Entscheidungsdatum: 14.03.2017
Eine Berufung ist nicht ordnungsgemäß durch einen Anwalt begründet, wenn dieser eine von einem Dritten entworfene Berufungsbegründung unterzeichnet, dabei jedoch durch einen distanzierenden Zusatz deutlich macht, dass er nicht die volle Verantwortung für den gesamten Inhalt des Schriftsatzes übernimmt.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 25. Juli 2016 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 95.000 € festgesetzt.
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten auf materiellen und immateriellen Schadensersatz aus ärztlicher Behandlung in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen legte der Kläger durch Schriftsatz seines damaligen Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt V., Berufung ein. Die Frist zur Berufungsbegründung wurde mehrfach verlängert, zuletzt bis zum 17. Dezember 2015. Mit Schreiben vom 12. November 2015 legte der Kläger persönlich dem Berufungsgericht den selbstgefertigten Entwurf einer Berufungsbegründung vor. Als Anlage übermittelte er ein an ihn gerichtetes Schreiben von Rechtsanwalt V. vom 11. November 2015. In diesem Schreiben führte Rechtsanwalt V. aus, er habe die Akte und die vom Kläger entworfene Berufungsbegründung geprüft, sehe sich aber aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten sowie der vom Kläger erhobenen Vorwürfe einer vorsätzlichen Körperverletzung durch die Beklagten nicht in der Lage, die Berufung durchzuführen. Wörtlich heißt es: "Sie behaupten, die behandelnden Ärzte haben Sie vorsätzlich an der Gesundheit geschädigt. Ich halte diese Behauptung auch nach genauem Studium der Akte für nicht zutreffend und kann guten Gewissens diese Behauptung weder aufstellen noch vertreten. Ich habe Sie in diesem Zusammenhang auch auf die strafrechtliche Relevanz ihrer Behauptungen hinzuweisen." Am 25. November 2015 teilte Rechtsanwalt V. dem Berufungsgericht mit, den Kläger nicht länger zu vertreten. Mit Schreiben vom 27. November 2015 übersandte der Kläger dem Berufungsgericht eine "verbesserte" Fassung seines Entwurfs einer Berufungsbegründung, wobei die von Rechtsanwalt V. beanstandeten Passagen inhaltlich unverändert blieben. Als Anlage übermittelte der Kläger eine an ihn gerichtete Email von Rechtsanwalt V. vom 25. November 2015, in der dieser ihn erneut darauf hinwies, dass er die Berufung aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten und der vom Kläger erhobenen Vorwürfe einer vorsätzlichen Körperverletzung nicht durchführen werde.
Am 17. Dezember 2015, mithin am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist, reichte Rechtsanwalt V. eine 16-seitige Berufungsbegründung ein. Das Eingangsblatt mit den Anträgen sowie drei Schlusssätze hatte Rechtsanwalt V. selbst verfasst, die übrigen Seiten entstammen dem vom Kläger gefertigten Entwurf. Die von Rechtsanwalt V. unterzeichnete Berufungsbegründung lautet in den von ihm gefertigten Passagen wie folgt:
"In Sachen … hat mir der Kläger am 16. Dezember 2015 mitgeteilt, dass er keinen Rechtsanwalt gefunden habe, der bereit gewesen sei, die Berufung zu begründen. Der Kläger hat mich aufgefordert, die Berufung zu begründen.
Nach Wiederaufnahme des Mandats wird namens und in Vollmacht des Klägers - und auf ausdrückliche Weisung des Klägers - beantragt, …
Begründung:
Der Kläger lässt vortragen:
" … " [es folgt die vom Kläger entworfene, durch ihr Schriftbild vom Anwaltsschreiben deutlich abgesetzte und in Anführungszeichen gesetzte Berufungsbegründung im Wortlaut]
Die in Bezug genommenen Anlagen liegen dem Gericht bereits vor.
Soweit die Berufungsbegründung den Verdacht einer Straftat enthält, so handelt es sich hierbei um Schlussfolgerungen aus Indizientatsachen, die ohne Anzeichen der Mutwilligkeit oder wider besseren Wissens aufgestellt werden.
Dieser Hinweis erscheint mir als Prozessbevollmächtigter des Klägers notwendig."
Das Berufungsgericht hat die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Die statthafte (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2015 - VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 5 mwN), sind nicht erfüllt. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich; insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281 mwN).
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, Rechtsanwalt V. habe sich von dem Inhalt der von ihm unterschriebenen Berufungsbegründung distanziert und damit deutlich gemacht, dass er dafür nicht die volle Verantwortung übernehme. Dies folge aus seinen einleitenden und abschließenden eigenen Anmerkungen, auch habe er die Ausführungen des Klägers in Anführungszeichen gesetzt. Insgesamt habe Rechtsanwalt V. mit der gebotenen Eindeutigkeit zu erkennen gegeben, dass er nur eine fremde Erklärung, nämlich die des Klägers, habe übermitteln wollen. Dieses Ergebnis werde bestätigt durch die mit dem Kläger zuvor geführte Korrespondenz, die dieser dem Berufungsgericht zur Kenntnis gegeben habe. Danach seien es neben der fehlenden Erfolgsaussicht insbesondere die in den Ausführungen des Klägers enthaltenen strafrechtlichen Vorwürfe gewesen, die Rechtsanwalt V. abgelehnt habe und die es ihm unmöglich gemacht hätten, die Berufung für den Kläger zu führen und die in der vorformulierten Begründung des Klägers enthaltene Behauptung aufzustellen und zu vertreten.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Mit den Regelungen über den Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 ZPO) und über den notwendigen Inhalt einer Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 3 ZPO) soll erreicht werden, dass ein mit dem Verfahren vertrauter Rechtsanwalt dem Gericht und dem Gegner den Sachverhalt unter bestimmter Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Anfechtungsgründe nach persönlicher Durcharbeitung des Prozessstoffes vorträgt. Die Berufungsbegründung muss deshalb Ergebnis der geistigen Arbeit des Berufungsanwalts sein (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 1988 - IVb ZR 5/88, NJW 1989, 394, 395; Beschluss vom 23. Juni 2005 - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709). Zwar ist der Anwalt nicht gehindert, die Berufungsbegründung von anderen Personen, etwa von einem Referendar, vorbereiten zu lassen. Erforderlich ist aber, dass der unterzeichnende Anwalt die Berufungsbegründung selbständig prüft und aufgrund der Prüfung die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt (BGH, Urteil vom 19. Oktober 1988 - IVb ZR 5/88, NJW 1989, 394, 395; Beschluss vom 24. Januar 2008 - IX ZB 258/05, NJW 2008, 1311 Rn. 5).
b) Aus Gründen der Rechtssicherheit begnügt sich das Gesetz hinsichtlich dieser Anforderungen allerdings mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift, ohne einen darüber hinausgehenden Nachweis zu fordern, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet hat und die Verantwortung für dessen Inhalt tragen will (§ 520 Abs. 5 i.V.m. § 130 Nr. 6 ZPO). Für ein Berufungsgericht besteht deshalb in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1989 - VII ZR 223/88, NJW 1989, 3022, 3023; Beschluss vom 24. Januar 2008 - IX ZB 258/05, NJW 2008, 1311 Rn. 6).
Ausnahmen von diesem Grundsatz werden von der Rechtsprechung für zwei Fallgruppen anerkannt, nämlich zum einen, wenn der Anwalt sich durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziert, und zum anderen, wenn nach den Umständen außer Zweifel steht, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen, unterschrieben hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1997 - VIII ZR 141/97, NJW-RR 1998, 574, 575; Beschlüsse vom 23. Juni 2005 - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709; vom 24. Januar 2008 - IX ZB 258/05, NJW 2008, 1311 Rn. 7). Zur erstgenannten Fallgruppe rechnen insbesondere von Dritten entworfene Rechtsmittelbegründungen, die der Prozessbevollmächtigte nur rein formal unterzeichnet, dabei jedoch durch einen Zusatz deutlich macht, dass er die volle Verantwortung für den gesamten Inhalt des Schriftsatzes ablehnt (BGH, Urteil vom 28. März 1969 - I ZR 100/67, VersR 1969, 617; Beschluss vom 21. Mai 1954 - IV ZB 28/54, JR 1954, 463; RGZ 65, 81, 84 f.).
c) Nach diesen Grundsätzen ist die Berufung hier auch bei der gebotenen rechtsschutzfreundlichen Auslegung (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 - II ZR 305/14, NZG 2016, 1032 Rn. 12) von Form und Inhalt des Schriftsatzes vom 17. Dezember 2015 nicht in zulässiger Weise begründet worden.
Rechtsanwalt V. hat die vom Kläger entworfene Berufungsbegründung zwar in sein eigenes Schreiben hineinkopiert und unterzeichnet, zugleich aber deutlich gemacht, dass er den Inhalt des Begründungsschriftsatzes nicht verantwortet und sich insbesondere die darin enthaltenen strafrechtlich relevanten Vorwürfe an die Gegenseite nicht zu eigen macht. Jedenfalls in der Gesamtschau der von Rechtsanwalt V. gewählten distanzierenden Stilmittel - Stellen der Anträge "auf ausdrückliche Anweisung des Klägers", Einleiten der vom Kläger übernommenen Begründung mit dem Satz, der Kläger lasse vortragen, Setzen der vom Schriftsatz im Übrigen zusätzlich optisch klar abgesetzten Ausführungen des Klägers in Anführungszeichen und der abschließenden Relativierung der zuvor in Anführungszeichen wiedergegebenen strafrechtlich relevanten Vorwürfe - tritt zweifelsfrei zu tage, dass Rechtsanwalt V. die übermittelte Berufungsbegründung nach erfolgter Prüfung gerade nicht in der erforderlichen Weise als eigene und von ihm selbst vollständig zu verantwortende geistige Leistung verstanden wissen will, sondern dass er jedenfalls in Teilen von ihm nicht geteilte Einschätzungen seines Mandanten lediglich überbringt.
Da sich die Unzulässigkeit der Berufung nach all dem schon aus dem Berufungsbegründungsschriftsatz vom 17. Dezember 2015 selbst ergibt, kann offen bleiben, ob die dem Berufungsgericht vom Kläger zur Kenntnis gebrachte vorherige Korrespondenz zwischen Rechtsanwalt V. und dem Kläger ergänzend herangezogen werden kann, wie es das Berufungsgericht bestätigend getan hat (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 5. November 1987 - V ZR 139/87, NJW 1988, 210 einerseits, Beschluss vom 26. April 2012 - VII ZB 83/10, NJW-RR 2012, 1139 Rn. 11 ff. andererseits).
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