Entscheidungsdatum: 14.04.2011
NV: Ist bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer bestandskräftig abschlägig entschieden, kommt eine Veranlagung weder nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des JStG 2007 noch gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.d.F. des JStG 2008 in Betracht .
I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für die Jahre 2002 und 2003 (Streitjahre) zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.
Der Kläger reichte seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2002 am 30. Dezember 2005 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) ein. Neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erklärte er negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus einer Grundstücksgemeinschaft in Höhe von 3.638 €. Mit Bescheid vom 18. Januar 2006 lehnte das FA die Veranlagung zur Einkommensteuer unter Hinweis auf die in § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG a.F.) bestimmte sog. Zweijahresfrist ab. Am 6. Februar 2006 stellte das FA gegenüber dem Kläger anteilige Verluste aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 3.638 € fest.
Am 23. März 2006 reichte der Kläger seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2003 ein. Neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erklärte er Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 449 €. Mit Bescheid vom 13. Juni 2006 stellte das FA gegenüber dem Kläger anteilige Verluste aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 3.989 € fest. Es lehnte die Veranlagung zur Einkommensteuer 2003 mit Bescheid vom 31. Juli 2006 unter Hinweis auf § 46 Abs. 2 Nrn. 1 und 8 EStG a.F. ab.
Der Kläger legte gegen die Bescheide vom 18. Januar und 31. Juli 2006 erfolglos Einspruch ein.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2007 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Veranlagung für die Streitjahre. Am 22. Januar 2008 reichte er die Einkommensteuererklärungen nach. Diese entsprachen im Wesentlichen den 2005 bzw. 2006 eingereichten. Das FA lehnte den Antrag erneut ab. Die gegen die Einspruchsentscheidung gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.
Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) ist der Kläger nicht zur Einkommensteuer zu veranlagen. Gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2007 setze eine Pflichtveranlagung voraus, dass die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen gewesen wären, mehr als 410 € betrage. Das sei hier nicht der Fall. Gemäß § 52 Abs. 55j EStG i.d.F. des JStG 2007 komme die Neufassung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG auch bereits in den Streitjahren zur Anwendung. Die rückwirkende Anwendung sei verfassungsrechtlich unbedenklich.
Eine sog. Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG komme nicht in Betracht. Zwar sei aufgrund der Änderung dieser Vorschrift durch das JStG 2008 die Zweijahresfrist entfallen. Die Neuregelung sei jedoch gemäß § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2008 für die Veranlagungszeiträume vor 2005 nur in den Fällen anzuwenden, in denen am 28. Dezember 2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden worden sei. Davon könne im Streitfall nicht ausgegangen werden. Das FA habe vor diesem Stichtag die Anträge des Klägers auf Veranlagung für die Streitjahre bestandskräftig abgelehnt. Auf die erneut gestellten Anträge vom 14. Dezember 2007 komme es nicht an.
§ 46 Abs. 2 Nrn. 1 und 8 EStG ständen einer Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) entgegen.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, die Bescheide vom 18. August 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 10. November 2008 aufzuheben und das FA zu verpflichten, ihn für die Veranlagungszeiträume 2002 und 2003 zur Einkommensteuer zu veranlagen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen(§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger nicht zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.
1. Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Der Steuerpflichtige kann die Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nur beantragen, wenn er nicht bereits nach Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 der Vorschrift von Amts wegen zu veranlagen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Mai 2006 VI R 15/05, BFHE 214, 149, BStBl II 2006, 912).
a) Nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des JStG 2007 ist die Amtsveranlagung nur durchzuführen, wenn, was hier nicht der Fall ist, die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, mehr als 410 € beträgt (zur früheren Rechtslage s. BFH-Urteile vom 21. September 2006 VI R 47/05, BFHE 215, 149, BStBl II 2007, 47; VI R 52/04, BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45). § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des JStG 2007 ist gemäß § 52 Abs. 55j EStG i.d.F. des JStG 2007 auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 anzuwenden.
Zur Frage, ob die rückwirkende Anwendung der Neuregelung verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt (Schmidt/Kulosa, EStG, 30. Aufl., § 46 Rz 12, m.w.N.), muss der Senat nicht Stellung beziehen. Denn einer Veranlagung von Amts wegen stehen nach Auffassung des Senats bereits die bestandskräftigen Bescheide des FA vom 18. Januar und 31. Juli 2006 entgegen, mit denen das FA jeweils die Durchführung einer Veranlagung abgelehnt hat.
b) Gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.F. der Streitjahre wird eine Veranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird. Der Antrag ist gemäß Satz 2 der Regelung bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden 2. Kalenderjahres zu stellen. Zwar ist § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG wegen der sog. Zweijahresfrist nach Auffassung des Senats mit dem Grundgesetz unvereinbar. Wegen der Bestandskraft der erwähnten Bescheide vom 18. Januar und 31. Juli 2006 kann der Kläger daraus nach Auffassung des Senats jedoch keine Rechte herleiten.
c) Eine Veranlagung kommt auch nicht gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.d.F. des JStG 2008 in Betracht.
Zwar hat danach der Steuerpflichtige in den Fällen, in denen die Voraussetzungen der Pflichtveranlagung nicht vorliegen, einen Anspruch auf Veranlagung ohne Beachtung einer Antragsfrist. Die Neuregelung ist jedoch gemäß § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2008 erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und in Fällen, in denen am 28. Dezember 2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist (s. dazu Senatsurteile vom 15. Januar 2009 VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755; vom 12. November 2009 VI R 1/09, BFHE 227, 97, BStBl II 2010, 406).
Im Streitfall hatte das FA indessen über die Anträge vom 30. Dezember 2005 bzw. 23. März 2006 vor dem genannten Stichtag bestandskräftig entschieden. Darin unterscheidet sich der Streitfall von dem Sachverhalt, der dem Urteil in BFHE 227, 97, BStBl II 2010, 406 zugrunde liegt. Der erneuten Antragstellung vom 14. Dezember 2007 kommt deshalb keine Bedeutung zu. Sie kann den Mangel, dass am 28. Dezember 2007 bestandskräftige Bescheide vorlagen, nicht heilen.
2. Eine Veranlagung ist nicht schon aufgrund von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO durchzuführen. Zwar ist danach ein Steuerbescheid zu erlassen, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Nach der Rechtsprechung des BFH soll aber der Erlass eines Feststellungsbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht zu einer Veranlagung von Amts wegen führen und die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids keine Ausweitung der in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG spezialgesetzlich geregelten Veranlagungstatbestände des EStG zur Folge haben (BFH-Urteil in BFHE 214, 149, BStBl II 2006, 912, m.w.N.)