Entscheidungsdatum: 09.03.2017
Bei der Berechnung des Unterhaltshöchstbetrags nach § 33a Abs. 1 EStG sind keine fiktiven Einkünfte einer nach § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG gesetzlich Unterhaltsberechtigten gleichgestellten Person anzusetzen.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 28. April 2016 10 K 57/15 aufgehoben.
Die Einkommensteuer 2009 bis 2012 wird unter Änderung der Einkommensteuerbescheide vom 18. Dezember 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2015 auf den Betrag festgesetzt, der sich bei Berücksichtigung von Unterhaltsaufwendungen in Höhe von 7.680 € (2009), 9.689 € (2010), 9.784 € (2011) und 9.051 € (2012) als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes ergibt.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Die Revision des Beklagten wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
I. Streitig ist, ob bei der Berechnung des Unterhaltshöchstbetrags nach § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr 2009 geltenden Fassung (EStG a.F.) und nach § 33a Abs. 1 EStG i.d.F. des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung (BürgEntlG KV) vom 16. Juli 2009 (BGBl I 2009, 1959) für die Streitjahre 2010 bis 2012 fiktive Einkünfte einer gesetzlich Unterhaltberechtigten gleichgestellten Person anzusetzen sind.
Der Kläger, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (Kläger) erzielte in den Streitjahren (2009 bis 2012) gewerbliche Einkünfte. Er lebt seit Mai 2007 mit seiner Lebensgefährtin Frau X in einem Haushalt.
Frau X (geb. 1974) war von Mitte 2004 bis Mitte 2005 im Rahmen eines Zeitvertrages bei der Firma Y in Z angestellt und erzielte im Jahr 2004 Einkünfte in Höhe von 19.064 €. Vom 1. August 2005 bis 30. April 2008 erhielt sie Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), danach noch in Bedarfsgemeinschaft mit dem Kläger bis 31. Dezember 2008. In der Zeit des Leistungsbezugs war Frau X zeitweilig als Haushaltshilfe, u.a. bei dem Kläger, beschäftigt und erzielte so beispielsweise im April 2007 ein monatliches Arbeitseinkommen von 200 € sowie von Mai bis September 2007 ein monatliches Arbeitseinkommen von 400 €. Die Stellen hatte ihr das JobCenter vermittelt.
Über den 31. Dezember 2008 hinaus erhielt Frau X keine Leistungen nach dem SGB II. Ihr Antrag auf Fortzahlung der Leistungen vom 25. November 2008 wurde abgelehnt, weil sie mit dem Kläger in einer Bedarfsgemeinschaft lebe und dieser seiner Einkommensnachweispflicht nicht nachgekommen sei. In den Streitjahren erzielte Frau X keine eigenen Einkünfte.
In seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre machte der Kläger jeweils Unterhaltsaufwendungen für Frau X mit dem Höchstbetrag zzgl. des Beitrags für die Krankenversicherung wie folgt geltend: |
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2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
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Höchstbetrag gemäß § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG |
7.680 € |
8.004 € |
8.004 € |
8.004 € |
Krankenversicherungsbeiträge, § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG |
1.685 € |
1.780 € |
1.047 € |
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Summe |
7.680 € |
9.689 € |
9.784 € |
9.051 € |
Er wurde erklärungsgemäß, wenn auch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, zur Einkommensteuer veranlagt.
Im Anschluss an eine Außenprüfung beim Kläger für die Jahre 2009 bis 2011 berücksichtigte der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Unterhaltsaufwendungen nicht mehr als außergewöhnliche Belastung und erließ entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre. Die Unterhaltsaufwendungen seien nicht zu berücksichtigen, da Frau X nicht hilfsbedürftig sei. Denn sie hätte ihren Unterhalt durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit decken können.
Der daraufhin erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1262 veröffentlichten Gründen teilweise statt. Zwar bestehe im Anwendungsbereich des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des BürgEntlG KV (§ 33a Abs. 1 Satz 2 EStG a.F.) entsprechend der neueren Rechtsprechung zu § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG eine generelle Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsempfängers. Eine Verletzung der Erwerbsobliegenheit schließe den Abzug von Unterhaltsaufwendungen nach § 33a EStG jedoch nicht vollständig aus. Vielmehr seien bei der Berechnung des Unterhaltshöchstbetrags gemäß § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG i.d.F. des BürgEntlG KV (§ 33a Abs. 1 Satz 4 EStG a.F.) die objektiv erzielbaren fiktiven Einkünfte des Unterhaltsempfängers --hier in Höhe von geschätzt monatlich 400 €-- gegenzurechnen.
Mit der Revision rügen sowohl das FA als auch der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt sinngemäß,
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 28. April 2016 10 K 57/15 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger tritt der Revision des FA entgegen und beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 28. April 2016 10 K 57/15 insoweit aufzuheben, als die erklärten Unterhaltsaufwendungen nicht in voller Höhe als außergewöhnliche Belastung nach § 33a EStG berücksichtigt wurden.
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und im tenorierten Umfang zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die Unterhaltsleistungen des Klägers an seine Lebensgefährtin bei der Berechnung des Unterhaltshöchstbetrags nach § 33a Abs. 1 EStG zu Unrecht um fiktive Einkünfte der Unterhaltsempfängerin gekürzt. Die Revision des FA ist demnach unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu 7.680 € (im Jahr 2009) und bis zu 8.004 € (in den Jahren 2010 bis 2012) im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG). Der Unterhaltshöchstbetrag erhöht sich ab dem Veranlagungszeitraum 2010 gemäß § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des BürgEntlG KV um den Betrag der im jeweiligen Veranlagungszeitraum nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG für die Absicherung der unterhaltsberechtigten Person aufgewandten Beiträge; dies gilt nicht für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, die bereits (beim Unterhaltsverpflichteten) nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG anzusetzen sind. Der gesetzlich unterhaltsberechtigten Person gleichgestellt ist eine Person, wenn bei ihr zum Unterhalt bestimmte inländische öffentliche Mittel mit Rücksicht auf die Unterhaltsleistungen des Steuerpflichtigen gekürzt werden (§ 33a Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des BürgEntlG KV, § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG a.F.).
a) Davon ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige mit einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten, d.h. hilfsbedürftigen (§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II) Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II). Denn bei Personen, die in einer solchen Bedarfsgemeinschaft leben, bestimmt sich die Hilfsbedürftigkeit des Leistungsberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II auch nach dem Einkommen und Vermögen des Partners. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft aus "einem Topf" gewirtschaftet wird (z.B. Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. November 2008 B 14 AS 2/08 R, BSGE 102, 76), die hilfsbedürftige Person mithin von den anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen zum Lebensunterhalt erhält (Mecke, in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 9 Rz 30; Schoch, in Münder, SGB II, 5. Aufl. 2013, § 7 Rz 41; vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Juni 2002 III R 28/99, BFHE 199, 355, BStBl II 2002, 753). Hat ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ein Einkommen, das den zur Deckung des eigenen (sozialrechtlichen) Lebensunterhaltsbedarfs benötigten Umfang übersteigt, wird der Überschuss folglich auf den Bedarf des Leistungsberechtigten angerechnet und mindert dessen Ansprüche nach dem SGB II.
b) Seit der Änderung der Vorschrift durch das Steueränderungsgesetz 2001 vom 20. Dezember 2001 (BStBl I 2002, 4) --Ersetzung des Wortes "soweit" durch "wenn"-- ist nicht erforderlich, dass beantragte Sozialleistungen tatsächlich gekürzt oder abgelehnt wurden; es reicht aus, dass die unterhaltene Person wegen der Unterhaltsleistungen keinen Anspruch auf Sozialleistungen hat (BTDrucks 14/6877, 26; BFH-Urteil vom 29. Mai 2008 III R 23/07, BFHE 222, 250, BStBl II 2009, 363, m.w.N.; Blümich/Heger K., § 33a EStG Rz 148; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 33a Rz 13; Schmidt/Loschelder, EStG, 36. Aufl., § 33a Rz 20).
c) Aufgrund dessen kann beim Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft regelmäßig davon ausgegangen werden, dass dem gleichgestellten Unterhaltsempfänger i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des BürgEntlG KV (§ 33a Abs. 1 Satz 2 EStG a.F.) zum Unterhalt bestimmte inländische öffentliche Mittel mit Rücksicht auf die Unterhaltsleistungen des Steuerpflichtigen gekürzt werden (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 7. Juni 2010 IV C 4-S 2285/07/0006:001, BStBl I 2010, 582, Tz 5; Blümich/Heger K., § 33a EStG Rz 148; Pfirrmann in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 33a EStG Rz 77). Auf die Höhe der Kürzung kommt es nicht an (BTDrucks 14/6877, 26).
d) Weitere Abzugsvoraussetzungen benennt § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des BürgEntlG KV (§ 33a Abs. 1 Satz 2 EStG a.F.) nicht. Der Wortlaut der Vorschrift ist insoweit eindeutig. Aus Systematik, Normzweck und Entstehungsgeschichte ergibt sich nichts Abweichendes. Vielmehr nimmt das Gesetz die im Sozialrecht angelegte --im Tatbestand der Bedarfsgemeinschaft geregelte-- Vermutung, dass Lebenspartner einander bei Bedürftigkeit unterhalten, auf (BFH-Urteile vom 19. Mai 2004 III R 11/03, BFHE 206, 248, BStBl II 2004, 1051; in BFHE 222, 250, BStBl II 2009, 363, sowie Senatsurteil vom 17. Dezember 2009 VI R 64/08, BFHE 227, 491, BStBl II 2010, 343, m.w.N.) und stellt Unterhaltsleistungen an Personen, die wegen der Kürzung/Versagung von Sozialleistungen an Einkommen und Vermögen des Lebenspartners teilhaben, in der steuerlichen Rechtsfolge Zuwendungen an gesetzlich Unterhaltsberechtigte gleich. § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des BürgEntlG KV (§ 33a Abs. 1 Satz 2 EStG a.F.) unterstellt für diesen Fall eine der gesetzlichen Unterhaltspflicht gleichzusetzende konkrete Beistandsverpflichtung (BFH-Urteil vom 18. März 2004 III R 50/02, BFHE 205, 278, BStBl II 2004, 594). Damit soll zum einen der Einheitlichkeit der Rechtsordnung Rechnung getragen werden (BTDrucks 13/1686, 42; BFH-Urteil vom 23. Oktober 2002 III R 57/99, BFHE 201, 31, BStBl II 2003, 187). Zum anderen entfällt durch die Gleichstellung beider Personenkreise die bis dahin aufwändige Prüfung, ob und in welcher Höhe der Steuerpflichtige gegenüber gesetzlich nicht unterhaltsberechtigten Personen aus sittlichen Gründen unterhaltsverpflichtet ist (BTDrucks 13/1686, 42).
e) Die Frage, ob sich der gleichgestellte erwerbsfähige Unterhaltsempfänger einer zumutbaren Erwerbstätigkeit verweigert und deshalb eine Kürzung von Sozialleistungen zu vergegenwärtigen hat, stellt sich folglich im Rahmen von § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des BürgEntlG KV (§ 33a Abs. 1 Satz 2 EStG a.F.) nicht. Denn auch in einem solchen Fall verweist ihn der Tatbestand der Bedarfsgemeinschaft auf Einkommen und Vermögen seines Lebenspartners. Eine Anrechnung fiktiver Einkünfte kommt im Rahmen der sozialrechtlich angelegten Zwangsläufigkeit ebenfalls nicht in Betracht (a.A. HHR/Pfirrmann, § 33a EStG Rz 75, 77). Eine solche ist dem Sozialrecht ohnehin fremd (Thie, in Münder, SGB II, 5. Aufl. 2013, § 9 Rz 11).
2. Die Vorentscheidung entspricht diesen Rechtsgrundsätzen nicht. Sie kann daher keinen Bestand haben. Das FG hat zu Unrecht darauf erkannt, dass im Anwendungsbereich des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des BürgEntlG KV (§ 33a Abs. 1 Satz 2 EStG a.F.) bei der Berechnung des Unterhaltshöchstbetrags fiktive Einkünfte einer gesetzlich (zivilrechtlich) Unterhaltsberechtigten gleichgestellten Person gemäß § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG i.d.F. des BürgEntlG KV (§ 33a Abs. 1 Satz 4 EStG a.F.) anzusetzen sind. Der Klage ist insoweit stattzugeben. Die Sache ist spruchreif. Nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hat der Kläger mit seiner Lebensgefährtin in den Streitjahren in einem gemeinsamen Haushalt gelebt und dort im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft gewirtschaftet. Darüber hinaus hat die Vorinstanz festgestellt, dass der Lebensgefährtin des Klägers deshalb über den 31. Dezember 2008 hinaus die Fortzahlung von Leistungen nach dem SGB II versagt worden ist und der Kläger seine Lebensgefährtin in den Streitjahren mit den geltend gemachten Beträgen unterhalten hat. Dies steht im Übrigen zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit. Der Ansatz von Krankenversicherungsbeiträgen kommt im Streitjahr 2009 allerdings nicht in Betracht. § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des BürgEntlG KV gilt erst ab dem Veranlagungszeitraum 2010. Entsprechende Aufwendungen hat der Kläger im Übrigen auch weder im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung 2009 erklärt noch deren Berücksichtigung im Revisionsverfahren beantragt.
3. Die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2, § 121 Satz 1 FGO).