch über die Einordnung eines Unternehmens als ein solches des Produzierenden Gewerbes (§ 9 Abs. 3, § 2 Nr. 3 StromStG) entscheiden die Finanzbehörden in eigener Zuständigkeit, wobei sie an die von den Statistikbehörden vorgenommenen Einordnungen nicht gebunden sind (Senatsurteil vom 28. Oktober 2008 VII R 38/07, BFHE 223, 287, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2009, 79). Sowohl das Erlaubnisverfahren als auch das Festsetzungsverfahren liegen in der Hand der Bundesfinanzverwaltung. Dabei ist davon auszugehen, dass die für die Erlaubniserteilung und die Festsetzung der Stromsteuer örtlich zuständigen Hauptzollämter über eine ausreichende Sachkunde zur Beurteilung stromsteuerrechtlicher Sachverhalte verfügen. Im Übrigen können sie --auch auf Anforderung der jeweils anderen Zollbehörde-- aus eigener Kompetenz jederzeit Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen durchführen, um sich von der Richtigkeit der Angaben des Erlaubnisinhabers und des Inhalts der Steueranmeldungen des Versorgers zu überzeugen. Zur Feststellung der zutreffenden Besteuerungsgrundlagen bedürfen sie nicht der Hilfe anderer Behörden.
Unter diesen Gesichtspunkten ist auch unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der in § 171 Abs. 10 AO angeordneten Ablaufhemmung kein Grund ersichtlich, eine Erlaubnis nach § 9 Abs. 3 StromStG als Grundlagenbescheid zu behandeln. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll durch die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist gewährleistet werden, dass der Finanzbehörde eine ausreichende Frist zur Verfügung steht, um Feststellungen, die in einem Grundlagenbescheid getroffen wurden, durch den Erlass von Folgebescheiden zu verwerten (BTDrucks VI/1982, S. 152). In der Regel werden Verbrauchsteuern monatlich --im Fall der Stromsteuer wahlweise auch jährlich-- angemeldet. Die Steueranmeldung steht nach § 168 Satz 1 AO der Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Solange der Vorbehalt besteht, kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO). Auch ohne Ablaufhemmung verbleibt den Finanzbehörden ausreichend Zeit, Stromsteueranmeldungen --auch unter Berücksichtigung von Begünstigungstatbeständen und Erlaubnisscheinen-- auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Dabei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber für die Stromsteuer ausdrücklich die weitere Anwendung von § 170 Abs. 2 AO angeordnet und auf die Besonderheiten der Steuer Rücksicht genommen hat (§ 170 Abs. 2 Satz 2 AO). Durch die Gesetzesänderung im Jahr 1999 wollte er sicherstellen, dass der Finanzbehörde ausreichend Zeit für die Prüfung von Stromsteueranmeldungen und die Festsetzung der Stromsteuer verbleibt (BTDrucks 14/2070, S. 32).