Entscheidungsdatum: 20.02.2018
Ein Rechtsanwalt darf regelmäßig erwarten, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn er einen erheblichen Grund vorträgt. Demgemäß besteht keine Verpflichtung, sich innerhalb des Laufs der Berufungsbegründungsfrist beim Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben werde (Anschluss Senatsbeschluss vom 30. Mai 2017, VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rn. 12 mwN).
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2 wird der Beschluss des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. September 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Antrag des Beklagten zu 2 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 90.619 € festgesetzt.
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Gegen das seinem Prozessbevollmächtigen am 26. Mai 2017 zugestellte Urteil hat der Beklagte zu 2 fristgerecht Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 28. Juli 2017 begründet. Mit Beschluss vom 14. September 2017 hat das Berufungsgericht den Beklagten zu 2 darauf hingewiesen, dass seine Berufung nicht innerhalb der am 26. Juli 2017 abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist begründet worden ist. Beklagte zu 2 hat daraufhin mit Schriftsatz vom 20. September 2017 Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt.
Zur Begründung hat der Beklagte zu 2 ausgeführt, sein Prozessbevollmächtigter habe mit Schriftsatz vom 8. Juli 2017 "wegen Arbeitsüberlastung" die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 10. August 2017 beantragt. Dem Wiedereinsetzungsantrag waren beigefügt ein Doppel des Verlängerungsantrags vom 8. Juli 2017 und eine anwaltliche Versicherung seines Rechtsanwalts. Dieser bestätigt darin, den Verlängerungsantrag am 8. Juli 2017 wie in dem beigefügten Doppel gefertigt, selbst ausgedruckt, frankiert und in den nächsten Briefkasten - Briefschlitz für auswärtige Post - geworfen zu haben.
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Ein Verlängerungsantrag sei nicht zu den Akten gelangt. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 habe nicht auf die Bewilligung seines Fristverlängerungsantrags vertrauen dürfen. Er hätte sich spätestens am Tag des ursprünglichen Fristablaufs, also am 26. Juli 2017, über den Erfolg seines Antrags erkundigen müssen.
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Beklagten zu 2 in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in den Erfolg eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist überspannt.
a) Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners auf Antrag um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Zwar muss ein Berufungsführer grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Daher kann er sich im Wiedereinsetzungsverfahren nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in die Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 11; vom 26. Januar 2017 - IX ZB 34/16, NJW-RR 2017, 564 Rn. 10; vom 9. Juli 2009 - VII ZB 111/08, NJW 2009, 3100 Rn. 8; jeweils mwN).
b) Das ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Allgemeinen der Fall, sofern dieser auf erhebliche Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird. Zu den erheblichen Gründen im Sinne dieser Vorschrift zählt insbesondere die Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten (Senatsbeschlüsse vom 30. Mai 2017 - VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rn. 12; vom 24. November 2009 - VI ZB 69/08, VersR 2010, 789, Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 12; vom 26. Januar 2017 - IX ZB 34/16, NJW-RR 2017, 564 Rn. 10). An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung dürfen bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 16. März 2010 - VI ZB 46/09, NJW 2010, 1610 Rn. 7; BGH, Beschluss vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 12).
Daher reicht der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung zur Feststellung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (Senatsbeschlüsse vom 12. November 2013 - VI ZB 4/13, NJW 2014, 700 Rn. 15; vom 16. März 2010 - VI ZB 46/09, NJW 2010, 1610 Rn. 9; BGH, Beschluss vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 13; jeweils mwN). Auf diese höchstrichterliche Rechtsprechung darf der Anwalt regelmäßig vertrauen; die unteren Instanzen dürfen aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht zum Nachteil der betroffenen Parteien strengere Maßstäbe anlegen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. März 2010 - VI ZB 46/09, NJW 2010, 1610 Rn. 7; BGH, Beschluss vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 13).
c) Demgemäß war der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 nicht verpflichtet, sich innerhalb des Laufs der ursprünglichen Berufungsbegründungsfrist bei Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben wurde (Senatsbeschlüsse vom 30. Mai 2017 - VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rn. 12 ff.; vom 16. Oktober 2007 - VI ZB 65/06, VersR 2008, 234 Rn. 9; vom 13. Dezember 2005 - VI ZB 52/05, VersR 2006, 568 Rn. 6; jeweils mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist somit auch begründet.
III.
Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob es das Parteivorbringen für glaubhaft, den vorgetragenen Geschehensablauf also für überwiegend wahrscheinlich (Senatsbeschluss vom 16. August 2016 - VI ZB 19/16, VersR 2016, 1463 Rn. 12; vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 1998 - II ZB 15/97, NJW 1998, 1870; vom 20. März 1996 - VIII ZB 7/96, NJW 1996, 1682; vom 3. März 1983 - IX ZB 4/83, VersR 1983, 491) hält. Die Sache ist daher gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
IV.
Der Antrag des Beklagten zu 2 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren bleibt ohne Erfolg, weil er seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft dargelegt hat (§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Aus den vorgelegten Kontoauszügen ergeben sich Einnahmen, zu denen sich der Antragsteller nicht widerspruchsfrei erklärt hat.
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