Entscheidungsdatum: 16.03.2012
Betreiber einer Telekommunikationslinie ist, wer über deren Nutzung zu Zwecken der Telekommunikation tatsächlich und rechtlich bestimmen kann; die umfassende Verfügungsbefugnis über alle körperlichen Bestandteile der Telekommunikationslinie ist nicht erforderlich.
Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. März 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von 323.336,85 € nebst Zinsen verurteilt worden ist.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der I. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund vom 5. November 2008 geändert und die auf Zahlung gerichtete Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Wegen der Höhe des Zahlungsanspruchs wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin ist Eigentümerin eines ursprünglich allein der Energieversorgung dienenden Leitungsnetzes. In den neunziger Jahren wurden die Leitungen mit für die öffentliche Telekommunikation nutzbaren Lichtwellenleiterkabeln ausgestattet. Eine Rechtsvorgängerin der Klägerin räumte der Rechtsvorgängerin der Beklagten in einem 1999 geschlossenen Vertrag das Recht zur ausschließlichen Nutzung und Vermarktung des dadurch entstandenen Telekommunikationsnetzes ein.
Aufgrund der Nutzungserweiterung machten zahlreiche Eigentümer von Grundstücken, über welche die Leitungen verlaufen, Ausgleichsansprüche nach dem Telekommunikationsgesetz gegen die Klägerin geltend. Diese verlangt von der Beklagten die Erstattung der Hälfte der an die Grundstückseigentümer erbrachten Ausgleichszahlungen sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie von weitergehenden Ausgleichsansprüchen der Eigentümer, über deren Grundstücke die der Beklagten überlassenen - näher bezeichneten - Leitungen verlaufen, zur Hälfte freizustellen.
In erster Instanz ist die Klage ohne Erfolg geblieben. Das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
I.
Das Berufungsgericht meint, der Klägerin stehe gemäß § 426 Abs. 1 BGB ein Anspruch in Höhe von 318.679,85 € gegen die Beklagte zu, da die Parteien Gesamtschuldner der Ausgleichsansprüche der Grundstückseigentümer nach § 76 Abs. 2 Satz 2 TKG bzw. nach § 57 Abs. 2 Satz 2 TKG aF seien. Die Beklagte sei Betreiberin der Telekommunikationslinie. Eine anderweitige Bestimmung über die Verteilung der Kosten im Innenverhältnis bestehe nicht; insbesondere seien die Ausgleichsansprüche - ungeachtet des Mietrechtscharakters der Nutzungsvereinbarung - nicht als Lasten der Mietsache im Sinne von § 535 Abs. 1 Satz 3 BGB anzusehen. Ein hälftiger Ausgleich sei angemessen, weil es sich bei der Beklagten um die einzige Betreiberin der Telekommunikationslinie handele.
Die ursprünglich im Tatbestand des Berufungsurteils enthaltene Feststellung, die Beklagte bestreite die von der Klägerin dargelegten Zahlungen an die Grundstückseigentümer nicht mehr, ist aufgrund eines Tatbestandsberichtigungsbeschlusses des Berufungsgerichts entfallen.
II.
Die Revision hat teilweise Erfolg.
1. Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand, soweit darin ein aus einem Gesamtschuldverhältnis abgeleiteter Zahlungs- und Freistellungsanspruch der Klägerin (§ 426 Abs. 1 Satz 1 BGB) dem Grunde nach als gegeben angesehen wird.
a) Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht an, dass die Beklagte Betreiberin der Telekommunikationslinie und damit im Außenverhältnis neben der Klägerin Schuldnerin des für die erweiterte Nutzung der Leitungen vorgesehenen einmaligen Ausgleichsanspruchs der betroffenen Grundstückseigentümer gemäß § 76 Abs. 2 Satz 2 TKG (bzw. § 57 Abs. 2 Satz 2 TKG aF) ist.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist zur Zahlung dieses Ausgleichsanspruchs verpflichtet, wer die Funktionsherrschaft über die Telekommunikationslinie innehat, also über deren Nutzung zu Zwecken der öffentlichen Telekommunikation entscheidet. Ob diese Befugnis auf dem Eigentum an dem Leitungsnetz oder auf einem vertraglichen Nutzungsrecht beruht, ist ohne Belang (vgl. Senat, Urteil vom 17. Juni 2005 - V ZR 202/04, NJW-RR 2005, 1683, 1684; Urteil vom 16. September 2005 - V ZR 242/04, NJW-RR 2006, 384). Stehen das Eigentum und das Nutzungsrecht an der Telekommunikationslinie - wie hier - unterschiedlichen Personen zu, sind beide Schuldner des Ausgleichsanspruchs (Senat, Urteil vom 17. Juni 2005 - V ZR 202/04, aaO; Urteil vom 16. September 2005 - V ZR 242/04, aaO; Urteil vom 17. Juli 2009 - V ZR 254/08, NJW-RR 2010, 200, 201 Rn. 18).
Die Haftung sowohl des Betreibers der Telekommunikationslinie als auch des Eigentümers des Leitungsnetzes lässt sich nach der Neufassung des Telekommunikationsgesetzes durch das Gesetz vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), bei der diese Rechtsprechung Berücksichtigung gefunden hat (vgl. BT-Drucks. 15/2316 S. 120), unmittelbar aus der Vorschrift des § 76 Abs. 2 TKG ablesen. In Satz 1 werden beide als Schuldner des Ausgleichsanspruchs genannt; ihre Haftung als Gesamtschuldner folgt aus Satz 4 der Vorschrift. Durch die Neufassung ist zugleich klargestellt, dass die Betreibereigenschaft keine umfassende tatsächliche und rechtliche Verfügungsgewalt über alle Bestandteile der Telekommunikationslinie im Sinne des § 3 Nr. 26 TKG erfordert (aA Schuster in Hoeren, Handbuch Wegerechte und Telekommunikation, S. 258 Rn. 60; Stelkens, TKG-Wegerecht, § 76 Rn. 155; siehe auch Heun, Handbuch Telekommunikationsrecht, 2. Aufl., S. 505 Rn. 287); denn eine solche hat typischerweise nur der Eigentümer des Leitungsnetzes. Ausreichend ist vielmehr die Befugnis, über die Nutzung der Leitungen zu Zwecken der Telekommunikation zu bestimmen (vgl. Schütz in Beck’scher TKG-Kommentar, 3. Aufl., § 76 Rn. 44; Hamm, MMR 2005, 358, 360 f.; siehe auch Lisch, MMR 2007, 89 ff.; Wendlandt, MMR 2004, 297, 299 und Schäfer/Giebel, ZfIR 2004, 661 ff. jeweils zum Fall der Vermietung). In diesem Sinne war bereits das "Betreiben von Telekommunikationsnetzen" in § 3 Nr. 2 TKG aF definiert, nämlich als das Ausüben der rechtlichen und tatsächlichen Kontrolle (Funktionsherrschaft) über die Gesamtheit der Funktionen, die zur Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen unabdingbar zur Verfügung gestellt werden müssen. Maßgeblicher Gegenstand der Funktionsherrschaft ist also nicht die körperliche Infrastruktur des Leitungsnetzes, sondern die Möglichkeit, diese zum Zwecke der Telekommunikation zu nutzen. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des Telekommunikationsgesetzes im Jahr 2004 von diesem Betreiberbegriff abgehen wollte, bestehen nicht (vgl. Senat, Urteil vom 17. Juni 2005 - V ZR 202/04, NJW-RR 2005, 1683, 1684 r. Sp. sowie von Graevenitz in Wissmann, Telekommunikationsrecht, 2. Aufl., Kap. 10 Rn. 182 u. Kap. 4 Rn. 9).
b) Nicht zu beanstanden ist die weitere Annahme des Berufungsgerichts, dem Rechtsverhältnis der Parteien sei keine anderweitige Bestimmung im Sinne des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zu entnehmen.
aa) Allein aus dem mietvertraglichen Charakter des Nutzungsvertrages folgt eine solche nicht (vgl. Senat, Urteil vom 17. Juli 2009 - V ZR 254/08, NJW-RR 2010, 200, 201 Rn. 23). Insbesondere handelt es sich bei der Ausgleichspflicht nach § 76 Abs. 2 Satz 2 TKG (bzw. § 57 Abs. 2 Satz 2 TKG aF) entgegen der Auffassung der Revision nicht um eine auf der Mietsache ruhende und damit von dem Vermieter zu tragende Last im Sinne des § 535 Abs. 1 Satz 3 BGB (aA Lisch, MMR 2007, 89, 90). Hierzu zählen nur Belastungen, welche den Eigentümer der Mietsache oder den an ihr dinglich Berechtigten gerade in dieser Eigenschaft zu einer Leistung verpflichten (vgl. MünchKomm-BGB/Häublein, 6. Aufl., § 535 Rn. 144; Bamberger/Roth/Ehlert, BGB, 2. Aufl., § 535 Rn. 206; Erman/Lützenkirchen, BGB, 13. Aufl., § 535 Rn. 66; Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 10. Aufl., § 535 BGB Rn. 569). Der Ausgleichsanspruch nach § 76 Abs. 2 Satz 2 TKG knüpft hingegen nicht unmittelbar an das Eigentum, sondern an die Aufnahme einer bestimmte Nutzungsform an; dies wird daraus deutlich, dass er sich, wie dargelegt, in gleicher Weise gegen den (ersten) Betreiber der Telekommunikationslinie richtet, der nicht Eigentümer des Leitungsnetzes ist.
bb) Entgegen der Auffassung der Revision kommt hinsichtlich der Ausgleichspflicht der Parteien auch keine ergänzende Auslegung des zwischen ihren Rechtsvorgängern geschlossenen Vertrages in Betracht. Da "das Problem der Entschädigungsansprüche" nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei Abschluss des Vertrages bekannt war, kann schon nicht angenommen werden, dass die Vereinbarung eine Lücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit enthält und damit einer ergänzenden Auslegung zugänglich ist (vgl. BGH Urteil vom 17. April 2002 - VIII ZR 297/01, WM 2002, 1229, 1230 mwN).
c) Das Berufungsgericht ist schließlich zutreffend von einer hälftigen Ausgleichspflicht der Beklagten ausgegangen. Nach den getroffenen Feststellungen ist sie nicht nur derzeit die einzige Betreiberin der hier maßgeblichen Telekommunikationslinie, sondern für die vereinbarte Laufzeit des Vertrages von 24 Jahren auch zu deren ausschließlicher Nutzung und Vermarktung berechtigt. Bei dieser Sachlage ist nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB unter Berücksichtigung der Wertungen der §§ 742, 743, 748 BGB ein hälftiger Ausgleich sachgerecht (Senat, Urteil vom 17. Juli 2009 - V ZR 254/08, NJW-RR 2010, 200, 201 Rn. 24).
Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass das Leitungsnetz auch für die interne Telekommunikation der Klägerin genutzt wird; denn eine solche Nutzung begründet keine Ausgleichsansprüche der Grundstückseigentümer gemäß § 76 Abs. 2 Satz 2 TKG bzw. § 57 Abs. 2 Satz 2 TKG aF. Sie bleibt folglich auch im Rahmen des Ausgleichs zwischen den gesamtschuldnerisch haftenden Unternehmen außer Betracht.
Rechtlich unerheblich ist der Hinweis der Beklagten, es sei der Klägerin möglich, die bestehenden Leitungstrassen um weitere Übertragungsmedien zu erweitern und diese anderen Anbietern zur Verfügung zu stellen. Der Anspruch aus § 76 Abs. 2 Satz 2 TKG (bzw. aus § 57 Abs. 2 Satz 2 TKG aF) setzt voraus, dass bislang keine Leitungswege vorhanden waren, die zum Zwecke der Telekommunikation genutzt werden konnten, und ist auf einen einmaligen Ausgleich anlässlich der Aufnahme der erweiterten Nutzung beschränkt. Daraus folgt, dass Schuldner des Ausgleichsanspruchs nur sein kann, wer - anfänglich oder später - eine Telekommunikationslinie betreibt, die im Zeitpunkt der Aufnahme der erweiterten Nutzung des Netzes bereits vorhanden war. Entsprechendes gilt für die Ausgleichspflicht im Innenverhältnis zwischen Betreiber(n) und Eigentümer des Leitungsnetzes (vgl. dazu Urteil vom 17. Juli 2009 - V ZR 254/08, NJW-RR 2010, 200, 201 Rn. 25 f.).
Inwieweit etwas anderes gelten würde, wenn die Klägerin die an die Beklagten vermieteten Telekommunikationslinien - unter Verletzung des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages - Dritten zur Nutzung überließe, bedarf keiner Entscheidung. Die Beklagte hat dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zwar angesprochen, jedoch keinen Vortrag hierzu aus den Tatsacheninstanzen aufgezeigt, den das Berufungsgericht übergangen oder rechtsfehlerhaft gewürdigt haben könnte.
2. Rechtsfehlerhaft ist indes die Annahme des Berufungsgerichts, Feststellungen zur Höhe der von der Klägerin mit 646.673,70 € angegebenen Zahlungen an die Grundstückseigentümer erübrigten sich, weil die Beklagte diese nicht mehr bestritten habe. Denn hiervon kann nicht mehr ausgegangen werden, nachdem das Berufungsgericht im Wege der Berichtigung (§ 320 Abs. 1 ZPO) den Satz aus dem Tatbestand gestrichen hat, aus welchem sich ergab, dass die Beklagte ihr Bestreiten zur Höhe des Zahlungsanspruchs fallen gelassen hatte. Das gilt ungeachtet des von der Revisionserwiderung hervorgehobenen Umstands, dass der inhaltsgleiche Satz aus den Entscheidungsgründen ("Die Klägerin hat insoweit Zahlungen in Höhe von insgesamt 646.673,70 € dargelegt, was von der Beklagten nicht mehr bestritten wird") nicht gestrichen worden ist. Denn die Reichweite eines Tatbestandsberichtigungsbeschlusses bestimmt sich unter Berücksichtigung seiner Begründung (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2010 - I ZR 161/08, NJW 2011, 1513, 1514 Rn. 12). Nach dieser ist die Berichtigung erfolgt, weil die Beklagte die geleisteten Ausgleichszahlungen in ihrem Schriftsatz vom 20. Januar 2010 mit Nichtwissen bestritten hatte. Damit vermag auch der dieser Begründung widersprechende Satz in den Entscheidungsgründen keine Tatbestandswirkung mehr zu entfalten.
III.
Das angefochtene Urteil kann daher nur Bestand haben, soweit es die Zahlungspflicht der Beklagten dem Grunde nach betrifft (Feststellungsantrag und Zahlungsantrag dem Grunde nach). Im Übrigen ist es aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). In diesem Umfang ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die notwendigen Feststellungen zur Höhe des Zahlungsanspruchs getroffen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit zu berücksichtigen, dass für den Zinsbeginn der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Zahlungsantrags maßgeblich ist.
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RiBGH Dr. Lemke ist infolge |
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Karlsruhe, den 2. April 2012 |
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