Entscheidungsdatum: 16.01.2018
1. Gleicht das FA bei einer Papiererklärung den elektronisch übermittelten und der Steuererklärung beigestellten Arbeitslohn generell nicht mit dem vom Steuerpflichtigen in der Einkommensteuererklärung erklärten Arbeitslohn ab und werden die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit im Einkommensteuerbescheid infolgedessen unzutreffend erfasst, liegt darin keine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO.
2. Stimmen der vom Steuerpflichtigen erklärte und der der Einkommensteuererklärung beigestellte Arbeitslohn nicht überein, hat der Sachbearbeiter regelmäßig --ggf. in weiteren Datenbanken-- zu ermitteln, welches der zutreffende Arbeitslohn ist.
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 14. März 2016 5 K 1920/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und wurden für das Streitjahr (2011) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Die Klägerin war im Streitjahr vom 1. Januar bis zum 31. August 2011 zunächst bei der Firma X GmbH und vom 1. September bis zum 31. Dezember 2011 bei der Firma Y GmbH beschäftigt. Ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr reichten die Kläger am 14. Mai 2012 in Maschinenschrift zusammen mit Belegen beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) ein. Für die Klägerin erklärten sie in der Anlage N den Bruttoarbeitslohn zutreffend mit ... €.
Im Einkommensteuerbescheid vom 10. Juli 2012 setzte das FA bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit den Bruttoarbeitslohn mit ... € an. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Im November 2013 stellte das FA fest, dass seit dem 22. August 2012 Lohndaten aus dem Beschäftigungsverhältnis der Klägerin bei der Firma X GmbH vorlagen, die in dem Bescheid nicht berücksichtigt worden waren. Die Daten summierten sich mit den im Steuerbescheid --aus dem Beschäftigungsverhältnis bei der Firma Y GmbH-- berücksichtigten Daten auf den Betrag, den die Klägerin in der Steuererklärung angegeben hatte.
Das FA erließ daraufhin am 9. Dezember 2013 einen --zunächst auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gestützten-- Änderungsbescheid. Grundlage für die Änderung seien die von der X GmbH nach der Veranlagung übermittelten geänderten Lohndaten.
Den Einspruch der Kläger wies das FA --nun unter Heranziehung von § 129 Satz 1 AO-- als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab der im Anschluss erhobenen Klage statt.
Es war im Wesentlichen der Ansicht, das FA sei zu einer Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO nicht befugt gewesen. Denn bei der im Streitfall --ungeprüften-- Übernahme/Beistellung der nicht vollständig übermittelten Lohnsteuerdaten in das Veranlagungsprogramm handele es sich weder um einen Schreibfehler oder Rechenfehler noch um eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit. Es liege vielmehr ein Fehler bei der Sachverhaltsermittlung vor, da die Veranlagungsbeamtin bei ihrer Vorgehensweise bewusst und gewollt in Kauf genommen habe, dass ggf. ein unzutreffender Sachverhalt der Veranlagung zugrunde gelegt werde.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass das FA nicht befugt war, den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid zu ändern.
1. Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.
a) Solche offenbare Unrichtigkeiten sind insbesondere mechanische Versehen, beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen zählen zu solchen offenbaren Unrichtigkeiten nicht Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts. Dabei ist § 129 AO schon dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache auf einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler gründet oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 28. Mai 2015 VI R 63/13, BFH/NV 2015, 1078, m.w.N.). Diese Möglichkeit darf allerdings nicht nur theoretischer Natur sein. Vielmehr muss sie sich durch vom Gericht festgestellte Tatsachen belegen lassen. Deuten die Gesamtumstände des Falles auf ein mechanisches Versehen hin und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Fehler auf rechtliche oder tatsächliche Erwägungen zurückzuführen ist, so kann berichtigt werden (Senatsurteil vom 13. Juni 2012 VI R 85/10, BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5).
b) Entsprechend ist nicht jede versehentlich unberücksichtigte Tatsache mit einer unvollständigen Sachverhaltsermittlung gleichzusetzen. Eine der Berichtigung entgegenstehende unvollständige Sachverhaltsermittlung ist erst anzunehmen, wenn für die Besteuerung wesentliche Tatsachen nicht durch ein mechanisches Versehen unberücksichtigt geblieben sind. Ermittlungsfehler gehen über mechanische Versehen bei der Heranziehung des Sachverhalts zur Steuerfestsetzung hinaus, weil ein Teil des rechtserheblichen Sachverhalts wegen fehlerhaft unterlassener oder unrichtiger Tatsachenaufklärung noch nicht bekannt ist. Ist dagegen ohne weitere Prüfung erkennbar, dass ein Teil des bekannten Sachverhalts aus Unachtsamkeit bei der Steuerfestsetzung nicht erfasst worden ist, darf diese offenbare Unrichtigkeit zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen durch Berichtigung der versehentlich fehlerhaften Steuerfestsetzung korrigiert werden (Senatsurteil vom 26. April 1989 VI R 39/85, BFH/NV 1989, 619; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. November 1997 V R 138/92, BFH/NV 1998, 419).
c) Liegt eine offenbare Unrichtigkeit vor, ist die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 Satz 1 AO nicht von Verschuldensfragen abhängig, weshalb die oberflächliche Behandlung eines Steuerfalls grundsätzlich eine Berichtigung nach dieser Vorschrift nicht hindert (BFH-Urteile vom 28. November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293; vom 10. September 1987 V R 69/84, BFHE 150, 509, BStBl II 1987, 834; vom 4. November 1992 XI R 40/91, BFH/NV 1993, 509; vom 11. Juli 2007 XI R 17/05, BFH/NV 2007, 1810; vom 21. Januar 2010 III R 22/08, BFH/NV 2010, 1410; vom 7. November 2013 IV R 13/11, BFH/NV 2014, 657, und Senatsbeschluss in BFH/NV 2015, 1078). Anders ist dies erst, wenn sich die Unachtsamkeit bei der Bearbeitung des Falls häuft und Zweifeln, die sich aufdrängen, nicht nachgegangen wird (BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 509).
2. Bei Heranziehung dieser Grundsätze hat das FG zu Recht eine Berichtigung des Einkommensteuerbescheids 2011 nach § 129 AO abgelehnt.
Im Streitfall hat die Klägerin den von ihr im Streitjahr bezogenen Arbeitslohn zutreffend gegenüber dem FA erklärt. Das FA hat diese Angaben auf Seite 1 der Anlage N jedoch --aus verwaltungsökonomischen Gründen möglicherweise nachvollziehbar-- bewusst nicht in den Blick genommen, weil es allgemein darauf vertraute, dass die vom Arbeitgeber elektronisch übermittelten Daten --wie üblich-- zutreffend sind und vor Beginn der Bearbeitung der Steuererklärung vollständig vom Computersystem der Finanzbehörden übernommen werden. Es hat deshalb insbesondere bewusst keinen Abgleich der der Einkommensteuererklärung der Kläger elektronisch "beigestellten" Daten mit den von diesen erklärten Daten vorgenommen. Führt diese vom FA gewählte Vorgehensweise bei der Bearbeitung einer Einkommensteuererklärung zu einer unzutreffenden Erfassung des Arbeitslohns, stellt dieser Fehler keine einem Schreib- oder Rechenfehler gleichgestellte ähnliche offenbare Unrichtigkeit und damit kein mechanisches Versehen dar. Durch den bewusst unterlassenen Abgleich der der Steuererklärung elektronisch beigestellten Daten mit den vom Steuerpflichtigen erklärten Daten liegt insbesondere kein bloßes Übersehen erklärter Daten vor, das regelmäßig zu einer Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO führt (z.B. Senatsurteile vom 29. März 1985 VI R 140/81, BFHE 144, 118, BStBl II 1985, 569, und in BFH/NV 1989, 619). Das FA hat vielmehr im Streitfall den zutreffenden Arbeitslohn nicht aufgeklärt, obwohl der von den Klägern erklärte Arbeitslohn nicht mit dem elektronisch beigestellten Arbeitslohn übereinstimmte. Insoweit liegt ein Ermittlungsfehler des FA vor, der eine spätere Berichtigung des infolgedessen aufgetretenen Fehlers ausschließt.
3. Das FG hat zudem rechtsfehlerfrei entschieden, dass eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht möglich ist, was das FA auch nicht in Frage stellt. Der Senat sieht daher insoweit von einer weiteren Begründung ab.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.