Entscheidungsdatum: 28.05.2015
NV: Eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 Satz 1 AO ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Veranlagungsbeamte einen automatisierten Prüfhinweis unbeachtet lässt .
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. April 2013 4 K 2093/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
I. Streitig ist, ob ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid wegen offenbarer Unrichtigkeit geändert werden durfte.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), Eheleute, begehrten im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2009) für haushaltsnahe Dienstleistungen in Höhe von 278 € die Steuervergünstigung nach § 35a des Einkommensteuergesetzes. Bei der Steuerveranlagung verminderte der Veranlagungsbeamte die anzuerkennenden haushaltsnahen Dienstleistungen auf 252 €, weil 26 € bereits im Vorjahr berücksichtigt worden waren. Dementsprechend hatte er im Mantelbogen den erklärten Betrag (278 €) von Hand durchgestrichen und den korrigierten Betrag (252 €) dem gestrichenen Betrag handschriftlich vorangestellt. In dem darauf ergangenen Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 6. April 2011 ermäßigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Einkommensteuer allerdings nicht auf der Grundlage des korrigierten Betrags von 252 €, sondern um 4.000 €; in den Erläuterungen wies das FA darauf hin, dass die Schornsteinfegerrechnung vom 3. Dezember 2008 (26 €) bereits in der Veranlagung 2008 berücksichtigt worden sei.
Nachdem das FA bemerkt hatte, dass die Steuerermäßigung für die haushaltsnahe Dienstleistung um 3.949 € zu hoch angesetzt worden war, erließ es ohne vorherige Anhörung der Kläger den hier streitigen geänderten Einkommensteuerbescheid vom 11. Mai 2012. Gestützt auf § 129 der Abgabenordnung (AO) reduzierte das FA die Steuerermäßigung von 4.000 € auf 51 € (20 % von 252 €) und erhöhte dementsprechend die festzusetzende Einkommensteuer für 2009 um 3.949 €. In den Erläuterungen zur Festsetzung war ausgeführt, dass aufgrund eines Eingabefehlers ein zu hoher Betrag angerechnet worden sei. Die Aufwendungen hätten nicht mit 278 €, sondern mit 252 € angesetzt werden sollen, es sei aber die Zahl 278252 eingegeben worden.
Bei Eingabe des fehlerhaften Betrags von 278.252 € habe das Programm nach Mitteilung des FA einen Hinweis mit folgendem Text ausgegeben: "Bitte die Aufwendungen für die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen/einer Hilfe im Haushalt (Kz. 18.210) prüfen, ggfs. Rechnung und Zahlungsnachweis anfordern."
Die Kläger wandten sich mit der Anfechtungsklage gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 11. Mai 2012 und begehrten dessen ersatzlose Aufhebung.
Im Streitfall sei nicht von einem bloßen Schreib- oder Rechenfehler auszugehen. Sie --die Kläger-- bestritten, dass die fehlerhafte Eintragung auf einen fehlerhaften Doppelklick in der Eintragungsposition der Bearbeitungsmaske zurückzuführen sei. Aus dem Steuerbescheid selbst sei nicht erkennbar, dass es an dieser Position zu Fehlern gekommen sei, nachdem der Ausgangsbescheid ausdrücklich erläutert hätte, dass die Position in ihrer Höhe überprüft und entsprechend angesetzt worden sei. Es liege eine Sachentscheidung und nicht etwa ein bloßer Eingabefehler vor.
Wenn eine Plausibilitätskontrolle stattgefunden habe, der Bearbeiter jedoch offensichtlich keine Veranlassung für eine nochmalige Prüfung der Aufwendungen gesehen habe, liege damit kein bloßer Schreib- oder Rechenfehler vor. Vielmehr habe der Sachbearbeiter aufgrund eigener Prüfung eine inhaltliche Entscheidung getroffen. Dies gehe über einen bloßen Schreib- und Rechenfehler hinaus, so dass § 129 AO nicht anwendbar sei.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1978 veröffentlichten Gründen abgewiesen.
Die Kläger rügen mit der Revision die Verletzung des § 129 AO. Im Streitfall liege insbesondere eine eigenständige Entscheidung des Sachbearbeiters zu Grunde, den Kontrollhinweis unbeachtet zu lassen. Dies sei nicht mehr von § 129 AO erfasst und auch nicht vergleichbar mit anderen offensichtlichen Unrichtigkeiten. Der Fall sei auch nicht mit dem Übersehen einer Hinweismitteilung als Nachlässigkeit im Sinne der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. April 1986 VI R 4/83 (BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541) vergleichbar. Denn hier sei vom FG festgestellt, dass der Bearbeiter keine Veranlassung gesehen habe, die Eintragung nochmals zu überprüfen, so dass insoweit gerade kein Flüchtigkeitsfehler vorliege, sondern eine bewusste Entscheidung, diese Frage nicht nochmals aufzugreifen. Diese konkrete Willensbildung des Sachbearbeiters, eine Überprüfung nicht mehr vorzunehmen, sei an § 129 AO zu messen. Danach scheide eine Änderung des bestandskräftigen Bescheids aus.
Sie beantragen,
unter Aufhebung des Urteils des FG Rheinland-Pfalz vom 18. April 2013 sowie der Einspruchsentscheidung des FA vom 29. Juni 2012 den Änderungsbescheid über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag für das Jahr 2009 vom 11. Mai 2012 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Revision ist daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Solche offenbare Unrichtigkeiten sind insbesondere mechanische Versehen, beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen zählen zu solchen offenbaren Unrichtigkeiten nicht Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts. Dabei ist § 129 AO schon dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache auf einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler gründet oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 1. August 2012 IX R 4/12, BFH/NV 2013, 1; vom 13. Juni 2012 VI R 85/10, BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5; vom 27. Mai 2009 X R 47/08, BFHE 226, 8, BStBl II 2009, 946).
2. Gemessen daran begegnet die Entscheidung und Würdigung des FG, dass im Streitfall ein mechanisches Versehen i.S. des § 129 AO vorliegt und ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum ausgeschlossen werden kann, keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
a) Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Eingabe des Betrags "252" ohne vorherige Streichung des Betrags "278" eine solche offenbare Unrichtigkeit im Sinne eines Schreibfehlers ist. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig; denn auch die Kläger räumen ein, dass dieser Eintrag als Schreibfehler zu behandeln sei, da es nicht darauf ankomme, ob dieser Fehler per Hand oder durch Eingabe in einen Rechner erfolge. Dem ist zuzustimmen.
b) Die Würdigung des FG, dass trotz des ergangenen Prüfhinweises ein möglicher Rechtsanwendungsfehler ausgeschlossen werden könne, hält ebenfalls revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
aa) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass das Übersehen eines Prüfhinweises oder eine besonders oberflächliche Behandlung des Steuerfalls durch die Behörde unabhängig von Verschuldenserwägungen eine Berichtigung des Steuerbescheids nicht ausschließt, solange die diesbezügliche Überprüfung nicht zu einer neuen Willensbildung des zuständigen Veranlagungsbeamten im Tatsachen- oder Rechtsbereich geführt hat (Senatsurteil in BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541; BFH-Urteile vom 11. Juli 2007 XI R 17/05, BFH/NV 2007, 1810; vom 7. November 2013 IV R 13/11, BFH/NV 2014, 657). Bleibt ein Prüfhinweis unbeachtet, perpetuiert sich lediglich der Eingabefehler des Sachbearbeiters. Die Frage, ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls, insbesondere nach der Aktenlage, ist mithin im Wesentlichen eine Tatfrage und unterliegt damit der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang (BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 657, m.w.N.).
bb) Das FG hat seine Überzeugung, dass auch nach Ergehen des Prüfhinweises keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Willensbildung durch den Veranlagungsbeamten vorlägen, im Wesentlichen darauf gestützt, dass ein geschulter Veranlagungsbeamter nicht die unzutreffende Rechtsansicht entwickeln könnte, bei einem für haushaltsnahe Dienstleistungen geltend gemachten Betrag von 278 € seien mindestens 20.000 € als haushaltsnahe Dienstleistungen steuermindernd zu berücksichtigen; dies läge außerhalb des Vorstellbaren. Angesichts dessen sei die tatsächlich gewährte Steuerermäßigung in Höhe von 4.000 € nur erklärlich, wenn man davon ausgehe, dass der Veranlagungsbeamte entgegen dem Prüfhinweis die inhaltliche Kontrolle der haushaltsnahen Dienstleistungen pflichtwidrig unterlassen habe. Ein solches pflichtwidriges Unterlassen bedeute aber nicht, dass der Veranlagungsbeamte die fehlerhafte Gewährung auch rechtlich gebilligt hätte. Vielmehr liege lediglich ein besonders nachlässiges Verhalten vor, das aber nicht die Annahme rechtfertige, der Veranlagungsbeamte sei einem Rechtsirrtum unterlegen. Diese Würdigung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; sie ist angesichts der konkreten Tatumstände jedenfalls möglich, wenn nicht sogar naheliegend.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.