Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 21.06.2016


BGH 21.06.2016 - VI ZR 403/14

Haftung wegen des Einsperrens von Schiffen: Pflicht des Berufungsgerichts zur erneuten Tatsachenfeststellung; Einsperren von Schiffen im Hafen als Eigentumsverletzung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
21.06.2016
Aktenzeichen:
VI ZR 403/14
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:210616UVIZR403.14.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Rheinschiffahrtsobergericht Köln, 5. September 2014, Az: 3 U 32/14, Urteilvorgehend Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, 13. Januar 2014, Az: 5 C 22/12 BSch, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 3 BinSchPRG

Leitsätze

1. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO können sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet.

2. Die Verletzung des Eigentums an einer Sache kann nicht nur durch eine Beeinträchtigung der Sachsubstanz, sondern auch durch eine sonstige die Eigentümerbefugnisse treffende tatsächliche Einwirkung auf die Sache selbst erfolgen, die deren Benutzung objektiv verhindert (hier: Einsperren von Schiffen im Hafen).

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln - Rheinschifffahrtsobergericht - vom 5. September 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der R. GmbH (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin). Er nimmt die Beklagten wegen der Einschließung von Schiffen und anderen Gerätschaften der Insolvenzschuldnerin auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Am Samstag, dem 8. Oktober 2011, fuhr der Beklagte zu 2 als verantwortlicher Schiffsführer mit dem im Eigentum der Beklagten zu 1 stehenden Tankmotorschiff (TMS) "Patmos" rheinaufwärts. Gegen 21.00 Uhr ging er linksrheinisch bei Rhein-km 838,1 in einem durch das Tafelzeichen A5 gekennzeichneten Stillliegeverbots-Bereich vor Anker. Während des Ankermanövers kam das TMS "Patmos" etwa 100 Meter vom Ufer entfernt mittschiffs fest und verfiel mit dem Bug zum linken Ufer. Der Bug lag etwa 20 Meter vom Ufer entfernt unterhalb der Einmündung des Xantener Yachthafens. Ein Buganker war quer vor der Einfahrt zum Yachthafen ausgebracht. Die Einfahrt bildete die einzige Zufahrt zu dem seinerzeitigen Baufeld 7 des Bauvorhabens "Reeser Flutmulde", wo sich nach der Behauptung des Klägers zahlreiche - im Eigentum der Insolvenzschuldnerin stehende bzw. von dieser gemietete - Schiffe und andere Gerätschaften (Pontons, Schwimmbagger und Schuten) befanden. Das TMS "Patmos" kam erst am 10. Oktober um 14.45 Uhr mit Hilfe zweier Schubboote und durch eigenes Freiturnen wieder frei.

3

Der Kläger macht Stillstandskosten für den Zeitraum 10. bis 13. Oktober 2011 geltend. Das Amtsgericht als Rheinschifffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, soweit der Kläger Schadensersatz für den Zeitraum Montag, 10. Oktober 2011, 7.00 Uhr bis 18.00 Uhr begehrt. Das Oberlandesgericht als Rheinschifffahrtsobergericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Auf die Anschlussberufung der Beklagten hat es das Urteil des Amtsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Schadensersatzanspruch in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

I.

4

Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Urteil unter anderem in NJW 2015, 129 veröffentlicht ist, steht dem Kläger kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten zu. Die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB seien nicht erfüllt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe lediglich fest, dass sich die Schiffe und Gerätschaften der Insolvenzschuldnerin am 8. Oktober 2011 im Bereich der Flutmulde R.   befunden hätten und am Montag, dem 10. Oktober 2011, durch die Ankerkette des TMS "Patmos" und die anschließend erfolgte Beseitigung von Versandungen am Verlassen des Xantener Yachthafens gehindert gewesen seien. Die Fahrrinne sei an dem Tag nicht nutzbar gewesen. Es stehe jedoch nicht fest, dass die Gerätschaften über den 10. Oktober 2011 hinaus dort eingeschlossen gewesen seien. Für eine Behinderung über den 10. Oktober 2011 hinaus böten die Aussagen der Zeugen keine Anhaltspunkte. Es stehe insbesondere nicht fest, dass die Hafenausfahrt nach dem 10. Oktober 2011 blockiert gewesen sei. Die Zeugen hätten auch die Behauptung des Klägers nicht bestätigt, das Wasser- und Schifffahrtsamt habe die Benutzung der Zufahrt zur Flutmulde in der Zeit vom 10. bis 13. Oktober 2011 untersagt.

5

Bei dieser Sachlage sei eine Eigentums- oder Besitzverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu verneinen. Ohne eine Substanzschädigung sei eine Eigentumsverletzung nur dann gegeben, wenn einer Sache der bestimmungsgemäße Gebrauch derart entzogen werde, dass es einem Sachentzug gleichkomme. Das sei etwa dann der Fall, wenn ein Schiff durch Hindernisse derart eingeschlossen werde, dass es jede Bewegungsmöglichkeit und seine Funktion als Transportmittel für eine praktisch nicht unerhebliche Dauer verliere. Um die Qualität einer Eigentumsverletzung durch Nutzungsentzug zu erhalten, bedürfe es der Überschreitung einer Erheblichkeitsschwelle, die sich maßgeblich an der Dauer der Nutzungsentziehung ausrichte. Eine starre Zeitgrenze zur Definition einer erheblichen Beeinträchtigung lasse sich zwar nicht ziehen; erforderlich sei jedenfalls ein mehr als eintägiger Nutzungsausfall. Die zeitliche Erheblichkeitsschwelle diene der Differenzierung zwischen haftungsrechtlicher Zurechnung und dem entschädigungslos hinzunehmenden allgemeinen Lebensrisiko. Unfallbedingte Behinderungen des Schiffsverkehrs kämen erfahrungsgemäß immer wieder vor, so dass eine vorübergehende Sperrung der Wasserstraße als sozialüblich anzusehen sei. Die Unpassierbarkeit einer Wasserstraße sei eine ersatzlos hinzunehmende Behinderung der Ausübung des Gemeingebrauchs an der Wasserstraße. Dies gelte grundsätzlich auch dann, wenn die Schiffe nicht "ausgesperrt", sondern "eingesperrt" seien und damit jegliche Bewegungsmöglichkeit verloren hätten. Im Streitfall seien die Schiffe und Gerätschaften der Insolvenzschuldnerin am 10. Oktober 2011 zwar im Hafen eingesperrt gewesen, die eintägige Nutzungsentziehung überschreite die Erheblichkeitsschwelle aber nicht, so dass eine Eigentumsverletzung zu verneinen sei. Ein Anspruch wegen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb scheide ebenfalls aus. Es fehle an einem unmittelbaren betriebsbezogenen Eingriff. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB scheiterten daran, dass die Bestimmungen der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung nicht die Vermögensinteressen anderer Verkehrsteilnehmer schützten.

II.

6

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 1 (Schiffseignerin) aus § 823 Abs. 1 BGB, § 3 BinSchG und den Beklagten zu 2 (Schiffsführer) aus § 823 Abs. 1 BGB nicht verneint werden.

7

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Senat an einer Sachentscheidung nicht bereits deshalb gehindert, weil das Berufungsgericht die Berufungsanträge nicht wiedergegeben hat. Ohne die Wiedergabe der Anträge leidet das Berufungsurteil zwar regelmäßig an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führt (vgl. Senatsurteil vom 27. Mai 2014 - VI ZR 153/13, VersR 2014, 970 Rn. 9; BGH, Urteile vom 6. Februar 2013 - I ZR 13/12, GRUR 2013, 1069 Rn. 15 - Basis3; vom 1. Juli 2015 - VIII ZR 278/13, Grundeigentum 2015, 1525 Rn. 13; jeweils mwN). Die ausdrückliche Wiedergabe der Anträge ist jedoch entbehrlich, wenn sich dem Gesamtzusammenhang der Gründe das Begehren des Berufungsführers noch mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lässt (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 - II ZR 21/12, WM 2014, 217 Rn. 18 mwN).

8

Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass der Kläger Stillstandskosten für den Zeitraum vom 10. bis 13. Oktober 2011 geltend mache, das Amtsgericht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt habe, soweit Schadensersatz für den 10. Oktober 2011 begehrt würde, und dass sich die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten "dagegen" richteten. Diesen Ausführungen ist hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Kläger mit der Berufung das Ziel verfolgt, dass die Klage für den vollen Zeitraum vom 10. bis zum 13. Oktober 2011 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt wird, während die Beklagten mit der Anschlussberufung Klagabweisung begehren.

9

2. Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger habe nicht bewiesen, dass die Hafenausfahrt über den 10. Oktober 2011 hinaus blockiert gewesen sei. Sie beanstandet zu Unrecht, dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen für eine erneute Tatsachenfeststellung nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO rechtsfehlerhaft verneint habe.

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a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, die die in dieser Bestimmung angeordnete Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem erstinstanzlichen Gericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Gleiches gilt, wenn das erstinstanzliche Gericht Tatsachenvortrag der Parteien übergangen oder von den Parteien nicht vorgetragene Tatsachen verwertet hat (vgl. Senatsurteile vom 8. Juni 2004 - VI ZR 230/03, BGHZ 159, 254, 258 f.; vom 3. Juni 2014 - VI ZR 394/13, VersR 2014, 1018 Rn. 10; BGH, Urteile vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 272 f.; vom 19. März 2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 300 f.).

11

Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen können sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet (vgl. Senatsurteile vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02, VersR 2004, 1575, 1576; vom 3. Juni 2014 - VI ZR 394/13, VersR 2014, 1018 Rn. 10; BGH, Urteil vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03, BGHZ 162, 313, 317; Begründung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/6036, S. 124).

12

b) Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung rechtsfehlerfrei die vom Amtsgericht festgestellten Tatsachen zugrunde gelegt. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an ihrer Richtigkeit oder Vollständigkeit bestanden nicht. Die Revision rügt insbesondere ohne Erfolg, die Vorinstanzen hätten entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers übergangen.

13

aa) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Amtsgericht die Behauptung des Klägers, die Versandung in der Zufahrt sei bereits während des Ankermanövers entstanden, da das TMS "Patmos" in eine Drehbewegung geraten sei und mit dem Bug die ufernahe Rheinsohle in den Bereich der Einfahrt geschoben habe, im Kern erfasst und in seine Würdigung mit einbezogen. Diese Behauptung war Gegenstand des Beweisbeschlusses vom 16. Juli 2013 (unter f) und der anschließenden umfangreichen Beweisaufnahme. Das Amtsgericht konnte sich aufgrund des Inbegriffs der mündlichen Verhandlung lediglich nicht von der Wahrheit der Behauptung des Klägers überzeugen.

14

Das Berufungsgericht hat das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiswürdigung geprüft und für richtig befunden. Dabei hat es sich mit der eben dargestellten Behauptung des Klägers ausdrücklich befasst. Die Revision versucht lediglich in unbeachtlicher Weise, die tatrichterliche Überzeugungsbildung durch ihre eigene zu ersetzen, ohne Verfahrensfehler aufzuzeigen. Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, die Aussage des Zeugen W. sei unergiebig, weil er keine konkrete Erinnerung an den "Vorfall" habe, bezieht sich dies ausweislich des Gesamtzusammenhangs nicht auf die Frage, ob die Einfahrt zum Hafen durch Versandungen blockiert war, sondern nur darauf, ob das Wasser- und Schifffahrtsamt die Benutzung der Zufahrt zur Flutmulde bis zum 13. Oktober 2011 untersagt hatte.

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bb) Entgegen der Auffassung der Revision musste das Berufungsgericht auch keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellung haben, der Kläger habe nicht bewiesen, dass das Wasser- und Schifffahrtsamt in der Zeit vom 10. bis 13. Oktober 2011 die Benutzung der Zufahrt zur Flutmulde untersagt habe. Soweit die Revision geltend macht, die Aussage des Zeugen W. sei eindeutig gewesen, er habe bei seiner Vernehmung das Wort "Stillstandsverfügung" verwendet, versucht sie lediglich in unbeachtlicher Weise, die tatrichterliche Überzeugungsbildung durch ihre eigene zu ersetzen. Der Zeuge hatte auf die zentrale, Gegenstand des Beweisbeschlusses vom 16. Juli 2013 bildende Frage nach einer Nutzungsuntersagung seitens des Wasser- und Schifffahrtsamtes zunächst nur geantwortet, ihnen sei von den vor Ort anwesenden Mitarbeitern des Wasser- und Schifffahrtsamts gesagt worden, dass sie nicht durch ihre Zufahrt herausfahren könnten. Auf Nachfrage des Gerichts konkretisierte er seine Angaben dahingehend, dass er am Montagmorgen zur Baustelle gefahren und dort vom Polier darüber informiert worden sei, dass ein Tanker im Bereich der Zufahrt liege und das Wasser- und Schifffahrtsamt gesagt habe, sie könnten dort nicht herausfahren, weil sich Material in der Zufahrt befinde. Zu der Frage, wie die Aufhebung der Sperre erfolgt sei, könne er aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr "wirklich was sagen". Zusammenfassend könne er sagen, dass sie am Montag mit dem Gerät nicht aus der Flutmulde herausgekommen seien und ab Dienstag einige der Geräte hätten herausfahren können. Diese Angaben lassen die Möglichkeit offen, dass die Mitarbeiter des Wasser- und Schifffahrtsamts lediglich auf die tatsächlichen Gegebenheiten hingewiesen und nicht eine rechtlich bindende Unterlassungsverfügung ausgesprochen hatten. Diese Möglichkeit ist nicht dadurch ausgeräumt worden, dass der Zeuge W. auf die anschließende Frage des Klägervertreters angab: "Zu der Zeit, wo diese Stillstandsverfügung vorhanden war, konnten die Schuten zu nichts anderem eingesetzt werden". Dass das Berufungsgericht auf der Grundlage dieser Aussage und unter Berücksichtigung der Angaben des vor Ort anwesenden Mitarbeiters des Wasser- und Schifffahrtsamts - dem Leiter des Außenbezirks, Herrn Wo. -, er habe weder eine mündliche noch eine schriftliche Untersagungsverfügung erteilt, keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entsprechenden erstinstanzlichen Feststellungen hatte, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine andere Beurteilung ist auch nicht in Hinblick auf das Schreiben der Insolvenzschuldnerin vom 10. Oktober 2011 geboten. Diesem Schreiben ist lediglich die nicht belegte und keine eindeutigen Rückschlüsse zulassende Behauptung des bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigten Zeugen W. zu entnehmen, es sei "keine Durchfahrt gestattet".

16

3. Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Einsperren der im Eigentum der Insolvenzschuldnerin stehenden bzw. von dieser gemieteten Schiffe und anderen Gerätschaften im Hafen für nur einen Tag sei nicht als Eigentums- bzw. Besitzverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu qualifizieren.

17

a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Verletzung des Eigentums an einer Sache nicht nur durch eine Beeinträchtigung der Sachsubstanz, sondern auch durch eine sonstige die Eigentümerbefugnisse treffende tatsächliche Einwirkung auf die Sache selbst erfolgen, die deren Benutzung objektiv verhindert (vgl. Senatsurteile vom 21. Juni 1977 - VI ZR 58/76, VersR 1977, 965, 966; vom 4. November 1997 - VI ZR 348/96, BGHZ 137, 89, 97; vom 11. Januar 2005 - VI ZR 34/04, VersR 2005, 515, 516; BGH, Urteile vom 21. Dezember 1970 - II ZR 133/68, BGHZ 55, 153, 159; vom 31. Oktober 1974 - III ZR 85/73, BGHZ 63, 203, 206; vom 15. November 1982 - II ZR 206/81, BGHZ 86, 152, 154 f.). Hiervon ist etwa dann auszugehen, wenn ein Fahrzeug vorübergehend seine Bewegungsmöglichkeit verliert, dadurch seiner Funktion - z.B. als Transportmittel - beraubt und dem bestimmungsgemäßen Gebrauch entzogen wird (vgl. BGH, Urteile vom 21. Dezember 1970 - II ZR 133/68, BGHZ 55, 153 Rn. 15 zur Einsperrung eines Schiffs; vom 31. Oktober 1974 - III ZR 85/73, BGHZ 63, 203, 206 zur Einsperrung eines in der Garage abgestellten Kraftwagens durch widerrechtlich ausgeführte Bauarbeiten vor der Garagenausfahrt). Eine Eigentumsverletzung hat der Senat auch in einem Fall angenommen, in dem ein (Betriebs-)Grundstück wegen akuter Brandgefährdung und eines polizeilichen Räumungsgebots über einen Zeitraum von zwei Stunden nicht genutzt werden konnte (Senatsurteil vom 21. Juni 1977 - VI ZR 58/76, VersR 1977, 965, 966 f.). Diese Fallgestaltungen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Verwendungsfähigkeit der Sache vorübergehend praktisch aufgehoben ist; die Beeinträchtigung der Eigentümerbefugnisse durch den Entzug des bestimmungsgemäßen Gebrauchs wirkt wie eine zeitweilige Wegnahme der Sache (vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, 13. Aufl. § 76 II 3 c; Staudinger/Hager, BGB, 1999, § 823 Rn. B 92).

18

b) Hiervon abzugrenzen sind die Fälle, in denen die Sache ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung nicht entzogen, sondern nur die Möglichkeit ihrer Nutzung vorübergehend eingeengt oder nur eine bestimmte Verwendungsmodalität bzw. eine Mehrzahl von Verwendungszwecken, die das Einsatzpotential der Sache nicht erschöpfen, ausgeschlossen werden (vgl. Senatsurteile vom 18. November 2003 - VI ZR 385/02, VersR 2004, 255, 257; vom 11. Januar 2005 - VI ZR 34/04, VersR 2005, 515, 516 und BGH, Urteile vom 21. Dezember 1970 - II ZR 133/68, BGHZ 55, 153, 160; vom 15. November 1982 - II ZR 206/81, BGHZ 86, 152, 154 f.; MünchKommBGB/Wagner, 6. Aufl. 2013, § 823 Rn. 181, 187; Larenz/Canaris, aaO; NK-BGB/Katzenmeier, 3. Aufl., § 823 Rn. 60, jeweils mwN). Letzteres ist etwa dann anzunehmen, wenn ein Fahrzeug unter Beibehaltung seiner Bewegungsmöglichkeit im Übrigen an einer konkret geplanten Fahrt gehindert und seine Nutzung dadurch lediglich zeitweilig beschränkt wird (vgl. Senatsurteile vom 18. November 2003 - VI ZR 385/02, VersR 2004, 255, 257; vom 11. Januar 2005 - VI ZR 34/04, VersR 2005, 515, 516; BGH, Urteil vom 21. Dezember 1970 - II ZR 133/68, BGHZ 55, 153, 160: eine bestimmte Strecke bzw. bestimmter Ort wird durch eine nicht gezielt gegen das Fahrzeug gerichtete Handlung für dieses vorübergehend unbefahrbar; ähnlich BGH, Urteil vom 15. November 1982 - II ZR 206/81, BGHZ 86, 152, 154 f.: die auch über Land erreichbare Lagerei- und Umschlagsanlagen konnten für die Dauer der Sperrung des Elbe-Seitenkanals von Schiffen nicht angefahren werden, sowie BGH, Urteil vom 28. September 2011 - IV ZR 294/10, VersR 2011, 1509 Rn. 8: vorübergehende Einengung der Möglichkeit der Nutzung einer Autobahn durch einen auf dem Verzögerungsstreifen befindlichen und teilweise in die rechte Fahrbahn hineinragenden Sattelzug). In diesen Fällen ist eine Eigentumsverletzung zu verneinen.

19

c) Werden die Eigentümerbefugnisse durch eine tatsächliche Einwirkung auf die Sache derart beeinträchtigt, dass deren Verwendungsfähigkeit vorübergehend praktisch aufgehoben ist, bedarf es für die Annahme einer Eigentumsverletzung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht zusätzlich der Überschreitung einer zeitlich definierten Erheblichkeitsschwelle. Die erforderliche Intensität der Nutzungsbeeinträchtigung folgt hier bereits aus dem Entzug des bestimmungsgemäßen Gebrauchs.

20

d) Diese Grundsätze gelten entsprechend für die Beeinträchtigung des berechtigten Besitzes an einer Sache (vgl. Senatsurteile vom 21. Juni 1977 - VI ZR 58/76, VersR 1977, 965, 966; vom 4. November 1997 - VI ZR 348/96, BGHZ 137, 89, 98; vom 11. Januar 2005 - VI ZR 34/04, VersR 2005, 515, 517; vom 9. Dezember 2014 - VI ZR 155/14, VersR 2015, 250 Rn. 17, jeweils mwN).

21

e) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann eine Eigentums- bzw. Besitzverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB nach diesen Grundsätzen nicht verneint werden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren infolge der Havarie des TMS "Patmos" im Eigentum der Insolvenzschuldnerin stehende bzw. von dieser gemietete Schiffe und andere Gerätschaften im Xantener Yachthafen eingesperrt. Sie konnten den Hafen am 10. Oktober 2011 nicht verlassen, weil die Ankerkette des TMS "Patmos" die Zufahrt versperrte und durch die Havarie und das Freiturnen des Schiffes verursachte Untiefen festgestellt und beseitigt werden mussten. Die Schiffe und Gerätschaften waren deshalb ihrer Funktion als Transport- und Arbeitsmittel beraubt und dem bestimmungsgemäßen Gebrauch entzogen.

III.

22

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird dabei Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwänden der Parteien in den Rechtsmittelschriften zu befassen. Dies gilt in besonderem Maße für die Gegenrüge der Revisionserwiderung, das Berufungsgericht habe den Vortrag der Beklagten nicht berücksichtigt, wonach die Zufahrt zu der Flutmulde zu keinem Zeitpunkt vollständig versperrt gewesen sei und Gerätschaften und Schiffe der Schuldnerin jedenfalls in unbeladenem Zustand unstreitig schon am 10. Oktober 2011 die Flutmulde hätten verlassen können.

Galke                     von Pentz                     Offenloch

              Roloff                          Müller