Entscheidungsdatum: 29.10.2013
Der Beschluss, mit dem die Berufung verworfen wird, weil die Berufungssumme nicht erreicht ist, muss die Feststellungen enthalten, die das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzen zu überprüfen, ob das Berufungsgericht die Grenzen des ihm von § 3 ZPO eingeräumten Ermessens überschritten oder rechtsfehlerhaft von ihm Gebrauch gemacht hat; andernfalls ist er nicht mit den nach dem Gesetz erforderlichen Gründen versehen und im Rechtsbeschwerdeverfahren schon deshalb aufzuheben.
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 4. Dezember 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Beschwerdewert: bis 1.200 €
I.
Über das Vermögen des Beklagten wurde im Jahr 2008 das Insolvenzverfahren eröffnet. Das klagende Land hat Forderungen gegen den Beklagten zur Insolvenztabelle angemeldet und zugleich beantragt, diese "gemäß § 302 InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 170 StGB aus dem Restschuldbefreiungsverfahren auszuschließen". Nachdem der Beklagte der Feststellung, es handle sich um eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, widersprochen hat, begehrt das klagende Land im vorliegenden Verfahren die entsprechende gerichtliche Feststellung. Das Amtsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Den Streitwert hat es auf "bis zu 5.000,00 Euro" festgesetzt. Zur Frage der Zulassung der Berufung äußert sich das amtsgerichtliche Urteil nicht. Die vom Beklagten eingelegte Berufung hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen.
Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Beklagte die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, den Ausspruch, dass die von ihm eingelegte Berufung zulässig ist sowie die Rückverweisung der Sache zu neuer Entscheidung an das Berufungsgericht.
II.
1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).
2. Der angefochtene Beschluss ist gemäß § 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO schon deshalb aufzuheben, weil er nicht ausreichend mit Gründen versehen ist.
a) Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben sowie den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen; andernfalls sind sie nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht mit den nach dem Gesetz erforderlichen Gründen versehen und schon deshalb aufzuheben. Denn das Rechtsbeschwerdegericht hat nach § 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Berufungsgericht festgestellt hat. Enthält der angefochtene Beschluss keine tatsächlichen Feststellungen, ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 16. April 2013 - VI ZB 50/12, NJW-RR 2013, 1077 Rn. 4; vom 8. Mai 2012 - VI ZB 1/11, - VI ZB 2/11, VersR 2012, 1272 Rn. 3; vom 12. April 2011 - VI ZB 31/10, VersR 2011, 1199 Rn. 8; vom 17. November 2009 - VI ZB 58/08, VersR 2010, 687 Rn. 4; BGH, Beschlüsse vom 15. Mai 2012 - V ZB 282/11, WM 2012, 404 Rn. 3; vom 14. Juni 2010 - II ZB 20/09, NJW-RR 2010, 1582 Rn. 5; vom 26. Januar 2009 - II ZB 6/08, NJW 2009, 1083 Rn. 10; vom 28. April 2008 - II ZB 27/07, NJW-RR 2008, 1455 Rn. 4; vom 20. Juni 2002 - IX ZB 56/01, VersR 2003, 926). Dies gilt gerade auch dann, wenn das Berufungsgericht die Berufung verwirft, weil die Berufungssumme nicht erreicht ist. Denn die Wertfestsetzung kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht die Grenzen des ihm von § 3 ZPO eingeräumten Ermessens überschritten oder rechtsfehlerhaft von ihm Gebrauch gemacht hat (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2011 - VI ZB 31/10, aaO; BGH, Beschlüsse vom 15. Mai 2012 - V ZB 282/11, aaO; vom 14. Juni 2010 - II ZB 20/09, aaO; vom 28. April 2008 - II ZB 27/07, aaO).
b) Diesen Maßstäben wird der angefochtene Beschluss - auch unter Berücksichtigung des von ihm in Bezug genommenen Hinweises vom 18. Oktober 2012 - nicht gerecht. Weder enthält er eine gesonderte Sachdarstellung, noch ergeben sich der maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel - was ausreichend wäre (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. April 2013 - VI ZB 50/12, aaO Rn. 5; vom 8. Mai 2012 - VI ZB 1/11, - VI ZB 2/11, aaO; BGH, Beschluss vom 26. Januar 2009 - II ZB 6/08, aaO) - hinreichend klar aus den Beschlussgründen. Der angefochtene Beschluss selbst enthält überhaupt keine tatsächlichen Feststellungen, dem Hinweis vom 18. Oktober 2012 lässt sich in tatsächlicher Hinsicht allein - und als Grundlage für die erforderliche Ermessensentscheidung völlig unzureichend - entnehmen, dass der Beklagte nach den Feststellungen des Amtsgerichts Koblenz aus dem Jahr 2006 "ungelernt und langzeitarbeitslos" war. Informationen über den Streitgegenstand des zugrundeliegenden Rechtsstreits finden sich weder im angefochtenen Beschluss noch im Hinweis vom 18. Oktober 2012. Ebenso wenig enthalten Beschluss und Hinweis Angaben zu den von den Parteien gestellten Anträgen oder sonstige Informationen zum mit der Klage verfolgten Rechtsschutzziel.
3. Nach § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der vom Beklagten weiter begehrte Ausspruch des Rechtsbeschwerdegerichts dahingehend, dass die eingelegte Berufung zulässig ist, kommt jedenfalls im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
Dabei kann offenbleiben, ob die Zwischenentscheidung über die Zulässigkeit einer Berufung Gegenstand einer dem Rechtsbeschwerdegericht nach § 577 Abs. 5 ZPO möglichen Entscheidung in der Sache sein kann (sowohl für § 563 Abs. 3 ZPO: Stein/Jonas/Jacobs, 22. Aufl., § 563 Rn. 27; siehe auch zu § 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO: Fellner, MDR 2003, 69; Hk-ZPO/Wöstmann, 5. Aufl., § 522 Rn. 4; dagegen MüKoZPO/Rimmelspacher, 4. Aufl., § 522 Rn. 13). Denn eine abschließende Beurteilung, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes vorliegend 600 € übersteigt, ist dem Rechtsbeschwerdegericht auf der Grundlage der im angefochtenen Beschluss getroffenen tatsächlichen Feststellungen - wie dargelegt - nicht möglich.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Es trifft zu, dass der Streitwert einer Klage, mit der die Feststellung begehrt wird, eine angemeldete Forderung beruhe auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, sich nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht nach dem Nennwert der Forderung bemisst, sondern maßgeblich vielmehr die späteren Vollstreckungsaussichten des Insolvenzgläubigers nach Beendigung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung sind. Müssen die künftigen Vollstreckungsaussichten "eher zurückhaltend" beurteilt werden, so kann dabei auch ein deutlicher Abschlag von 75% gerechtfertigt sein (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009 - IX ZR 235/08, NJW 2009, 920 Rn. 4 ff.). Gleiches gilt für die Bemessung der Beschwer des Klägers, wenn seine auf eine solche Feststellung gerichtete Klage abgewiesen worden ist (vgl. auch insoweit BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009 - IX ZR 235/08, aaO). Ob dieselben Grundsätze auch für die vorliegend zu beurteilende Beschwer des Beklagten gelten, kann offenbleiben. Denn auch unter Berücksichtigung des Ermessensspielraums des Berufungsgerichts erscheint ein Abschlag vom Nominalwert der Forderung in Höhe von mehr als 87% deutlich zu hoch, sollten nicht ganz besondere Umstände nahelegen, dass der Beklagte mit höchster Wahrscheinlichkeit dauerhaft über kein Einkommen und Vermögen verfügen wird, die ihm den Ausgleich der Forderung ermöglichen bzw. dem klagenden Land im Rahmen einer von diesem betriebenen Zwangsvollstreckung zur Verfügung stehen. Die bloße Feststellung, dass der vergleichsweise junge Beklagte im Jahr 2006 "ungelernt und langzeitarbeitslos" war, reicht als Grundlage für eine solche Annahme nicht.
2. Sollte das Berufungsgericht auch nach erneuter Prüfung zum Ergebnis gelangen, dass die Berufungssumme nicht erreicht ist, wird es sich vor der Verwerfung der Berufung mit der Frage zu befassen haben, ob die Berufung des Beklagten nach § 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1 ZPO zuzulassen ist.
Hat das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen, die Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO zuzulassen, weil es von einer Beschwer der unterlegenen Partei ausgegangen ist, die 600 € übersteigt, muss das Berufungsgericht, wenn es von einer geringeren Beschwer ausgeht, die Entscheidung darüber nachholen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO erfüllt sind (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2011 - VI ZB 31/10, aaO Rn. 11). Nachdem im amtsgerichtlichen Urteil der Streitwert auf "bis zu 5.000,00 Euro" festgesetzt wurde, spricht vieles dafür, dass das Amtsgericht auch von einer Beschwer des Beklagten von über 600 € ausgegangen ist und sich ihm die Frage der Berufungszulassung deshalb nicht gestellt hat.
IV.
Die Entscheidung über die Nichterhebung der Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Galke Diederichsen Pauge
von Pentz Offenloch