Entscheidungsdatum: 17.04.2012
Der Anwalt hat in geeigneter Weise organisatorisch sicherzustellen, dass die den offiziellen Seiten der Gerichte im Internet entnommenen Faxnummern verschiedener Gerichte dem richtigen Vorgang zugeordnet und Rechtsmittelbegründungen an die richtigen Gerichte übermittelt werden.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. Juni 2011 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 155.000 €
I.
Die Klägerin, ein Unfallversicherungsträger, nimmt den Beklagten nach § 110 Abs. 1 SGB VII auf Erstattung der Aufwendungen in Anspruch, die ihr durch den Arbeitsunfall einer bei ihr versicherten Person entstanden sind. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Gegen das ihr am 4. November 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2010 form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung vom 2. Februar 2011 ging nicht innerhalb der bis zum 4. Februar 2011 verlängerten Begründungsfrist, sondern erst am 8. Februar 2011 beim Berufungsgericht (Oberlandesgericht Naumburg) ein, weil sie am letzten Tag der verlängerten Frist um 22:30 Uhr per Telefaxschreiben an das Oberlandesgericht Frankfurt, Zivilsenate Kassel, übermittelt und dann von dort an das Berufungsgericht weitergeleitet worden war.
Das Berufungsgericht hat die Berufung unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist aber im Übrigen unzulässig. Weder der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache noch der der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) liegen vor.
1. Das Berufungsgericht hat die Ablehnung der Wiedereinsetzung wie folgt begründet:
Die Klägerin sei nicht, wie für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO nötig, ohne ihr Verschulden verhindert gewesen, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Die Versäumung der Frist beruhe vielmehr auf einem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, das sie sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse.
Ein Rechtsanwalt müsse bei der Versendung fristwahrender Schriftsätze an ein Gericht für eine notwendige und hinreichende Ausgangskontrolle Sorge tragen. Solle ein fristgebundener Schriftsatz durch Telefax übermittelt werden, so sei in der Regel zum Ausschluss eines sonst den Vorwurf der Fahrlässigkeit rechtfertigenden Verwechslungsrisikos ein Sendebericht zu erstellen und auf etwaige Übermittlungsfehler, insbesondere die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer, zu überprüfen. Dabei könne die Überprüfung der Richtigkeit der Empfängernummer, da es sich um eine Hilfstätigkeit handele, dem geschulten Kanzleipersonal eigenverantwortlich überlassen werden.
Diesen Anforderungen würden die Handlungen und Vorkehrungen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin im konkreten Fall nicht gerecht.
Bereits die Unterzeichnung der Berufungsbegründung, ohne dass diese Name und Adresse des zuständigen Rechtsmittelgerichts nebst notwendiger Angabe der Telefaxnummer enthalten habe, stelle ein fahrlässiges Verhalten der Prozessbevollmächtigten der Klägerin dar, auch wenn sie den Schriftsatz ihrem sonst zuverlässigen, schriftlich eingewiesenen und mit der Erledigung derartiger Dinge seit Langem vertrauten und erfahrenen Ehemann zur Komplettierung des Briefkopfes und Überprüfung der Faxnummer anhand einer amtlichen elektronischen Quelle übergeben habe. Der Sachverhalt veranschauliche nachdrücklich die damit generell verbundenen Risiken, wobei die Gefahr einer Verwechslung der richtigen Telefaxnummer des Adressaten mit einer anderen noch zusätzlich in besonderer Weise dadurch erhöht worden sei, dass der damit als Bürokraft betraute Ehemann der Klägervertreterin neben der Ermittlung der zutreffenden Telefaxnummer auch noch, was von vornherein in Anbetracht der bereits zuvor eingelegten Berufung entbehrlich gewesen sei, das zuständige Rechtsmittelgericht selbständig zu ermitteln oder dessen Anschrift und Faxnummer in den Briefkopf einzutragen und überdies zugleich weitere gleichartige Recherchen zu erledigen gehabt habe.
Unbeschadet dessen liege ein schuldhaft fahrlässiges Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin darin begründet, dass sie ganz allgemein in ihrer entsprechenden Büroanweisung wie auch noch zusätzlich mündlich im konkreten Fall die Überprüfung der Faxnummer im Sendebericht mit der amtlichen Quelle, aus der sie ermittelt wurde, angeordnet habe. Dies habe im vorliegenden Fall dazu geführt, dass der mit der Übermittlung der Berufungsbegründung betraute Ehemann der Klägervertreterin ausweislich seiner eidesstattlichen Versicherung im Internet die Homepage verschiedener anzuschreibender Oberlandesgerichte aufgerufen habe und dabei offensichtlich die Faxnummer des Berufungsgerichts mit der des Oberlandesgerichts Frankfurt, Außenstelle Kassel, verwechselt habe. Für eine Suche nach der zutreffenden Faxnummer im Internet habe hier bereits deswegen keine Veranlassung mehr bestanden, weil bereits die Berufungsschrift vom 3. Dezember 2010 in dieser Sache mit korrekter Adresse und Faxnummer am 4. Dezember 2010 an das Berufungsgericht erfolgreich übermittelt worden sei und überdies die schriftliche Bestätigung des Eingangs der Berufung beim Oberlandesgericht Naumburg mit Angabe der Faxnummer der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugegangen gewesen sei. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei Ausübung der Ausgangskontrolle hätte es daher entsprochen, wenn sie ihrem Büropersonal eine allgemeine Anweisung gegeben hätte, in erster Linie eine bereits in der Akte befindliche Faxnummer des Rechtsmittelgerichts, die bereits erfolgreich verwandt oder von diesem amtlich bestätigt war, zu verwenden und diese auf ihre Korrektheit bei der Übermittlung zu überprüfen. Nur so hätte das besondere Risiko, das generell bei der Auswahl elektronisch ermittelter Daten im Internet und erst recht bei mehreren parallelen Recherchen wie im vorliegenden Fall bestehe, vermieden werden können.
Dementsprechend verlange der Bundesgerichtshof für eine effektive Ausgangskontrolle, dass die Übernahme einer Faxnummer in einen fristgebundenen Schriftsatz auf jeden Fall anhand der Handakte des Rechtsanwalts dahingehend erfolgen müsse, ob sie mit den Angaben in einem Schreiben des Empfangsgerichts übereinstimme. Ob ein bei einer derartigen Aktenkontrolle dem Büropersonal unterlaufender Fehler, weil etwa versehentlich die Faxnummer des erstinstanzlichen statt des zweitinstanzlichen Gerichts verwandt worden sei, die an den Rechtsanwalt bei sonst zuverlässigem Personal zu stellenden Sorgfaltsanforderungen abzumildern vermöge, bedürfe hier keiner Entscheidung. Denn unstreitig habe die Prozessbevollmächtigte der Klägerin keine Anweisung erteilt, die Faxnummer des Rechtsmittelgerichts, soweit möglich, der Akte zu entnehmen oder wenigstens anhand einer dort vorhandenen Nummer zu kontrollieren, sondern sich stattdessen mit der unzulänglichen Anordnung begnügt, die Faxnummer im Sendebericht mit der amtlichen (elektronischen) Quelle, aus der sie ermittelt wurde, abzugleichen. Demgemäß habe sich die Recherche und Ausgangskontrolle ihres Ehemannes auf die Ergebnisse der besonders risikoträchtigen Internetrecherche beschränkt, die angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalles nicht der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entsprochen habe.
2. Gegen die Verweigerung der Wiedereinsetzung wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
a) Die Rechtsbeschwerde meint, der vorliegende Fall werfe die Frage auf, "ob eine amtliche elektronische Quelle - insbesondere: die Internetseite des Gerichts - eine geeignete Quelle zur Ermittlung und Überprüfung der Faxnummer des Gerichts im Rahmen der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze ist".
Die Frage stellt sich in dieser Form nicht. Es spricht nichts dagegen, die Faxnummer eines Gerichts aus einer als zuverlässig erscheinenden Quelle, wie etwa der offiziellen Internetseite des Gerichts, zu ermitteln. Stellt die verantwortliche Stelle der Justiz eine falsche Faxnummer ins Netz, kann eine darauf beruhende Fristversäumung unverschuldet sein. Darum geht es hier aber nicht. Die Klägerin hat die Frist versäumt, weil aufgrund des Aufrufs der Internetseiten mehrerer Gerichte während einer Recherche der Ehemann der Prozessbevollmächtigten der Klägerin irrtümlich die Telefaxnummer eines anderen Gerichts als des Berufungsgerichts zur Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift ausgewählt hat.
Danach wirft der Fall nicht die Frage nach der Zuverlässigkeit amtlich veranlasster Internetseiten auf, sondern die Frage, wie die Verwechslung der Internetseiten mehrerer Gerichte durch eine anwaltliche Büroorganisation verhindert werden kann.
b) Die Rechtsbeschwerde meint, das Berufungsgericht überspanne die Sorgfaltsanforderungen an die Abfassung und Kontrolle fristgebundener Schriftsätze durch den Anwalt, wenn es annehme, dass die Ergänzung von Anschrift und Faxnummer des Gerichts im Briefkopf der Berufungsbegründung durch den Ehemann der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, ihren Büromitarbeiter, sorgfaltswidrig gewesen sei.
Das Berufungsgericht stellt indes nicht in Frage, dass der Rechtsanwalt Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Faxversand fristgebundener Schriftsätze grundsätzlich dem geschulten und zuverlässigen Kanzleipersonal eigenverantwortlich überlassen darf. Dies entspricht auch ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (etwa BGH, Beschlüsse vom 4. April 2007 - III ZB 109/06, VersR 2008, 511 Rn. 7; vom 25. Februar 2010 - I ZB 66/09, juris Rn. 12; vom 12. Mai 2010 - IV ZB 18/08, NJW 2010, 2811 Rn. 9; vom 26. Mai 2011 - III ZB 80/10, juris Rn. 8; vom 14. Oktober 2010 - IX ZB 34/10, NJW 2011, 312 Rn. 6).
Ob in diesem Zusammenhang der Auffassung des Berufungsgerichts zu folgen ist, bereits die Unterzeichnung der Berufungsbegründung durch die Prozessbevollmächtigte, ohne dass der Schriftsatz bereits Name und Adresse des zuständigen Rechtsmittelgerichts nebst notwendiger Angabe der Telefaxnummer enthielt, stelle ein schuldhaftes Verhalten der Prozessbevollmächtigten der Klägerin dar, kann dahinstehen, da die angefochtene Entscheidung jedenfalls durch die Ausführungen des Berufungsgerichts zur unzureichenden Büroorganisation getragen wird. Offen bleiben kann ferner, ob die Kontrolle der gewählten Faxnummer stets anhand der Handakte zu erfolgen hat, wie das Berufungsgericht meint.
c) Entscheidend für die Bejahung eines Organisationsverschuldens ist im vorliegenden Fall Folgendes:
Die von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgetragene Büroorganisation trifft keine Vorsorge gegen die auf der Hand liegende Gefahr, dass bei parallelen Internetrecherchen die auf den verschiedenen Webseiten vorhandenen Daten den falschen Aktenvorgängen zugeordnet werden und diese Zuordnung in der Folge nicht mehr bemerkt wird. Da sich bei einem solchen Verfahren Irrtümer nicht vermeiden lassen, etwa weil die zu einem bestimmten Vorgang geöffneten Seiten ungewollt während der Folgerecherche noch geöffnet sind, ist bei der Übernahme von Daten aus dem Internet eine sorgfältige Überprüfung erforderlich, ob eine zutreffende Übernahme der Daten zum richtigen Vorgang erfolgt ist. Das Büropersonal muss ohnehin stets angewiesen werden, die angegebene Faxnummer noch einmal auf ihre Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - IX ZB 34/10, aaO Rn. 10 mwN). Dem entsprechend hat der Anwalt in geeigneter Weise organisatorisch sicherzustellen, dass die der zuverlässigen Quelle entnommene Faxnummer des Gerichts auch im Fall von Internetrecherchen dem richtigen Vorgang zugeordnet und der Schriftsatz an den richtigen Empfänger übermittelt wird.
d) Da eine derartige Anweisung hier nicht bestand, war die Organisation des Anwaltsbüros der Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Hinblick auf die vorliegende Fallgestaltung unzureichend. Das Berufungsgericht hat deshalb ein der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden der Prozessbevollmächtigten mit Recht bejaht, so dass die begehrte Wiedereinsetzung verweigert werden musste.
Galke Zoll Diederichsen
Pauge von Pentz