Entscheidungsdatum: 05.05.2015
Hinsichtlich des Vorsteuervergütungsanspruchs aus der Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters hat das Finanzamt das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu beachten . Der Insolvenzverwalter kann dieses Aufrechnungsverbot analog § 146 Abs. 1 InsO i.V.m. §§ 195 ff. BGB nur innerhalb einer dreijährigen Verjährungsfrist durchsetzen . Die Verjährungsfrist beginnt frühestens mit Ablauf desjenigen Jahres, in dem der Vorsteuervergütungsanspruch steuerrechtlich entstanden ist .
Die Revision des Finanzamts gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 6. Juni 2013 5 K 2/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat das Finanzamt zu tragen.
I. Am 21. Dezember 2006 wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als Insolvenzverwalter bestellt. Für seine seit dem 2. Oktober 2006 ausgeübte Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter setzte das Amtsgericht mit Beschluss vom 12. Januar 2010 eine Vergütung in Höhe von 50.994,03 € zuzüglich 8.159,04 € Umsatzsteuer fest. Die Vergütung wurde im ersten Quartal 2010 aus der Insolvenzmasse dem Kläger gezahlt.
In der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das erste Quartal 2010 machte der Kläger für die Insolvenzschuldnerin einen entsprechenden Vorsteuervergütungsanspruch geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) verrechnete die Vorsteuer mit Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin aus den Jahren 2000 und 2005. Hierüber erließ das FA den Abrechnungsbescheid vom 29. Mai 2012. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) änderte den Abrechnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. November 2012 dahin, dass der Insolvenzschuldnerin für das erste Quartal 2010 ein Vorsteuervergütungsanspruch in Höhe von 8.159,04 € zusteht. Der Aufrechnung des FA stehe das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 der Insolvenzordnung (InsO) entgegen, da die nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters an die Insolvenzschuldnerin eine nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung sei. Die daraus ableitbaren Rechte seien nicht analog § 146 InsO i.V.m. §§ 195 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verjährt. Denn die Verjährung beginne erst zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung. Die Entscheidungsgründe sind in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2014, 1000 veröffentlicht.
Mit seiner Revision macht das FA geltend, für den Beginn der Verjährung komme es analog § 146 InsO nicht auf die Aufrechnungserklärung, sondern bereits auf die insolvenzrechtliche Entstehung des Vorsteuervergütungsanspruchs an, da bereits dies die gläubigerbenachteiligende Wirkung auslöse. Damit sei der Zeitpunkt des Erbringens der Leistungen als vorläufiger Insolvenzverwalter maßgeblich.
Dem stehe auch nicht das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26. Januar 1983 VIII ZR 254/81 (BGHZ 86, 349) entgegen, da nach damaliger Rechtslage die Anfechtung gemäß § 41 der Konkursordnung nur innerhalb einer Jahresfrist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig gewesen sei. Nach derzeitiger Rechtslage bedürfe es weder einer tatsächlichen Anfechtung noch bestehe dieselbe zeitliche Beschränkung wie nach der alten Rechtslage. Der BGH-Beschluss vom 22. September 2010 IX ZB 195/09 (Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 2010, 2160) führe ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Zwar habe der BGH hinsichtlich des Vergütungsanspruchs des vorläufigen Insolvenzverwalters eine Hemmung der Verjährung bis zum Abschluss des eröffneten Insolvenzverfahrens angenommen, dabei aber maßgeblich auf die Vergütungsvorschriften der Rechtsanwälte bzw. Insolvenzverwalter abgestellt, die im Streitfall keine Rolle spielten.
Der Kläger trägt vor, das FG sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Verjährung erst zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung des FA am 23. April 2010 beginne. Hierfür spreche auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur vorrangigen Verrechnung der Vorsteuerbeträge gemäß § 16 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Erst nach dieser Verrechnung könne der Insolvenzverwalter beurteilen, ob und in welcher Höhe ein Vorsteuerguthaben entstanden sei. Im Übrigen könnten bei einem früheren Verjährungsbeginn die Bearbeitungszeiträume der Insolvenzgerichte dazu führen, dass die Vergütung für den vorläufigen Insolvenzverwalter erst nach Ablauf der Verjährung festgesetzt bzw. ausgezahlt werde.
II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig und keine Verjährung des Anfechtungsanspruchs eingetreten ist. Damit war der Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung entsprechend dem Tenor der Vorentscheidung zu ändern.
1. Die Beteiligten gehen zutreffend davon aus, dass die durch das FA erklärte Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig war. Das FA hat die Möglichkeit, mit den Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin aus den Jahren 2000 und 2005 gegen den Vorsteuervergütungsanspruch der Insolvenzschuldnerin aus dem ersten Quartal 2010 aufzurechnen, durch die Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters erlangt. Diese Leistung ist auf Grundlage des Senatsurteils vom 2. November 2010 VII R 6/10 (BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374) als eine nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung zu qualifizieren.
Die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat nach der Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 28. September 2006 IX ZR 136/05, BGHZ 169, 158; vom 17. Juli 2008 IX ZR 148/07, ZIP 2008, 1593, jeweils m.w.N.), der sich der Senat anschließt, zur Folge, dass sich der Insolvenzverwalter unmittelbar auf die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit der Aufrechnung berufen kann. Dies bedeutet, dass der Insolvenzverwalter bei Geltendmachung der Hauptforderung, d.h. im Streitfall des Vorsteuervergütungsanspruchs, den Aufrechnungseinwand des FA durch die Gegeneinrede des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO abwehren kann.
2. Entgegen der Auffassung des FA steht dem im Streitfall keine Verjährung entgegen.
§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO führt dazu, dass die Hauptforderung, die durch die Aufrechnung erloschen wäre, für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens fortbesteht. Allerdings kann der Insolvenzverwalter diese insolvenzrechtliche Wirkung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nur innerhalb der Anfechtungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO durchsetzen; diese Frist ist auf die Hauptforderung entsprechend anwendbar und überlagert deren allgemeine Verjährungsfristen (vgl. BGH-Urteile in BGHZ 169, 158; in ZIP 2008, 1593). Die entsprechende Anwendung des § 146 Abs. 1 InsO gilt auch dann, wenn die Aufrechnungserklärung --wie im Streitfall-- erst nach der Insolvenzeröffnung abgegeben wird (a.A. Kahlert, ZIP 2014, 1749). Auch hier greift die Begründung des BGH, der sich der Senat anschließt, insbesondere der Hinweis auf den Sinn und Zweck, dem Insolvenzverwalter durch den insolvenzrechtlichen Fortbestand der Hauptforderung ausreichend Zeit für die Prüfung der Anfechtbarkeit zu gewähren.
§ 146 Abs. 1 InsO verweist auf die regelmäßige Verjährung nach dem BGB, die gemäß § 195 BGB drei Jahre beträgt und gemäß § 199 Abs. 1 BGB am Ende desjenigen Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Da es im Rahmen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO um den Fortbestand der Hauptforderung geht, kann es nicht schon auf den Zeitpunkt der anfechtbaren Rechtshandlung (Erbringung der Leistung als vorläufiger Insolvenzverwalter) bzw. des Entstehens des Anfechtungsrechts im Jahr 2006 ankommen. Dies ergibt sich auch daraus, dass zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht absehbar war, wann sämtliche Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug erfüllt sein würden (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 19. Juni 2013 XI R 41/10, BFHE 242, 258, BStBl II 2014, 738) und ob bzw. in welcher Höhe im Anschluss an die vorrangige Verrechnung gemäß § 16 Abs. 2 UStG (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 2012 VII R 44/10, BFHE 238, 302, BStBl II 2013, 33) tatsächlich ein Vorsteuervergütungsanspruch entstehen würde.
Die Verjährungsfrist beginnt vielmehr frühestens mit dem Ablauf desjenigen Jahrs, in dem die Hauptforderung entstanden ist, die durch die Aufrechnung erloschen wäre (BGH-Urteil in ZIP 2008, 1593), d.h. im Streitfall mit dem Ablauf desjenigen Jahrs, in dem der Vorsteuervergütungsanspruch entstanden ist. Dabei ist nicht auf die insolvenzrechtliche Begründung dieses Anspruchs abzustellen, sondern auf die steuerrechtliche Entstehung zum Ablauf des ersten Quartals 2010. Anderenfalls könnte die Hauptforderung bereits vor ihrer tatsächlichen Entstehung verjähren, was dem Sinn und Zweck des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO widerspräche.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann sich das FA gegenüber dem Einwand des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht auf Verjährung berufen. Jedenfalls mit Einreichung der Klage im Januar 2013 und damit innerhalb der dreijährigen Frist des § 146 Abs. 1 InsO i.V.m. § 195 ff. BGB ist die Hauptforderung gerichtlich geltend gemacht worden.
3. Aufgrund dieses Ergebnisses kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die Verjährungsfrist tatsächlich bereits mit Ablauf desjenigen Jahrs beginnt, in dem der Vorsteuervergütungsanspruch entstanden ist, oder --wie vom FG angenommen-- erst mit Ablauf desjenigen Jahrs, in dem nachfolgend die Aufrechnung erklärt wird (BGH-Urteil in BGHZ 86, 349 zur alten Rechtslage nach der Konkursordnung; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 10. Aufl. 2014, Rz 860; vgl. auch Brandes/Lohmann in Münchener Kommentar, InsO, 3. Aufl. 2013, § 96 Rz 39). In beiden Fällen begänne die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2010.
Ebenso kann offen bleiben, ob die vom BGH geforderte "gerichtliche" Geltendmachung der Hauptforderung im Fall eines steuerlichen Anspruchs in dem Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids zu sehen ist und ob die Verjährung unter Berücksichtigung der Grundsätze im BGH-Beschluss in ZIP 2010, 2160, 2164 gehemmt war.
Schließlich erübrigt sich auch eine Prüfung, ob die vom FA erklärte Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig war. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Anknüpfungspunkte schließen sich § 96 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO nicht gegenseitig aus.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.