Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 15.09.2016


BGH 15.09.2016 - V ZR 56/16

Grundbuchbereinigung: Erlöschen von nicht eingetragenen altrechtlichen Forstnutzungsrechten an Waldgrundstücken


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
15.09.2016
Aktenzeichen:
V ZR 56/16
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:150916BVZR56.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Thüringer Oberlandesgericht, 28. Januar 2016, Az: 1 U 643/15vorgehend LG Mühlhausen, 24. Juli 2015, Az: 6 O 446/14
Zitierte Gesetze
Art 187 Abs 1 BGBEG

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 1. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 28. Januar 2016 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Der Gegenstandwert des Beschwerdeverfahrens beträgt 60.000 €.

Gründe

I.

1

Die beklagte Gemeinde ist Eigentümerin von Waldgrundstücken in Thüringen, in deren Grundbüchern Belastungen nicht eingetragen sind. Die Klägerin berühmt sich als altrechtliche, vom Thüringer Landwirtschaftsministerium gemäß dem Waldgesetz des Landes anerkannte Waldgenossenschaft fortbestehender altrechtlicher Forstnutzungsrechte (fortan Holzgerechtigkeiten) an diesen Grundstücken. In einem Vorprozess nahm sie die beklagte Gemeinde vergeblich auf Ersatz für entgangene Holznutzungen in Anspruch. Im vorliegenden Verfahren strebt sie die Eintragung der Holzgerechtigkeit im Grundbuch an, und zwar in erster Linie in der Form einer Buchung sowohl in den Grundbuchblättern für die Waldgrundstücke als auch zusätzlich in einem eigenständigen Holzgerechtigkeitsgrundbuch, hilfsweise nur in den Waldgrundbüchern.

2

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision hat es mit Rücksicht auf den Beschluss des Senats vom 1. Juli 2010 (V ZR 34/10, ZOV 2010, 222) nicht zugelassen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs weiter.

II.

3

Das Berufungsgericht meint, die Grundbücher der Waldgrundstücke der beklagten Gemeinde seien nicht unrichtig, weil die Gerechtigkeiten jedenfalls nach § 8 Abs. 1 GBBerG erloschen seien. Es handele sich um nicht eingetragene beschränkte dingliche Rechte an den Waldgrundstücken. Eine Klage auf Bewilligung der Eintragung dieser Rechte habe die Klägerin vor Ablauf der Frist nicht erhoben. Die Vorschrift sei „nicht auf DDR-spezifische Umstände oder auf im Zusammenhang mit der Entstehung der DDR oder während [ihres] Bestehens […] begründete Rechte oder Rechtslagen beschränkt“. Sie erfasse auch Altrechte aus der Zeit vor der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. So habe der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 1. Juli 2010 (V ZR 34/10, ZOV 2010, 222) entschieden. Den von der Klägerin vorgelegten Rechtsgutachten, die diese Entscheidung in Frage stellten, sei nicht zu folgen. Das Gutachten eines Mitglieds der juristischen Fakultät der Universität Freiburg im Breisgau behandele die Frage nicht; das Gutachten von Mitgliedern der juristischen Fakultät der Universität Göttingen sei nicht überzeugend.

III.

4

Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet, weil keiner der in § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestimmten Zulassungsgründe vorliegt. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch zur Fortbildung des Rechts erforderlich.

5

1. Das Berufungsgericht nimmt in Übereinstimmung mit dem zitierten Beschluss des Senats an, dass die Holzgerechtigkeiten, derer sich die Klägerin berühmt, nach § 8 Abs. 1 GBBerG erloschen sind. Die von der Klägerin vorgelegten Rechtsgutachten geben dem Senat keine Veranlassung, eine Änderung seiner Rechtsprechung zu erwägen.

6

a) Die Vorschrift des § 8 Abs. 1 GBBerG soll die Beleihbarkeit von Grundstücken wiederher- und sicherstellen. Diese war nach der Einschätzung des Gesetzgebers bei Erlass der Vorschrift nicht schlechthin dadurch gefährdet, dass im ehemaligen Ostteil von Berlin und in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen seinerzeit massenhaft nicht eingetragene Rechte fortbestanden, sondern dadurch, dass es dort bei Erlass der Vorschrift viele nicht eingetragene Rechte an Grundstücken gab, die gegen einen gutgläubig lastenfreien Erwerb geschützt waren (Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 12/5553 S. 94). Auf diese Rechte war § 892 BGB nicht anzuwenden. Grundpfandrechtsgläubiger konnten deshalb nicht darauf vertrauen, dass die nach dem Inhalt des Grundbuchs freien Rangstellen tatsächlich nicht bereits durch ein oder mehrere andere Rechte belegt waren. Ein scheinbar erstrangiges Grundpfandrecht konnte zudem nicht ohne Weiteres als solches behandelt werden, weil mit dem Fortbestehen nicht eingetragener Rechte zu rechnen war. Der Wert eines Grundstücks konnte nicht sicher bestimmt werden, weil nicht abzuschätzen war, wie viele Rechte welcher Art es sein konnten und welche Wertabschläge vorzunehmen waren.

7

b) Den Anstoß für die Regelung in § 8 GBBerG gaben zwar die besonderen Schwierigkeiten bei der Beleihung von Grundstücken, die seinerzeit im Beitrittsgebiet bestanden. Das Problem, das es zu lösen galt, war aber, was die Verfasser der von der Klägerin vorgelegten Gutachten nicht berücksichtigen, keine Besonderheit des Sachenrechts in diesen Bundesländern. Denn nach Art. 187 Abs. 1 EGBGB gibt es auch im ehemaligen Westteil von Berlin und in den übrigen Bundesländern beschränkte dingliche Rechte an Grundstücken, die nach wie vor gegen einen gutgläubig lastenfreien Erwerb geschützt sind. Das zur Lösung dieses Problems von dem Gesetzgeber eingesetzte Instrument - ein Erlöschen der Rechte kraft Gesetzes bei Nichteinhaltung einer Klagefrist - ist nicht auf die besonderen Verhältnisse im Beitrittsgebiet zugeschnitten. Es eignet sich auch für die Behebung von Schwierigkeiten bei der Beleihung von Grundstücken in den übrigen Teilen des Bundesgebiets. Deshalb hat sich der Gesetzgeber im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens entschlossen, den Geltungsbereich der Vorschrift nicht auf das Beitrittsgebiet zu begrenzen, sondern die jeweilige Landesregierung mit § 8 Abs. 3 Satz 3 GBBerG zu ermächtigen, die Vorschrift des § 8 GBBerG im übrigen Bundesgebiet durch Rechtsverordnung in Kraft zu setzen.

8

c) Dem zu lösenden Problem entsprechend sieht § 8 Abs. 1 Satz 1 GBBerG ein Erlöschen kraft Gesetzes bei Versäumung der Klagefrist nicht nur für Mitbenutzungsrechte der in Art. 233 § 5 EGBGB bezeichneten Art, sondern auch für „sonstige [...] nicht im Grundbuch eingetragene [...] beschränkte [...] dingliche [...] Recht[e]“ vor. Die Vorschrift unterscheidet, anders als die Verfasser der vorgelegten Gutachten meinen, nicht nach dem Inhalt und der Art dieser Rechte oder danach, ob sie während des Bestehens der DDR entstanden sind, sondern nur danach, ob sie ohne Eintragung vor den Wirkungen des öffentlichen Glaubens geschützt sind. Unter dieser Voraussetzung erfasst sie auch beschränkte dingliche Rechte aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 (Senat, Urteil vom 28. März 2003 - V ZR 271/02, VIZ 2003, 488, 489). Dieses Regelungskonzept kommt schon im Text von § 8 Abs. 1 Satz 1 GBBerG, aber zusätzlich noch darin deutlich zum Ausdruck, dass die angesprochene Ermächtigung der jeweiligen Landesregierung in § 8 Abs. 3 Satz 3 GBBerG, die Vorschrift im übrigen Bundesgebiet durch Rechtsverordnung in Kraft zu setzen, ausdrücklich die Befugnis umfasst, sie nicht umfassend, sondern „auch für einzelne Arten von Rechten“ in Kraft zu setzen. Es unterliegt damit keinem Zweifel, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 GBBerG Holzgerechtigkeiten aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs erfasst, wenn sie gegen einen gutgläubig lastenfreien Erwerb geschützt sind.

9

d) Die - von den Verfassern der vorgelegten Gutachten nicht behandelte - entscheidende Frage ist deshalb, ob das von der Klägerin in Anspruch genommene Recht ohne Eintragung gegen den öffentlichen Glauben geschützt ist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, deren Kern auf den eigenen Ausführungen der Klägerin in der Berufungsbegründung beruht, ist das zu bejahen.

10

aa) Der Schutz vor den Wirkungen des öffentlichen Glaubens ergibt sich nicht allein aus der Fortgeltung der Rechte an sich. Diese würde hier nacheinander aus Art. 184 EGBGB, § 6 Abs. 1 EGZGB und Art. 233 § 3 Abs. 1 EGBGB folgen. Diese Vorschriften enthalten indes keine Regelung über eine Einschränkung der Wirkungen des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs. Die Rechte gelten danach vielmehr im Grundsatz unter dem Vorbehalt des Wegerwerbs oder des Rangverlustes durch gutgläubig vorrangigen Erwerb anderer Rechte fort.

11

bb) Die Holzgerechtigkeiten, derer sich die Klägerin berühmt, wären aber, falls sie wirksam entstanden sein sollten, nach Art. 187 Abs. 1 EGBGB vor den Wirkungen des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs geschützt (gewesen).

12

(1) Danach können Grundstücke (im gesamten Bundesgebiet) zwar gutgläubig frei von (bestehenden) beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten und anderen beschränkten dinglichen Rechten, aber nicht frei von (bestehenden) Grunddienstbarkeiten alten Rechts erworben werden. Was unter einer Grunddienstbarkeit zu verstehen ist, bestimmt sich, da das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche dessen Terminologie folgt, nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, nicht nach dem früheren Recht. Die Rechte aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs müssen deshalb in die Kategorien des Bürgerlichen Gesetzbuchs, also in beschränkte persönliche oder Grunddienstbarkeiten, eingeordnet werden (BayObLGZ 1962, 341, 357). Stellen sie sich danach als beschränkte persönliche Dienstbarkeiten dar, sind sie vor den Wirkungen des öffentlichen Glaubens nicht geschützt und werden dann auch nicht von § 8 Abs. 1 GBBerG erfasst. Sind sie dagegen als Grunddienstbarkeiten zu qualifizieren, unterfallen sie dieser Vorschrift und erlöschen dann nach deren Maßgabe.

13

(2) In dem Fall, der der Entscheidung des Senats vom 1. Juli 2010 zugrunde lag, ging es um Holzgerechtigkeiten, die auf einen Rezess zurückgingen und nach diesem Rezess den Inhabern von Gerechtigkeitshäusern, also den Inhabern bestimmter bebauter Grundstücke in der benachbarten Gemeinde, zustanden. Der Bezug der Nutzungsberechtigung zu den Eigentümern an einem solchen Gerechtigkeitshaus rechtfertigte die Qualifikation als Grunddienstbarkeit und damit auch die Anwendung von Art. 187 EGBGB, der zu den früheren Vorschriften gehört, die nach den Überleitungsvorschriften in § 6 Abs. 1 EGZGB und Art. 233 § 3 Abs. 1 EGBGB auf solche Rechte weiterhin anzuwenden sind. Dann aber fand § 8 GBBerG auf diese Gerechtigkeiten Anwendung mit der Folge, dass sie danach mangels rechtzeitiger Klageerhebung erloschen waren.

14

(3) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht zwischen dem von dem Senat seinerzeit entschiedenen und dem vorliegenden Fall kein tatsächlicher oder rechtlicher Unterschied. Diese Feststellung, an die der Senat ohnehin gemäß § 559 ZPO gebunden ist, trifft dessen ungeachtet im entscheidenden Punkt nach der eigenen Darstellung der Klägerin im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auch zu. Danach sind die Mitglieder der Klägerin nämlich - wie in dem von dem Senat entschiedenen Fall - Inhaber von Gerechtigkeitshäusern. Die daraus folgende Zuordnung der Gerechtigkeiten zu diesen Grundstücken und deren Qualifikation als Grunddienstbarkeiten würde noch bestätigt, wenn, was die Klägerin in den Tatsacheninstanzen allerdings nicht vorgetragen hat, die Holzgerechtigkeiten in den Grundbüchern dieser Gerechtigkeitshäuser als verbriefte Rechte eingetragen sein sollten. Solche Vermerke entsprächen nämlich inhaltlich einem Herrschvermerk, dessen Eintragung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 GBO nur bei subjektiv-dinglichen beschränkten dinglichen Rechten, also nur bei Grunddienstbarkeiten, nicht bei beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten zulässt. Solche Vermerke schlössen einen gutgläubigen Erwerb nicht aus (BayObLG, NJW-RR 1987, 789; vgl. auch Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZR 246/10, ZOV 2011, 251 Rn. 10) und genügten auch nicht als Eintragung, die einem Erlöschen nach § 8 Abs. 1 GBBerG entgegensteht. Diese muss nämlich in dem Grundbuch des dienenden, nicht in dem des herrschenden Grundstücks erfolgen.

15

2. Auf die übrigen geltend gemachten Zulassungsgründe kommt es danach nicht an. Insoweit wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO von einer Begründung abgesehen.

IV.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Den Gegenstandswert hat der Senat nach dem Wert der in Anspruch genommen Rechte in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen geschätzt.

Stresemann   

     

   Schmidt-Räntsch

     

Brückner

     

RiBGH Dr. Göbel ist infolge

Urlaubs an der Unterschrift

gehindert.

Karlsruhe, den 23. September 2016

     

     

     

     

Die Vorsitzende

     

     

     

     

Stresemann

     

   Haberkamp