Entscheidungsdatum: 11.11.2015
NV: Unterlässt es das FA aufgrund einer Verkennung der Aufrechnungslage, ein bestehendes Guthaben mit Umsatzsteuerforderungen aufzurechnen, stellt dies jedenfalls dann kein haftungsausschließendes überwiegendes Mitverschulden dar, wenn der Haftungsschuldner Umsatzsteuererklärungen nicht rechtzeitig abgegeben und die sich daraus ergebenden Steuernachzahlungen nicht geleistet hat .
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. Mai 2015 9 K 9366/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
I. Durch in den Jahren 2003 und 2004 abgeschlossene Geschäftsbesorgungsverträge war dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Vollmacht zur Vertretung eines Vereins erteilt worden, wofür er vom Verein eine Vergütung erhielt. Im November 2008 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Vereins eröffnet. Neben den drei Vorstandsmitgliedern des Vereins wurde der Kläger vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) wegen Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Vereins für 2003 und 2004 als Verfügungsberechtigter und Haftungsschuldner nach den § 191 Abs. 1, §§ 69 und 35 der Abgabenordnung (AO) in Anspruch genommen. Der Einspruch führte zu einer Teilrücknahme des angefochtenen Haftungsbescheids und zu einer Herabsetzung der Haftungssumme. Die daraufhin erhobene Klage hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Kläger habe als Verfügungsberechtigter die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten dadurch zumindest grob fahrlässig verletzt, dass er die Umsatzsteuererklärungen 2003 und 2004 erst am 29. Juli 2008 und damit erheblich verspätet eingereicht habe. Bei fristgerechter Abgabe der Steuererklärungen und Entrichtung der sich daraus ergebenden Steuernachzahlungen wäre ein Vermögensschaden beim Fiskus nicht entstanden. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass das FA eine Verrechnung der Steueransprüche mit Guthaben unterlassen habe. Da aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Steuerfestsetzung durch Bescheid weder notwendig noch möglich gewesen sei, könne § 220 Abs. 2 Satz 2 AO keine Anwendung finden. Deshalb habe eine Aufrechnung mit Erstattungsansprüchen auch ohne eine förmliche Festsetzung erfolgen können. An einer Aufrechnung sei das FA weder durch § 95 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) noch durch § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO gehindert gewesen. Allerdings stelle die unterlassene Aufrechnung kein Mitverschulden des FA dar, das den Pflichtverstoß des Klägers deutlich überwiege und damit im Rahmen der Ausübung des Entschließungsermessens zu einem Ausschluss der Haftung führen könne.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Unter Verletzung des Gehörsanspruchs aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) habe sich das FG nicht mit dem schriftsätzlich vorgetragenen Argument des Klägers auseinandergesetzt, dass es infolge der unterlassenen Aufrechnung durch das FA an der Kausalität zwischen der Pflichtverletzung des Klägers und dem eingetretenen Schaden fehle. Zu einem Steuerausfall wäre es nicht gekommen, wenn das FA rechtzeitig das bestehende Guthaben und die Forderungen saldiert hätte. Darüber hinaus habe das FG unter Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO und gegen das Willkürverbot nicht begründet, warum die vom FA nach § 191 Abs. 1 AO getroffene Ermessensentscheidung trotz Verkennung des Mitverschuldens des FA rechtmäßig gewesen sei. Es sei unverhältnismäßig, einen Dritten, der selbst nicht Steuerschuldner sei, in Haftung zu nehmen, wenn der Schaden erst durch eine Verkennung von Aufrechnungsmöglichkeiten verursacht worden sei.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
II. Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen, weil die von ihr behaupteten Verfahrensmängel nicht vorliegen.
1. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das FG dessen Gehörsanspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO nicht verletzt. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils hat das FG die Ansicht des Klägers wiedergegeben, nach der eine etwaige Pflichtverletzung des Klägers in Bezug auf die fristgerechte Einreichung der Umsatzsteuerjahreserklärungen 2003 und 2004 aufgrund der unterbliebenen Aufrechnung des FA für den eingetretenen Steuerausfall nicht kausal gewesen sei. Zudem hat es die rechtlich mögliche, jedoch versäumte Aufrechnung unter dem Gesichtspunkt eines etwaigen Mitverschuldens des FA im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung erörtert. Die behauptete Verletzung des Gehörsanspruchs liegt somit nicht vor. Da sich das FG in ausreichendem Maße mit den Argumenten des Klägers auseinandergesetzt hat, liegt auch kein Begründungsmangel vor. Dies gilt insbesondere für die Behauptung, das FG habe die vom FA getroffene Ermessensentscheidung nicht geprüft. Denn zu Recht hat das FG auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Senatsurteil vom 23. April 2014 VII R 28/13, BFH/NV 2014, 1489, m.w.N.) verwiesen, nach der ein etwaiges Mitverschulden des FA nicht auf der Tatbestandsebene, sondern im Rahmen des Entschließungsermessens zu berücksichtigen ist.
2. Soweit die Beschwerde das Urteil als Willkürentscheidung beanstandet, rügt sie keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern die materielle Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung. Im Übrigen ist die Einheitlichkeit der Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nur dann betroffen, wenn dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts Fehler unterlaufen sind, die von so erheblichem Gewicht sind, dass sie, würden sie von einem Rechtsmittelgericht nicht korrigiert, geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (Senatsbeschluss vom 14. Februar 2002 VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798, m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Das FG hat nachvollziehbar und mit gut vertretbaren rechtlichen Argumenten seine Entscheidung begründet.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.