Entscheidungsdatum: 19.07.2011
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts vom 15. Juni 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 119.819,43 €
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten zu 1 (nachfolgend: Beklagter) soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse - wegen unzureichender Aufklärung im Zusammenhang mit einer Wirbelsäulenoperation auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Der Kläger litt unter einer langstreckigen Spinalkanalstenose, die sich über Jahre hinweg entwickelt hatte und sich kontinuierlich verschlechterte. Nachdem sich der Kläger am 22. Juni 2004 beim beklagten Universitätsklinikum zur ambulanten Behandlung vorgestellt hatte, wurde er am 5. Juli 2004 zur Durchführung einer sog. Laminektomie über die Etagen L 2 bis L 5 verbunden mit einer dorsalen Stabilisierung mittels eines Fixateurs intern und einer Platzierung von Cages über die Etagen L 2 bis L 5 aufgenommen. Bei der Laminektomie werden zur Erweiterung des eingeengten Wirbelkanals die Wirbelbögen im Bereich der Wirbelkanalstenose komplett entfernt. Zur Verhinderung einer Deformierung der Wirbelsäule wird eine dorsale Stabilisierung vorgenommen, wobei in den Zwischenräumen zwischen den operierten Wirbelkörpern Implantate (Cages) eingebracht werden. Der Kläger wurde am 5. Juli 2004 über die mit der Operation verbundenen Risiken aufgeklärt. Die Operation fand am Folgetag statt. Sie dauerte neun Stunden; der Kläger verlor 13 Liter Blut. Eine am 14. Juli 2004 erfolgte Röntgenkontrolle ergab keine Hinweise auf eine Dislokation der Implantate. In der Zeit vom 21. Juli bis 11. August 2004 fand eine postoperative Rehabilitationsbehandlung statt. Bei einer routinemäßigen Kontrolle am 30. August wurde ein dislozierter Cage im Segment L 2/3 festgestellt, weshalb der Kläger am 22. September 2004 erneut im beklagten Universitätsklinikum stationär aufgenommen und nochmals operiert wurde. Während dieser Operation kam es zu einem Duraeinriss und damit einhergehend zu einer Einblutung im Wirbelsäulenbereich.
Der Kläger macht geltend, er sei vor Durchführung der Laminektomie nicht hinreichend aufgeklärt worden. Ihm sei insbesondere die Laminoplastie nicht als Behandlungsalternative aufgezeigt worden. Bei der Laminoplastie werden die Wirbelbögen nicht entfernt, sondern durch eine entsprechende Dorsalverlagerung neu positioniert. Einer dorsalen Stabilisierung mittels Cages bedarf es in diesem Fall nicht.
Das Landgericht hat die gegen das beklagte Universitätsklinikum gerichtete Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Nach Einholung schriftlicher Sachverständigengutachten und Anhörung des Gutachters hat es sich davon überzeugt, dass es sich bei der Laminektomie und der Laminoplastie um gleichwertige Behandlungsalternativen handele, über die der Kläger habe aufgeklärt werden müssen. Der unterlassene Hinweis auf die Möglichkeit einer Laminoplastie begründe die Haftung des Beklagten. Ohne den Sachverständigen erneut anzuhören hat das Berufungsgericht auf die Berufung des Beklagten das landgerichtliche Urteil aufgehoben, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist, und hat die Klage abgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
1. Unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist das Berufungsgericht zu der Annahme gelangt, der Kläger habe über die Möglichkeit einer Laminoplastie nicht aufgeklärt werden müssen.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Wahl der Behandlungsmethode zwar primär Sache des Arztes. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordert aber eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinische sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (vgl. Senatsurteile vom 13. Juni 2006 - VI ZR 323/04, BGHZ 168, 103 Rn. 13; vom 15. März 2005 - VI ZR 313/03, VersR 2004, 836 mwN).
b) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht den Kern des Vorbringens des Klägers nicht vollständig berücksichtigt hat und ohne eigene Beweiserhebung zu einem vom Landgericht abweichenden Ergebnis gekommen ist.
aa) Das Landgericht ist nach Anhörung des Sachverständigen von gleichwertigen und aufklärungspflichtigen Behandlungsalternativen ausgegangen. Nachdem der Beklagte in der Berufungsbegründung diese Beurteilung des Landgerichts angegriffen hatte, hat der Kläger in der Berufungserwiderung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen im Rahmen seiner Anhörung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Laminektomie das Risiko von Wirbelsäulendeformierungen ungleich höher sei als bei der Laminoplastie, und dass die Laminektomie deshalb eine, ggf. mehrere Stabilisierungsoperationen zur Platzierung von Cages in den Zwischenräumen zwischen den entfernten Wirbeln bedinge, die mit zusätzlichen bzw. anderen Risiken behaftet seien. Das Risiko einer Cage-Migration, das zu einer signifikanten Einengung des Wirbelkanals führe, stelle ein bekanntes und typisches Risiko der Laminektomie dar. Die mit zusätzlichen Risiken behaftete Stabilisierungsoperation sei bei der Laminoplastie nicht erforderlich, da die Wirbelbögen nicht dauerhaft entfernt würden. Damit hat der Kläger wesentlich unterschiedliche Risiken der Behandlungsalternativen aufgezeigt. Die nur einer der Behandlungsalternativen anhaftende Gefahr einer Migration der implantierten Cages, die die Notwendigkeit einer zweiten Wirbelsäulenoperation nach sich zieht, begründet einen Risikounterschied von erheblichem Gewicht.
bb) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht diesen Sachvortrag des Klägers nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt hat. Vor dem Hintergrund, dass der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Anhörung vor der Kammer am 7. Mai 2008 die Aufklärung des Patienten über die Behandlungsalternativen für erforderlich gehalten und ausgeführt hatte, dass bei der Laminektomie unter Einbringung sog. Cages die Gefahr einer Migration der Implantate bestehe, und sich das Landgericht dieser Beurteilung angeschlossen hatte, hätte das Berufungsgericht nicht ohne jede Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Klägers und ohne erneute Anhörung des Sachverständigen isoliert auf dessen Ausführungen im schriftlichen Gutachten vom 3. März 2008 abstellen und eine Aufklärungspflicht über die Behandlungsalternative der Laminoplastie verneinen dürfen (vgl. Senatsurteil vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 235/92, VersR 1993, 1550).
c) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers eine Aufklärungspflicht über die Möglichkeit einer Laminoplastie angenommen hätte.
Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwendungen des Klägers gegen seine Beurteilung auseinanderzusetzen.
Galke Wellner Pauge
Stöhr von Pentz