Entscheidungsdatum: 30.07.2013
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:
1. Ist Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Amtsblatt Nr. L 210 vom 7. August 1985, S. 29-33) dahin auszulegen, dass ein Produkt, wenn es sich um ein in den menschlichen Körper implantiertes Medizinprodukt (hier: implantierbarer Cardioverter Defibrillator - ICD) handelt, bereits dann fehlerhaft ist, wenn bei einer signifikanten Anzahl von Geräten derselben Serie eine Fehlfunktion aufgetreten, ein Fehler des im konkreten Fall implantierten Geräts aber nicht festgestellt ist?
2. Falls Frage 1 mit ja beantwortet wird:
Handelt es sich bei den Kosten der Operation zur Explantation des Produkts und zur Implantation eines anderen ICD um einen durch Körperverletzung verursachten Schaden im Sinne der Art. 1, Art. 9 Satz 1 lit. a der Richtlinie 85/374/EWG?
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:
1. Ist Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Amtsblatt Nr. L 210 vom 7. August 1985, S. 29-33) dahin auszulegen, dass ein Produkt, wenn es sich um ein in den menschlichen Körper implantiertes Medizinprodukt (hier: implantierbarer Cardioverter Defibrillator - ICD) handelt, bereits dann fehlerhaft ist, wenn bei einer signifikanten Anzahl von Geräten derselben Serie eine Fehlfunktion aufgetreten, ein Fehler des im konkreten Fall implantierten Geräts aber nicht festgestellt ist?
2. Falls Frage 1 mit ja beantwortet wird:
Handelt es sich bei den Kosten der Operation zur Explantation des Produkts und zur Implantation eines anderen ICD um einen durch Körperverletzung verursachten Schaden im Sinne der Art. 1, Art. 9 Satz 1 lit. a der Richtlinie 85/374/EWG?
I.
Die Klägerin, eine Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung, begehrt aus übergegangenem Recht ihres Mitglieds F. Ersatz der Kosten stationärer und ambulanter Behandlung wegen des operativen Austauschs eines implantierbaren Cardioverter Defibrillators (im Folgenden: ICD). Die Beklagte, die die "G. GmbH & Co. Medizintechnik KG" (im Folgenden: G.) im Wege der Verschmelzung übernommen hat, ist die deutsche Vertriebsgesellschaft der vormals als "G. Corporation" firmierenden US-amerikanischen Gesellschaft B. S. Corporation mit Sitz in St. Paul, USA, die u.a. ICDs herstellt und verkauft. Ausweislich eines von der Klägerin vorgelegten Patientenausweises vom 5. April 2005 wurde F. an diesem Tag ein Herzinsuffizienz-Therapie-System mit ICD-Funktion (CRT-D) des Typs "G. CONTAK RENEWAL ® 4 AVT ®" mit der Modellnummer M 170 und der Seriennummer 100084 implantiert. Als Hersteller (Manufacturer) sind in dem Ausweis für Deutschland die G. GmbH & Co. Medizintechnik KG in Giessen, für Österreich die G. Ges.m.b.H. in Wiener Neudorf, für die Schweiz die G. AG in Zug und für die EU die G. Europa NV/SA in Diegem/Belgien angegeben. Das Formular enthält auf mehreren Seiten unten den Aufdruck "G." und eine auf G. hinweisende Internetadresse.
Im Juni 2005 versandte die G. GmbH ein Schreiben mit der Überschrift "Dringende Medizinprodukte Sicherheitsinformation und Korrekturmaßnahmen für CONTAK RENEWAL ®", das u.a. Geräte des Typs 4 AVT ® mit der Modellnummer M 170 betraf. In dem Schreiben heißt es, die FDA (Food and Drug Administration - Amerikanische Aufsichtsbehörde) könnte diese Maßnahme als Recall einstufen. Das Cardiac Rhythm Management Qualitätssystem von G. habe feststellen müssen, dass bei den genannten Geräten ein Bauelemente-Fehler auftreten könne, der die Therapie-Verfügbarkeit einschränken könne. Die technische Analyse habe ergeben, dass ein Magnetschalter in der geschlossenen Position hängen bleiben könne. Vier Vorfälle aus einer Anzahl von 46.000 Geräten seien bestätigt worden, ein fünfter Vorfall werde vermutet, könne jedoch noch nicht bestätigt werden. In den vier Fällen, in denen das Gerät implantiert gewesen sei, seien die Patienten und/oder Ärzte auf den Zustand aufgrund hörbarer Pieptöne, die von den Geräten ausgegangen seien und ein Schließen des Magnetschalters signalisiert hätten, aufmerksam geworden. In diesen vier Fällen seien die Geräte ausgetauscht worden. Ein Ereignis sei vor der Implantation aufgetreten. Bisher sei es, vom Geräteaustausch abgesehen, zu keiner Beeinträchtigung der Patienten gekommen. Bei normaler Gerätefunktion schließe der Magnetschalter bei Magnetauflage und der Magnetmodus werde aktiviert, der dann temporär die Gerätefunktion steuere. Sei die Funktion "Magnetfunktion aktivieren (Enable Magnet Use)" auf EIN (ON) aktiviert, wie es in der beschriebenen Fehlersituation der Fall gewesen sei, und bleibe der Magnetschalter in der geschlossenen Position hängen, werde die Behandlung von ventrikulären und atrialen Arrhythmien unterbunden; die Bradykardie-Stimulation bleibe davon unberührt. Unter diesen Bedingungen sorgten die Sicherheitsfunktionen des Geräts für die Abgabe von Signaltönen; zusätzlich werde die Batterieentladung beschleunigt.
Im Folgenden wird in dem Schreiben empfohlen, die Magnetfunktion zu deaktivieren. Diese Programmierung stelle sicher, dass eine angemessene Therapie für die Behandlung von ventrikulären und atrialen Tachyarrhythmien zur Verfügung stehe, auch wenn der Magnetschalter in der geschlossenen Position hängen bleibe. Sodann wird darauf hingewiesen, dass bei dieser Programmierung ein Magnet nicht mehr die (Tachykardie-)Therapie inhibiere, die Funktion der vom Patienten ausgelösten Speicherung jedoch verfügbar bleibe, eine vorübergehende Inhibierung der Tachyarrhythmietherapie nur mit einem Programmiergerät vorgenommen werden könne und eine Magnetauflage keinen therapeutischen Nutzen habe und nicht angewendet zu werden brauche.
Abschließend heißt es, Patienten sollten sich unverzüglich mit ihrem Arzt in Verbindung setzen oder die Notaufnahme eines Krankenhauses aufsuchen, wenn sie Töne von ihrem Gerät hörten. Ärzte sollten sich an ihren örtlichen G. Außendienstmitarbeiter wenden oder telefonisch an den Technischen Service von G., um Unterstützung zur Beurteilung der Geräte einzuholen.
Das Universitätsklinikum, in dem F. sich in der Zeit vom 28. Februar bis 5. März 2006 befand, teilte dessen Hausarzt mit, bei F. seien am 2. März 2006 ein vorzeitiger AICD-Aggregatwechsel bei defektem Magnetschalter mit nicht abfragbarem ICD-System durchgeführt und ein Dreikammer-ICD (Contak Renewal 4 AVT, G.) implantiert worden. Bei dem explantierten ICD-Aggregat habe es sich um einen Contak Renewal 4 AVT, Hersteller G., Serien-Nr. 100084 gehandelt.
Die Klägerin hat von der Beklagten mit Schreiben vom 31. August 2009 Zahlung der für den Krankenhausaufenthalt ihres Versicherten F. entstandenen Kosten, die sie mit 20.315,01 € beziffert hat, sowie Ersatz ambulanter Behandlungskosten in Höhe von 122,50 € begehrt.
Die Klägerin macht geltend, der Patientenausweis, in den die Klinikärzte die Daten des implantierten Geräts eingetragen hätten, weise die Rechtsvorgängerin der Beklagten als Herstellerin aus. Der ursprünglich implantierte ICD sei fehlerhaft gewesen, da er nach dem OP-Bericht einen defekten Magnetschalter mit nicht abfragbarem ICD-System aufgewiesen habe. Da fehlerfreie Geräte eine Nutzungszeit von mindestens fünf Jahren hätten, handele es sich bei den entstandenen Aufwendungen nicht um "Sowieso-Kosten". Die Beklagte hat u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Landgericht Düsseldorf hat der Klage durch Urteil vom 3. Februar 2011 (Aktenzeichen 3 O 182/10) stattgegeben. Das Oberlandesgericht Düsseldorf - Berufungsgericht - hat auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten mit Urteil vom 20. Juni 2012 (Aktenzeichen I-15 U 25/11) das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Verurteilung der Beklagten in Höhe von (nur) 5.952,80 € nebst Zinsen aufrechterhalten. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die vollumfängliche Klageabweisung.
II.
Das Berufungsgericht bejaht einen Ersatzanspruch der Klägerin aus § 1 Abs. 1 ProdHaftG in Verbindung mit § 116 Abs. 1 SGB X. Die Beklagte habe nicht bestritten, dass dem Versicherten F. nach dem Inhalt des Patientenausweises ein ICD CONTAK RENEWAL ® 4 AVT ® mit der Modellnummer M 170 und der Seriennummer 100084 implantiert worden sei. Dahinstehen könne, ob die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die G. GmbH, das Gerät hergestellt oder in den europäischen Wirtschaftsraum eingeführt habe. Die Beklagte hafte zumindest als Quasi-Herstellerin im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG, denn ihre Rechtsvorgängerin habe sich als Hersteller ausgegeben. Entgegen dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 der EG-Produkthaftungsrichtlinie vom 25. Juli 1985 (85/374/EWG, Amtsblatt Nr. L 210 vom 7. August 1985 S. 29 ff.) sei dafür nicht erforderlich, dass die Anbringung des Namens auf dem Produkt selbst erfolgt sei. Vorliegend genüge es, dass sich der Name des Herstellers aus dem Patientenausweis ergebe. Die Beklagte habe nicht bestritten, diese Ausweise zu kennen. Die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG erforderliche Verbindung zwischen dem Produkt (ICD) und dem Ausweis sei durch den von den implantierenden Ärzten auf dem Ausweis angebrachten Aufkleber mit der Modellbezeichnung des Geräts und die von ihnen vorgenommenen handschriftlichen Eintragungen gewährleistet. Diese Darstellung in dem Ausweis habe die Beklagte stillschweigend genehmigt. Die dort befindliche Bezeichnung "Hersteller (Manufacturer)" lasse keine andere Beurteilung zu, als dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten tatsächlich produziere und nicht nur vertreibe. Unerheblich sei, dass in dem Ausweis für Österreich und die Schweiz weitere Hersteller benannt seien. In Deutschland gehe ein Patient, der nach der Implantation eines ICD einen solchen Ausweis erhalte, davon aus, dass sein Gerät von dem dort genannten in Deutschland ansässigen Unternehmen hergestellt worden sei.
Der dem Versicherten F. implantierte ICD weise einen Produktfehler auf. Das Gerät gehöre ausweislich des Sicherheitsinformationsschreibens vom 27. Juni 2005 zu einer Produktfamilie, bei der ein Bauelementefehler auftreten könne, der die Therapie-Verfügbarkeit einschränken könne. Sei die Magnetfunktion aktiviert und bleibe der Magnetschalter nach Entfernen des Magneten hängen, werde die Behandlung von ventrikulären und atrialen Arrhythmien unterbunden. Das bedeute, dass auch im Falle lebensgefährlicher Herzrhythmusstörungen diese nicht erkannt würden bzw. die dann adäquate Abgabe lebensrettender Schocks unterbleibe. Die in dem Sicherheitsinformationsschreiben ausgesprochene Empfehlung, die Magnetfunktion zu deaktivieren, würde dazu führen, dass eine Magnetauflage nicht mehr die Tachykardie-Therapie für die Dauer der Auflage unterbinde und die Magnetfunktion keinen therapeutischen Nutzen mehr hätte.
In der Gefahr des Ausbleibens einer Schockabgabe bei lebensgefährlichen ventrikulären Herzrhythmusstörungen liege ein Produktfehler im Sinne von § 3 ProdHaftG. Das Gerät biete nicht die Sicherheit, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden könne. Dabei sei nicht allein auf die Erwartung der Ärzte, sondern zumindest auch auf die Erwartung der Patienten abzustellen, denen ein ICD implantiert worden sei. Deren berechtigte Erwartungen seien sehr hoch, weil dem Patienten bei einer - für ihn nicht ohne Weiteres erkennbaren - Fehlfunktion schwerwiegende Gesundheitsschäden drohten, die zum Tode führen könnten. Dahinstehen könne, ob das dem Versicherten F. implantierte Gerät tatsächlich einen Bauelementefehler aufgewiesen habe. Bereits die Möglichkeit des in dem Sicherheitsinformationsschreiben beschriebenen Defekts des Magnetschalters begründe einen allen ICD anhaftenden Produktfehler, ohne dass es im konkreten Fall darauf ankomme, ob der Magnetschalter tatsächlich defekt gewesen sei. Aufgrund des in dem Sicherheitsinformationsschreiben enthaltenen Hinweises, dass man sich erst am Anfang einer Untersuchung befinde und nicht auszuschließen sei, dass diese Maßnahme von der Food and Drug Administration als Recall eingestuft werden könne, sei es auch unerheblich, dass es voraussichtlich nur bei einer geringen Anzahl von Geräten dieses Typs zu einem Ausfall kommen werde.
Die Haftung der Beklagten sei auch nicht nach § 1 Abs. 2 ProdHaftG ausgeschlossen. Der dem Hersteller gemäß § 1 Abs. 4 Satz 2 ProdHaftG obliegende Nachweis, dass das Produkt den Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht aufgewiesen habe, sei dadurch zu führen, dass entweder das Produkt bei Inverkehrgabe den Fehler noch nicht gehabt haben könne oder dass der Fehler tatsächlich erst danach entstanden sei. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass der Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht vorgelegen habe. Nach dem Operationsbericht habe bei dem betreffenden ICD der Magnetschalterdefekt vorgelegen. Zudem spreche der Umstand, dass nach dem Inhalt des Sicherheitsinformationsschreibens ein Ereignis vor der Implantation aufgetreten sei, für einen Konstruktionsfehler des Magnetschalters.
Der Produktfehler habe infolge des erforderlichen operativen Geräteaustauschs adäquat kausal zu einer Körperverletzung des Versicherten F. geführt. Die angefallenen Behandlungskosten betrügen (geschätzt) 5.952,80 €. Der Anspruch der Klägerin sei nicht verjährt.
III.
Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung der Art. 1, Art. 9 Satz 1 lit. a der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, Amtsblatt Nr. L 210 vom 07/08/1985 S. 0029-0033, ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
1. Ein - gemäß § 116 Abs. 1 SGB X übergegangener - Anspruch der Klägerin auf Ersatz der Behandlungskosten könnte allein gemäß § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 8 ProdHaftG gegeben sein. Andere Anspruchsgrundlagen kommen im Streitfall nicht in Betracht.
Die Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Amtsblatt Nr. L 210 vom 7. August 1985, S. 29-33) wurde durch das Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz - ProdHaftG) vom 15. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2198), in Kraft getreten am 1. Januar 1990, in nationales Recht umgesetzt. Dessen maßgebliche Vorschriften lauten:
§ 1 Haftung
(1) Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Im Falle der Sachbeschädigung gilt dies nur, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist.
(2) Die Ersatzpflicht des Herstellers ist ausgeschlossen, wenn
1. er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat,
2. nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als der Hersteller es in den Verkehr brachte,
3. er das Produkt weder für den Verkauf oder eine andere Form des Vertriebs mit wirtschaftlichem Zweck hergestellt noch im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben hat,
4. der Fehler darauf beruht, daß das Produkt in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller es in den Verkehr brachte, dazu zwingenden Rechtsvorschriften entsprochen hat, oder
5. der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte.
(3) Die Ersatzpflicht des Herstellers eines Teilprodukts ist ferner ausgeschlossen, wenn der Fehler durch die Konstruktion des Produkts, in welches das Teilprodukt eingearbeitet wurde, oder durch die Anleitungen des Herstellers des Produkts verursacht worden ist. Satz 1 ist auf den Hersteller eines Grundstoffs entsprechend anzuwenden.
(4) Für den Fehler, den Schaden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden trägt der Geschädigte die Beweislast. Ist streitig, ob die Ersatzpflicht gemäß Absatz 2 oder 3 ausgeschlossen ist, so trägt der Hersteller die Beweislast.
§ 3 Fehler
(1) Ein Produkt hat einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere
a) seiner Darbietung,
b) des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,
c) des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde,
berechtigterweise erwartet werden kann.
(2) Ein Produkt hat nicht allein deshalb einen Fehler, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde.
§ 6 Haftungsminderung
(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt, so gilt § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs; im Falle der Sachbeschädigung steht das Verschulden desjenigen, der die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Geschädigten gleich.
(2) …
§ 8 Umfang der Ersatzpflicht bei Körperverletzung
Im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit ist Ersatz der Kosten der Heilung sowie des Vermögensnachteils zu leisten, den der Verletzte dadurch erleidet, dass infolge der Verletzung zeitweise oder dauernd seine Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert ist oder seine Bedürfnisse vermehrt sind. …
2. Die Beklagte gilt als Herstellerin des dem Versicherten F. implantierten ICD. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte aufgrund der in dem Patientenausweis enthaltenen Angaben als Quasi-Hersteller im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG haftet. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist der Patientenausweis auf einem Formular von G. gedruckt worden. Der Ausweis enthält im unteren Bereich mehrfach den Namen G. und die Internetadresse der Beklagten. Unerheblich ist, dass der Ausweis, wie die Revision geltend macht, dem ICD nicht beigefügt war. Die erforderliche Verbindung zwischen dem Produkt und dem Ausweis ist dadurch hergestellt worden, dass die Ärzte den Aufkleber des ICD in den Ausweis eingeklebt und weitere handschriftliche Eintragungen u.a. zur Funktionalität des Geräts sowie zur Person des Patienten und zum Zeitpunkt der Implantation vorgenommen haben. Die Beklagte hat, worauf das Berufungsgericht mit Recht hinweist, nicht in Abrede gestellt, das verwendete Formular des Patientenausweises zu kennen. Mithin wusste sie, dass es sich um ein ärztlicherseits auszufüllendes Formular handelt, durch das ihre Rechtsvorgängerin, weil diese dort als Hersteller genannt ist, mit dem von den Ärzten angegebenen Produkt in Verbindung gebracht wird. Dadurch, dass die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin dies hingenommen haben, haben sie die Benennung als Hersteller zumindest stillschweigend genehmigt.
3. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es darauf an, ob der dem Versicherten F. implantierte ICD einen Produktfehler im Sinne von § 3 Abs. 1 ProdHaftG, Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG aufwies.
a) Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob der konkrete, dem Versicherten F. implantierte ICD von dem beschriebenen Fehler tatsächlich betroffen war. Im Revisionsrechtszug ist deshalb zugunsten der Beklagten zu unterstellen, dass dies nicht der Fall war.
b) Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen gehört der dem Versicherten F. implantierte ICD zu einer Produktfamilie, bei der ein Bauelementefehler auftreten kann. Die bei Geräten dieser Produktfamilie mögliche Fehlfunktion kann die Therapie-Verfügbarkeit einschränken. Ist die Magnetfunktion aktiviert und bleibt der Magnetschalter nach Entfernen des Magneten hängen, wird die Behandlung von ventrikulären und atrialen Arrhythmien unterbunden. Das bedeutet, dass auch im Falle lebensgefährlicher Herzrhythmusstörungen diese nicht erkannt werden und die Abgabe lebensrettender Schocks unterbleibt.
c) Aufgrund dieser bei Geräten der betreffenden Produktfamilie möglichen Fehlfunktion könnte anzunehmen sein, dass auch der dem Versicherten F. implantierte ICD einen Produktfehler hatte, weil das Gerät nicht die Sicherheit bot, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden konnte (§ 3 Abs. 1 ProdHaftG, Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG). Hinsichtlich der berechtigten Sicherheitserwartungen ist nach Auffassung des vorlegenden Senats maßgeblich auf die Erwartung der Patienten abzustellen, denen ein ICD implantiert wird. Der Auffassung der Revision, dass es insoweit allein auf die berechtigten Sicherheitserwartungen der Fachärzte ankomme (vgl. Oeben/Schiwek, [Anm. zum Urteil des OLG Hamm, VersR 2011, 637], MPR 2011, 145, 149), kann nicht gefolgt werden. Dabei kann dahinstehen, ob in Fachkreisen bekannt sei, dass bei einer ICD-Implantation in den menschlichen Körper eine 100%ige Sicherheit nicht möglich sei und vom Fachpersonal eine absolute Fehlerfreiheit daher auch nicht erwartet werde. Vorliegend geht es nicht um gesundheitliche Risiken, die trotz Implantation eines funktionstüchtigen ICD bestehen, sondern um das Risiko eines Geräteausfalls. Dieses betrifft primär aber nicht den Arzt, sondern das Integritätsinteresse des Patienten, der auf die Funktionsfähigkeit des ICD vertraut (vgl. Staudinger/Oechsler, BGB, Neubearb. 2009, § 3 ProdHaftG Rn. 20). Angesichts der Lebensgefahr, die von einem fehlerhaften ICD ausgeht, spricht viel dafür, dass der Patient hinsichtlich eines möglichen Ausfalls des implantierten Geräts berechtigterweise grundsätzlich eine Fehlerquote gegen Null erwarten darf (vgl. OLG Hamm, VersR 2011, 637, 638; Juretzek, PHi 2011, 68, 69).
d) Im Streitfall ist mithin entscheidend, ob ohne Feststellungen zur Fehlerhaftigkeit des konkreten, dem Versicherten F. implantierten ICD allein die Möglichkeit eines Defekts des Magnetschalters deshalb als Fehler im Sinne von § 3 Abs. 1 ProdHaftG, Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG zu bewerten ist, weil nach Feststellungen des Herstellers bei einer signifikanten Anzahl von Geräten derselben Serie eine Fehlfunktion aufgetreten ist.
4. Für den Fall, dass die Möglichkeit eines Defekts des Magnetschalters als Fehler im Sinne von § 3 Abs. 1 ProdHaftG zu bewerten ist, stellt sich die Frage, ob es sich bei den Kosten der Operation zur Explantation des Produkts und zur Implantation eines anderen ICD um einen durch Körperverletzung verursachten Schaden im Sinne der Art. 1, Art. 9 Satz 1 lit. a der Richtlinie 85/374/EWG handelt. Dies erscheint fraglich, da der operative Austausch des dem Versicherten F. implantierten ICD zur Abwendung einer Gesundheitsgefahr nicht erforderlich war. Der von einem fehlerhaften Magnetschalter gegebenenfalls ausgehenden Gesundheitsgefahr konnte durch bloße Deaktivierung der Magnetfunktion wirkungsvoll begegnet werden. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen begründet der Umstand, dass der therapeutische Nutzen der Magnetfunktion bei deren Deaktivierung wegfällt, keine Gefahr für Leib und Leben des Patienten. Wie sich aus dem Sicherheitsinformationsschreiben der Klägerin ergibt, bleibt auch im Falle der Deaktivierung der Magnetfunktion die Speicherung der Patientendaten verfügbar. Dass eine vorübergehende Inhibierung der Tachyarrhythmietherapie in diesem Fall nur mit einem Programmiergerät vorgenommen werden kann, führt deshalb nicht zu einer Gesundheitsgefahr, sondern lediglich zu einer Beschränkung der Gebrauchstauglichkeit des Geräts. Der sich daraus ergebende Nachteil beträfe nicht das Integritätsinteresse des Versicherten F., sondern das deliktisch (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2008 - VI ZR 170/07, BGHZ 179, 157 Rn. 24) wie auch im Produkthaftungsgesetz nicht geschützte Äquivalenzinteresse des Betroffenen (vgl. Erman/Schiemann, BGB, 13. Aufl., § 1 ProdHaftG Rn. 2 f.; NK-BGB/Katzenmeier, 2. Aufl., § 1 ProdHaftG Rn. 3).
5. Ein gegebenenfalls bestehender Anspruch der Klägerin ist auch nicht verjährt.
IV.
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt deshalb von der Beantwortung der Frage ab, ob der implantierte ICD bereits deshalb einen Produktfehler im Sinne von § 3 Abs. 1 ProdHaftG, Art. 6 der Richtlinie 85/374/EWG aufwies, weil nach Feststellungen des Herstellers bei einer signifikanten Anzahl von Geräten derselben Serie eine Fehlfunktion aufgetreten ist, und, falls diese Frage bejaht wird, ob es sich bei den geltend gemachten Kosten der Operation zur Explantation des Produkts und zur Implantation eines anderen ICD um einen durch Körperverletzung verursachten Schaden im Sinne von § 1 Abs. 1, § 8 ProdHaftG, Art. 1, Art. 9 Satz 1 lit. a der Richtlinie 85/374/EWG handelt.
Galke Zoll Diederichsen
Pauge von Pentz