Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 15.06.2016


BFH 15.06.2016 - VI R 54/15

(Pauschalversteuerung von Zuwendungen nach § 37b EStG - Ausübung und Widerruf des Wahlrechts)


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsdatum:
15.06.2016
Aktenzeichen:
VI R 54/15
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2016:U.150616.VIR54.15.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 24. September 2015, Az: 14 K 10273/11, Urteilnachgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 12. Januar 2017, Az: 14 K 283/16, Beschluss
Zitierte Gesetze
EStG VZ 2008

Leitsätze

1. Die Pauschalierungswahlrechte nach § 37b Abs. 1 Satz 1 EStG und nach § 37b Abs. 2 Satz 1 EStG können unabhängig voneinander ausgeübt werden. Sie sind aber jeweils einheitlich für sämtliche Sachzuwendungen an Nichtarbeitnehmer einerseits und sämtliche Sachzuwendungen an eigene Arbeitnehmer andererseits wahrzunehmen .

2. Ausgeübt werden die Pauschalierungsmöglichkeiten nach § 37b Abs. 1 und Abs. 2 durch Abgabe einer entsprechenden Lohnsteuer-Anmeldung gemäß § 37b Abs. 4 Satz 1 EStG .

3. Die in § 37b EStG eingeräumten Wahlrechte sind widerruflich .

4. Der Widerruf ist durch Abgabe einer geänderten Pauschsteueranmeldung gegenüber dem Betriebsstättenfinanzamt zu erklären .

5. Die anderweitige Ausübung des Wahlrechts ist ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 24. September 2015  14 K 10273/11 aufgehoben.

Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die Pauschalierung der Einkommensteuer für Sachzuwendungen nach § 37b Abs. 1 und Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einheitlich ausgeübt werden muss und ob der Steuerpflichtige die Ausübung des Wahlrechts widerrufen kann.

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin der ... GmbH (GmbH). Die GmbH wandte Dritten (Nicht-Arbeitnehmern) im Streitjahr (2008) Wein- und Blumenpräsente zu. Die Einkommensteuer für diese Sachzuwendungen erhob die GmbH mit der --im Januar 2009 eingereichten-- Lohnsteuer-Anmeldung Dezember 2008 pauschal nach § 37b Abs. 1 EStG. Die Zuwendungsempfänger unterrichtete sie von der Steuerübernahme nicht.

3

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) führte im Jahr 2010 bei der Klägerin u.a. für die Lohnsteuer-Anmeldungszeiträume Januar 2008 bis Dezember 2008 eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch. Dabei wurde festgestellt, dass die GmbH im Jahr 2008 --über die bisher schon unter Anwendung des § 37b EStG versteuerten Zuwendungen hinaus-- weitere Wein- und Blumenpräsente im Gesamtwert von 6.512,56 € an Nicht-Arbeitnehmer erbracht und VIP-Karten erworben hatte. Für diese VIP-Karten hatte die GmbH einen Betrag in Höhe von 9.996 € (inkl. Umsatzsteuer) aufgewendet. Lohnsteuerliche Folgen zog sie hieraus nicht. Sie machte geltend, die auf ihre Arbeitnehmer entfallenden Kosten der VIP-Karten habe sie im eigenbetrieblichen Interesse getragen.

4

Aufgrund der Prüfungsfeststellungen forderte das FA u.a. für das Jahr 2008 von der Klägerin gemäß § 37b EStG pauschale Lohnsteuer in Höhe von 4.952,56 € nebst pauschaler Annexsteuern nach, ohne bezüglich der VIP-Karten zwischen Sachzuwendungen an Nicht-Arbeitnehmer (Dritte) gemäß § 37b Abs. 1 EStG und an Arbeitnehmer gemäß § 37b Abs. 2 EStG zu unterscheiden. Den dagegen erhobenen Einspruch wies es zurück.

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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 2226 veröffentlichten Gründen statt. Zur Begründung führte es u.a. aus, der angefochtene Nachforderungsbescheid sei rechtswidrig. Dabei könne dahinstehen, ob das Pauschalierungswahlrecht für Nicht-Arbeitnehmer und Arbeitnehmer einheitlich ausgeübt werden müsse. Denn die Klägerin habe ihre Entscheidung zur Anwendung des § 37b EStG (spätestens) in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

6

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 37b EStG. Es macht geltend, das in dieser Vorschrift eingeräumte Wahlrecht sei empfängerübergreifend einheitlich auszuüben und nicht widerruflich ausgestaltet.

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Es beantragt,

das Urteil des Niedersächsischen FG vom 24. September 2015  14 K 10273/11 hinsichtlich des Streitjahres 2008 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass das Wahlrecht nach § 37b Abs. 1 EStG widerruflich ist. Es hat aber übersehen, dass die Klägerin im Streitfall von ihrem Widerrufsrecht tatsächlich noch nicht wirksam Gebrauch gemacht hat.

10

1. Die Nachforderung von Lohnsteuer durch Steuerbescheid kommt in Betracht, wenn die Lohnsteuer vorschriftswidrig nicht angemeldet worden ist und es sich um eine eigene Steuerschuld des Adressaten handelt. Eine solche liegt vor, wenn die Voraussetzungen für eine Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 37b EStG gegeben sind (Senatsurteile vom 16. Oktober 2013 VI R 78/12, BFHE 243, 242, BStBl II 2015, 495; VI R 57/11, BFHE 243, 237, BStBl II 2015, 457, und VI R 52/11, BFHE 243, 233, BStBl II 2015, 455, sowie vom 12. Dezember 2013 VI R 47/12, BFHE 244, 29, BStBl II 2015, 490).

11

a) Nach § 37b Abs. 1 Satz 1 EStG können Steuerpflichtige die Einkommensteuer (für Nicht-Arbeitnehmer) einheitlich für alle innerhalb eines Wirtschaftsjahres gewährten betrieblich veranlassten Zuwendungen, die zusätzlich zur ohnehin vereinbarten Leistung oder Gegenleistung erbracht werden (§ 37b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) und für Geschenke i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG (§ 37b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG), die nicht in Geld bestehen, mit einem Pauschsteuersatz von 30 % erheben.

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b) § 37b Abs. 1 EStG gilt gemäß § 37b Abs. 2 Satz 1 EStG auch für betrieblich veranlasste Zuwendungen an Arbeitnehmer des Steuerpflichtigen, soweit die Zuwendungen nicht in Geld bestehen und zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht werden.

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c) Die Vorschrift räumt dem Steuerpflichtigen (Unternehmen) nach allgemeiner Meinung ein Pauschalierungswahlrecht ("können") ein (Senatsurteile in BFHE 243, 242, BStBl II 2015, 495; in BFHE 243, 237, BStBl II 2015, 457, und in BFHE 243, 233, BStBl II 2015, 455; Eisgruber in Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 37b Rz 25 f.; Graw in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 37b Rz A 18; Lingemann in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 37b EStG Rz 9, 27; Schmidt/Loschelder, EStG, 35. Aufl., § 37b Rz 13; Blümich/Ettlich, § 37b EStG Rz 31; Küttner/ Seidel, Personalbuch 2016, Stichwort Lohnsteuerpauschalierung, Rz 60; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort Pauschalierung der Einkommensteuer für Sachzuwendungen, Rz 41; Niermann, Der Betrieb --DB-- 2015, 1242, 1243; Mohr, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 2015, 588, 589; Urban, DStZ 2007, 299, 308; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 19. Mai 2015 IV C 6-S 2297-b/14/10001, BStBl I 2015, 468, Tz 3; BTDrucks 16/2712, S. 55). Der in § 37b EStG zum Steuerpflichtigen erklärte Zuwendende kann die grundsätzlich beim Zuwendungsempfänger entstehende Einkommensteuer im Wege der Pauschalierung als eigene übernehmen. Die Sachzuwendungen und die Pauschsteuer bleiben dann bei der Einkünfteermittlung des Zuwendungsempfängers außer Ansatz.

14

d) Das Pauschalierungswahlrecht muss nach § 37b Abs. 1 Satz 1 EStG bei Sachzuwendungen an Nichtarbeitnehmer (Kunden, Geschäftsfreunde, deren Arbeitnehmer) "für alle" Zuwendungen und Geschenke eines Wirtschaftsjahres einheitlich ausgeübt werden. Entsprechendes gilt für die Pauschalierungsmöglichkeit bei Sachzuwendungen an eigene Arbeitnehmer des Steuerpflichtigen nach § 37b Abs. 2 EStG. Auch insoweit hat der Steuerpflichtige nur die Wahl zwischen dem vollständigen Verzicht auf Pauschalierung und der Pauschalierung sämtlicher Sachzuwendungen.

15

e) Die Pauschalierungswahlrechte nach § 37b Abs. 1 Satz 1 EStG und nach § 37b Abs. 2 Satz 1 EStG können allerdings unabhängig voneinander wahrgenommen werden (HHR/Lingemann, § 37b EStG Rz 27; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 37b Rz 10; Eisgruber in Kirchhof, a.a.O., § 37b Rz 25; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort Pauschalierung der Einkommensteuer für Sachzuwendungen, Rz 46 ff.; Lindberg in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 37b Rz 10a; Stickan in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 37b Rz 43 und 73; Niermann, DB 2015, 1242, 1244; Mohr, DStZ 2015, 588, 589; Weber, Neue Wirtschafts-Briefe 2015, 2136, 2146; Hartmann, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2008, 1418, 1419; a.A. Graw in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 37b Rz C 19; Blümich/ Ettlich, § 37b EStG Rz 31; Urban, DStZ 2007, 299, 308). Davon gehen auch die Finanzbehörden aus (BMF-Schreiben in BStBl I 2015, 468, Rz 4 Satz 2). Die anderslautende Vorstellung des Gesetzgebers, nach der das Pauschalierungswahlrecht nach § 37b Abs. 1 EStG (Nichtarbeitnehmer) und das nach § 37b Abs. 2 EStG (Arbeitnehmer) vom Steuerpflichtigen nur einheitlich ausgeübt werden könne (BTDrucks 16/2712, S. 56), findet sich im Gesetzeswortlaut nicht wieder. Die absatzweise Trennung nach Personengruppen spricht vielmehr für zwei "eigenständige Pauschalierungskreise". Dem steht die Verweisung in Abs. 2 auf Abs. 1 nicht entgegen. Aus ihr ergibt sich lediglich, dass auch innerhalb des Empfängerkreises der Arbeitnehmer die Einkommensteuer wie bei Sachzuwendungen an Nichtarbeitnehmer gemäß § 37b Abs. 1 EStG und damit im jeweiligen "Pauschalierungskreis" einheitlich zu pauschalieren ist. Auch spricht der strukturelle Unterschied der Einkommensteuererhebung bei Nichtarbeitnehmern (Fiktion der pauschalen Einkommensteuer als Lohnsteuer) und der Einkommensteuererhebung im Wege der Vorauszahlung durch Abzug vom Arbeitslohn (Lohnsteuer, § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG) bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit für eine personale Teilbarkeit des Pauschalierungswahlrechts (HHR/Lingemann, § 37b EStG Rz 27; Hartmann, DStR 2008, 1418, 1419).

16

f) Ausgeübt werden die Pauschalierungsmöglichkeiten nach § 37b Abs. 1 und Abs. 2 EStG --weil antraglos ausgestaltet (Eisgruber in Kirchhof, a.a.O., § 37b Rz 27; Hartz/Meeßen/ Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort Pauschalierung der Einkommensteuer für Sachzuwendungen, Rz 41 f.; Schmidt/ Loschelder, a.a.O., § 37b Rz 13; BMF-Schreiben in BStBl I 2015, 468, sowie Senatsurteil vom 24. September 2015 VI R 69/14, BFHE 251, 247, BStBl II 2016, 176, zu § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG)-- durch Abgabe einer entsprechenden Lohnsteuer-Anmeldung nach § 37b Abs. 4 EStG.

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g) Die in § 37b EStG eingeräumten Wahlrechte sind widerruflich.

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aa) Zwar verhält der Wortlaut des § 37b EStG sich hierzu nicht ausdrücklich. Antrags- oder Wahlrechte, die --wie hier-- weder ausdrücklich unwiderruflich ausgestaltet sind noch dem Grunde nach einer zeitlichen Begrenzung unterliegen, können jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) anderweitig ausgeübt werden, solange der entsprechende Steuerbescheid --hier die Lohnsteuer-Anmeldung Dezember 2008-- nicht formell und materiell bestandskräftig ist (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2015 X R 56/13, BFHE 252, 241). Außerdem darf --wie im Streitfall-- die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen sein (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juni 2011 IX R 38/10, BFHE 233, 326, BStBl II 2011, 963, betreffend die gesonderte Feststellung eines Verlustvortrags nach Ablauf der Festsetzungsfrist für die Vortragsjahre). Nach dem Gesetzeswortlaut sind damit die Wahlrechte des § 37b Abs. 1 und Abs. 2 EStG widerruflich.

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bb) Nach der Gesetzesbegründung soll das in § 37b EStG eingeräumte Pauschalierungswahlrecht indessen nicht widerrufen werden können (BTDrucks 16/2712, S. 55). Das soll dem Rechtsschutz des unterrichteten Empfängers dienen (BTDrucks 16/2712, S. 55). Allerdings hat es der Gesetzgeber versäumt, den bindenden Charakter der Wahlrechtsausübung im Gesetzeswortlaut abzubilden.

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Für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, so wie er sich aus dem Gesetzeswortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 21. Mai 1952  2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299, unter C.III.4., und vom 30. März 2004  2 BvR 1520/01, 2 BvR 1521/01, BVerfGE 110, 226, unter IV.C.1.b; BFH-Urteile vom 19. November 2003 IX R 67/00, BFH/NV 2004, 628; vom 24. Januar 2008 III R 9/05, BFHE 221, 383, BStBl II 2008, 688, und vom 30. September 2015 II R 13/14, BFHE 251, 569, Rz 14; Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 27. Juni 2012 IV ZR 239/10, BGHZ 193, 369; Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2015  5 PB 17/14, nicht veröffentlicht; jeweils m.w.N.). Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte kommt zwar zur Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers erhebliches Gewicht zu (vgl. BVerfG-Beschluss vom 11. Juni 1980  1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, unter C.III.1., und BGH-Urteil vom 12. März 2013 XI ZR 227/12, BGHZ 197, 21; jeweils m.w.N.). Es genügt aber nicht, dass sich die Voraussetzungen oder Rechtsfolgen allein der Gesetzesbegründung entnehmen lassen. Der sogenannte Wille des Gesetzgebers oder der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kann hiernach bei der Interpretation nur insoweit berücksichtigt werden, als er auch im Text Niederschlag gefunden hat (vgl. BVerfG-Urteil vom 16. Februar 1983  2 BvE 1/83 u.a., BVerfGE 62, 1, unter C.II.3.a, und BFH-Urteil vom 25. Juli 2012 I R 101/10, BFHE 238, 362, BStBl II 2013, 165; jeweils m.w.N.). Die Gesetzesmaterialien dürfen nicht dazu verleiten, die subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen (BVerfG-Urteil in BVerfGE 62, 1, unter C.II.3.a).

21

cc) Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten kein vom Wortlaut abweichendes Verständnis der Pauschalierungsmöglichkeiten als unwiderruflich.

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(1) § 37b Abs. 1 EStG ermöglicht dem Steuerpflichtigen, die auf Sachzuwendungen u.a. an seine Kunden entfallende Einkommensteuer pauschal zu erheben (BTDrucks 16/2712, S. 55). Der Steuerpflichtige kann dadurch sicherstellen, dass das Ziel der Sachzuwendung, die laufende Geschäftsbeziehung durch die Zuwendung zu verbessern und zu weiteren oder erstmaligen Geschäftsabschlüssen anzuregen, nicht dadurch verfehlt wird, dass der Empfänger für die Leistung Einkommensteuer zu bezahlen hat. Ferner dient die Vorschrift der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens. Die Zuwendungen werden gebündelt zu einem einheitlichen Satz besteuert und der Empfänger wird der Schwierigkeit enthoben, den Wert des steuerpflichtigen geldwerten Vorteils zu ermitteln.

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(2) Soweit § 37b Abs. 1 EStG dem Bedürfnis des Zuwendenden an einer ungestörten Geschäftsbeziehung entspricht und es unter den weiteren Voraussetzungen der Vorschrift in sein Belieben stellt, die auf die Zuwendungen entfallende Einkommensteuer pauschal zu erheben, lassen sich hieraus keine Anhaltspunkte dafür ableiten, dass das Wahlrecht abweichend von sonstigen ertragsteuerrechtlichen Wahlrechten unwiderruflich sein soll. Der Umstand, dass das Wahlrecht --wie ausgeführt-- nur einheitlich für alle Zuwendungen und Geschenke eines Wirtschaftsjahres ausgeübt werden kann, spricht im Gegenteil eher für ein wortlautgetreues Verständnis des Wahlrechts als widerruflich. Denn der Steuerpflichtige wird --wie der Streitfall zeigt-- zum Zeitpunkt der Abgabe der Lohnsteuer-Anmeldung (§ 37b Abs. 4 Satz 1 EStG) aufgrund anderer rechtlicher Einschätzung nicht immer übersehen, welche Leistungen von seinem Pauschalierungsantrag umfasst werden. Wäre das Wahlrecht unwiderruflich ausgestaltet, wäre seine Ausübung folglich mit erheblichen Risiken behaftet und die Vorteilhaftigkeit des § 37b EStG für die Steuerpflichtigen in erheblichem Umfang eingeschränkt.

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dd) Die Ausübung des Wahlrechts ändert allerdings das Steuerschuldverhältnis der Zuwendungsempfänger dergestalt, dass die pauschal besteuerten Sachzuwendungen bei der Ermittlung der Einkünfte außer Ansatz bleiben. Dies könnte für ein unwiderruflich auszuübendes Wahlrecht insbesondere dann sprechen, wenn der Steuerpflichtige den Empfänger bereits von der Übernahme der pauschalen Steuer unterrichtet hat (§ 37b Abs. 3 Satz 3 EStG). Das Spannungsverhältnis zwischen Vertrauensschutz des Zuwendungsempfängers einerseits und Widerruf der Wahlrechtsausübung andererseits kann jedoch in diesen Fällen nicht nur durch eine Beschränkung des Widerrufsrechts, sondern auch dahingehend aufgelöst werden, dass ein wirksamer Widerruf nur vorliegt, wenn der Zuwendende den Zuwendungsempfänger hiervon unterrichtet, damit dieser von seinen steuerlichen Pflichten erfährt und ihnen nachkommen kann (Schmidt/ Loschelder, a.a.O., § 37b Rz 13). Das Absehen von einer entsprechenden Mitteilung stellt sich dann als (u.U. strafbewehrte) Vereitelung des staatlichen Steueranspruchs und damit als rechtsmissbräuchlich dar.

25

ee) Da die anderweitige Ausübung des Wahlrechts dazu führt, dass die Zuwendungen rückwirkend (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO--) in die Veranlagung der Zuwendungsempfänger als Einnahmen einzubeziehen sind, ist bei einem Verständnis des Wahlrechts als widerruflich auch nicht zu befürchten, dass die Veranlagungen der Zuwendungsempfänger zum Zeitpunkt der anderweitigen Ausübung des Wahlrechts festsetzungsverjährt sind. Denn in solchen Fällen beginnt die Festsetzungsfrist gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 AO erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintritt.

26

ff) Auch die vom Gesetzgeber beabsichtigte Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens kann eine Unwiderruflichkeit der Wahlrechtsausübung entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht begründen. Dieser Gesetzeszweck rechtfertigt die Erhebung einer pauschalen Steuer gegenüber einer individuell berechneten Steuerbelastung. Er kann aber der Rückabwicklung eines steuerlichen Geschehens --auch wenn es durch die Ausübung eines Wahlrechts ins Werk gesetzt wurde-- nicht entgegenstehen. Denn ein Verwaltungsmehraufwand ist jeder Rückgängigmachung einer Wahlrechtsausübung immanent.

27

h) Will der Steuerpflichtige von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen, genügt eine formlose Erklärung hierfür allerdings nicht. Dies gilt auch, wenn die entsprechende Erklärung im Klageverfahren abgegeben wird. Der Widerruf als "actus contrarius" der Wahlrechtsausübung ist vielmehr schon aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit in nämlicher Form wie das Wahlrecht und damit durch Abgabe einer geänderten, u.U. auf "Null" lautenden Pauschsteueranmeldung gegenüber dem Betriebsstättenfinanzamt (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) auszuüben.

28

2. Das FG ist teilweise von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil hat daher keinen Bestand. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Denn das FG hat aus seiner Sicht zu Recht keine Feststellungen zur Höhe der Sachzuwendungen und deren Empfänger getroffen. Deshalb kann der Senat nicht beurteilen, ob der angefochtene Nachforderungsbescheid rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Die Sache ist deshalb an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, in welcher Höhe die Klägerin bislang nicht nach § 37b Abs. 1 EStG pauschal versteuerte Sachzuwendungen an Nichtarbeitnehmer im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum 2008 geleistet hat. Denn die Klägerin hat ihr dahingehendes Wahlrecht mit der Lohnsteuer-Anmeldung Dezember 2008 ausgeübt, aber jedenfalls bislang nicht wirksam widerrufen.

29

Soweit die Klägerin die im Nachforderungsbescheid erfassten Sachzuwendungen an eigene Arbeitnehmer geleistet hat, kann der angefochtene Nachforderungsbescheid jedoch keinen Bestand haben. Denn die Klägerin hat nach den bindenden und unstreitigen Feststellungen des FG bezüglich der Sachzuwendungen an ihre Arbeitnehmer keine Pauschsteueranmeldung gemäß § 37b Abs. 2 EStG abgegeben und hat damit ihr Wahlrecht nicht ausgeübt.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.