Entscheidungsdatum: 19.07.2012
§ 62 Abs. 2 WEG gilt nicht, wenn das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 10. November 2011 wird auf Kosten der Kläger zu 1 und 2 zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 1.349,96 €.
I.
Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Das Amtsgericht hat die Klage der Kläger zu 1 und 2, die sich gegen mehrere, in einer Eigentümerversammlung gefasste Beschlüsse richtete, im Wesentlichen abgewiesen. Das Urteil ist ihnen am 18. Mai 2011 zugestellt worden. Am 17. Juni 2011 ist ihre Berufung bei dem Landgericht Leipzig eingegangen. Am 22. Juni 2011 hat der Vorsitzende telefonisch eine Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der Kläger darauf hingewiesen, dass zuständiges Berufungsgericht das Landgericht Dresden sei. Daraufhin haben die Kläger zu 1 und 2 - nach Berufungsrücknahme - am 29. Juni 2011 dort die Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Zur Begründung haben sie vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter habe nach Unterzeichnung der Berufungsschrift am 17. Juni 2011 festgestellt, dass diese fehlerhaft an das Landgericht Leipzig adressiert gewesen sei. Er habe seine Mitarbeiterin angewiesen, dies zu ändern und den schon unterzeichneten Schriftsatz zu vernichten. Nachdem er den korrekt adressierten Schriftsatz unterschrieben habe, habe er ihr die Anweisung erteilt, diesen unverzüglich per Fax zu übersenden. Die Mitarbeiterin habe jedoch versehentlich den ursprünglichen Schriftsatz an das unzuständige Landgericht Leipzig gefaxt. Anschließend habe sie dem Prozessbevollmächtigten Kopien des an das unzuständige Gericht adressierten Schriftsatzes zur Fertigung beglaubigter Abschriften vorgelegt. Bei deren Unterzeichnung habe er dies aufgrund der Faltung der Schriftsätze nicht bemerkt. Seine Frage, ob es sich um den richtigen Berufungsschriftsatz handle, habe seine Mitarbeiterin bejaht. Ebenso habe sie bestätigt, dass "das Fax raus" sei.
Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger zu 1 und 2.
II.
Das Berufungsgericht meint, die Kläger seien nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen. Bei Erkundigung nach dem Versand des Faxes hätte ihr Anwalt nachfragen müssen, ob dieses an das richtige Gericht gefaxt worden sei. Zudem hätte ihm bei ordnungsgemäßem Handeln im Rahmen der Beglaubigung der Abschriften der Fehler seiner Angestellten auffallen müssen. Er habe sich nicht darauf verlassen dürfen, dass er den „richtigen“ Schriftsatz beglaubige, vor allem, wenn er gewusst habe, dass ein fehlerhafter Schriftsatz in der Welt sei.
III.
1. Die Beschwerde der Kläger zu 1 und 2 gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht gemäß § 544 Abs. 1 und 2 ZPO ist zulässig.
a) Der Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Verwerfung der Berufung steht § 62 Abs. 2 WEG, wonach für eine Übergangszeit die Nichtzulassungsbeschwerde in Wohnungseigentumssachen nach § 43 Nr. 1 bis 4 WEG ausgeschlossen ist, nicht entgegen.
Die mit der Zielsetzung getroffene Regelung, einer Überlastung des Bundesgerichtshofs vorzubeugen, lehnt sich an § 26 Nr. 9 EGZPO a.F. - einer mit Wirkung zum 1. September 2009 aufgehobenen Übergangsregelung zur ZPO-Reform - an (BT-Drucks. 16/887, S. 43). Danach war für eine fünfjährige Übergangsfrist die Nichtzulassungsbeschwerde gegen Urteile in Familiensachen ausgeschlossen. Durch Art. 2 Nr. 1 des ersten Justizmodernisierungsgesetzes vom 24. August 2004 (BGBl. I, S. 2198) sind sowohl § 26 Nr. 9 EGZPO a.F. als auch § 26 Nr. 8 EGZPO, wonach die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde von einer bestimmten Wertgrenze abhängig ist, durch Satz 2 ergänzt worden; darin wird das die Berufung verwerfende Urteil vom Anwendungsbereich der die Nichtzulassungsbeschwerde beschränkenden Übergangsregelungen ausdrücklich ausgenommen. Hintergrund hierfür war die Vereinheitlichung der Rechtsmittelmöglichkeiten bei verwerfenden Entscheidungen des Berufungsgerichts, gegen die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO die Rechtsbeschwerde stattfindet, wenn sie nach § 522 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO als Beschluss ergangen sind. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Relevanz des gleichmäßigen und willkürfreien Zugangs zur Rechtsmittelinstanz ein weiter Rechtsschutz gegen Verwerfungsentscheidungen des Berufungsgerichts unabhängig davon gewährleistet sein, ob sie als Urteil oder als Beschluss ergehen (BT-Drucks. 15/1508, S. 22).
Das Fehlen einer vergleichbaren Vorschrift in § 62 Abs. 2 WEG lässt nicht den Schluss zu, dass nach dem Willen des Gesetzgebers in Wohnungseigentumssachen gegen ein die Berufung verwerfendes Berufungsurteil eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Gesetz insoweit eine planwidrige Regelungslücke enthält, die durch entsprechende Anwendung von § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO, der der Regelung in § 26 Nr. 9 Satz 2 EGZPO a.F. entspricht, zu schließen ist. Denn der diesen Vorschriften zugrunde liegende Gedanke der Gewährleistung einer einheitlichen Anfechtbarkeit der verwerfenden Entscheidungen des Berufungsgerichts gilt in gleicher Weise für Wohnungseigentumssachen. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum dort gegen eine Berufungsverwerfung eine Beschwerde nur statthaft ist, wenn die Entscheidung im Wege eines Beschlusses ergangen ist, während gegen die gleiche Entscheidung, wenn sie in einem Urteil getroffen wird, die Beschwerdemöglichkeit nicht gegeben sein soll. Insoweit ist der Sachverhalt mit dem in § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO geregelten Tatbestand vergleichbar, so dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gelangt (vgl. Senat, Beschluss vom 15. März 2007 - V ZB 145/06, BGHZ 171, 350, 353 m.w.N.).
b) Der Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass der Wert der geltend gemachten Beschwer 20.000 € nicht übersteigt. Die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO gilt nach dessen Satz 2 nicht, wenn das Berufungsgericht die Berufung verworfen hat.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Der Rechtsstreit der Parteien hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert er eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Denn die Berufungsverwerfung wird jedenfalls von der rechtsfehlerfreien Erwägung des Berufungsgerichts getragen, dass dem Prozessbevollmächtigten der Kläger bei ordnungsgemäßem Handeln im Rahmen der Beglaubigung der Abschriften der Fehler seiner Kanzleiangestellten hätte auffallen müssen.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trifft allerdings den Rechtsanwalt im Falle einer Fristversäumung kein der Partei zurechenbares Verschulden, wenn er einer bislang zuverlässigen Kanzleiangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist deshalb im Allgemeinen auch nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. September 2011 - VI ZB 23/11, NJW-RR 2012, 428 mwN).
b) Hier lagen aber besondere Umstände vor, die ein Vertrauen des Anwalts auf die Ausführung seiner Weisung, die korrigierte Berufungsschrift an das zuständige Gericht zu faxen, ausnahmsweise nicht erlaubten. Denn noch am selben Tag hat ihm seine Kanzleiangestellte Abschriften des Berufungsschriftsatzes zur Beglaubigung vorgelegt, die wiederum die fehlerhafte Adressierung aufwiesen. Der Umstand, dass der Anwalt dies aufgrund der Faltung der Abschriften nicht bemerkte, vermag ihn nicht zu entlasten. Seine Unkenntnis beruhte darauf, dass er die Abschriften unterzeichnete, ohne sich zu vergewissern, dass sie - wie er unterschriftlich bestätigte - mit der Urschrift übereinstimmten. Hier wäre der Anwalt aber zu einer besonderen Kontrolle verpflichtet gewesen, weil ihm bekannt war, dass er kurz zuvor einen an das falsche Gericht adressierten Berufungsschriftsatz unterzeichnet hatte, er also wusste, dass ein fehlerhafter Schriftsatz in der Welt war. Daher reichte es nicht aus, dass er bei Unterzeichnung der Abschriften seine Kanzleiangestellte fragte, ob es sich um den "richtigen" Berufungsschriftsatz handle. Gerade aufgrund der Vorgeschichte bestand Anlass, einen Blick auf das Adressfeld zu werfen. Indem der Anwalt diese naheliegende Prüfung unterlassen hat, hat er schuldhaft zur Fristversäumung beigetragen. Bei entsprechender Kontrolle wäre der Fehler sofort aufgefallen, und es hätte sich aufgedrängt, der Frage nachzugehen, ob die Kanzleiangestellte tatsächlich die zuvor erteilte Weisung befolgt und den "richtigen" Schriftsatz an das zuständige Gericht gefaxt hatte.
Krüger Stresemann Roth
Brückner Weinland