Entscheidungsdatum: 01.02.2011
Zum Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII .
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 2. Juli 2009 aufgehoben, soweit nicht durch Teilanerkenntnisurteil entschieden worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin macht aus eigenem und abgetretenem Recht ihres Mitarbeiters B. Schadensersatzansprüche wegen eines Unfalls auf ihrem Betriebsgelände geltend, bei dem B. durch die Explosion eines Druckbehälters in der Kältezentrale, den der bei der Beklagten zu 1 beschäftigte Beklagte zu 2 überprüfen sollte, schwer verletzt wurde.
Die Klägerin erteilte der Beklagten zu 1 am 18. Oktober 2002 den Auftrag, Heizungsausdehnungsgefäße auf ihrem Betriebsgelände zu überprüfen. Die Beklagte zu 1 ließ diesen Auftrag am 14. November 2002 durch zwei ihrer Mitarbeiter, unter anderem den Beklagten zu 2, ausführen. Nachdem die beiden Mitarbeiter der Beklagten zu 1 bereits einige Ausdehnungsgefäße überprüft hatten, meldete sich der Beklagte zu 2 bei B., der als Betriebshandwerker bei der Klägerin beschäftigt war, um die Druckbehälter in der Kältezentrale zu kontrollieren. Die Zeugen B. und H., beide Arbeitnehmer der Klägerin, schlossen den Mitarbeitern der Beklagten zu 1 daraufhin die Tür zur Kältezentrale auf und riefen in der Leitzentrale an, um die Kleinkälteanlage für die Zeit der Überprüfung außer Betrieb zu setzen. Während der Beklagte zu 2 die Überprüfung vornahm, explodierte das Ausdehnungsgefäß, wodurch sowohl der Beklagte zu 2 als auch der Zeuge B., der in der Nähe eigenen Arbeiten nachging, schwer verletzt wurden. Die Ursache der Explosion ist zwischen den Parteien streitig.
Das Landgericht hat der Klage - soweit es sie für entscheidungsreif hielt - durch Teilgrund- und Teilendurteil hinsichtlich des Zahlungsantrages in Höhe von 21.072,43 € sowie hinsichtlich des Feststellungsantrags stattgegeben und weiter die Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz festgestellt, soweit die Klägerin den weiteren entgangenen Gewinn des Zeugen B. aufgrund des Unfalles geltend gemacht hat. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts mit Ausnahme eines von den Beklagten in Höhe von 345,42 € anerkannten Betrages durch Teilanerkenntnis- und Endurteil abgeändert und die Klage im Übrigen - auch unter Einbeziehung des vom Landgericht noch nicht entschiedenen Teils des Klagebegehrens - abgewiesen. Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, soweit nicht durch Teilanerkenntnisurteil entschieden worden ist.
I.
Das Berufungsgericht verneint eine Haftung des Beklagten zu 2, weil dieser wegen Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte nach § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII in Verbindung mit §§ 104, 105 SGB VII haftungsprivilegiert sei. Es meint, im vorliegenden Fall liege eine gemeinsame Betriebsstätte vor, weil die Tätigkeiten des Beklagten zu 2 und des Zeugen B. nicht beziehungslos nebeneinander gestanden hätten und ihr Zusammentreffen auch nicht rein zufällig gewesen sei. Der Beklagte zu 2 sei vielmehr auf die Mitwirkung des Zeugen B. bei der Überprüfung - wenn auch nur im Rahmen der Vor- und Nachbereitung - angewiesen gewesen, denn die Zeugen B. und H. hätten die Kältezentrale aufgeschlossen und die Mitarbeiter der Beklagten zu 1 eingelassen sowie die Abschaltung der Anlage durch einen Anruf in der Leitzentrale veranlasst. Im Übrigen habe die Anwesenheit des Zeugen B. allein schon wegen der räumlichen Nähe der Verrichtungen der Beteiligten dazu geführt, dass es wechselseitig zu Verletzungen habe kommen können und mithin eine Gefahrengemeinschaft bestanden habe. Da zu Gunsten des Beklagten zu 2 als potentiellem Erstschädiger die Haftung mithin ausgeschlossen sei, komme nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs auch eine Haftung der Beklagten zu 1 für den dem Zeugen B. entstandenen Personenschaden nicht in Betracht. Ein eigener haftungsbegründender Pflichtenverstoß der Beklagten zu 1 sei daneben nicht ersichtlich. Ein solcher sei insbesondere nicht darin zu sehen, dass diese den Beklagten zu 2 als Nicht-Sachkundigen im Sinne von § 32 Druckbehälterverordnung mit der Überprüfung betraut habe. Denn bei dem überprüften Ausdehnungsgefäß habe es sich nicht um einen Druckbehälter gehandelt, der nach der Druckbehälterverordnung einer wiederkehrenden Überprüfung durch einen Sachkundigen unterliege. Eine entsprechende Verpflichtung ergebe sich auch nicht aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Werkvertrag vom 18. Oktober 2002. Der Auftrag sei zwar mit "Sachkundigenprüfung der Heizungsausdehnungsgefäße" überschrieben und habe unter anderem eine Überprüfung laut Druckbehälterverordnung vorgesehen. Der Leistungsbeschreibung könne jedoch ein Wille der vertragsschließenden Parteien nicht entnommen werden, dass auch Ausdehnungsgefäße, für welche die Druckbehälterverordnung eine Sachkundigen-Prüfung nicht vorschreibe, durch einen Sachkundigen zu überprüfen gewesen seien.
II.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 SGB VII, die eine Haftungsprivilegierung nach §§ 104, 105 SGB VII rechtfertigen könnte, nicht vor.
1. Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats erfasst der Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein (vgl. Senatsurteile vom 17. Oktober 2000 - VI ZR 67/00, BGHZ 145, 331, 336; vom 24. Juni 2003 - VI ZR 434/01, BGHZ 155, 205, 207 f.; vom 16. Dezember 2003 - VI ZR 103/03, BGHZ 157, 213, 216 f. und vom 17. Juni 2008 - VI ZR 257/06, BGHZ 177, 97 Rn. 19 mwN). § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII ist nicht schon dann anwendbar, wenn Versicherte zweier Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinander treffen. Eine "gemeinsame" Betriebsstätte ist nach allgemeinem Verständnis mehr als "dieselbe" Betriebsstätte; das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfüllt den Tatbestand der Norm nicht. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als "gemeinsame" Betriebsstätte rechtfertigt (vgl. Senatsurteile vom 23. Januar 2001 - VI ZR 70/00, VersR 2001, 372, 373; vom 14. September 2004 - VI ZR 32/04, VersR 2004, 1604 f. und vom 8. Juni 2010 - VI ZR 147/09, VersR 2010, 1190 f.).
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, durch das bloße Aufschließen der Kühlzentrale durch die Mitarbeiter der Klägerin, die telefonische Verständigung der Leitzentrale zum Abschalten der Anlage und die schlichte räumliche Nähe des Zeugen B. zum Explosionsherd sei von einer gemeinsamen Betriebsstätte auszugehen, rechtsfehlerhaft.
a) Die Tätigkeit der beiden Mitarbeiter der Klägerin hatte lediglich vorbereitende Funktion für die Überprüfung der Druckbehälter durch den Beklagten zu 2. Es fehlte sowohl an dem notwendigen Miteinander im Arbeitsablauf als auch an jedwedem wechselseitigen Bezug der betrieblichen Aktivitäten. In der konkreten Unfallsituation handelte es sich um selbständige Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollzogen. Zwar war der Beklagte zu 2 zur Erbringung seiner Arbeiten darauf angewiesen, dass ihm die Kältezentrale von den Mitarbeitern der Klägerin aufgeschlossen wurde und diese eine Abschaltung der Anlage veranlassten. Ein solcher einseitiger Bezug der Tätigkeiten reicht jedoch nicht aus, um das erforderliche Miteinander der Tätigkeiten im Sinne einer gemeinsamen Betriebsstätte gemäß § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII zu begründen (vgl. Senatsurteile vom 17. Oktober 2000 - VI ZR 67/00, aaO S. 335 und vom 16. Dezember 2003 - VI ZR 103/03, VersR 2004, 381).
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegen nach den getroffenen Feststellungen auch keine Anhaltspunkte für eine Gefahrengemeinschaft im Sinne einer wechselseitigen Gefährdungslage vor, wonach sich die Beteiligten aufgrund ihrer Tätigkeiten typischerweise ablaufbedingt "in die Quere kommen" mussten. Allein die räumliche Nähe der voneinander unabhängigen Tätigkeiten der Beteiligten auf derselben Betriebsstätte reicht hierzu nicht aus. Die notwendige Arbeitsverknüpfung kann zwar im Einzelfall auch dann bestehen, wenn die von den Beschäftigten verschiedener Unternehmen vorzunehmenden Maßnahmen sich nicht sachlich ergänzen und unterstützen, die gleichzeitige Ausführung der betreffenden Arbeiten wegen der räumlichen Nähe aber eine Verständigung über den Arbeitsablauf erfordert und hierzu konkrete Absprache getroffen werden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein zeitliches und örtliches Nebeneinander dieser Tätigkeiten nur bei Einhaltung von besonderen beiderseitigen Vorsichtsmaßnahmen möglich ist und die Beteiligten solche vereinbaren (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Juli 2002 - VI ZR 91/02, BGHZ 152, 7, 9; Senatsurteile vom 17. Juni 2008 - VI ZR 257/06, aaO; vom 8. April 2003 - VI ZR 251/02, VersR 2003, 904, 905; vom 13. März 2007 - VI ZR 178/05, VersR 2007, 948 Rn. 22 und vom 8. Juni 2010 - VI ZR 147/09, aaO). Eine solche Verständigung über ein bewusstes Nebeneinander im Arbeitsablauf hat es aber nach den getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gegeben. Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, dass hierfür überhaupt eine Veranlassung bestand. Vielmehr überprüfte der Beklagte zu 2 den Druckbehälter, ohne dass der Zeuge B. in irgendeiner Weise in den Arbeitsablauf eingebunden, daran beteiligt oder auch nur davon berührt worden wäre. Allein der Zeuge B. war neben dem Beklagten zu 2 der Gefahr ausgesetzt, bei einer unsachgemäßen Überprüfung des Druckausgleichsbehälters und einer dadurch verursachten Explosion verletzt zu werden. Die Gefahr, dass der Zeuge B. seinerseits dem Beklagten zu 2 bei seiner zeitgleich ausgeführten anderweitigen Tätigkeit einen Schaden zufügen konnte, war wegen des fehlenden Miteinanders des Arbeitsablaufs rein theoretischer Natur, was nicht ausreicht, um die für eine gemeinsame Betriebsstätte erforderliche typische Gefahrengemeinschaft anzunehmen (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 2010 - VI ZR 147/09, aaO).
3. Da mithin ein sozialversicherungsrechtlicher Haftungsausschluss für den Beklagten zu 2 gemäß §§ 106 Abs. 3, 3. Alt., 104 Abs. 1, 105 Abs. 1 SGB VII nicht in Betracht kommt, scheidet auch die vom Berufungsgericht angenommene Haftungsfreistellung der Beklagten zu 1 nach den Grundsätzen des sogenannten gestörten Gesamtschuldnerausgleichs aus. Das Berufungsgericht wird sich im Rahmen der erforderlichen neuen Verhandlung mit der von ihm - aus seiner Sicht zu Recht - offen gelassenen Frage zu befassen haben, ob die Explosion des Druckbehälters wegen schuldhafter Verletzung von Sorgfaltspflichten des Beklagten zu 2 verursacht worden ist und - wenn dies offen bleibt - Beweiserleichterungen zu Gunsten der Klägerin eingreifen. Hierbei wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich mit dem diesbezüglichen Vorbringen der Revision auseinanderzusetzen.
Galke Wellner Pauge
Stöhr von Pentz