Entscheidungsdatum: 18.02.2011
Die von § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG angeordnete entsprechende Heranziehung der mietrechtlichen Regelung des § 559 Abs. 1 BGB gibt Raum für eine großzügigere Handhabung des Modernisierungsbegriffes .
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 31. März 2010 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Beschlüsse der Wohnungseigentümer vom 4. Juli 2007 zu TOP 7.1, 7.2, 7.4 und 7.5 insgesamt und den Beschluss zu TOP 7.3 insoweit für ungültig erklärt hat, als mit diesem Rechte zur Ausübung auf die Wohnungseigentümergemeinschaft übertragen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 10. Juni 2009 zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger 2/3 und die Beklagten 1/3.
Von Rechts wegen
Die Parteien sind die Mitglieder einer aus acht Einheiten bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Anlage besteht aus mehreren Reihenhäusern. Ursprünglich teilten sich jeweils zwei der Einheiten einen Schornstein, der mittig vom Keller bis zum Dach verlief, nur einen Zug hatte und jeweils ca. 25 cm tief in die Wohneinheiten hineinragte. Im Zuge der Umstellung des Heizungssystems fassten die Wohnungseigentümer auf der Eigentümerversammlung vom 22. März 1999 einstimmig den in der Folgezeit umgesetzten Beschluss, die Schornsteine zu verschließen und die dazugehörigen Dachleitern abzureißen. Im Jahr 2001 bauten die Kläger den in ihren Wohnraum hineinragenden Schornstein eigenmächtig zurück und verfüllten diesen zumindest teilweise.
Nachdem die unmittelbaren Reihenhausnachbarn der Kläger, die Beklagten zu 11 und 12, Interesse an einer Wiederinbetriebnahme des Schornsteines bekundet hatten, wurden auf der Eigentümerversammlung vom 4. Juli 2007 mit jeweils 7 Ja-Stimmen der anwesenden 8 Wohnungseigentümer mehrere Beschlüsse gefasst. Der Beschluss vom 22. März 1999 wurde aufgehoben (TOP 7.1). In dem zu TOP 7.2 gefassten Beschluss heißt es hierzu ergänzend:
„Durch die Aufhebung des am 22.03.1999 … gefassten Beschlusses können die Schornsteine wieder zur Nutzung geöffnet werden. Die Kosten, die im Zusammenhang mit der Nutzung entstehen, dazu zählen auch die Kosten, die durch die Auflagen des Schornsteinfegers entstehen, wie Laufroste, Leiter, Gebühren etc., trägt der Eigentümer, der den Schornstein nutzt … Entschließen sich zu einem späteren Zeitpunkt weitere Eigentümer zur Nutzung ihres Schornsteines, dann gelten diese Festlegungen ebenso. An den bereits durchgeführten Maßnahmen, die das Gemeinschaftseigentum betreffen und die für die Nutzung der Schornsteine insgesamt nötig sind, beteiligt sich der hinzukommende Eigentümer mit seinem Anteil an den bereits entstandenen Kosten (Kostenausgleich zwischen den nutzenden Eigentümern). Die Eigentümergemeinschaft muss die einzelnen Maßnahmen ausdrücklich durch einen Beschluss bestätigen.“
Der Beschluss zu TOP 7.3 enthält die Verpflichtung der Kläger, auf ihre Kosten den von ihnen zurückgebauten Schornstein wieder herzustellen. Für den Fall des fruchtlosen Ablaufs der hierzu gesetzten Frist (Beschluss zu TOP 7.4) wurde die Hausverwaltung bevollmächtigt, die Wiederherstellung des Schornsteins unter Einschaltung eines Anwalts durchzusetzen (Beschluss zu TOP 7.5).
Das Amtsgericht hat die gegen die Beschlüsse zu TOP 7 gerichtete Anfechtungsklage abgewiesen. Das Landgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision möchten die Beklagten eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Die Kläger beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die gestattete Wiedereröffnung der Schornsteine sei zu beanstanden, weil die damit einhergehende bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums nicht ohne Zustimmung der Kläger habe beschlossen werden können. Ein Fall der ordnungsgemäßen Instandsetzung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG liege nicht vor. Die Anwendung der Vorschrift des § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG scheitere u.a. daran, dass die gestattete Wiederinbetriebnahme weder als Anpassung an den Stand der Technik noch als Modernisierungsmaßnahme angesehen werden könne. Die Belastung der Kläger mit den in dem Beschluss zu TOP 7.3 aufgeführten Kosten sei nicht vereinbar mit den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung. Ein Anspruch gegen die Kläger komme nur insoweit in Betracht, als durch den eigenmächtigen Rückbau des Schornsteins Zusatzkosten anfielen. Vor diesem Hintergrund sei auch für eine Fristsetzung und für eine Ermächtigung der Verwaltung zur Durchsetzung der ungültigen Beschlüsse kein Raum.
II.
1. Die Revision ist überwiegend begründet.
a) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Beschlüsse zu 7.1 und 7.2., mit denen den Wohnungseigentümern bauliche Veränderungen ermöglicht werden, für ungültig erklärt.
aa) Bei der gestatteten Wiederherstellung der Schornsteine handelt es sich um eine bauliche Veränderung, die von den Wohnungseigentümern als Modernisierungsmaßnahme entsprechend § 559 Abs. 1 BGB mit der hier erreichten qualifizierten Mehrheit nach § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG beschlossen werden konnte.
Nach § 559 Abs. 1 BGB fallen unter den Begriff der Modernisierung Maßnahmen, die den Gebrauchswert der Sache nachhaltig erhöhen, die allgemeinen Wohnverhältnisse auf Dauer verbessern oder nachhaltig Einsparungen von Energie oder Wasser bewirken. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist vorliegend von einer nachhaltigen Gebrauchswerterhöhung auszugehen. Die dem entgegenstehende tatrichterliche Würdigung ist zwar revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar, in diesem Rahmen aber zu beanstanden, weil das Berufungsgericht nicht bedacht hat, dass die angeordnete entsprechende Heranziehung der mietrechtlichen Regelung des § 559 Abs. 1 BGB zu einer großzügigeren Handhabung des Modernisierungsbegriffes Anlass gibt (Timme/Elzer, WEG, § 2 Rn. 196; aA wohl Hogenschurz in Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 22 Rn. 66). Denn zum einen kommen den Wohnungseigentümern auch solche Verbesserungen zugute, von denen im Mietrecht nur der Vermieter, nicht aber auch der Mieter profitiert. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass das mit der Erweiterung der Beschlusskompetenz nach § 22 Abs. 2 WEG verfolgte gesetzgeberische Anliegen darin besteht, den Wohnungseigentümern – unabhängig von dem Bestehen eines Reparaturbedarfs – die Befugnis einzuräumen, mit qualifizierter Mehrheit einer Verkehrswertminderung durch Anpassung der Wohnungsanlage an die „Erfordernisse der Zeit“ entgegenzuwirken (vgl. BT-Drucks. 16/887 S. 29 f.; Hogenschurz in Jennißen, aaO, § 22 Rn. 62; Merle in Bärmann, aaO, § 22 Rn. 327; Timme/Elzer, aaO). Deshalb genügt es, dass die Maßnahme aus der Sicht eines verständigen Wohnungseigentümers eine sinnvolle Neuerung darstellt, die voraussichtlich geeignet ist, den Gebrauchswert der Sache nachhaltig zu erhöhen (BT-Drucks., aaO, S. 30; Merle in Bärmann, aaO; Timme/Elzer, aaO, § 22 Rn. 216). So liegt es hier.
Entgegen der Auffassung der Kläger handelt es sich bei der beschlossenen Maßnahme nicht um die Rückkehr zu einer „archaischen Heizmethode“; davon könnte allenfalls dann gesprochen werden, wenn die Wohnungseigentümerversammlung eine Kaminbefeuerung anstelle der derzeit vorhandenen funktionstüchtigen Heizungsanlage beschlossen hätte. Vielmehr stellt die gestattete Wiederherstellung der Schornsteine mit der damit einhergehenden Möglichkeit, einen Kamin oder Kaminofen zu befeuern, eine Maßnahme dar, die typischerweise zu einer nachhaltigen Erhöhung des Gebrauchswerts des Wohnungseigentums führt. Sie ist als sinnvolle Neuerung zu qualifizieren, weil sie die Voraussetzung dafür schafft, dass neben der bereits vorhandenen Heizungsanlage eine weitere Heizmöglichkeit eingerichtet und diese je nach Bedarf oder Neigung zur Steigerung des Wohnkomforts oder zur Nutzung des jeweils günstigeren Brennstoffs in Betrieb genommen werden kann. Gerade in Zeiten, die durch eine zunehmende Verknappung fossiler Brennstoffe und auch im Übrigen durch eine tendenzielle Verteuerung der Energiekosten geprägt sind, stellt es einen nicht zu unterschätzenden Vorteil dar, wenn die Voraussetzungen für eine zusätzliche Heizquelle geschaffen werden. Dies macht die Wohnungseigentümer unabhängiger, ermöglicht je nach der Kostenentwicklung auf dem Energiemarkt zumindest ein teilweises Ausweichen auf den jeweils kostengünstigeren Energieträger und macht die Eigentumswohnungen dadurch – auch auf dem Immobilienmarkt – attraktiver. Ob die Einrichtung einer zusätzlichen Heizquelle eine Einsparung des Energieverbrauchs bewirkt, ist für die Frage einer nachhaltigen Erhöhung des Gebrauchswerts unerheblich. Denn diesem Umstand kommt nur Bedeutung für die dritte der – jeweils selbständigen – Modalitäten des § 559 Abs. 1 BGB zu, unter denen nach § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG eine bauliche Veränderung mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden kann (vgl. nur Bärmann/Merle, WEG, 11. Aufl., § 22 Rn. 331 mwN).
bb) Auch die übrigen Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG liegen vor. Durch die beschlossene Maßnahme wird die Eigenart der Wohnanlage nicht geändert; von einer sog. Luxussanierung kann keine Rede sein. Der angefochtene Beschluss führt auch nicht zu einer unbilligen Beeinträchtigung der Kläger gegenüber anderen Wohnungseigentümern.
(1) Für die Annahme eines unbilligen Nachteils genügt es – anders als bei § 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG – nicht schon, dass sich ein verständiger Durchschnittseigentümer nach der Verkehrsanschauung nachvollziehbar beeinträchtigt fühlen kann (so zu § 14 Nr. 1 WEG Senat, Beschluss vom 21. Dezember 2000 - V ZB 45/00, BGHZ 146, 241, 246). Vor dem Hintergrund der von dem Gesetzgeber angestrebten Erweiterung des Gestaltungsspielraums der Wohnungseigentümer ist vielmehr von einer Ausweitung dessen auszugehen, was ein – zumal mit qualifizierter Mehrheit überstimmter – Wohnungseigentümer hinzunehmen hat (vgl. nur Timme/Elzer, aaO, § 22 Rn. 229 f. mwN). Dabei liegt es auf der Hand, dass Umstände, die zwangsläufig mit der Modernisierung verbunden sind, für sich alleine nicht zur Bejahung eines unbilligen Nachteils führen können (Merle in Bärmann, aaO, § 22 Rn. 339; vgl. auch BT-Drucks. 16/887 S. 29 f.). Unbillig sein können nur darüber hinausgehende Nachteile, die bei wertender Betrachtung und in Abwägung mit den mit der Modernisierung verfolgten Vorteilen einem verständigen Wohnungseigentümer zumutbarer Weise nicht abverlangt werden dürfen. Nachteile von solchem Gewicht zeigen die Kläger indessen nicht auf. Das gilt umso mehr, als konkrete bauliche Maßnahmen zum einen noch nicht beschlossen worden sind, diese vielmehr nach dem Beschluss zu TOP 7.2 in jedem Einzelfall von der Wohnungseigentümerversammlung – auch unter Beachtung der baurechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens – gebilligt werden müssen und zum anderen die damit einhergehenden Nachteile durch die nach § 16 Abs. 4 WEG zulässigerweise getroffene Kostenregelung noch abgemildert werden.
(2) Davon abgesehen sind nach § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG nur solche Maßnahmen von Bedeutung, durch die einem oder mehreren Wohnungseigentümern größere Nachteile zugemutet werden als den anderen; unbillig sind sie, wenn sie zu einer treuwidrigen Ungleichbehandlung der Wohnungseigentümer führen (Spielbauer/Then, WEG, § 22 Rn. 22). Auch daran fehlt es hier, weil es sämtlichen Wohnungseigentümern und damit auch den Klägern freisteht, von der beschlossenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, den Schornstein wieder funktionstüchtig herzurichten. Es ist zwar richtig, dass die von den Beklagten zu 11 und 12 angestrebte Wiederinbetriebnahme des Schornsteines nur gelingen kann, wenn der Schornstein zwischen den Wohneinheiten der Beklagten zu 11 und 12 und den Klägern mit der Folge wieder hergestellt wird, dass Teile des Mauerwerks – anders als jetzt – erneut in den Wohnraum der Kläger hineinragen. Nur hat dieser Umstand außer Betracht zu bleiben, weil er ausschließlich darauf beruht, dass lediglich die Kläger Teile des Schornsteins eigenmächtig beseitigt und damit rechtswidrig in das Gemeinschaftseigentum eingegriffen haben.
b) Einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand hält das Berufungsurteil, soweit der Beschluss zu TOP 7.3 vollen Umfangs für ungültig erklärt worden ist.
aa) Soweit den Klägern aufgegeben wird, den Schornstein wiederherzustellen, ist der Beschluss nichtig. Der Senat hat bereits entschieden, dass den Wohnungseigentümern die Kompetenz fehlt, Leistungspflichten außerhalb des Bereichs der gemeinschaftlichen Kosten und Lasten durch Mehrheitsbeschluss zu begründen, und dass dies insbesondere auch dann gilt, wenn es – wie hier – um die Rückgängigmachung einer baulichen Veränderung geht (vgl. Urteil vom 15. Januar 2010 - V ZR 72/09, NZM 2010, 285 ff.). Insoweit können die Wohnungseigentümer lediglich darüber befinden, ob ein ihrer Meinung nach bestehender Anspruch – hier aus § 15 Abs. 3 WEG, § 1004 BGB – auf die Wohnungseigentümergemeinschaft zur Ausübung übertragen werden soll (sog. Ansichziehen) und in welchem Umfang er gerichtlich geltend gemacht und ggf. durchgesetzt werden soll (Senat, Urteil vom 18. Juni 2010 - V ZR 193/09, NJW 2010, 2801 Rn. 9 ff. mwN). Daher kann der Beschluss nur mit diesem eingeschränkten Regelungsgehalt nach § 140 BGB aufrechterhalten werden (vgl. Senat, Urteil vom 18. Juni 2010, aaO, Rn. 7). Im Übrigen bleibt er nichtig. Dass das Berufungsgericht den Beschluss insoweit nur für ungültig erklärt hat, nötigt nicht zu einer Änderung des Tenors (vgl. Senat, Urteil vom 2. Oktober 2009 - V ZR 235/08, BGHZ 182, 307, 314 ff.; Urteil vom 9. Juli 2010 - V ZR 202/09, NJW 2010, 2654, 2655).
bb) Nicht aufrechterhalten werden kann auch die (Annex-)Regelung, wonach die Kosten der Wiederherstellung des Schornsteins von den Klägern zu tragen sind. Davon abgesehen lässt § 16 Abs. 4 WEG nur eine am Gebrauch oder der Möglichkeit des Gebrauchs orientierte Kostenverteilung zu. Vorliegend geht es jedoch um den für die Beseitigung der geltend gemachten Eigentumsstörung erforderlichen Kostenaufwand, der nach dem Verursacherprinzip von dem Störer zu tragen ist (§ 1004 BGB).
c) Nicht zu beanstanden sind dagegen die zu TOP 7.4 und 7.5 gefassten Beschlüsse. Da die Wohnungseigentümergemeinschaft eventuelle Ansprüche aus § 15 Abs. 3 WEG, § 1004 BGB zur Ausübung an sich gezogen hat (oben II. 1.b) aa)), ist es rechtlich unbedenklich, wenn sie den Klägern eine Frist für die Wiederherstellung gesetzt (Beschluss zu TOP 7.4) und die Verwalterin nach Ablauf dieser Frist zur Einschaltung eines Rechtsanwalts (Beschluss zu TOP 7.5) ermächtigt haben (vgl. auch Senat, Urteil vom 15. Januar 2010 - V ZR 80/09, NJW 2010, 933, 934).
2. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat den Rechtstreit abschließend entschieden (§§ 561, 562, 563 Abs. 3 ZPO).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Roth Brückner