Entscheidungsdatum: 08.02.2013
Der Grundstückseigentümer ist nach den Grundsätzen über das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis auch zu einem positiven Tun - hier: Mitbeheizen der benachbarten Doppelhaushälfte - nur verpflichtet, wenn dies für einen billigen Interessenausgleich zwingend geboten ist (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung, vgl. Senat, Urteil vom 29. Juni 2012, V ZR 97/11, NJW-RR 2012, 1160).
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 14. September 2011 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 1. März 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Der Beklagte errichtete auf seinem Grundstück ein Doppelhaus, das nur über eine Heizungsanlage verfügt, die in der einen Doppelhaushälfte untergebracht ist und die andere mit Heizwärme und Warmwasser mitversorgt. Die mit der mitversorgten Doppelhaushälfte bebaute Teilfläche verkaufte er 1995 an ein Ehepaar. Der Kaufvertrag enthielt einen Hinweis auf das Fehlen einer eigenen Heizungsanlage und die Vereinbarung, dass der Beklagte die verkaufte Doppelhaushälfte gegen Erstattung der Verbrauchskosten und der Hälfte der Kosten für Instandhaltung, Wartung und Erneuerung mit Heizwärme und Warmwasser versorgt und für die Funktionsfähigkeit der Heizung Sorge trägt. Diese Vereinbarung sollte auch den Rechtsnachfolger des Verkäufers binden. 2001 verkauften die Erwerber ihre Doppelhaushälfte an den Kläger. Dieser Kaufvertrag enthält zu der Beheizung keine Regelung. Der Beklagte versorgte die Hälfte des Klägers zunächst weiter mit Heizwärme und Warmwasser. Mit Schreiben vom 8. Februar 2010 kündigte er die Vereinbarung und teilte mit, die Kappung der Leitungen solle im Zusammenhang mit einer Veränderung der Heizungsanlage erfolgen und werde rechtzeitig vorher angekündigt.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten in erster Linie, seine Doppelhaushälfte gegen Abrechnung der anteiligen Kosten weiterhin mit Heizwärme und Warmwasser mitzuversorgen, hilfsweise, ihm Zutritt zu dem Heizungsraum in dessen Doppelhaushälfte zu gewähren, damit er die witterungsbedingte Beheizung von dort selbst sicherstellen könne. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten nach dem Hauptantrag verurteilt. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision möchte der Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts erreichen. Der Kläger beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
I.
Das Berufungsgericht leitet die Verpflichtung des Beklagten, den Kläger weiterhin mit Heizwärme zu versorgen, aus den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses ab. Die Beheizbarkeit und die Warmwasserversorgung eines Haushalts seien grundlegende und existenznotwendige Versorgungsgüter. Sie ließen sich zwar baulich auch auf anderem Wege erreichen. Hier aber sei die gemeinsame Versorgung von Anfang an so vorgesehen und sowohl bei den Ersterwerbern während ihrer gesamten Besitzzeit als auch in den ersten sechs Jahren bei dem Kläger so gehandhabt worden. Aus der hieraus entstandenen gesetzlichen Sonderrechtsbeziehung könne sich der Beklagte allenfalls dann einseitig lösen, wenn dafür so gewichtige Gründe vorlägen, dass der dem Kläger zu gewährende Bestandsschutz zurückzustehen habe. Daran fehle es.
II.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Der Kläger kann von dem Beklagten weder die mit dem Hauptantrag angestrebte (dauernde) Versorgung seiner Doppelhaushälfte mit Heizwärme und Warmwasser noch die mit dem Hilfsantrag geltend gemachte (dauernde) Duldung der Selbstbeheizung seiner Doppelhaushälfte unter Verwendung der Heizungsanlage und der Vorräte des Beklagten verlangen.
1. Die mit dem Hauptantrag geltend gemachte Versorgungsverpflichtung des Beklagten lässt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ableiten.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats begründet der Gedanke von Treu und Glauben im Rahmen eines nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses in der Regel keine selbständigen Ansprüche, sondern wirkt sich hauptsächlich als bloße Schranke der Rechtsausübung aus (etwa Senat, Urteile vom 21. Oktober 1983 - V ZR 166/82, BGHZ 88, 344, 351 und vom 7. Juli 1995 - V ZR 213/94, NJW 1995, 2633, 2634 f.). Diese Schranke kann den Grundstückseigentümer zwingen, eine bestimmte eigene Nutzung seines Grundstücks zu unterlassen oder eine bestimmte Nutzung seines Grundstücks durch den Nachbarn zu dulden. Die Pflicht zur Rücksichtnahme muss sich zwar darauf nicht beschränken; sie kann den Grundstückseigentümer im Einzelfall auch zu positivem Handeln verpflichten (Senat, Urteile vom 29. April 1977 - V ZR 71/75, BGHZ 68, 350, 354 und vom 22. Februar 1991 - V ZR 308/89, BGHZ 113, 384, 389). Solche Ansprüche gegen den Grundstückseigentümer ergeben sich aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis aber in jedem Fall nur, wenn dies - über die gesetzlichen Regelungen hinausgehend - für einen billigen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwingend geboten erscheint (etwa Senat, Urteile vom 16. Februar 2001 - V ZR 422/99, NJW-RR 2001, 1208, 1209, vom 31. Januar 2003 - V ZR 143/02, NJW 2003, 1392 und vom 29. Juni 2012 - V ZR 97/11, NJW-RR 2012, 1160, 1162 Rn. 20; vgl. auch BVerfG, BVerfGK 11, 420, 433).
b) Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben.
aa) Ob sie im Einzelfall vorliegt, ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung, die im Revisionsverfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist. Die Würdigung des Berufungsgerichts ist in diesem Rahmen aber zu beanstanden, weil es lediglich allgemeine Billigkeitserwägungen angestellt und den anzulegenden Prüfungsmaßstab verkannt hat. Die erforderliche Würdigung kann der Senat selbst nachholen, weil der Sachverhalt feststeht und weitere Erkenntnisse nicht zu erwarten sind.
bb) Danach fehlt es an zwingenden Gründen, die es geböten, den Beklagten auf unbestimmte Dauer zu verpflichten, die Doppelhaushälfte des Klägers mitzubeheizen.
(1) Es fehlt schon an einem schützenswerten Vertrauen des Klägers auf den unbefristeten Fortbestand der Versorgung. Seine Doppelhaushälfte ist zwar ohne eigene Heizungsanlage errichtet worden. Die Rechtsvorgänger des Klägers und dieser selbst haben die Doppelhaushälfte aber in Kenntnis dieses Umstands erworben. Beide haben es auch nicht für erforderlich gehalten, den Anschluss der Heizung und Warmwasserversorgung ihrer Doppelhaushälfte an die Heizungsanlage des Beklagten dinglich zu sichern. Die Rechtsvorgänger des Klägers haben sich mit einer schuldrechtlichen Regelung begnügt, die nur eine Rechtsnachfolge auf Seiten des Beklagten, nicht aber eine Rechtsnachfolge auf ihrer Seite regelt und keinerlei Bestimmungen über eine mögliche Kündigung enthält. Sie haben damit in Kauf genommen, dass diese Form der Versorgung enden könnte und sie gezwungen sein könnten, ihre Doppelhaushälfte mit einer eigenen Heizungsanlage zu versehen. Das gilt umso mehr für den Kläger selbst, der sich mit der stillschweigenden Fortsetzung der Versorgung durch den Beklagten begnügt hat.
(2) Der Kläger ist ferner nicht darauf angewiesen, dass seine Doppelhaushälfte an die Heizungsanlage des Beklagten angeschlossen bleibt und so mitversorgt wird. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Kläger seine Doppelhaushälfte mit einer eigenen Heizungsanlage versehen. Es mag zwar sein, dass der Einbau einer solchen Heizung, wie der Kläger behauptet, unverhältnismäßigen Aufwand verursacht, wenn er dazu ein neues Rohrleitungssystem einbauen lassen müsste und die vorhandenen Leitungen zur Versorgung seiner Doppelhaushälfte auf dem Grundstück des Beklagten nicht benutzen dürfte. Dieser Umstand könnte aber allenfalls dazu führen, dass der Beklagte dem Kläger die Nutzung dieser Leitungen für den Einbau einer neuen Heizung in seiner Doppelhaushälfte gestatten müsste. Eine Rechtfertigung dafür, es dem Beklagten zuzumuten, auf unbestimmte Zeit und ohne Entgelt eine Heizungsanlage mit entsprechenden Vorräten vorzuhalten und zu betreiben, die zur Versorgung beider Doppelhaushälften ausreicht, ergibt sich hieraus nicht.
c) Aus den vorgenannten Gründen ist der Beklagte aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis auch nicht verpflichtet, wie mit dem Hilfsantrag geltend gemacht, die Selbstbeheizung von dessen Doppelhaushälfte durch den Kläger unter Benutzung seiner Heizungsanlage und seiner Vorräte zu dulden.
2. Das Berufungsurteil erweist sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aus anderen Gründen als richtig.
a) Die Vorschrift des § 1004 Abs. 1 BGB kommt weder als Grundlage einer Versorgungsverpflichtung noch einer Duldungspflicht des Beklagten in Betracht. Die Norm setzt eine Beeinträchtigung des Eigentums des Klägers in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes voraus. Hierunter ist jeder dem Inhalt des Eigentums (§ 903 BGB) widersprechende Zustand zu verstehen (Senat, Urteile vom 19. Dezember 1975 - V ZR 38/74, BGHZ 66, 37, 39, vom 19. September 2003 - V ZR 319/01, BGHZ 156, 172, 175 und vom 1. Juli 2011 - V ZR 154/10, NJW-RR 2011, 1476, 1477 Rn. 14). Um die Abwehr eines solchen Zustands geht es hier aber nicht. Der Kläger wendet sich mit seinen Anträgen nicht gegen eine Beeinträchtigung in seinen Rechten als Eigentümer durch den Beklagten. Dieser soll ihm durch die weitere Versorgung mit Heizwärme und Warmwasser oder die Duldung einer entsprechenden Selbstversorgung unter Benutzung der Heizungsanlage vielmehr Nutzungsmöglichkeiten erhalten, die sein Grundstück ohne diese Leistungen des Beklagten mangels einer eigenen Heizungsanlage nicht hätte. Das ist keine Abwehr einer Eigentumsbeeinträchtigung.
b) Beides - Mitbeheizung wie Duldung der Heizungsnutzung - kann der Kläger von dem Beklagten auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer gemeinschaftlichen Berechtigung an der Heizung auf Grund von § 743 Abs. 2 und § 745 Abs. 2 BGB verlangen. Anders als der Kläger meint, steht die Heizungsanlage in der Doppelhaushälfte des Beklagten nicht im Miteigentum der Parteien, mit der Folge, dass diese sie bis zu einer Auflösung der Gemeinschaft nach § 749 BGB gemeinschaftlich nutzen dürften, sondern im Alleineigentum des Beklagten. Dafür muss nicht entschieden werden, ob eine Heizungsanlage überhaupt wesentlicher Bestandteil zweier verschiedener Gebäude sein kann. Eine Heizungsanlage ist zwar auch dann Bestandteil des Gebäudes, dessen Beheizung sie dient, wenn sie sich auf einem anderen Grundstück befindet als demjenigen, dem das Gebäude zugeordnet ist (Senat, Urteil vom 19. Oktober 2012 - V ZR 263/11, juris Rn. 11 bis 13). Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Heizungsanlage zur Errichtung des Gebäudes oder bei der Erneuerung oder dem Austausch der Heizungsanlage in das Gebäude eingefügt worden ist (Senat, Urteile vom 13. März 1970 - V ZR 71/67, BGHZ 53, 324, 326 und vom 19. Oktober 2012 - V ZR 263/11 aaO Rn. 11). Daran fehlt es hier. Die Doppelhaushälfte des Klägers sollte nach dem Kauf- und Bauvertrag des Beklagten mit den Rechtsvorgängern des Klägers abweichend von dem üblichen Standard ohne eine eigene Heizungsanlage errichtet und an ihrer Stelle ein Anschluss an die Heizungsanlage in der Doppelhaushälfte des Beklagten vorgesehen werden. Das hat zur Folge, dass die Heizungsanlage nur zur Errichtung der Doppelhaushälfte des Beklagten eingefügt worden ist und allein deren Bestandteil geworden ist.
c) Der ansonsten noch in Betracht kommende Anspruch aus einem Versorgungsvertrag gemäß § 311 Abs. 1 BGB scheitert, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, an der wirksamen Kündigung durch den Beklagten.
aa) Die Parteien haben allerdings stillschweigend eine Versorgungsvereinbarung geschlossen, indem sie die bisherige Form der Versorgung des Grundstücks des Klägers mit Heizung und Warmwasser tatsächlich fortsetzten. Diese Versorgungsvereinbarung war in Rechtsanalogie zu § 604 Abs. 3 und § 671 Abs. 1 BGB jederzeit kündbar. Der Beklagte sollte für die Mitversorgung der Doppelhaushälfte des Klägers kein Entgelt erhalten. Nach der aus den genannten Vorschriften zu entnehmenden Wertung des Gesetzgebers entspricht dem Fehlen eines Entgelts das Recht, das Vertragsverhältnis jederzeit zu beenden.
bb) Anhaltspunkte dafür, dass dieses Recht stillschweigend eingeschränkt oder ausgeschlossen worden ist, sind nicht ersichtlich. Schon die ausdrückliche Vereinbarung des Beklagten mit den Rechtsvorgängern des Klägers enthielt keine entsprechende ausdrückliche Regelung. Ob sich dieser Vereinbarung eine stillschweigende Einschränkung des Kündigungsrechts mit Rücksicht darauf entnehmen lässt, dass der Vertrag mit Rechtsnachfolgern des Beklagten fortgesetzt werden und damit auf Dauer angelegt sein sollte, muss hier nicht entschieden werden. Veranlassung, sich auf eine Einschränkung des Kündigungsrechts einzulassen, hatte der Beklagte allenfalls gegenüber den Rechtsvorgängern des Klägers. Diesen hatte er die Doppelhaushälfte ohne eine eigene Heizung verkauft, was ihn bewogen haben mag, sich stärker zu binden. Ein vergleichbares Motiv hat der Beklagte gegenüber dem Kläger jedenfalls nicht. Das Vorhandensein der Anlage legte es zwar nahe, es vorläufig bei der bisherigen Praxis zu belassen. Ebenso nahe lag es aber, sich die Möglichkeit zu erhalten, sich jederzeit von der Vereinbarung zu lösen. Die unentgeltliche Mitversorgung der anderen Doppelhaushälfte ließ sich auf Dauer sinnvoll nur fortführen, wenn der Kläger und der Beklagte ähnlich gut miteinander auskamen wie der Beklagte mit den Rechtsvorgängern des Klägers. Das konnten weder der Beklagte noch der Kläger überblicken. Sie durften die Vereinbarung deshalb beide jederzeit kündigen.
cc) Kündigen durfte der Beklagte in analoger Anwendung von § 671 Abs. 2 Satz 1 BGB jedoch nur in der Art, dass der Kläger für eine alternative Art der Versorgung seiner Doppelhaushälfte mit Heizwärme und Warmwasser Sorge tragen konnte. Diesen Anforderungen genügte die Kündigung, weil der Beklagte darin das Kappen der Leitungen für den Fall der Veränderung der Heizung angekündigt und eine rechtzeitige Unterrichtung des Klägers in Aussicht gestellt hat. Der Kläger wird deshalb - und muss aber auch - bei dem anstehenden Vollzug der Kündigung der Mitversorgung seiner Doppelhaushälfte ausreichend Zeit erhalten, diese mit einer eigenen Heizungsanlage auszustatten, bevor die Versorgung durch den Beklagten tatsächlich beendet wird.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann Lemke Schmidt-Räntsch
Roth Brückner