Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 20.12.2011


BGH 20.12.2011 - VI ZB 25/11

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Folgen der falschen Unterschrift unter dem Urteil


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
20.12.2011
Aktenzeichen:
VI ZB 25/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Koblenz, 4. April 2011, Az: 5 U 66/11vorgehend LG Koblenz, 15. Dezember 2010, Az: 10 O 519/09
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 4. April 2011 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 31.239,05 €

Gründe

I.

1

Das Landgericht Koblenz hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. November 2010, an der die Richter Dr. M., J. und Dr. D. mitgewirkt haben, die Klage mit am 15. Dezember 2010 verkündeten Urteil abgewiesen. Im Rubrum des Urteils ist statt Dr. D. die Richterin K. benannt. Das Urteil wurde auch nicht von Dr. D., sondern von der Richterin K. unterschrieben. Die Klägerin hat gegen das ihr am 19. Dezember 2010 zugestellte Urteil des Landgerichts am 17. Januar 2011 Berufung eingelegt. Auf ihren am 1. Februar 2011 eingegangenen Antrag hat das Berufungsgericht die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 21. März 2011 verlängert. Nachdem der stellvertretende Vorsitzende des Berufungssenats telefonisch auf den inzwischen eingetretenen Ablauf der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen hatte, hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten die Berufung am 22. März 2011 begründet und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Sie hat geltend gemacht, ihr Prozessbevollmächtigter habe am 2. März 2011 die abschließende Fassung der Berufungsbegründung am PC gefertigt und verfügt, diese für das Berufungsgericht auszufertigen und ihm die Akte am 18. April 2011 wieder vorzulegen. Mit gesonderter Verfügung vom selben Tag habe er angeordnet, eine Fremdgeldbuchung durchzuführen. Sein Auftrag sei aber nur teilweise erledigt worden. Es sei lediglich der Buchungsvorgang bearbeitet und die Akte auf Wiedervorlage für den 18. April 2011 gelegt worden. Trotzdem seien die auf den 14., 18. und 21. März 2011 notierten Fristen im Fristenkalender gestrichen worden. Streichungen im Fristenkalender erfolgten ausschließlich entweder durch den Prozessbevollmächtigten selbst oder durch die Mitarbeiterinnen, wenn diese hierfür ausdrücklich einen entsprechenden mündlichen Auftrag erhalten hätten. Der Prozessbevollmächtigte veranlasse eine Streichung von Fristen erst dann, wenn er sicher wisse, dass diese gewahrt oder die Akte im erforderlichen Umfang bearbeitet worden sei. Die in der vorliegenden Angelegenheit eingetragenen Fristen seien weder von ihm gestrichen worden noch habe er eine mündliche Anweisung zum Streichen erteilt. Vielmehr müsse eine Mitarbeiterin aufgrund einer mündlichen Anweisung für die Streichung einer Frist in einer anderen Angelegenheit die vorliegenden Fristeintragungen irrtümlich gestrichen haben.

2

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

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Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts auf, noch erfordert sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

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1. Das Berufungsgericht hat die Zustellung des angefochtenen Urteils trotz des Umstandes als wirksam angesehen, dass eine Richterin das Urteil unterzeichnet hat, die nicht an der mündlichen Verhandlung mitgewirkt hatte. Das Wiedereinsetzungsgesuch hat es zurückgewiesen, weil die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe. Dieser habe nicht durch geeignete organisatorische Maßnahmen sichergestellt, dass die Rechtsmittelfristen zuverlässig kontrolliert würden. Die Klägerin habe nichts vorgetragen, was die Annahme stütze, vor Büroschluss werde an jedem Arbeitstag kontrolliert, ob alle Fristsachen tatsächlich erledigt worden seien. Sie habe auch nicht vorgetragen, dass eine Anordnung bestehe, eine Frist erst dann im Fristenkalender zu streichen, wenn der fristwahrende Schriftsatz tatsächlich post- bzw. versandfertig gemacht und anhand der Akte überprüft worden sei, dass aktuell nichts mehr zu veranlassen sei. Der Umstand, dass die auf eine andere Sache bezogene anwaltliche Weisung, die Frist zu streichen, versehentlich in der vorliegenden Akte ausgeführt worden sei, führe zu keinem anderen Ergebnis. Es sei weder dargetan noch glaubhaft gemacht, in welcher anderen Sache, auf die sich die Anweisung tatsächlich bezogen habe und zu welchem Zeitpunkt die dort zu wahrende, tatsächlich auch beachtete, indes versehentlich nicht gelöschte Frist als vermeintlich noch unerledigt entdeckt worden sei. Es sei auch nicht aufgezeigt, auf welche Weise sich welche Mitarbeiterin der Kanzlei am 2. März 2011 oder am darauffolgenden Arbeitstag anhand der Akte vergewissert habe, dass die Berufungsbegründung tatsächlich an das Oberlandesgericht gesandt worden sei, bevor sie die auf den 21. März 2011 notierte Frist gestrichen habe.

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2. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Recht als unzulässig verworfen und ihr die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt.

6

a) Das Urteil des Landgerichts vom 15. Dezember 2010 und dessen Zustellung an die Klägerin sind wirksam. Zwar ist das Urteil entgegen der Bestimmung des § 315 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht von sämtlichen Richtern unterschrieben worden, die es gefällt haben. Denn es trägt nicht die Unterschrift des Richters Dr. D., der an der Verhandlung vom 19. November 2010, auf die das Urteil ergangen ist, mitgewirkt hat. Dieser Umstand hat aber nicht die Nichtigkeit des Urteils zur Folge. Denn wird - wie im Streitfall - das Urteil verkündet, so genügt diese förmliche öffentliche Bekanntgabe, um es auch ohne Unterschrift sämtlicher an der Entscheidungsfindung mitwirkender Richter als endgültigen, verbindlichen hoheitlichen Ausspruch erscheinen zu lassen. Dementsprechend ist eine verkündete Gerichtsentscheidung kein Entwurf mehr, sondern auch ohne Unterschrift existent geworden (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 - IX ZR 249/96, BGHZ 137, 49, 52; Urteil vom 27. Januar 2006 - V ZR 243/04, NJW 2006, 1881 Rn. 13).

7

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Urteil der Klägerin auch wirksam zugestellt worden. Die Frage, ob die Zustellung wirksam ist, richtet sich nach der äußeren Form und dem Inhalt der zur Zustellung verwendeten Ausfertigung (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2001 - XII ZB 75/00, VersR 2002, 464, 465). Entscheidend ist, ob das Schriftstück einem objektiven Betrachter als die Ausfertigung einer vollständigen, d.h. mit richterlichen Unterschriften versehenen gerichtlichen Entscheidung erscheint. Die Zustellung ist wirkungslos, wenn in der dem Zustellungsempfänger zugeleiteten Ausfertigung die Unterschriften der Richter nicht ordnungsgemäß wiedergegeben worden sind. Dies ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn die Unterschriften in der Ausfertigung in Klammern gesetzt sind und die Ausfertigung keinen Hinweis darauf enthält, dass die Richter das Urteil unterschrieben haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. März 1980 - VIII ZB 44/79, VersR 1980, 741, 742; vom 8. Oktober 1986 - VIII ZB 25/86, NJW-RR 1987, 377). Um einen derartigen Fall handelt es sich vorliegend jedoch nicht. Die der Klägerin zugestellte Urteilsausfertigung nennt im Rubrum die Richter Dr. M., J. sowie K. und macht auf S. 7 deren Unterschrift unter dem Urteil durch die Wiedergabe ihrer Namen kenntlich. Dies genügt für eine wirksame Zustellung. Denn ein auf die Unterzeichnung hinweisender Zusatz ist entbehrlich, wenn die Namen der Richter - wie hier - ohne Klammern oder sonstige, die Unterzeichnung in Frage stellende Zusätze wiedergegeben werden (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1977 - VII ZR 144/77, VersR 1977, 1129, 1130; Beschluss vom 26. März 1980 - VIII ZB 44/79, VersR 1980, 741, 742 mwN). Der Wirksamkeit der Zustellung steht nicht entgegen, dass das Urteil die Unterschrift einer Richterin trägt, die an der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergangen ist, nicht beteiligt war.

8

b) Das Berufungsgericht hat der Klägerin auch zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt, weil die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruht und dies der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Die Klägerin hat weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter durch eine ordnungsgemäße Organisation der Fristenkontrolle, insbesondere der Ausgangskontrolle, in seiner Kanzlei dafür Sorge getragen hat, dass Rechtsmittelfristen nicht versäumt werden.

9

aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Darüber hinaus muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden (oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird), wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht worden ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02, NJW 2003, 437; vom 12. April 2011 - VI ZB 6/10, NJW 2011, 2051 Rn. 7; BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 1993 - VII ZB 18/92, VersR 1993, 772 f.; vom 7. Dezember 1993 - XI ZR 207/93, VersR 1994, 956; vom 14. März 1996 - III ZB 13/96, VersR 1996, 1298). Dabei muss der Prozessbevollmächtigte Vorkehrungen treffen, die geeignet sind, versehentliche Erledigungsvermerke im Fristenkalender zu verhindern (BGH, Beschluss vom 2. März 2000 - V ZB 1/00, NJW 2000, 1957 mwN). Eine Frist darf erst dann gestrichen werden, wenn die Person, die die Fristenkontrolle wahrnimmt, sich anhand der Akte oder des postfertigen, die Frist erledigenden Schriftsatzes selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist. Dies sicherzustellen ist Sache des Prozessbevollmächtigten selbst (BGH, Beschlüsse vom 14. März 1996 - III ZB 13/96, VersR 1996, 1298; vom 10. Juli 1997 - IX ZB 57/97, VersR 1997, 1552; vom 2. April 1998 - IX ZB 131/97, NJW-RR 1998, 1604). Ist eine derartige Überprüfung nicht allgemein angeordnet, dürfen sich die Hilfspersonen vielmehr auf ihr Gedächtnis - oder dasjenige anderer - verlassen, ist den Anforderungen an eine wirksame Ausgangskontrolle nicht genügt (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Mai 1997 - VI ZB 12/97, VersR 1997, 1118, 1119; BGH, Beschluss vom 10. Juli 1997 - IX ZB 57/97, VersR 1997, 1552). Gleiches gilt, wenn Fristen aufgrund einer mündlichen Anweisung des Prozessbevollmächtigten von einer Hilfsperson zu streichen sind, ohne dass diese sich anhand der Akte oder des postfertigen, die Frist erledigenden Schriftsatzes vergewissert hat, dass alles für die Fristwahrung Erforderliche getan ist. Denn eine solche mündliche Anweisung bietet keine hinreichende Gewähr dafür, dass die Anweisung nicht missverstanden und eine Frist versehentlich gelöscht wird. Dass es bei der mündlichen Anweisung, eine Frist zu löschen, leicht zu Irrtümern und Verwechselungen kommen kann, die durch eine Nachprüfung anhand der Akten vermieden worden wären, zeigt der vorliegende Fall. So führt die Rechtsbeschwerde das versehentliche Streichen sämtlicher Fristen im vorliegenden Fall darauf zurück, dass zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin und seiner Mitarbeiterin ein Missverständnis aufgetreten sei.

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Wäre im vorliegenden Fall nach den aufgezeigten Anforderungen verfahren worden, wäre es nicht zu dem Missverständnis zwischen dem Klägervertreter und seiner Mitarbeiterin gekommen; vielmehr hätte diese rechtzeitig festgestellt, dass eine Berufungsbegründung in dieser Sache noch nicht geschrieben und dem Gericht zugeleitet worden war. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hätte also vermieden werden können.

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bb) Die durch diese Versäumnisse geschaffene Gefahr einer Fristversäumung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dadurch verstärkt, dass er vor der Ausfertigung und Unterzeichnung der Berufungsbegründung einen Buchungsvorgang anordnete und verfügte, die Akte erst am 18. April 2011 wieder vorzulegen. Hierdurch konnte für die die Sache bearbeitende Mitarbeiterin der Eindruck entstehen, die zu erstellenden Schriftstücke seien dem Prozessbevollmächtigten mitsamt der Akte erst am 18. April 2011 wieder vorzulegen.

12

Auch dieses Versäumnis war kausal für die Fristversäumung. Hätte der Prozessbevollmächtigte nur die Ausfertigung der Berufungsbegründung nebst Kurzbriefs für die Mandantin sowie eine sofortige Wiedervorlage verfügt, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Berufungsbegründung ausgedruckt, ihm zur Unterschriftsleistung vorgelegt und dem Gericht rechtzeitig zugeleitet worden.

Galke                                            Wellner                                         Pauge

                      Stöhr                                              von Pentz