Entscheidungsdatum: 15.12.2015
Die für die Anwendung eines Anscheinsbeweises gegen einen Rückwärtsfahrenden erforderliche Typizität des Geschehensablaufs liegt regelmäßig nicht vor, wenn beim rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen aus Parkbuchten eines Parkplatzes zwar feststeht, dass vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere - rückwärtsfahrende - Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das Fahrzeug hineingefahren ist.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. Dezember 2014 aufgehoben.
Die Beklagten werden unter teilweiser Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Strausberg vom 3. Juli 2014 als Gesamtschuldner verurteilt, 152,12 € an den Kläger zu zahlen.
Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall am 6. Juni 2013 auf dem Parkplatz eines Baumarktes geltend.
Der Kläger parkte mit seinem PKW rückwärts aus einer Parkbucht aus. Es kam zu einem Zusammenstoß in der zwischen zwei Parkbuchtreihen befindlichen Gasse mit dem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten PKW des Beklagten zu 1, der ebenfalls rückwärts aus einer gegenüberliegenden Parkbucht herausfuhr. Vorgerichtlich regulierte die Beklagte zu 2 die von ihr anerkannten Schadenspositionen des Klägers im Umfang von 50 %. Der Kläger beansprucht eine Erstattung von 100 % der von ihm angemeldeten Schäden. Insoweit macht er auch einen höheren als den erstatteten Wiederbeschaffungsaufwand seines Fahrzeugs sowie nicht erstattete Kosten einer ergänzenden Stellungnahme des von ihm beauftragten Sachverständigen geltend.
Der Kläger hat behauptet, sein Fahrzeug habe nach dem Ausparken bereits in Fahrtrichtung gestanden, als der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug in das stehende Fahrzeug hineingefahren sei. Die Beklagten haben behauptet, beide Fahrzeuge hätten sich im Zeitpunkt des Zusammenstoßes in Bewegung befunden.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter.
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger über den von der Beklagten zu 2 regulierten Teilbetrag hinaus weder aus § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1, 2 StVG noch aus § 823 Abs. 1 BGB, § 115 VVG ein weiterer Schadensersatzanspruch zu. Das Amtsgericht sei zu Recht von einer Haftungsquote der am Unfall beteiligten Fahrzeuge von jeweils 50 % ausgegangen. Gemäß der in der obergerichtlichen Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung streite der aus § 9 Abs. 5 StVO hergeleitete Anscheinsbeweis grundsätzlich auch dann für ein Verschulden des Zurücksetzenden, wenn dieser zum Kollisionszeitpunkt bereits zum Stehen gekommen sei, gleichwohl aber - wie hier - ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit dem Zurücksetzen vorliege. Danach komme es nicht darauf an, ob das Fahrzeug des Klägers im rechten Winkel zu seiner Parkbucht gestanden habe und das Beklagtenfahrzeug auf sein stehendes Fahrzeug aufgefahren sei.
Nicht zu beanstanden sei die vom Amtsgericht gemäß § 287 ZPO vorgenommene Schätzung des Wiederbeschaffungswerts des klägerischen Fahrzeugs abzüglich des Restwerts auf 730 €. Zu Recht habe das Amtsgericht die Kosten des Ergänzungsgutachtens des vom Kläger beauftragten Sachverständigen nicht als erstattungsfähig angesehen. Die alleinige Begutachtung des klägerischen Fahrzeugs sei wenig aussagekräftig gewesen und es komme auf die Frage, ob das klägerische Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt gestanden habe, nicht an.
II.
Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts streitet nach den bisherigen Feststellungen ein Anscheinsbeweis nicht für ein (Mit-)Verschulden des Klägers. Nicht frei von Rechtsfehlern sind auch die Ausführungen zur Schätzung des Wiederbeschaffungsaufwands des klägerischen Fahrzeugs.
1. Die Revision ist unbeschränkt zulässig. Die Entscheidungsformel des Berufungsurteils enthält keinen Zusatz, der die dort ausgesprochene Zulassung der Revision einschränkt. Eine Beschränkung der Revisionszulassung ergibt sich auch nicht aus der vom Berufungsgericht genannten Begründung der Zulassung, eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung zur Haftungsverteilung bei Unfällen zwischen rückwärts ausparkenden PKW zu ermöglichen. Eine Beschränkung der Revisionszulassung ist nur im Hinblick auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Streitgegenstands zulässig, nicht aber auf einzelne Rechtsfragen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 526/14, WM 2015, 2292 Rn. 13; Beschluss vom 10. Februar 2011 - VII ZR 71/10, NJW 2011, 1228 Rn. 11 mwN). Hier ergibt sich eine Beschränkung auf den Haftungsgrund nicht eindeutig aus der Benennung des Zulassungsgrundes, zumal die angesprochene Rechtsfrage nach der Begründung des Berufungsurteils auch für den Ersatz der im Revisionsrechtszug von den Beklagten anerkannten Kosten des Ergänzungsgutachtens erheblich sein konnte.
2. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach sowohl der Kläger als auch die Beklagten grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden beim Betrieb von Kraftfahrzeugen entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte.
3. Im Rahmen der hiernach gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und Verschuldensanteile hat das Berufungsgericht jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Klägers spricht, obwohl nicht auszuschließen ist, dass das Fahrzeug des Klägers im Zeitpunkt der Kollision bereits stand.
a) Die Regeln der Straßenverkehrsordnung (StVO) sind auf dem - hier vorliegenden - öffentlich zugänglichen Parkplatz grundsätzlich anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 4. März 2004 - 4 StR 377/03, BGSt 49, 128; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 1 StVO Rn. 15). Teilweise wird hieraus gefolgert, § 9 Abs. 5 StVO, wonach sich der Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren so verhalten muss, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, und er sich erforderlichenfalls einweisen lassen muss, sei auch auf Parkplätzen unmittelbar anwendbar (vgl. LG Bad Kreuznach, ZfS 2007, 559; LG Bochum, Beschluss vom 21. Januar 2009 - 10 S 107/08, juris Rn. 5; LG Kleve, Urteil vom 11. November 2009 - 5 S 88/09, juris Rn. 13; AG Herne, Urteil vom 17. Februar 2010 - 20 C 389/09, juris Rn. 15). Die wohl überwiegende Auffassung stellt indes darauf ab, dass die Vorschrift primär dem Schutz des fließenden und deshalb typischerweise schnelleren Verkehrs dient und mithin bei einem Parkplatzunfall nicht unmittelbar anwendbar ist (vgl. OLG Koblenz, DAR 2000, 84; OLG Stuttgart, NJW 2004, 2255, 2256; OLG Jena, NZV 2005, 432; OLG Dresden, NZV 2007, 152; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2015, 223 Rn. 29 ff.; LG Saarbrücken, NJW-RR 2013, 541 f.; DAR 2013, 520, 521; NJW-RR 2014, 1310; König, aaO, § 8 StVO Rn. 31a mwN). Auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter sei anstelle des § 9 Abs. 5 StVO das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme (§ 1 Abs. 2 StVO) zu beachten. Danach muss sich ein Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Nach dieser Auffassung soll die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO bei Unfällen auf Parkplätzen allerdings mittelbar anwendbar oder deren Wertung im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen sein. Da auf Parkplätzen stets mit ausparkenden und rückwärtsfahrenden Fahrzeugen zu rechnen sei, müssten Kraftfahrer hier so vorsichtig fahren, dass sie jederzeit anhalten könnten (vgl. OLG Köln, VersR 1995, 719; KGR Berlin 2000, 401, 404 und VRS 104, 24, 26; OLG Koblenz, VersR 2001, 349, 350; OLG Hamm, VRS 99, 70, 71; LG Saarbrücken, NJW-RR 2012, 476, 477 und NJW-RR 2013, 541, 542; Freymann, DAR 2013, 73, 77; König, aaO, § 8 StVO Rn. 31a und § 9 StVO Rn. 51). Das gelte in besonderem Maße für den rückwärtsfahrenden Verkehrsteilnehmer. Bei ihm sei die besondere Gefährlichkeit des Rückwärtsfahrens mit einzubeziehen, die wegen des eingeschränkten Sichtfeldes des Rückwärtsfahrenden für den rückwärtigen Verkehr bestehe. Entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO müsse er sich deshalb so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten könne (vgl. LG Saarbrücken, NJW-RR 2012, 476, 477 mwN). Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Sie wird den Unterschieden zwischen dem fließenden Verkehr einerseits und der besonderen Situation auf einem Parkplatz andererseits besser gerecht.
b) Nach der Rechtsprechung zu § 9 Abs. 5 StVO spricht der Anscheinsbeweis gegen den Rückwärtsfahrenden, wenn es in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren zu einem Zusammenstoß kommt (vgl. etwa OLGR Celle 2007, 585; OLG Dresden, Schaden-Praxis 2010, 174; OLG München, Urteil vom 27. Mai 2010 - 10 U 4431/09, juris Rn. 17 f.; LG Saarbrücken, DAR 2013, 520, 521; Burmann in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 9 StVO Rn. 69; König, aaO, § 9 StVO Rn. 55). Dieser Grundsatz wird teilweise - wie auch im angefochtenen Urteil - auf Unfälle auf Parkplätzen übertragen. Dies soll auch dann gelten, wenn der Rückwärtsfahrende zum Unfallzeitpunkt bereits steht. Der Anscheinsbeweis soll erst entfallen, wenn der Rückwärtsfahrende zum Unfallzeitpunkt längere Zeit zum Stehen gekommen war (vgl. KG, ZfS 2011, 255; OLG Hamm, NZV 2013, 123, 124; LG Arnsberg, Urteil vom 27. September 2005 - 5 S 58/05, juris Rn. 14; LG Bad Kreuznach, ZfS 2007, 559; LG Bochum, Beschluss vom 21. Januar 2009 - 10 S 107/08, juris Rn. 6; LG Kleve, Urteil vom 11. November 2009 - 5 S 88/09, juris Rn. 13; Burmann, aaO, Rn. 69; König, aaO, § 9 StVO Rn. 55; a.M. LG Saarbrücken, DAR 2013, 520, 521 f.; Freymann, DAR 2013, 73, 77 ff.). Dafür spreche, dass die mit der Rückwärtsfahrt typischerweise verbundenen Gefahren, die den Fahrzeugführer gemäß § 9 Abs. 5 StVO dazu verpflichteten, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, nicht sogleich mit dem Stillstand des Fahrzeugs endeten und anderenfalls die Haftung von der Frage abhinge, ob es dem Rückwärtsfahrenden (zufällig) noch gelinge, sein Fahrzeug vor dem Zusammenstoß zum Stillstand zu bringen. Es bestehe auch dann noch ein spezifischer Bezug zum Rückwärtsfahren, wenn das Fahrzeug erst kurzzeitig stehe. Wird das Fahrzeug vorwärts aus der Parkbucht gefahren, bestehe eine deutlich bessere und frühzeitigere Sichtmöglichkeit als dies beim Rückwärtsfahren der Fall sei (vgl. OLG Hamm, aaO; LG Kleve, aaO; Nugel, jurisPR-VerkR 1/2010, Anm. 3).
c) Die hieraus abgeleitete Anwendung des Anscheinsbeweises zu Lasten des Klägers steht nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats.
aa) Danach setzt die Anwendung des Anscheinsbeweises auch bei Verkehrsunfällen Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat; es muss sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (vgl. Senatsurteile vom 30. November 2010 - VI ZR 15/10, VersR 2011, 234 Rn. 7; vom 13. Dezember 2011 - VI ZR 177/10, BGHZ 192, 84 Rn. 7 mwN). Demnach kann bei einem Unfall auf einem Parkplatz im Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren grundsätzlich der erste Anschein für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden sprechen. Es reicht allerdings allein das "Kerngeschehen" - hier: Rückwärtsfahren - als solches dann als Grundlage eines Anscheinsbeweises nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen. Denn es muss das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür sein, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten im Rahmen des Unfallereignisses der Anscheinsbeweis Anwendung finden soll, schuldhaft gehandelt hat. Ob der Sachverhalt in diesem Sinne im Einzelfall wirklich typisch ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergeben (vgl. Senatsurteile vom 19. November 1985 - VI ZR 176/84, VersR 1986, 343, 344; vom 19. März 1996 - VI ZR 380/94, VersR 1996, 772; vom 13. Dezember 2011 - VI ZR 177/10, aaO). Zudem ist bei der Anwendung des Anscheinsbeweises grundsätzlich Zurückhaltung geboten, weil er es erlaubt, bei typischen Geschehensabläufen aufgrund allgemeiner Erfahrungssätze auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten zu schließen, ohne dass im konkreten Fall die Ursache bzw. das Verschulden festgestellt ist (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 2011 - VI ZR 177/10, aaO Rn. 11; Lepa, NZV 1992, 129, 130; Hk-ZPO/Saenger, 6. Aufl., § 286 Rn. 39; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., vor § 284 Rn. 30c).
bb) Nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen ist die Anwendung des Anscheinsbeweises gegen den Rückwärtsfahrenden auf einem Parkplatz nicht zu beanstanden, wenn feststeht, dass die Kollision beim Rückwärtsfahren des Verkehrsteilnehmers stattgefunden hat. Die geforderte Typizität liegt aber regelmäßig nicht vor, wenn zwar feststeht, dass - wie hier - vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere Unfallbeteiligte (hier: Beklagter zu 1) mit seinem Fahrzeug in das stehende Fahrzeug hineingefahren ist. Denn es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach sich der Schluss aufdrängt, dass auch der Fahrzeugführer, der sein Fahrzeug vor der Kollision auf dem Parkplatz zum Stillstand gebracht hat, die ihn treffenden Sorgfaltspflichten verletzt hat. Anders als im fließenden Verkehr mit seinen typischerweise schnellen Verkehrsabläufen, bei denen der Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sein Verkehrsfluss nicht durch ein rückwärtsfahrendes Fahrzeug gestört wird, gilt in der Situation auf dem Parkplatz ein solcher Vertrauensgrundsatz nicht (vgl. OLG Hamm, NZV 2013, 123; König, aaO, § 8 StVO Rn. 31a mwN). Hier muss der Verkehrsteilnehmer jederzeit damit rechnen, dass rückwärtsfahrende oder ein- und ausparkende Fahrzeuge seinen Verkehrsfluss stören. Er muss daher, um der Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 Abs. 1 StVO genügen zu können, von vornherein mit geringer Geschwindigkeit und bremsbereit fahren, um jederzeit anhalten zu können (vgl. oben unter 3a). Hat ein Fahrer diese Verpflichtung erfüllt und gelingt es ihm, beim Rückwärtsfahren vor einer Kollision zum Stehen zu kommen, hat er grundsätzlich seiner Verpflichtung zum jederzeitigen Anhalten genügt, so dass für den Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden kein Raum bleibt.
4. Nach den vorstehenden Ausführungen ist die Sache bereits wegen der fehlerhaften Anwendung des Anscheinsbeweises an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der Senat insoweit darauf hin, dass auch dann, wenn der Beweis des ersten Anscheins nicht für ein Verschulden des Klägers spricht, die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs und weitere Umstände, aus denen auf ein Verschulden des ursprünglich rückwärtsfahrenden Klägers geschlossen werden kann, im Rahmen der Abwägung berücksichtigt werden können.
5. Zudem sind aber auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Schätzung des Wiederbeschaffungsaufwands des klägerischen Fahrzeugs nicht frei von Rechtsfehlern.
Nach § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO steht allerdings der Umfang einer Beweisaufnahme im Ermessen des Gerichts; es ist insoweit an Beweisanträge nicht gebunden. Das Revisionsgericht hat nur zu prüfen, ob das Gericht die Grenzen des Ermessens beachtet hat. Auch bei freier Überzeugungsbildung nach § 287 ZPO bedarf es aber, wenn auf Sachverständige verzichtet wird, der Ausweisung der entsprechenden Sachkunde des Gerichts. Das gilt auch, wenn das Gericht von den Feststellungen eines Sachverständigen abweichen will (vgl. Senatsurteil vom 15. März 1988 - VI ZR 81/87, VersR 1988, 837, 838 mwN).
Hier verweist die Revisionsbegründung darauf, dass der vom Kläger beauftragte Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten vom 6. August 2013 detailliert begründet hat, warum er einen höheren Wiederbeschaffungswert als die Beklagte und das Berufungsgericht angenommen hat. Er hat dabei auch darauf hingewiesen, dass die von der Beklagten vorgelegte Internet-Recherche, auf welche das Berufungsgericht seine Schätzung gründet, keine tragfähige Grundlage für eine Schätzung nach § 287 ZPO sei. Unter diesen Umständen durfte das Berufungsgericht nicht ohne Darlegung einer eigenen Sachkunde von der Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens absehen.
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