Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 13.12.2016


BGH 13.12.2016 - VI ZR 116/16

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör: Überraschende Abweisung eines Feststellungsantrags wegen Unzulässigkeit


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
13.12.2016
Aktenzeichen:
VI ZR 116/16
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:131216BVIZR116.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Karlsruhe, 4. März 2016, Az: 14 U 181/14vorgehend LG Offenburg, 30. Oktober 2014, Az: 2 O 169/14
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Das Gericht verletzt den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, wenn es - ohne zuvor einen Hinweis auf seine geänderte Auffassung zu geben - einen Feststellungsantrag überraschend mit der Begründung abweist, er sei unklar und könne auch nicht in ausreichend klarer Form gestellt werden. Die Partei muss Gelegenheit erhalten, ihren Klageantrag zu ändern und die Bedenken des Gerichts auszuräumen (Fortführung, Senatsbeschluss vom 6. Juli 2010, VI ZR 177/09).

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 4. März 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Feststellungsantrag der Klägerin abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin zurückgewiesen.

Streitwert: 30.354,76 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten aus übergegangenem Recht gemäß § 116 SGB X Schadensersatz und Feststellung wegen eines Verkehrsunfalls am 6. April 2008, bei dem der als Ersthelfer tätige Geschädigte durch ein bei einer französischen Haftpflichtversicherung versichertes Kraftfahrzeug schwer verletzt wurde. Aufgrund der unfallbedingten Verletzungen gewährt die Klägerin dem Geschädigten seit dem 3. Mai 2010 eine Verletztenrente auf der Grundlage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 60 %. Die Haftung ist dem Grunde nach unstreitig. Vorliegend geht es allein um den von der Klägerin als Erwerbsschaden geltend gemachten Haushaltsführungsschaden.

2

Die Klägerin behauptet, der Geschädigte sei durch den Unfall in seiner Haushaltstätigkeit - soweit Tätigkeiten für die anderen Familienmitglieder, seine Lebensgefährtin und sein am 20. Juli 2009 geborenes Kind, in Rede stünden - in Höhe von 1,38 Stunden pro Tag beeinträchtigt. Hieraus errechne sich ein Haushaltsführungsschaden in Höhe von jährlich 4.968 €, mithin für den Zeitraum vom 3. Mai 2010 bis zum 31. Dezember 2013 ein Betrag in Höhe von 16.444,36 €.

3

Das Landgericht hat der auf Zahlung dieses Betrags sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für den zukünftig entstehenden Haushaltsführungsschaden gerichteten Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

4

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg, soweit sich die Klägerin gegen die Abweisung des Feststellungsantrags wendet und führt insoweit gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Im Übrigen war die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

5

1. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es den Feststellungsantrag überraschend mit der Begründung abgewiesen hat, er sei unzulässig.

6

a) Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör. Das Gericht hat nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO insbesondere dahin zu wirken, dass die Parteien sachdienliche Anträge stellen. Das rechtliche Gehör vor Gericht zum Streitgegenstand einer Klage bezieht sich danach nicht allein auf den Sachverhalt und seinen Vortrag, sondern ebenso auf die sachdienliche Fassung der Klageanträge, mit denen eine Partei vor Gericht verhandelt (Senat, Beschluss vom 6. Juli 2010 - VI ZR 177/09, NJW-RR 2010, 1363 Rn. 3). Ändert das Berufungsgericht im Verlauf des Verfahrens seine der Partei zunächst mitgeteilte Auffassung zur Zulässigkeit eines Klageantrags, muss es ihr einen erneuten Hinweis erteilen. Die Partei muss Gelegenheit erhalten, ihren Klageantrag zu ändern und die Bedenken des Gerichts auszuräumen.

7

b) Den danach gebotenen Hinweis hat das Berufungsgericht der Klägerin nicht erteilt. Es hat ausgeführt, es sei unklar, was die Klägerin festgestellt wissen wolle. Ein Hinweis mit dem Ziel, den Antrag klarzustellen, sei entbehrlich, weil die Klage auch bei Umstellung des Antrags nicht zulässig werde. Sei die Feststellung beabsichtigt, dass der Beklagte den Teil des Haushaltsführungsschadens zu ersetzen habe, der dem Erwerbsschaden zuzurechnen sei, handele es sich um eine abstrakte Rechtsfrage. Solle der Antrag darauf abzielen, die Eintrittspflicht des Beklagten für auf die Klägerin nach § 116 SGB X übergegangene Ansprüche festzustellen, fehle das Rechtsschutzbedürfnis, denn die Haftung dem Grunde nach sei zwischen den Parteien unstreitig.

8

c) Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, hätte das Berufungsgericht - nachdem es zunächst von der Zulässigkeit der Feststellungsklage ausgegangen sei und den Parteien dies auch mitgeteilt habe - ihr den gebotenen Hinweis erteilt, hätte sie die Feststellung beantragt,

"dass [der] Beklagte verpflichtet ist, ihr den Aufwand wegen des seit dem 1.1.2014 entstandenen und künftig noch entstehenden Haushaltsführungsschadens des Geschädigten aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 6.4.2008 zu erstatten, soweit der Ersatzanspruch wegen des Haushaltsführungsschadens des Geschädigten für diesen Zeitraum gemäß § 116 SGB X auf sie übergegangen ist."

9

Zu Recht meint die Klägerin, dass der Feststellungsantrag in dieser Form auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts zulässig ist, § 256 Abs. 1 ZPO. Zwar mag die Haftung des Beklagten dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig sein. Nach den getroffenen Feststellungen hat der Beklagte aber nur den beruflichen Erwerbsschaden des Geschädigten anerkannt und die Klägerin insoweit klaglos gestellt. Seine Ersatzpflicht hinsichtlich etwaiger auf die Klägerin als Teil des Erwerbsschadens übergegangener Haushaltsführungsschäden hat er hingegen ausdrücklich abgelehnt und dadurch sein Anerkenntnis auf einen abgrenzbaren Teil des Schadens beschränkt (vgl. Senat, Urteil vom 29. Oktober 1985 - VI ZR 56/84, MDR 1986, 304 f.). Der Feststellungsantrag soll in Bezug auf diesen abgrenzbaren Schadensposten Klarheit hinsichtlich der grundsätzlichen Einstandspflicht des Beklagten schaffen und die hieraus möglicherweise resultierenden Ersatzansprüche vor einer drohenden Verjährung schützen (vgl. Senat, Urteil vom 28. September 1999 - VI ZR 195/98, MDR 1999, 1439 f.). Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein Ersatzanspruch wegen eines ab dem 1. Januar 2014 entstehenden Haushaltsführungsschadens auf die Klägerin übergegangen ist und von ihr zukünftig geltend gemacht werden könnte.

10

d) Die Gehörsverletzung ist auch erheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht im Hinblick auf den von der Klägerin in der Nichtzulassungsbeschwerde gehaltenen Vortrag seine Ansicht aufgibt, dass ein Feststellungsantrag nicht zulässig gestellt werden könne.

11

2. Im Übrigen war die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision zurückzuweisen, weil sie keine durchgreifenden Zulassungsgründe gegen die Begründung des Berufungsgerichts aufzeigt, dass ein Haushaltsführungsschaden für den Zeitraum vom 3. Mai 2010 bis zum 31. Dezember 2013 nicht ausreichend dargetan ist (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO abgesehen.

Galke      

        

von Pentz      

        

Offenloch

        

Roloff      

        

Müller