Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 22.03.2016


BGH 22.03.2016 - VI ZR 168/14

Anschlussberufung: Voraussetzungen für Anschließung bei Verurteilung zu künftig fällig werdenden Leistungen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
22.03.2016
Aktenzeichen:
VI ZR 168/14
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:220316UVIZR168.14.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Nürnberg, 5. März 2014, Az: 2 U 1142/12vorgehend LG Weiden, 15. Mai 2012, Az: 13 O 565/11
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Die Anwendung von § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO setzt nicht voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse, die der Anschlussberufung zugrunde liegen, seit der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz oder sogar seit Ablauf der gesetzlichen Ausschlussfrist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO geändert haben (Anschluss BGH, Urteil vom 28. Januar 2009, XII ZR 119/07, Rn. 22 ff., NJW 2009, 1271).

2. Ist eine Anschlussberufung hinsichtlich der mit ihr geltend gemachten künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen gemäß § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht verfristet, kann sie auch insoweit nicht wegen Verfristung als unzulässig verworfen werden, als mit ihr zusätzlich Rückstände für die Vergangenheit geltend gemacht werden.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 5. März 2014 im Kostenpunkt mit Ausnahme der Entscheidung über die Kosten erster Instanz und insoweit aufgehoben, als die Anschlussberufung der Klägerin verworfen worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Im Jahr 2005 war die Klägerin von einem Hund der Beklagten umgerissen und dabei verletzt worden. Es wurde rechtskräftig festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall zu ersetzen. Zudem wurden der Klägerin Schadensersatzbeträge wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit und daraus resultierender Haushaltsführungsschäden für die Zeit bis 31. Dezember 2007 zugesprochen.

2

Im Streitfall macht die Klägerin den Ersatz ihres Haushaltsführungsschadens für die Zeit ab Januar 2008 geltend. Mit der Behauptung, auch nach dem 31. Dezember 2007 dauerhaft im Umfang von 10 % in ihrer Fähigkeit, den Haushalt zu führen, beeinträchtigt zu sein, woraus sich ein monatlich zu bezahlender Betrag von 91 € ergebe, hat sie zunächst für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2011 eine Summe von 4.368 € sowie für die Zeit ab Januar 2012 einen monatlich zum Letzten eines Monats zu bezahlenden Betrag von 91 € geltend gemacht. Das Landgericht hat dieser Klage vollumfänglich stattgegeben.

3

Nachdem die Beklagte hiergegen Berufung eingelegt und die Berufung begründet hatte, gab das Berufungsgericht der Klägerin mit am 12. Juli 2012 zugestellter Verfügung auf, binnen drei Wochen auf das Berufungsvorbringen zu erwidern. Im Termin zur mündlichen Berufungsverhandlung vom 5. Dezember 2012 wies das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens der Klägerin nicht auf eine pauschale prozentuale Beeinträchtigung der Haushaltsführungstätigkeit der Klägerin abzustellen sein dürfte. Die Klägerin habe vielmehr vorzutragen, welche konkreten - zuvor erledigten - Arbeiten sie nicht mehr ausführen könne. Mit Schriftsatz vom 12. Februar 2013 trug die Klägerin daraufhin ergänzend vor, schloss sich der Berufung der Beklagten an und beantragte klageerweiternd, die Beklagte dazu zu verurteilen, ihr für die Zeit bis Dezember 2012 insgesamt 25.500 € und für die Zeit ab Januar 2013 monatlich 425 € zu bezahlen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen unter näherer Darlegung der ihr aufgrund des Unfalls nicht mehr möglichen Arbeiten behauptet, monatlich 50 Stunden auf Hilfe angewiesen zu sein.

4

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Anschlussberufung der Klägerin, um die es in der Revisionsinstanz alleine geht, als unzulässig verworfen. Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die Anträge aus ihrer Anschlussberufung weiter.

Entscheidungsgründe

I.

5

Das Berufungsgericht hat in Bezug auf die Anschlussberufung der Klägerin im Wesentlichen ausgeführt, sie sei verspätet eingelegt worden. Nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO sei die Anschließung nur bis zum Ablauf der dem Berufungsgegner zur Berufungserwiderung gesetzten Frist zulässig, die bei Eingang der Anschlussberufung bereits abgelaufen gewesen sei. Ein Anwendungsfall der Ausnahmevorschrift des § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO sei vorliegend nicht gegeben. Denn die Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin, auf die es insoweit ankomme, sei nicht erst nach Ablauf der in § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO genannten Frist eingetreten. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheide aus, weil die Verschlechterung ihres tatsächlichen Zustandes der Klägerin habe bekannt sein müssen, sie also an einer rechtzeitigen Geltendmachung der darauf beruhenden weitergehenden Ansprüche nicht gehindert gewesen sei.

II.

6

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Anschlussberufung der Klägerin nicht verfristet.

7

1. Nach § 524 Abs. 1 ZPO kann sich der Berufungsbeklagte durch Einreichung einer Berufungsanschlussschrift beim Berufungsgericht der Berufung des Berufungsklägers anschließen. Gemäß § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist die Anschließung bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung zulässig. Die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO gilt nach § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO allerdings nicht, wenn die Anschließung eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen zum Gegenstand hat. In diesem Fall ist die Anschließung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung zulässig (BGH, Urteil vom 28. Januar 2009 - XII ZR 119/07, NJW 2009, 1271 Rn. 22; MüKoZPO/Rimmelspacher, 4. Aufl., § 524 Rn. 33; Musielak/Voit, 12. Aufl., § 524 Rn. 11). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzt die Anwendung von § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, von der abzuweichen kein Anlass besteht, nicht voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse, die der Anschlussberufung zugrunde liegen, seit der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz oder sogar seit Ablauf der gesetzlichen Ausschlussfrist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO geändert haben (BGH, Urteil vom 28. Januar 2009 - XII ZR 119/07, NJW 2009, 1271 Rn. 22 ff.; Hk-ZPO/Wöstmann, 6. Aufl., § 524 Rn. 8).

8

2. Damit war die Anschlussberufung der Klägerin jedenfalls insoweit nicht verfristet, als die Klägerin mit ihr klageerweiternd für die Zukunft monatlich 425 € statt der erstinstanzlich zugesprochenen 91 € verlangt. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist dabei unerheblich, ob die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel der Klägerin nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind. Zwar trifft es zu, dass die Anwendung des § 531 ZPO durch die dargestellte weite Auslegung des § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht eingeschränkt wird (BGH, Urteil vom 28. Januar 2009 - XII ZR 119/07, NJW 2009, 1271 Rn. 27). Dass die Frage, welche Angriffs- und Verteidigungsmittel im Hinblick auf die Anschlussberufung nach § 531 Abs. 2 ZPO berücksichtigungsfähig sind, bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Anschlussberufung Bedeutung erlangt, lässt sich der zitierten Entscheidung aber nicht entnehmen. Welche Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz nach § 531 ZPO in Bezug auf die Anschlussberufung berücksichtigt werden können, hat das Berufungsgericht vielmehr erst dann zu beurteilen, wenn es - davon unabhängig - die Zulässigkeit der Anschlussberufung bejaht hat. Schließlich steht der Anwendung von § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO - anders als von der Revisionserwiderung in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat ausgeführt - auch nicht entgegen, dass Gegenstand des vorliegenden Verfahrens keine Abänderungsklage im Sinne des § 323 ZPO ist. Durch die Vorschrift des § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO sollen künftige Abänderungsklagen vermieden werden (Hk-ZPO/Wöstmann aaO; vgl. auch BT-Drucks. 15/3482, S. 18). Diese Zwecksetzung greift, wenn Streitgegenstand ein Anspruch auf künftig fällig werdende wiederkehrende Leistungen ist. Ob der Anspruch bereits in abweichender Höhe tenoriert worden ist und deshalb im Wege der Abänderungsklage geltend gemacht wird oder ob seine erstmalige Tenorierung erstrebt wird, ist dabei nicht von Belang.

9

3. Dass die Anschlussberufung der Klägerin gemäß § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO hinsichtlich der mit ihr geltend gemachten künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen nicht verfristet war, führt dazu, dass sie auch insoweit nicht wegen Verfristung als unzulässig verworfen werden durfte, als die Klägerin mit ihr zusätzlich Rückstände für die Vergangenheit geltend gemacht hat.

10

a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass die Anschlussberufung auch nach Ablauf der Einlegungsfrist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO erweitert werden kann, soweit die Erweiterung durch die fristgerecht eingereichte Anschlussberufungsbegründung gedeckt ist (BGH, Urteil vom 6. Juli 2005 - XII ZR 293/02, BGHZ 163, 324, 326 ff.; Zöller/Heßler, 31. Aufl., § 524 Rn. 10). Begründet wird dies zum einen mit dem Prinzip der prozessualen Waffengleichheit als verfahrensrechtlich gebotenem Erfordernis des Gleichheitssatzes, das bedinge, dass der Berufungsbeklagte im Stande ist, auch auf eine erweiterte Berufung des Gegners reagieren zu können und die Grenzen der Verhandlung mitzubestimmen, zum anderen mit Gründen der Prozessökonomie (BGH aaO, 329). Diese Gründe greifen auch dann, wenn die ursprüngliche Anschlussberufung zwar nicht innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingelegt wurde, sie aber deshalb nicht verfristet ist, weil für sie diese Frist gemäß § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht gilt.

11

b) Danach hätte sich die Klägerin der Berufung der Beklagten also zunächst hinsichtlich der künftig fällig werdenden Beträge anschließen und die Anschlussberufung sodann auf die zurückliegenden Zeiträume erweitern können. Damit war es aber auch zulässig, sich der Berufung der Beklagten von vornherein unbeschränkt anzuschließen.

Wellner                    Offenloch                      Oehler

               Roloff                          Müller