Entscheidungsdatum: 15.09.2011
NV: Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung an einer Fachhochschule im Fach Betriebswirtschaft können als vorab entstandene Werbungskosten anzuerkennen sein. Denn der Vorrang des Werbungskostenabzugs bzw. Betriebsausgabenabzugs bleibt durch § 12 Nr. 5 EStG ebenso wie durch § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG unberührt.
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Aufwendungen für ein Erststudium nach Schulabschluss vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit darstellen.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) studierte im Anschluss an ihr Abitur seit 1. Januar 2005 an einer Fachhochschule Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt europäische Unternehmensführung. Die monatlichen Studiengebühren betrugen 600 €. Die Klägerin beendete ihr Studium am 31. Dezember 2007 als Diplomkauffrau. Während des Studiums absolvierte sie in den Jahren 2005 bis 2007 fünf Pflichtpraxisphasen und erhielt hierfür Vergütungen zwischen 1.100 € und 1.500 €. Zwei dieser Praktika leistete die Klägerin bei der Firma X, dem Unternehmen, bei dem sie seit Februar 2008 nichtselbständig tätig ist.
Die Klägerin machte mit ihrer Steuererklärung für das Streitjahr (2007) ihren durch das Studium entstandenen Aufwand in Höhe von 10.537 € als vorweggenommene Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte dagegen im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung als Werbungskosten lediglich den Pauschbetrag des § 9a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG in Höhe von 920 € an und berücksichtigte die Aufwendungen nur als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG mit dem für Berufsausbildungskosten geltenden Höchstbetrag von 4.000 €.
Den Antrag der Klägerin, einen verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer für das Streitjahr in Höhe der geltend gemachten Werbungskosten von 10.537 € festzustellen, lehnte das FA ab. Nach dagegen erfolglos eingelegtem Einspruch hat das Finanzgericht (FG) die dagegen erhobene Klage abgewiesen.
Die Klägerin wendet sich dagegen mit der Revision und rügt die Verletzung materiellen (Verfassungs-)Rechts.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil des FG Münster sowie den Bescheid über die Ablehnung der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007 vom 29. Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. November 2009 aufzuheben und das FA zu verpflichten, den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007 in Höhe von 6.254 € festzustellen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht die Aufwendungen der Klägerin für deren Ausbildung ohne weitere Prüfung vom Abzug als (vorweggenommene) Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ausgeschlossen. Die Sache ist allerdings nicht entscheidungsreif. Denn das FG hat zur Höhe der im Einzelnen von der Klägerin geltend gemachten Kosten noch keine hinreichenden Feststellungen getroffen.
1. Werbungskosten, nämlich Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG liegen vor, wenn sie durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Sie sind beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige gegenwärtig noch keine Einnahmen erzielt. Dann sind die Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar, wenn sie in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen. Diese Voraussetzungen können auch bei berufsbezogenen Bildungsmaßnahmen erfüllt sein. Denn § 9 EStG enthält keine Sonderregelung zu Berufsbildungskosten. Entscheidend bleibt, ob die Aufwendungen einen hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zur nachfolgenden auf die Erzielung von Einkünften gerichteten Berufstätigkeit aufweisen.
Der Werbungskostenabzug ist gegenüber dem Abzug von Aufwendungen als Sonderausgaben vorrangig. Das ist ein allgemeiner, für alle Sonderausgaben durch den Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 EStG normierter Grundsatz. Deshalb steht auch § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG dem Abzug der Berufsbildungskosten als Werbungskosten nicht entgegen. Denn Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung sind nur dann Sonderausgaben, "wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind".
Dieser vorrangige Werbungskostenabzug gilt unverändert und insbesondere auch nach der Neuregelung des Abzugs der Berufsausbildungskosten und der Einführung des § 12 Nr. 5 EStG durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1753). Denn auch § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der durch dieses Änderungsgesetz insoweit unveränderten Fassung entfaltet keine Sperrwirkung gegenüber dem Werbungskostenabzug.
Entsprechendes gilt für § 12 Nr. 5 EStG. Denn danach sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium nur insoweit weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen, als "in den §§ 4f, 10 Abs. 1 Nr. 1, 2 bis 5, 7 bis 9, §§ 10a, 10b und den §§ 33 bis 33b nichts anderes bestimmt ist". § 12 Nr. 5 EStG schließt damit anders als etwa § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 bis 12 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG den Betriebsausgaben- und Werbungskostenabzug nicht kategorisch aus, sondern steht wie § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG unter dem Anwendungsvorbehalt seines Einleitungssatzes. Der ordnet indessen den vorrangigen Sonderausgabenabzug an. Der vorrangige Sonderausgabenabzug steht seinerseits unter dem Vorbehalt des vorrangigen Betriebsausgaben- oder Werbungskostenabzugs. Deshalb sind Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung auch unter Geltung des § 12 Nr. 5 EStG als Werbungskosten abziehbar, sofern ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen den Aufwendungen und der späteren auf Einkünfteerzielung gerichteten Berufstätigkeit besteht. Zur weiteren Begründung verweist der Senat zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil vom 28. Juli 2011 VI R 38/10 (BFHE 234, 279, www.bundesfinanzhof.de, BFH/NV 2011, 1782).
2. Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze besteht auf Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen dem Studium der Klägerin und deren nachfolgender Berufstätigkeit als Diplomkauffrau. Denn ein solcher Veranlassungszusammenhang ist regelmäßig gegeben, wenn das Studium Berufswissen vermittelt und damit auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet ist (s. dazu Senatsentscheidungen vom 20. Juli 2006 VI R 26/05, BFHE 214, 370, BStBl II 2006, 764; vom 18. Juni 2009 VI R 14/07, BFHE 225, 393, BStBl II 2010, 816; VI R 31/07, BFH/NV 2009, 1797).
Die Sache ist allerdings nicht entscheidungsreif. Denn das FG hat --aus seiner Sicht zu Recht-- noch nicht geprüft, ob und welche der Klägerin im Einzelnen entstandenen Aufwendungen tatsächlich durch die angestrebte Berufstätigkeit veranlasst waren und welche Einnahmen die Klägerin in dem Veranlagungszeitraum erzielt hatte, für den sie die Verlustfeststellung beantragt hat. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.