Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 18.09.2012


BGH 18.09.2012 - VI ZR 51/12

Berufungsverfahren: Voraussetzungen eines Berufungsurteils ohne Tatbestand und Gründe


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
18.09.2012
Aktenzeichen:
VI ZR 51/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG München, 22. Dezember 2011, Az: 8 U 3952/11vorgehend LG Passau, 30. August 2011, Az: 3 O 210/11
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Von der Möglichkeit, in einem Berufungsurteil gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 ZPO tatbestandliche Feststellungen und die rechtliche Begründung wegzulassen, darf ein Berufungsgericht nur dann Gebrauch machen, wenn es sich zuvor von Amts wegen vergewissert hat, dass ein Rechtsmittel gegen sein Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist. Diese Voraussetzung ist ohne den Verzicht der unterliegenden Partei auf Rechtsmittel nicht gegeben, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil zulässig ist.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 22. Dezember 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 65.718,36 €

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Ob das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung bei seiner Entscheidung hinreichend berücksichtigt hat, kann aufgrund des Berufungsurteils nicht beurteilt werden. Dass das angefochtene Urteil auf einer unzureichenden Würdigung des Klägervortrags beruht, ist mangels tatsächlicher Feststellungen im Urteil und mangels einer Begründung nicht von vornherein ausgeschlossen und aufgrund des Beschwerdevortrags zu unterstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZR 87/05, juris Rn. 26 und Beschluss vom 26. Juni 2003 - V ZR 441/02, NJW 2003, 3208).

2

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht nicht von der Darstellung tatbestandlicher Feststellungen und rechtlicher Gründe im Berufungsurteil absehen durfte. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nach der Verkündung des Urteils, mit dem die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts vom 30. August 2011 zurückgewiesen worden ist, auf die Begründung des Endurteils verzichtet. Von der Möglichkeit, gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 ZPO tatbestandliche Feststellungen und die rechtliche Begründung wegzulassen, darf ein Berufungsgericht aber nur dann Gebrauch machen, wenn es sich zuvor von Amts wegen vergewissert hat, dass ein Rechtsmittel gegen sein Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, weil aufgrund der Beschwer des Klägers, die den Betrag von 20.000 € übersteigt, die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil zulässig ist.

3

Dem Kläger ist es trotz des erklärten Verzichts auf eine Begründung nicht verwehrt, das Fehlen der Urteilsgründe zu rügen. Die Regelung in § 295 ZPO steht der Rüge des Klägers nicht entgegen, weil bei einem durch Rechtsmittel anfechtbaren Urteil die Begründung im öffentlichen Interesse an einer geordneten Rechtspflege unverzichtbar im Sinne des § 295 Abs. 2 ZPO ist. Andernfalls würde dem Revisionsgericht die Prüfung der Voraussetzungen einer Nichtzulassungsbeschwerde erschwert oder gar unmöglich gemacht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2007 - XII ZR 87/05, juris Rn. 22 und vom 13. August 2003 - XII ZR 303/02, BGHZ 156, 97, 103 ff.). So liegt der Fall hier.

4

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt weiter mit Erfolg, dass das Berufungsgericht den Kläger in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, indem es den Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung nicht verbeschieden hat. Der Senat vermag infolge des Fehlens von tatbestandlichen Feststellungen und rechtlichen Gründen (§ 540 ZPO) nicht zu beurteilen, ob das Berufungsgericht mit Recht einen Anspruch des Klägers gemäß § 7 Abs. 1 StVG iVm § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG verneint hat. Gesichtspunkte, die für die Entscheidung des Berufungsgerichts maßgebend waren, lassen sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen.

Galke                                                      Zoll                                                   Wellner

                          Diederichsen                                                 Stöhr