Entscheidungsdatum: 05.12.2017
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 24. April 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 51.148,18 €
I.
Der Kläger macht gegen die Beklagten (Fahrer, Halter, Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrzeugs) Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 11. November 2005 ereignete. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht fest.
Bereits vor dem Unfall, am 29. Juni 2004, war das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet worden.
Der Kläger erlitt bei dem Unfall eine Halswirbelsäulen-Distorsion. Er behauptet, bis heute an den Folgen des Unfalls zu leiden und nur eingeschränkt in der Lage zu sein, seinen Beruf als Bauingenieur auszuüben. Nachdem die Parteien einen Vergleich über die insolvenzbefangenen Ansprüche geschlossen haben, verlangt der Kläger nunmehr noch Verdienstausfall für die Jahre 2006, 2007, 2010 und 2011 in Höhe von rund 32.500 €, Ersatz sonstiger Sachschäden sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden.
Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 289,08 € (zuzüglich Zinsen sowie Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten) stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der er eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens nur für das Jahr 2006 zustehe, nicht aber für die Folgejahre, weil die Beschwerden des Klägers ab 2007 nicht mehr unfallbedingt seien. Das Berufungsgericht ist dabei unter anderem dem in erster Instanz eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Dr. U. gefolgt. Danach habe sich beim Kläger nach der Halswirbelsäulen-Distorsion ein chronifiziertes Kopfschmerzsyndrom im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung entwickelt. Die Kopf- und Nackenschmerzen ließen sich wegen der Heftigkeit der Heckkollision zunächst als Folge der Halswirbelsäulen-Distorsion erklären. Nach der Rehabilitationsmaßnahme von Oktober bis Dezember 2006 sei aber von einer vollständigen Wiederherstellung ausgegangen worden. Das Fortbestehen der Kopfschmerzen ab 2007 sei wesentlich wahrscheinlicher auf die enormen wirtschaftlichen und seelischen Belastungen durch die Überschuldung des Klägers als auf den Unfall zurückzuführen.
2. Der Kläger rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe seinen Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass es auf die von ihm vorgelegte klinisch-psychologische Stellungnahme des Dipl. Psychologen A. zum Gutachten des Sachverständigen Dr. U. nicht eingegangen sei.
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Daraus folgt zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet wäre, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfGE 88, 366, 375 f. mwN). Die wesentlichen, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Gründen aber verarbeitet werden (vgl. BVerfGE 47, 182, 189). Geht ein Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 86, 133, 146; BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 2012 - 1 BvR 1999/09, juris Rn. 13).
b) Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht. Der Kläger hat in der Berufungsbegründung Einwände gegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. U. erhoben und diese mit Schriftsatz vom 12. Juni 2015 durch Vorlage einer 33seitigen klinisch-psychologischen Stellungnahme des Dipl. Psychologen A. zum Gutachten des Sachverständigen Dr. U. konkretisiert (Anlage K 56, GA IV 879-914). Die Stellungnahme erachtet das Gutachten des Sachverständigen Dr. U. in mehreren Punkten für unrichtig und kommt zu dem Ergebnis, dass die anhaltende chronische Schmerzerkrankung des Klägers durch den Unfall ausgelöst wurde. Die Insolvenz sei nicht als Auslöser für den Beginn einer neuen, nunmehr psychisch bedingten Schmerzstörung zu verstehen. Mit diesem als qualifizierter Parteivortrag zu wertenden Vorbringen, das mit zum Kernvorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz zählt, befasst sich das angefochtene Urteil, das die Stellungnahme nicht erwähnt, nicht.
3. Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des durch die Vorlage der Stellungnahme konkretisierten Vorbringens des Klägers und einer womöglich gebotenen Ergänzung der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung aller Umstände des gesamten Falles zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre. Entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung kann die Entscheidungserheblichkeit nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, es fehle jedenfalls an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Die bislang getroffenen Feststellungen tragen weder die Annahme einer Begehrensneurose noch die Annahme eines Bagatellfalls.
Die neue Verhandlung gibt dem Berufungsgericht im Übrigen Gelegenheit, sich gegebenenfalls mit dem weiteren Vorbringen der Parteien im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu befassen.
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