Entscheidungsdatum: 27.10.2011
NV: Ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen Studium (Informationswissenschaften) und nachfolgender Berufstätigkeit auf diesem Gebiet ist nicht auszuschließen, wenn das Studium Berufswissen vermittelt und damit auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet ist.
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Aufwendungen für ein Erststudium nach Schulabschluss vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit darstellen.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) studierte im Streitjahr (2006) im Anschluss an seine schulische Ausbildung (Abitur) Informationswissenschaften an einer Universität. Der Kläger machte die ihm dafür entstandenen Aufwendungen in Höhe von 6.540 €, die sich im Wesentlichen aus Miete, Fahrtkosten, Studiengebühren, Verpflegungsmehraufwand zusammensetzten, als Werbungskosten geltend und begehrte die Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags in dieser Höhe.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2006 ab. Einspruch und Klage dagegen blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und ließ die Revision zu. Das FG stützte seine klageabweisende Entscheidung insbesondere auf § 12 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG), wonach Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung nicht abzugsfähig seien, wenn diese nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfänden.
Der Kläger rügt mit der Revision die Verletzung materiellen (Verfassungs-)Rechts. § 12 Nr. 5 EStG sei mit höherrangigem Verfassungsrecht unvereinbar. Zum einen verstoße die Regelung gegen das objektive Nettoprinzip, wenn es unter Missachtung des Leistungsfähigkeitsprinzips auf indisponibles Einkommen zugreife und durch eine Erwerbstätigkeit veranlasste Aufwendungen nicht zum Abzug zulasse. Die Regelung sei auch diskriminierend. Denn das Abzugsverbot betreffe nur Aufwendungen für ein Erststudium, die nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses anfielen. Erststudien, die außerhalb eines Dienstverhältnisses durchgeführt würden, seien dadurch benachteiligt, ohne dass dies vor Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes gerechtfertigt sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß, |
das Urteil des FG des Saarlandes vom 20. April 2011, die Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2008 sowie den ablehnenden Bescheid vom 6. Oktober 2008 aufzuheben und das FA zu verpflichten, einen |
verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2006 in Höhe von 6.540 € festzustellen. |
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht die Aufwendungen des Klägers für dessen Ausbildung ohne weitere Prüfung vom Abzug als (vorweggenommene) Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ausgeschlossen.
Werbungskosten, nämlich Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG liegen vor, wenn sie durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Sie sind beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige gegenwärtig noch keine Einnahmen erzielt. Dann sind die Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar, wenn sie in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen. Diese Voraussetzungen können auch bei berufsbezogenen Bildungsmaßnahmen erfüllt sein. Denn § 9 EStG enthält keine Sonderregelung zu Berufsbildungskosten. Entscheidend bleibt, ob die Aufwendungen einen hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zur nachfolgenden auf die Erzielung von Einkünften gerichteten Berufstätigkeit aufweisen.
Der Werbungskostenabzug ist gegenüber dem Abzug von Aufwendungen als Sonderausgaben vorrangig. Das ist ein allgemeiner, für alle Sonderausgaben durch den Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 EStG normierter Grundsatz. Deshalb steht auch § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG dem Abzug der Berufsbildungskosten als Werbungskosten nicht entgegen. Deshalb sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung nur dann Sonderausgaben, "wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind".
Dieser vorrangige Werbungskostenabzug gilt unverändert und insbesondere auch nach der Neuregelung des Abzugs der Berufsausbildungskosten und der Einführung des § 12 Nr. 5 EStG durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1753). Denn auch § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der durch dieses Änderungsgesetz insoweit unveränderten Fassung entfaltet keine Sperrwirkung gegenüber dem Werbungskostenabzug.
Entsprechendes gilt für § 12 Nr. 5 EStG. Denn danach sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium nur insoweit weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen, als in § "10 Abs. 1 Nr. 1, ... 7 ... nichts anderes bestimmt ist". § 12 Nr. 5 EStG schließt damit anders als etwa § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 bis 11 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG den Betriebsausgaben- und Werbungskostenabzug nicht kategorisch aus, sondern steht wie § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG unter dem Anwendungsvorbehalt seines Einleitungssatzes. Der ordnet indessen den vorrangigen Sonderausgabenabzug an. Der vorrangige Sonderausgabenabzug steht seinerseits unter dem Vorbehalt des vorrangigen Betriebsausgaben- oder Werbungskostenabzugs. Deshalb sind Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung auch unter Geltung des § 12 Nr. 5 EStG als Werbungskosten abziehbar, sofern ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen den Aufwendungen und der späteren auf Einkünfteerzielung gerichteten Berufstätigkeit besteht. Zur weiteren Begründung verweist der Senat zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil vom 28. Juli 2011 VI R 7/10 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, www.bundesfinanzhof.de, BFH/NV 2011, 1779).
2. Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze lässt sich auf Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen dem Studium des Klägers im Fach Informationswissenschaften und einer nachfolgenden Berufstätigkeit auf diesem Gebiet nicht ausschließen. Denn ein solcher Veranlassungszusammenhang ist, wie der Senat schon früher in Fällen einer zweiten oder weiteren Berufsausbildung entschieden hatte, regelmäßig gegeben, wenn das Studium Berufswissen vermittelt und damit auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet ist (s. dazu Senatsentscheidungen vom 20. Juli 2006 VI R 26/05, BFHE 214, 370, BStBl II 2006, 764; vom 18. Juni 2009 VI R 14/07, BFHE 225, 393, BStBl II 2010, 816; VI R 31/07, BFH/NV 2009, 1797).
Die Sache ist allerdings nicht entscheidungsreif. Denn das FG hat --aus seiner Sicht zu Recht-- noch nicht geprüft, ob und welche vom Kläger im Einzelnen geltend gemachten Aufwendungen tatsächlich durch die angestrebte Berufstätigkeit veranlasst waren. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.