Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 15.09.2015


BGH 15.09.2015 - VI ZB 37/14

Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Anwaltliche Eigensorgfalt bei der Fristenkontrolle


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
15.09.2015
Aktenzeichen:
VI ZB 37/14
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Hamm, 27. Februar 2014, Az: I-6 U 193/13vorgehend LG Essen, 11. Oktober 2013, Az: 11 O 483/05
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Ein Rechtsanwalt muss den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden. Dazu muss er gegebenenfalls veranlassen, ihm die Handakten vorzulegen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 27. Februar 2014 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 325.604,34 €.

Gründe

I.

1

Dem Kläger ist das Urteil des Landgerichts am 28. Oktober 2013 zugestellt worden. Gegen dieses Urteil hat er am 28. November 2013 Berufung eingelegt. Die Meldung der Prozessbevollmächtigten der Gegenseite ist ihm am 16. Januar 2014 zugestellt worden und der Hinweis des Oberlandesgerichts vom 13. Januar 2014, dass innerhalb der Berufungsbegründungsfrist keine Berufungsbegründung vorgelegt worden sei, am 17. Januar 2014. Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2014 hat er am 24. Januar 2014 beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat zu verlängern. Am 28. Januar 2014 ist der Schriftsatz vom 25. Januar 2014 mit der Berufungsbegründung und einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Oberlandesgericht eingegangen.

2

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages macht der Kläger geltend, die Berufungsbegründungsfrist sei ohne ein ihm zurechenbares Verschulden seines in L.  /Österreich ansässigen, aber auch in Deutschland zugelassenen Prozessbevollmächtigten versäumt worden. Wie bei Rechtsstreitigkeiten vor deutschen Gerichten bei ihm üblich, habe sein Prozessbevollmächtigter die Fristeintragung persönlich veranlasst und im Terminkalender eingetragen. Anlässlich der Postbesprechung in seiner Kanzlei am 30. Oktober 2013 habe er die Frist für die Berufungseinlegung für den 28. November 2013 im Kalender eingetragen. Die Frist zur Berufungsbegründung sei ebenfalls zutreffend berechnet worden. Ihm sei aber der Fehler unterlaufen, diese Frist nicht für den 28. Dezember 2013 im Kalender vorzumerken, sondern erst für den 28. Januar 2014 im Terminkalender einzutragen. Der Grund für diesen Fehler liege darin, dass er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden habe. Kurz vor der Postbesprechung habe er durch ein mit seiner Frau geführtes Telefonat erfahren, dass sein jüngster Sohn kurz zuvor einen Grandmal-Anfall erlitten habe, der nur mit einem Notfallmedikament habe gestoppt werden können; die Zukunftsperspektive seines erkrankten Sohnes sei sehr negativ.

3

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger müsse sich die von seinem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumung zurechnen lassen. Zwar könne das Versäumnis eines Prozessbevollmächtigten als unverschuldet gewertet werden, wenn es auf einem durch Krankheit verursachten Erregungszustand, auf einer krankheitsbedingten Fehleinschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit oder einer besonderen persönlichen Belastungssituation durch Todesfälle naher Angehöriger oder befreundeter Kollegen beruhe. Derartige besondere Umstände hätten das Fristversäumnis jedoch nicht, jedenfalls nicht allein verursacht. Bei der Frist, deren Falscheintragung der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 30. Oktober 2013 vorgenommen habe, habe es sich nicht um eine unaufschiebbare Maßnahme gehandelt und er hätte diese zurückstellen können. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte irrtümlich gemeint haben sollte, trotz seiner momentanen Erregung zuverlässig arbeiten zu können, hätte es nahegelegen, bei der weiteren Bearbeitung des Rechtsmittelauftrags nach dem 30. Oktober 2013, also nachdem die Störung der Aufmerksamkeit geendet hatte, die in der jedenfalls im Rückblick offensichtlichen Ausnahmesituation vorgenommenen Maßnahmen noch einmal zu kontrollieren.

4

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach zutreffend entschieden hat.

6

2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt, weil er sich ein eigenes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der Fristversäumung gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Zutreffend hat das Berufungsgericht ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten darin gesehen, dass er bei der weiteren Bearbeitung des Rechtsmittelauftrags nach dem 30. Oktober 2013, also nachdem die Störung der Aufmerksamkeit geendet hatte, nicht mehr geprüft hat, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist.

7

Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Rechtsanwalt die Prüfung des Fristablaufs im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Sache nachprüfen muss, wenn ihm diese zur Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird. Nach den zur anwaltlichen Fristenkontrolle entwickelten Grundsätzen hat der Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Fristen zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt werden. Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt werden, beschränkt sich dabei nicht nur auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist, die nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnt und deren Ablauf daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits feststeht. Mit der anwaltlichen Verpflichtung, alle zumutbaren Vorkehrungen gegen Fristversäumnisse zu treffen, wäre nicht zu vereinbaren, wenn sich der Anwalt bei der im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung der Fristnotierung auf die Berufungsfrist beschränken und die Prüfung der bereits feststehenden Berufungsbegründungsfrist aussparen wollte. Er hat daher bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungsschrift auch zu prüfen, dass die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Mai 2011 - VI ZB 4/11, juris Rn. 6; BGH, Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 47/14, NJW 2014, 3452 Rn. 8, 10; Beschlüsse vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03, FamRZ 2004, 1183 f.; vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03, NJW-RR 2005, 498, 499).

8

Hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei Fertigung der am 28. November 2013 bei Gericht eingegangenen Berufungsschrift kontrolliert, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist, hätte er bemerken können, dass ihm am 30. Oktober 2013 insoweit ein Fehler unterlaufen ist und die fehlerhafte Notierung der Frist auf den 28. Januar 2014 im Terminkalender korrigieren können. Soweit sein Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag und mit der Rechtsbeschwerde dahin zu verstehen sein sollte, dass ihm bei Fertigung der Berufungsschrift eine Handakte nicht und vielmehr erst aufgrund der auf den 21. Januar 2014 notierten Vorfrist - auch mit den bereits am 16. Dezember 2013 in seiner Kanzlei eingetroffenen Unterlagen - vorgelegt wurde, läge bereits insoweit ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten vor (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 47/14, NJW 2014, 3452 Rn. 8, 10 mwN).

9

3. Da mithin dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.

Galke                       Wellner                        Stöhr

             Oehler                           Roloff