Entscheidungsdatum: 12.12.2017
Der Rechtsmittelführer ist nur solange als an der fristgemäßen Einreichung der Rechtsmittelbegründung gehindert anzusehen, wie ihm die Prozessakten trotz eines rechtzeitigen Akteneinsichtsgesuchs nicht oder nicht vollständig zur Verfügung stehen. Ein Antrag auf Akteneinsicht ist in diesem Zusammenhang nicht schon deshalb als rechtzeitig gestellt anzusehen, weil er (gerade) noch vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist bei Gericht eingegangen ist (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 2012, VIII ZB 95/11, WuM 2012, 159 Rn. 7 f.; vom 26. Juli 2004, VIII ZR 10/04, NJW-RR 2005, 143, 144 unter II. A. 1).
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. Juni 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Beschwerdewert: 50.000,00 €
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung in Anspruch. Sie hat gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Frist zur Berufungsbegründung ist antragsgemäß bis einschließlich 9. Mai 2017 verlängert worden. Mit an diesem Tag eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin die nochmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen weiteren Monat beantragt und ausgeführt, sie lasse die Ausführungen der in erster Instanz angehörten Sachverständigen durch einen eigenen Gutachter prüfen, dessen Urteil noch ausstehe. Damit dieser eine wissenschaftliche fundierte Aussage treffen könne, beantrage sie zudem Akteneinsicht. Sie benötige Aufnahmen, die sich in der Gerichtsakte befinden müssten. Das Berufungsgericht hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass die notwendige Einwilligung der Gegenseite zum zweiten Fristverlängerungsantrag nicht mitgeteilt worden sei. In ihrer Stellungnahme dazu hat die Klägerin ausgeführt, dass ihr Schriftsatz zugleich als Wiedereinsetzungsantrag auszulegen sei. Hilfsweise beantrage sie erneut, ihr Wiedereinsetzung zu gewähren. An der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist sei sie unverschuldet gehindert gewesen, weil ihr bei Fristablauf die Prozessakte nicht zur Verfügung gestanden habe. Nach Gewährung von Akteneinsicht am 6. Juni 2017 hat die Klägerin die Berufung mit Schriftsatz vom 9. Juni 2017 begründet.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt, den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungfrist könne nicht bewilligt werden, da der Klägerin das Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei. Diese habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO die begehrte Fristverlängerung ausgesprochen werde. Ein Akteneinsichtsgesuch, das erst am letzten Tag der bereits einmal verlängerten Frist eingebracht werde, könne nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wenn sichergestellt sei, dass hierüber im normalen Geschäftsgang entschieden und sodann die Berufungsbegründung noch vor Fristablauf vorgelegt werden könne. Der Prozessbevollmächtigte dürfe sich nicht darauf verlassen, dass ein elektronisch eingegangener Schriftsatz ohne Hinweis auf eine Eilbedürftigkeit noch am selben Tag dem Vorsitzenden des Spruchkörpers vorgelegt und hierüber entschieden werde. Überdies sei angesichts der im Akteneinsichtsgesuch zum Ausdruck gebrachten Notwendigkeit, zunächst noch einen medizinischen Privatgutachter mit der Verfahrensakte zu befassen, auszuschließen, dass die Berufungsbegründung innerhalb der Frist hätte fertiggestellt werden können. Schließlich ergebe sich aus der Berufungsbegründung nicht, inwieweit es für die Fertigung derselben einer Akteneinsicht bedurft hätte.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die Begründung der Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags im angefochtenen Beschluss die Klägerin in ihrem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz verletzt.
1. Das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gebietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren (st. Rspr., vgl. BVerfG [K], Beschluss vom 26. Juli 2007 - 1 BvR 602/07, BVerfGK 11, 461, 463; zuletzt Senat, Beschluss vom 19. September 2017 - VI ZB 40/16, juris Rn. 6 jeweils mwN).
2. Davon ausgehend ist die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags nicht zu beanstanden.
a) Ein Berufungsführer kann sich im Wiedereinsetzungsverfahren nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in die Bewilligung der beantragten Fristverlängerung berufen, wenn er diese mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten durfte (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 11; vom 9. Juli 2009 - VII ZB 111/08, NJW 2009, 3100 Rn. 8, 10 jeweils mwN).
b) Davon kann im Streitfall nicht ausgegangen werden. Die Klägerin hat die gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderliche Einwilligung des Gegners nicht eingeholt. Sie hat zudem ein möglicherweise über die fehlende Einwilligung hinweg helfendes Akteneinsichtsgesuch nicht rechtzeitig gestellt.
aa) Der Prozessbevollmächtigte einer Partei hat durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und fristgerecht beim zuständigen Gericht eingeht (Senat, Beschluss vom 30. Mai 2017 - VI ZB 54/16, MDR 2017, 837 Rn. 16). Hierzu gehört auch, dass er mit der Bearbeitung einer Rechtsmittelbegründung so rechtzeitig beginnt, dass sie innerhalb der Frist fertiggestellt und dem Gericht übermittelt werden kann (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2012 - VIII ZB 95/11, WuM 2012, 159 Rn. 7 mwN). Grundsätzlich dürfen Fristen bis zum letzten Tag ausgeschöpft werden (Senat, Beschluss vom 16. März 2010 - VI ZB 46/09, NJW 2010, 1610 Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2015 - IV ZB 23/15, juris Rn. 13; vom 17. Januar 2012 - VIII ZB 95/11, WuM 2012, 159 Rn. 7 jeweils mwN). Falls die sachgerechte Bearbeitung nicht ohne Akteneinsicht möglich ist, reicht es aus, diese so rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zu beantragen, dass der bis zum Fristablauf verbleibende Zeitraum nach dem gewöhnlichen Verlauf zur Erstellung und Übermittlung der Rechtsmittelbegründung ausreicht (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2012 - VIII ZB 95/11, WuM 2012, 159 Rn. 7). Der Rechtsmittelführer ist daher nur solange als an der fristgemäßen Einreichung der Rechtsmittelbegründung gehindert anzusehen, wie ihm die Prozessakten trotz eines rechtzeitigen Akteneinsichtsgesuchs nicht oder nicht vollständig zur Verfügung stehen (BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 2012 - VIII ZB 95/11, WuM 2012, 159 Rn. 7 f. zur Begründung der Berufung; vom 26. Juli 2004 - VIII ZR 10/04, NJW-RR 2005, 143, 144 unter II. A. 1. zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde; offen BGH, Beschluss vom 7. Februar 2013 - V ZB 176/12, juris Rn. 14).
bb) Danach hat die Klägerin entgegen ihrer Auffassung den Antrag auf Akteneinsicht nicht schon deshalb rechtzeitig gestellt, weil dieser noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bei Gericht eingegangen ist. Vielmehr hätte dies weiter vorausgesetzt, dass der bis zum Fristablauf verbleibende Zeitraum nach dem gewöhnlichen Verlauf zur Erstellung und Übermittlung der Rechtsmittelbegründung ausreicht. Die dazu vom Oberlandesgericht angeführten Erwägungen beanstandet die Klägerin nicht.
cc) Da mithin nicht davon auszugehen ist, dass die Klägerin rechtzeitig Akteneinsicht beantragt hat, kann offen bleiben, ob - wie die Klägerin unter Hinweis auf die allerdings ausschließlich die Revision betreffende Vorschrift des § 551 Abs. 2 Satz 6 Hs. 2 ZPO meint - bei deren Ausbleiben eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ohne Einwilligung des Gegners über die von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO vorgesehene Frist hinaus in Betracht kommt (vgl. zum Ausbleiben der rechtzeitig beantragten Akteneinsicht als erheblicher Grund iSv § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO BGH, Beschlüsse vom 7. Februar 2013 - V ZB 176/12, juris Rn. 10; vom 21. Februar 2000 - II ZB 16/99, NJW-RR 2000, 947 f. unter II. 2.; siehe weiter BGH, Beschlüsse vom 26. Juli 2012 - III ZB 57/11, NJW-RR 2012, 1462 unter II. 2. a; vom 26. Juli 2004 - VIII ZR 10/04, NJW-RR 2005, 143, 144 unter II. A. 1.; vom 17. Mai 2004 - II ZB 14/03, NJW-RR 2004, 1500, 1501 unter II. 2. b; vom 4. März 2004 - XI ZB 121/03, NJW 2004, 1742 unter 2.).
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