Entscheidungsdatum: 16.04.2019
1. Ein Rechtsanwalt muss allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Ist er als Einzelanwalt ohne eigenes Personal tätig, muss er ihm zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall, z.B. durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen, treffen. Durch konkrete Maßnahmen im Einzelfall muss sich der Rechtsanwalt allerdings nur dann vorbereiten, wenn er einen solchen konkreten Ausfall vorhersehen kann.
2. Ein Rechtsanwalt muss, wenn er unvorhergesehen erkrankt, nur das, aber auch alles zur Fristwahrung unternehmen, was ihm dann möglich und zumutbar ist. Die fristwahrenden Maßnahmen eines unvorhergesehen erkrankten Einzelanwalts ohne eigenes Personal können sich darin erschöpfen, die Vertretung, für die er zuvor im Rahmen der ihm obliegenden allgemeinen Vorkehrungen für Verhinderungsfälle Vorsorge zu treffen hatte, zu kontaktieren und um die Beantragung einer Fristverlängerung zu bitten.
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 14. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 4. Oktober 2018 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 14.122,43 €.
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Ersatz des Schadens aus einem Verkehrsunfall in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das am 22. August 2017 zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin rechtzeitig Berufung eingelegt. Nach Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts, dass eine Berufungsbegründung nicht eingegangen sei und die Berufung als unzulässig verworfen werden müsse, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 3. November 2017 wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei spätestens seit dem 17. Oktober 2017 wegen einer akuten Lumboischialgie derart arbeitsunfähig gewesen, dass er nur noch unter starken Schmerzen und Einnahme von Schmerzmitteln täglich maximal zwei bis drei Stunden seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt habe nachgehen können. Er sei daher nicht in der Lage gewesen, sich sachgemäß in den Sach- und Rechtsstand der Berufungsangelegenheit einzuarbeiten und eine zweckmäßige Berufungsbegründung anzufertigen. Erst ab dem 2. November 2017 sei er wieder in der Lage gewesen, sich der Angelegenheit zu widmen.
Mit Beschluss vom 8. November 2017 hat das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Berufung wegen nicht rechtzeitiger Berufungsbegründung als unzulässig verworfen. Hiergegen hat die Klägerin Rechtsbeschwerde eingelegt, mit welcher sie die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags dahingehend ergänzt hat, ihr Prozessbevollmächtigter, der Einzelanwalt sei und keine Bürokraft beschäftige, sei aufgrund seiner Erkrankung lediglich in der Lage gewesen, Post zu öffnen und zu sortieren.
Mit Beschluss vom 24. April 2018 (VI ZB 48/17, VersR 2018, 1212) hat der Senat den Beschluss des Berufungsgerichts aufgehoben, weil dieses vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist über den Antrag entschieden hatte. Für das weitere Verfahren hat der Senat (aaO Rn. 9) darauf hingewiesen, es werde zu berücksichtigen sein, "dass ein Einzelanwalt ohne eigenes Personal ihm zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall, z.B. durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen, zu treffen hat und dass es zu den möglichen und zumutbaren Maßnahmen, die ein unvorhergesehen erkrankter Rechtsanwalt zu treffen hat, auch gehören kann, den Vertreter zu benachrichtigen und diesen zu bitten, einen Fristverlängerungsantrag zu stellen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rn. 7, 10, 11 mwN)".
Unter Bezugnahme auf diesen Hinweis hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts die Klägerin darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, den Wiedereinsetzungsantrag wiederum zurückzuweisen und die Berufung erneut zu verwerfen. Dazu hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten ausführen lassen, dieser habe zum damaligen Zeitpunkt seine Kanzlei in einer Bürogemeinschaft ohne Beteiligung eines anderen Rechtsanwalts betrieben. Ihm hätten auch außerhalb des Büros in der näheren Umgebung keine weiteren Rechtsanwälte zur Seite gestanden, die bereit gewesen seien, das angenommene Mandat zu bearbeiten bzw. einen Fristverlängerungsantrag zu stellen.
Mit Beschluss vom 4. Oktober 2018 hat das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Berufung wegen nicht rechtzeitiger Berufungsbegründung als unzulässig verworfen. Die Darlegungen des Prozessbevollmächtigen reichten für eine unverschuldete Fristversäumnis nicht aus. Es komme nicht entscheidend auf seine Bemühungen im Krisenzeitpunkt an, sondern darauf, dass er bereits zuvor Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall, z.B. durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen, zu treffen gehabt hätte. Dazu fehle jeder Vortrag. Im Übrigen und davon unabhängig sei der Vortrag zu den Bemühungen des Prozessbevollmächtigten, durch einen anderen Anwalt einen Fristverlängerungsantrag stellen zu lassen, ohne hinreichende Substanz. Auch habe der Prozessbevollmächtigte gerade in einer Großstadt wie Hamburg seinen Suchradius über die nähere Umgebung ausweiten oder zumindest die Klägerin unterrichten müssen, um ihr Gelegenheit zu geben, durch Beauftragung eines weiteren Anwalts die drohende Fristversäumnis abzuwenden.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich; insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281 mwN) und rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).
1. Die Zurückweisung des Antrags der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist nicht zu beanstanden.
a) Das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gebietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren (st. Rspr., siehe nur Senatsbeschluss vom 10. April 2018 - VI ZB 44/16, VersR 2018, 1085 Rn. 5 mwN).
b) Davon ausgehend ist die Begründung, mit der das Berufungsgericht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt hat, nicht zu beanstanden. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Klägerin schon nicht dargelegt hat, dass ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigen an der Fristversäumung, das ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, nicht vorliegt.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Er muss seinem Personal die notwendigen allgemeinen Anweisungen für einen solchen Fall geben. Ist er als Einzelanwalt ohne eigenes Personal tätig, muss er ihm zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall, z.B. durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen, treffen (Senatsbeschlüsse vom 10. April 2018 - VI ZB 44/16, VersR 2018, 1085 Rn. 7; vom 6. März 1990 - VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026; BGH, Beschlüsse vom 2. Juni 2016 - III ZB 2/16, NJW-RR 2016, 1022 Rn. 8; vom 26. September 2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rn. 7; vom 18. September 2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rn. 9). Durch konkrete Maßnahmen im Einzelfall muss sich der Rechtsanwalt allerdings nur dann vorbereiten, wenn er einen solchen konkreten Ausfall vorhersehen kann (BGH, Beschlüsse vom 2. Juni 2016 - III ZB 2/16, NJW-RR 2016, 1022 Rn. 8; vom 26. September 2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rn. 7; vom 18. September 2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rn. 9; jeweils mwN). Wird der Rechtsanwalt unvorhergesehen krank, muss er nur das, aber auch alles zur Fristwahrung unternehmen, was ihm dann möglich und zumutbar ist (Senatsbeschlüsse vom 10. April 2018 - VI ZB 44/16, VersR 2018, 1085 Rn. 7; vom 6. März 1990 - VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026; BGH, Beschlüsse vom 2. Juni 2016 - III ZB 2/16, NJW-RR 2016, 1022 Rn. 8; vom 26. September 2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rn. 10; vom 18. September 2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rn. 9). Die fristwahrenden Maßnahmen eines unvorhergesehen erkrankten Einzelanwalts ohne eigenes Personal können sich darin erschöpfen, die Vertretung, für die er zuvor im Rahmen der ihm obliegenden allgemeinen Vorkehrungen für Verhinderungsfälle Vorsorge zu treffen hatte, zu kontaktieren und um die Beantragung einer Fristverlängerung zu bitten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Februar 2019 - VI ZB 43/18, zVb, Rn. 10; vom 10. April 2018 - VI ZB 44/16, VersR 2018, 1085 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 26. September 2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rn. 11). Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht mithin differenzierte Anforderungen einerseits für allgemeine vorausschauende Vorkehrungen für den Krankheitsfall und andererseits für konkrete Maßnahmen im bereits eingetretenen Krankheitsfall vor (BGH, Beschluss vom 2. Juni 2016 - III ZB 2/16, NJW-RR 2016, 1022 Rn. 8).
bb) Wie vom Berufungsgericht zutreffend festgestellt fehlt in dem Vorbringen zum Wiedereinsetzungsgesuch jeder Vortrag dazu, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin allgemeine Vorkehrungen für einen unvorhergesehenen Krankheitsfall, etwa durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen, getroffen hätte, den er dann im Krankheitsfall nur noch hätte kontaktieren und um die Beantragung der Fristverlängerung bitten müssen. Nachdem bereits der Senat im ersten Rechtsbeschwerdeverfahren mit Beschluss vom 24. April 2018 auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen und ergänzend auf den Beschluss des Bundesgerichtshof vom 26. September 2013 (V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rn. 7, 10, 11) Bezug genommen hat, in welchem die Verletzung der Pflicht, allgemeine Vorkehrungen für einen Krankheitsfall zu treffen, entscheidungserheblich war, und das Berufungsgericht seinerseits auf den Hinweis des Senats Bezug genommen hat, bedurfte es entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde keines weiteren Hinweises auf die Notwendigkeit, die getroffenen allgemeinen Vorkehrungen darzulegen. Schon deshalb ist der neue Vortrag in der Rechtsbeschwerdebegründung, der "generell vertretungsbereite Kollege" habe "zum damaligen Zeitpunkt wegen Abwesenheit nicht zur Verfügung" gestanden, nicht berücksichtigungsfähig.
cc) Zutreffend ist ferner die selbständig tragende Hilfsbegründung des angefochtenen Beschlusses dazu, dass der Vortrag zu den getroffenen Maßnahmen in dem dann eingetretenen Krankheitsfall nicht ausreicht. Die Behauptung, dass keine Rechtsanwälte zur Seite standen, die zur Stellung eines Fristverlängerungsantrags bereit waren, impliziert, dass diesbezügliche Bemühungen unternommen wurden. Welche das waren, lässt der Vortrag nicht erkennen. Richtig ist weiter die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass in einer Großstadt wie Hamburg der Suchradius über die nähere Umgebung hinaus hätte ausgeweitet werden müssen. Dies gilt umso mehr, als der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bei Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bereits eine Woche krank war. Keinen Erfolg hat der Einwand der Rechtsbeschwerde, dass das Berufungsgericht aufgrund der geschilderten Schwere der Erkrankung hätte erkennen können, dass dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Suche nach einer Vertretung erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist (also nach dem 23. Oktober 2017) zumutbar gewesen sei. Sein Vortrag, dass er während seiner Krankheit täglich maximal zwei bis drei Stunden seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt habe nachgehen können, lässt eine Suche selbst dann nicht als unzumutbar erscheinen, wenn er in dieser Zeit, wie er nachgetragen hat, lediglich Post öffnete und sortierte. Es wäre Sache der Klagepartei gewesen, spätestens auf den Hinweis des Berufungsgerichts vom 18. Juni 2018 hin vorzutragen und glaubhaft zu machen, weshalb die Suche nach einem Vertreter dennoch unzumutbar gewesen sein soll. Stattdessen wurde in der Stellungnahme auf diesen Hinweis der Eindruck erweckt, es habe eine Suche stattgefunden, diese sei nur nicht erfolgreich gewesen.
dd) Auf die Frage, ob das Berufungsgericht die Klägerin auf seine Rechtsansicht hätte hinweisen müssen, dass ihr Prozessbevollmächtigter sie von der Erkrankung hätte in Kenntnis setzen müssen, kommt es nach alledem nicht an. Damit ist auch nicht entscheidend, ob der neue Vortrag in der Rechtsbeschwerdebegründung, dass die Klägerin nicht erreichbar gewesen sei, weil sie in dieser Zeit ihr Mobiltelefon nicht genutzt und über keine E-Mail-Anschrift verfügt habe, berücksichtigungsfähig wäre.
2. Da die Berufungsbegründung nicht rechtzeitig eingegangen ist, hat das Berufungsgericht die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen.
von Pentz |
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