Entscheidungsdatum: 20.11.2018
Beauftragt der Prozessbevollmächtigte einer Partei einen anderen Rechtsanwalt damit, eine Berufungsschrift zu erstellen, zu unterschreiben und wegen des mit Ende des Tages eintretenden Ablaufs der Berufungsfrist an das Berufungsgericht zu faxen, unterlässt es der beauftragte Rechtsanwalt dann aber versehentlich, die von ihm erstellte und unterschriebene Berufungsschrift per Fax an das Berufungsgericht zu versenden, so ist das darin liegende Verschulden des beauftragten Rechtsanwalts der Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheidet in diesem Fall aus.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 50. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 17. Juli 2017 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt bis zu 2000 €.
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte mit der Behauptung auf Schadensersatz in Anspruch, sie habe sein Auto als dessen Fahrerin aufgrund eines Fahrfehlers beschädigt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18. April 2017 zugestellte Urteil wurde am Freitag, dem 19. Mai 2017, Berufung eingelegt. Die auf den 18. Mai 2017 datierte Berufungsschrift wurde dabei nicht vom Prozessbevollmächtigten des Klägers selbst unterzeichnet, sondern von Rechtsanwalt M., der mit dem Prozessbevollmächtigten in Bürogemeinschaft tätig ist.
Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2017 hat der Kläger beantragt, ihm hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung hat er insbesondere ausgeführt, sein Prozessbevollmächtigter, der seine Kanzlei vollständig alleine und ohne fremde Arbeitsleistung betreibe, habe am 25. April 2017 bei einem Motorradunfall eine schwere Knieverletzung erlitten. Sein Prozessbevollmächtigter sei deshalb vom 3. bis zum 10. Mai 2017 stationär im Krankenhaus und dann noch bis 31. Mai 2017 krank geschrieben gewesen. Ein Vertreter sei nicht bestellt worden, weil sein Prozessbevollmächtigter nicht länger als eine Woche an der Ausübung seines Berufs gehindert gewesen sei. Sowohl in der Zeit vom 27. April bis zum 2. Mai 2017 als auch am 10. Mai 2017 habe er etwa ein bis zwei Stunden täglich in seiner Kanzlei arbeiten können, in der Zeit vom 11. bis mindestens 19. Mai 2017 in der Regel etwa zwei bis vier Stunden pro Tag. Erst dann habe er sich wegen auftretender Schmerzen jeweils wieder nach Hause begeben müssen, um das rechte Bein über das Herzniveau hinaus hochzulagern. Am 18. Mai 2017 habe sein Prozessbevollmächtigter - so der Kläger weiter - seine Arbeit nach ungewöhnlich kurzer Zeit, nämlich bereits nach einer Stunde, wegen rascher als sonst auftretender Schmerzen wieder einstellen und mit dem Taxi nach Hause fahren müssen. In dieser Stunde habe er die Berufungsschrift nicht angefertigt, weil er andere, mindestens ebenso wichtige Arbeiten zu erledigen gehabt habe und im Übrigen habe darauf vertrauen dürfen, dass im Notfall der mit ihm in (bloßer) Bürogemeinschaft tätige Rechtsanwalt M. einspringen werde, wie dieser es schon hunderte Male zuvor getan habe. Gegen 16 Uhr habe sein Prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt M. dann auch telefonisch gebeten, den Berufungsschriftsatz zu fertigen und ihn vorab per Telefax an das Gericht zu senden, weil es sich - was er Rechtsanwalt M. ausdrücklich mitgeteilt habe - um den letzten Tag der Berufungsfrist handele. Beides habe Rechtsanwalt M., der noch bis 22 Uhr in der Kanzlei habe bleiben wollen, zugesagt. Rechtsanwalt M. habe den Schriftsatz dann auch gefertigt, ihn aber aufgrund eines Versehens nicht per Telefax an das Landgericht übersandt, was sein Prozessbevollmächtigter erst am 19. Mai 2017 bei Durchsicht der Faxprotokolle festgestellt habe.
Das Landgericht hat die Berufung des Klägers unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Versäumung der Berufungsfrist sei auf ein dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden des von ihm beauftragten Prozessbevollmächtigten zurückzuführen. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten liege bereits darin, dass dieser am 18. Mai 2017 nicht zunächst die notfristgebundenen Geschäfte wie die Einlegung der Berufung im Streitfall erledigt, sondern andere Tätigkeiten vorgezogen habe, bezüglich derer der Kläger nicht dargelegt habe, dass sie ebenfalls notfristgebunden gewesen seien. Unabhängig davon sei ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers aber auch darin zu sehen, dass er den von ihm mit der Fertigung der Berufungsschrift und ihrer Absendung per Fax beauftragten Rechtsanwalt nicht hinreichend überwacht habe. Allein die Anweisung, die Berufungsschrift dem Berufungsgericht noch am 18. Mai 2017 per Fax zuzuleiten, reiche nicht. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers sei vielmehr gehalten gewesen, ausreichende Sicherheitsvorkehrungen dahingehend zu treffen, dass die Weisung nicht in Vergessenheit gerate und die zu treffende Maßnahme unterbleibe. So hätte er beispielsweise noch am späten Abend des 18. Mai 2017 bei Rechtsanwalt M. nachfragen können, ob dieser die Berufungsschrift tatsächlich gefertigt und an das Berufungsgericht gefaxt habe.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts insbesondere auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die Begründung der Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags im angefochtenen Beschluss den Kläger in seinem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz verletzt.
1. Das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gebietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 10. April 2018 – VI ZB 44/16, NJW-RR 2018, 1210 Rn. 5, mwN). Gegen dieses Gebot hat das Berufungsgericht im Streitfall nicht in entscheidungserheblicher Weise verstoßen.
2. Offen bleiben kann dabei, ob dem Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - wie das Berufungsgericht meint - schon deshalb zu versagen ist, weil die Versäumung der Berufungsfrist auf einem dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbaren Verschulden seines unmittelbar beauftragten Prozessbevollmächtigten beruht. Denn jedenfalls beruht sie auf einem Verschulden von Rechtsanwalt M., das dem Kläger ebenfalls zuzurechnen ist.
a) Dass Rechtsanwalt M. schuldhaft handelte, als er es in Kenntnis der mit Ablauf des 18. Mai 2017 endenden Berufungsfrist unterließ, die von ihm erstellte Berufungsschrift noch an diesem Tag an das Berufungsgericht zu faxen, steht außer Frage und wird auch vom Kläger nicht bezweifelt.
b) Dieses Verschulden ist dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
aa) Der mit dem Prozessbevollmächtigten in bloßer Bürogemeinschaft tätige Rechtsanwalt ist allerdings nicht allein aufgrund dieses Umstands Bevollmächtigter der Partei des eigentlich Prozessbevollmächtigten im Sinne von § 85 Abs. 2 ZPO (vgl. nur BGH, Urteil vom 9. November 1978 - VII ZR 145/78, VersR 1979, 160; BayObLG, MDR 1988, 683; BeckOK ZPO/Piekenbrock, 29. Ed. 1.7.2018, ZPO § 85 Rn. 21; Hk-ZPO/Bendtsen, 7. Aufl., § 85 Rn. 15; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl., § 85 Rn. 12; Zöller/Althammer, ZPO, 32. Aufl., § 85 Rn. 20). Ist er vom Prozessbevollmächtigten im konkreten Fall unterbevollmächtigt worden, gilt aber jedenfalls dann anderes, wenn ihm die Sache nach den gesamten Umständen des Einzelfalles zur selbständigen Bearbeitung und nicht nur in Bezug auf untergeordnete Hilfstätigkeiten zugewiesen worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Januar 2004 - VI ZB 39/03, NJW-RR 2004, 993; BGH, Beschlüsse vom 9. Juni 2004 - VIII ZR 86/04, NJW 2004, 2901, 2902; vom 30. März 1993 - X ZB 2/93, NJW-RR 1993, 892, 893; vom 19. Dezember 1983 - II ZB 6/83, VersR 1984, 239; vom 8. März 1978 - IV ZB 61/77, VersR 1978, 665; MükoZPO/Toussaint, 5. Aufl., § 85 Rn. 14 f; Zöller/Althammer, ZPO, 32. Aufl., § 85 Rn. 18; weitergehend wohl BeckOK ZPO/Piekenbrock, 30. Ed. 15.9.2018, ZPO § 85 Rn. 19). Ein dem Unterbevollmächtigten im Rahmen seiner in Untervollmacht erbrachten Tätigkeit (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 23. November 1978 - II ZB 7/78, VersR 1979, 255) vorzuwerfendes Verschulden ist in einem solchen Fall der Partei über § 85 Abs. 2 ZPO direkt zuzurechnen.
bb) Nach diesen Grundsätzen ist dem Kläger das Rechtsanwalt M. im Zusammenhang mit der Berufungseinlegung vorzuwerfende Verschulden gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Mit dem Rechtsanwalt M. vom eigentlichen Prozessbevollmächtigten erteilten Auftrag, die Berufungsschrift zu erstellen, zu unterschreiben und dann - vorab per Fax - an das Berufungsgericht zu senden, wurde ihm jedenfalls konkludent Untervollmacht zur Einlegung der Berufung erteilt. Als wesentliche Prozesshandlung ist die Einlegung der Berufung unabhängig von den im Innenverhältnis zum Hauptbevollmächtigten bestehenden Absprachen keine bloß untergeordnete Hilfstätigkeit, was sich schon daraus ergibt, dass der die Berufungsschrift unterzeichnende Rechtsanwalt nach außen die vollständige Verantwortung für sie übernimmt (vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2087). Schließlich ist Rechtsanwalt M. der ihm vorzuwerfende Fehler auch gerade bei der von der Untervollmacht umfassten Einlegung der Berufung unterlaufen.
v. Pentz |
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