Entscheidungsdatum: 30.07.2013
NV: Die Entscheidung des Finanzgerichts, ein ruhendes Verfahren fortzusetzen, ist nicht ermessensfehlerhaft, nachdem der BFH eine Entscheidung zu der streitigen Rechtsfrage getroffen hat. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn zu dieser Rechtsfrage noch weitere Revisionsverfahren bei anderen Senaten des BFH anhängig sind .
I. Das Finanzgericht (FG) hat mit Zustimmung der Beteiligten durch Beschluss vom 23. Mai 2012 das Ruhen des Verfahrens 10 K 3496/10 Kg "bis zu einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs in den dort anhängigen Revisionsverfahren III R 17/11 und III R 63/10" angeordnet.
Mit Beschluss vom 8. Februar 2013 entschied das FG, das ruhende Verfahren wieder aufzunehmen. Das FG begründete seine Entscheidung damit, dass der Bundesfinanzhof (BFH) zwar in den genannten beiden Revisionsverfahren noch nicht die Frage entschieden habe, ob eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch für diejenigen Zeiträume bzw. Monate eines Kalenderjahres nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG einen Anspruch auf Kindergeld begründe, in denen der Antragsteller keine inländischen Einkünfte i.S. von § 49 EStG erzielt habe. Jedoch sei die Rechtsfrage durch das Urteil des BFH vom 24. Oktober 2012 V R 43/11 (BFHE 239, 327, BStBl II 2013, 491) gleichwohl höchstrichterlich entschieden worden. Somit sei der Grund für die Ruhendstellung unabhängig davon, dass die beiden Revisionsverfahren III R 17/11 und III R 63/10 nach wie vor anhängig seien, entfallen.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) legte gegen den Beschluss zur Wiederaufnahme des Klageverfahrens Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat.
Der Kläger beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
1. Die Möglichkeit, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, folgt für den Steuerprozess aus § 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung (ZPO). § 251 ZPO eröffnet dem erkennenden Gericht ein Ermessen. Infolgedessen ist auch die Entscheidung des Gerichts, eine bestehende Verfahrensruhe zu beenden und das Verfahren fortzusetzen, eine Ermessensentscheidung (Senatsentscheidung vom 12. Juli 2011 VI B 28/11, BFH/NV 2011, 1898, m.w.N.). Bei einer Ermessensentscheidung des FG, die mit der Beschwerde angefochten wird, darf sich der BFH nicht auf die bloße Ermessenskontrolle beschränken. Er hat vielmehr eigenes Ermessen auszuüben (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 102 FGO Rz 26, m.w.N.; Bergkemper in HHSp, § 132 FGO Rz 21, m.w.N.; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 102 FGO Rz 11).
2. Nach diesen Grundsätzen konnte das FG das Ruhen des Verfahrens 10 K 3496/10 Kg beenden und das Verfahren wieder aufnehmen.
a) Bei übereinstimmendem Antrag der Beteiligten darf das FG das Ruhen des Verfahrens anordnen, wenn anzunehmen ist, dass dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig ist. Davon ist u.a. auszugehen, wenn durch eine bevorstehende Entscheidung eines Parallelfalls eine Förderung des Verfahrens zu erwarten ist (Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 74 FGO Rz 22; Thürmer in HHSp, § 74 FGO Rz 201). Im Streitfall lag der vom FG beschlossenen Verfahrensruhe die Erwägung zugrunde, dass die Ergebnisse der BFH-Verfahren III R 17/11 und III R 63/10 nach deren Abschluss wegen der gleichen Rechtsfrage auf das bis dahin ruhende Verfahren übertragen werden könnten. Das ist nicht zu beanstanden, denn wie im streitigen Verfahren ist Gegenstand der beiden Revisionsverfahren die Frage, ob die unbeschränkte Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 3 EStG auch für die Zeiträume eines Kalenderjahres, in denen der Antragsteller keine inländischen Einkünfte i.S. von § 49 EStG erzielt hat, einen Anspruch auf Kindergeld begründet.
b) Ist in einem Beschluss über die Anordnung des Ruhens des Verfahrens nach § 155 FGO i.V.m. § 251 ZPO als Endzeitpunkt des Ruhens ein bestimmtes Ereignis bezeichnet, so endet das Ruhen und der Beschluss verliert seine Wirkung, sobald dieses Ereignis eintritt (BFH-Beschluss vom 9. August 2007 III B 187/06, BFH/NV 2007, 2310).
Im Streitfall hat das FG das Ruhen des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in den beim BFH anhängigen Verfahren III R 17/11 und III R 63/10 angeordnet. Beide Verfahren waren im maßgeblichen Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses beim BFH noch anhängig, sodass damit eine wesentliche Voraussetzung für die Aufnahme des Verfahrens nicht gegeben war. Auch hatte zu diesem Zeitpunkt kein Verfahrensbeteiligter beantragt, das Verfahren wieder aufzunehmen (§ 155 FGO i.V.m. § 250 ZPO; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 74 FGO Rz 22).
Das Gericht kann aber darüber hinaus das Verfahren auch dann wieder aufnehmen, wenn keine wichtigen Gründe mehr vorliegen, die das weitere Ruhen zweckmäßig erscheinen lassen (Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 74 FGO Rz 22). So liegt der Fall hier. Denn der BFH hat mit Urteil in BFHE 239, 327, BStBl II 2013, 491 eine Entscheidung zu der genannten Rechtsfrage getroffen. Damit liegen die Voraussetzungen vor, die im Ruhensbeschluss des FG vom 23. Mai 2012 als Begründung für das Ruhen des Verfahrens herangezogen worden waren, nämlich dass Entscheidungen des BFH Erkenntnisse für die im vorliegenden Klageverfahren zu treffende Entscheidung bringen können. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass lt. Geschäftsverteilungsplan des BFH seit 2012 vier Senate für "Kindergeld (§§ 62 bis 78 EStG)" zuständig sind und die Rechtsfrage auch noch tatsächlich Gegenstand weiterer Revisionsverfahren bei verschiedenen BFH-Senaten im Zeitpunkt der Beschlussfassung war (s. III R 17/11; III R 63/10; III R 59/11; VI R 70/11; XI R 8/12). Denn auch in diesem Fall ist die Entscheidung des FG, das Klageverfahren nun weiter zu betreiben, noch nicht ermessensfehlerhaft.
3. Eine Kostenentscheidung ist in diesem unselbständigen Zwischenverfahren nicht zu treffen (BFH-Beschluss vom 18. September 2002 XI B 126/01, BFH/NV 2003, 189).