Entscheidungsdatum: 11.03.2016
1. Will der Grundstückseigentümer oder eine diesem nahestehende Person mit dem Berechtigten eines dinglichen Wohnungsrechts nicht mehr auf dem belasteten Grundstück zusammenleben, weil der Berechtigte an einem von ihnen ein vorsätzliches Tötungsdelikt begangen hat, kann die unveränderte Ausübung des Wohnungsrechts eine unzumutbare Belastung darstellen, die der Grundstückseigentümer bzw. sein Erbe nicht hinnehmen muss.
2. Folge dessen ist aber regelmäßig nicht die Verpflichtung zur (entschädigungslosen) Aufgabe des Rechts, sondern die Verpflichtung, es auf Verlangen des Grundstückeigentümers nicht mehr selbst, sondern durch Überlassung an Dritte auszuüben.
Die Revision gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 14. September 2015 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Der Beklagte war zusammen mit seinem Bruder Eigentümer eines Hausgrundstücks in L. . Anfang 1997 übertrug er seinen hälftigen Miteigentumsanteil auf den Bruder, behielt sich aber ein dingliches Wohnungsrecht an der Wohnung im Obergeschoss des Anwesens vor. Beides wurde in das Grundbuch eingetragen. Der Beklagte bezog die Wohnung im Obergeschoss, sein Bruder die Wohnung im Untergeschoss des Anwesens, in der er mit seiner geschiedenen Ehefrau wieder zusammenlebte. Im Mai 2012 erstach der Beklagte seinen Bruder während eines Streits. Er wurde wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 9 Monaten verurteilt, die er derzeit verbüßt. Erbin des Getöteten und damit Eigentümerin des Grundstücks wurde dessen Mutter. Der Beklagte wurde in einem Zivilrechtsstreit rechtskräftig für erbunwürdig erklärt. Die frühere Ehefrau des Getöteten wohnt weiterhin auf dem Grundstück.
Die Klägerin, die nicht auf dem Grundstück lebt, verlangt von dem Beklagten die - bedingungslose - Zustimmung zur Löschung des Wohnungsrechts. Sie verweist dabei auf die Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofs, der die Kündigung eines dinglichen Wohnungsrechts für möglich hält, wenn der Wohnungsberechtigte den Grundstückseigentümer ermordet hat.
Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Löschungsantrag weiter. Der Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
I.
Das Berufungsgericht meint, das wirksam begründete Wohnungsrecht sei nicht erloschen. Der Beklagte könne von seinem Recht nach der Haftentlassung wieder Gebrauch machen. Rechtliche oder tatsächliche Hindernisse stünden dem nicht entgegen. Das Recht könne auch nicht nach den Vorschriften über die Kündigung von Mietverhältnissen oder Dauerschuldverhältnissen in § 543 oder § 314 BGB gekündigt werden, weil diese mangels einer Gesetzeslücke nicht analog anwendbar seien. Mit der Begründung des Wohnungsrechts sei ein gesetzliches Schuldverhältnis entstanden, das eine solche Kündigung nicht vorsehe. Diese Regelung sei abschließend. Der Beklagte sei auch nicht auf Grund von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB zur Aufgabe seines Rechtes gezwungen oder verpflichtet. Grundvoraussetzung hierfür sei, dass der Nutzen für den Berechtigten als Folge endgültiger Veränderungen in keinem Verhältnis zum Nachteil für das belastete Grundstück stehe, und darüber hinaus, dass dem nicht durch Inhaltsänderung des Rechts Rechnung getragen werden könne. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Die grundstücksbezogenen Verhältnisse hätten sich nicht verändert. Verändert habe sich nur das persönliche Verhältnis des Beklagten zu der Klägerin und zu der früheren Ehefrau seines getöteten Bruders. Diese Veränderung reiche aber nicht aus, um einen Anspruch auf Aufgabe des Rechts zu begründen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Folge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sei nämlich in erster Linie die Anpassung des Wohnungsrechts und dessen Aufhebung auch nicht ohne einen Ausgleich in Geld. Die Klägerin könne schließlich nicht mit Erfolg geltend machen, dass es dem Beklagten bei Bestehenbleiben des Wohnungsrechts im Ergebnis möglich sei, für dessen Aufgabe eine Geldabfindung zu erzwingen.
II.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung im Ergebnis stand.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass das wirksam begründete Wohnungsrecht des Beklagten durch seine Tat und ihre Folgen nicht erloschen ist. Ein dingliches Wohnungsrecht erlischt zwar nach § 1019 BGB kraft Gesetzes, wenn es dem Berechtigten auf Dauer keinen Vorteil mehr bietet, etwa weil es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr ausgeübt werden kann. Daran ändert es nichts, dass § 1090 Abs. 2 BGB nicht auf diese Vorschrift verweist. Denn der (Fort-)Bestand eines Vorteils ist Voraussetzung für die wirksame Begründung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (dazu Senat, Urteil vom 6. Februar 2009 - V ZR 139/08, MittBayNot 2009, 374 Rn. 11 mwN) und nach § 1093 Abs. 1 BGB auch für die wirksame Begründung eines dinglichen Wohnungsrechts. Der Vorteil des Rechts ist hier aber nicht dauernd weggefallen. Der Beklagte ist zwar wegen seiner Strafhaft für lange Zeit an der Ausübung des Rechts gehindert. Dieses Hindernis ist aber nicht endgültig und wird mit der Entlassung des Beklagten aus der Strafhaft nach Verbüßung der Strafe wieder entfallen. Der Ausübung des Wohnungsrechts stehen Rechtsgründe auch nicht entgegen. Das greift die Revision nicht an.
2. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht ferner an, dass das Wohnungsrecht des Beklagten nicht durch eine Kündigung der Klägerin beendet werden konnte. Die Kündigung eines dinglichen Wohnungsrechts kommt im deutschen Recht ebenso wie die Kündigung des seiner Bestellung zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vertrags nur in Betracht, wenn das als Inhalt des Rechts ausdrücklich vereinbart ist (vgl. Senat, Urteile vom 20. September 1974 - V ZR 44/73, NJW 1974, 2123, 2124, vom 13. November 1998 - V ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376, 377 und vom 27. Juni 2014 - V ZR 51/13, NJW-RR 2014, 1423 Rn. 13; OLG Köln, MittRhNotK 1998, 131; Kroll, Das dingliche Wohnrecht im Verhältnis zum Mietrecht, S. 100). Weil es sich weder bei dem dinglichen Recht selbst noch bei dem Bestellungsvertrag um Dauerschuldverhältnisse handelt, können weder auf den Bestellungsvertrag noch auf das dingliche Recht die Vorschriften über die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund in §§ 314 oder 543 BGB analog angewendet werden (vgl. Senat, Urteil vom 13. November 1998 - V ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376, 377).
3. Der Beklagte ist schließlich nicht verpflichtet, sein Wohnungsrecht aufzugeben.
a) Der Überlassungsvertrag des Beklagten mit seinem Bruder kommt als Grundlage einer solchen Verpflichtung nicht in Betracht. Dieser Vertrag enthält lediglich die Verpflichtungen des Beklagten und seines getöteten Bruders, die vereinbarten Rechtsänderungen - die Übertragung des Miteigentumsanteils des Beklagten auf den Bruder und die Begründung des dinglichen Wohnungsrechts für den Beklagten - herbeizuführen. Er wirkt nicht über die Erfüllung dieser Verpflichtungen hinaus. Das Wohnungsrecht findet in der Erfüllung dieses Vertrages seinen Rechtsgrund; dieser ist durch die Tat des Beklagten nicht verändert worden (vgl. hierzu Senat, Urteile vom 13. Juli 1966 - V ZR 21/64, WM 1966, 1088, 1089 und vom 13. November 1998 - V ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376, 377).
b) Auch ein Anspruch auf Aufgabe des Wohnungsrechts nach den Regelungen über die Folgen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB kommt nicht in Betracht.
aa) Die Berücksichtigung eines Fortfalls der Geschäftsgrundlage ist bei einem beiderseits vollständig erfüllten Vertrag normalerweise ausgeschlossen. Bei einem solchen Vertrag hat nämlich nach den vertragstypischen Vorstellungen der Parteien jede Partei das Risiko zu tragen, dass sich die ihr jeweils zugewandte Leistung nicht wie erwartet entwickelt (vgl. Senat, Urteile vom1. Juni 1979 - V ZR 80/77, BGHZ 74, 370, 373 und vom 24. November 1995 - V ZR 164/94, BGHZ 131, 209, 216). Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn der Vertrag ein über die Erfüllung der beiderseitigen Leistungspflichten hinausweisendes Element aufweist (BGH, Urteil vom 15. November 2000 - VIII ZR 324/99, WM 2001, 523, 526). Daran fehlt es hier. Der Überlassungsvertrag des Beklagten mit seinem Bruder weist zwar als Schenkungsvertrag ein solches Element auf, weil er Tatbestände regelt, bei denen ein Widerruf der Schenkung durch den Beklagten in Betracht kommt. Für das Verhalten des Schenkers selbst, um das es hier geht, sehen die Regelungen über den Schenkungsvertrag im Allgemeinen und der Überlassungsvertrag des Beklagten mit seinem Bruder im Besonderen hingegen keine vergleichbaren Regelungen vor. Vielmehr hat es insoweit mit der Erbringung der versprochenen Leistung sein Bewenden.
bb) Eine Anwendung der Regelungen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage auf das Wohnungsrecht oder das gesetzliche Begleitschuldverhältnis kommt ebenfalls nicht in Betracht. Grundlage des - dinglichen - Vertrags über die Bestellung eines Wohnungsrechts ist die schuldrechtliche Verpflichtung, die ihr zugrunde liegt; nur deren Grundlage kann entfallen. Entsprechendes gilt für das Begleitschuldverhältnis, das mit der Bestellung des Wohnungsrechts kraft Gesetzes entsteht (vgl. Senat, vom 19. September 2008 - V ZR 164/07 NJW 2008, 3703 Rn. 16 f.).
c) Die Klägerin kann von dem Beklagten die Aufgabe seines Wohnungsrechts auch nicht aufgrund von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verlangen.
aa) (1) Ein solcher Anspruch wird teilweise im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsgerichts und unter den von diesem beschriebenen Vor-aussetzungen für möglich gehalten (OLG Brandenburg, OLGR 2008, 603, 604 f.; OLG Düsseldorf, MDR 1976, 401; Erman/Böttcher, BGB, 14. Aufl., § 242 Rn. 131; eher ablehnend demgegenüber: Staudinger/Olzen/Looschelders, BGB [2015], § 242 Rn. 933 a.E.; ähnlich MüKoBGB/Joost, 6. Aufl., § 1018 Rn. 55: nur Ausübungshindernis). Das Reichsgericht hat einen Anspruch auf Aufgabe einer Dienstbarkeit bei einem Wegerecht angenommen, wenn sich die bei deren Bestellung zugrundeliegenden Verhältnisse nachträglich endgültig entscheidend verändert haben, wenn die dem Berechtigten verbleibenden geringen Vorteile in einem groben Missverhältnis zu den dem Verpflichteten entstehenden Nachteilen stehen und wenn sich diese durch eine Einschränkung der Wegenutzung nicht beheben lassen (RGZ 169, 180, 183). Unter diesen Umständen liege, so das Reichsgericht, ein besonderer Fall der unzulässigen Rechtsausübung vor, der „in Ausdehnung der Bestimmung des § 1020 Satz 1 BGB und in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 1169 BGB“ den Verpflichteten berechtige, von dem Berechtigten die Aufgabe seines Rechts zu verlangen. Der Senat ist dem bislang nicht gefolgt. Er hat vielmehr wiederholt betont, für einen derartigen, auf § 242 BGB gestützten Löschungsanspruch könne, wenn überhaupt, nur dann Raum sein, falls erhebliche Nachteile, welche das dienende Grundstück durch Bestehenbleiben oder Ausübung der betreffenden Dienstbarkeit erleide, in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zu einem bloß geringfügigen Nutzen stünden, den sie für den Berechtigten habe (Urteile vom 30. März 1965 - V ZR 43/63, WM 1965, 589, 591, vom 17. März 1967, V ZR 67/64 - WM 1967, 582, 584, vom 7. April 1967 - V ZR 14/65, WM 1967, 580, 581, vom 19. Dezember 1969 - V ZR 64/68, WM 1970, 193, 195 und vom 13. November 1998 - V ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376, 377; vgl. auch RGRK/Rothe, BGB, 12. Aufl., § 1018 Rn. 37 a.E.).
(2) Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Das Wohnungsrecht des Beklagten hat den Vorteil, den es ihm bietet, nicht dauerhaft eingebüßt. Der Beklagte kann es zwar während seiner Strafhaft nicht ausüben. Danach aber steht es ihm weiterhin in dem eingeräumten Umfang zur Verfügung. Anders als in dem Fall des Reichsgericht lässt sich eine unzulässige Rechtsausübung deshalb hier nicht daraus ableiten, dass der Vorteil des Berechtigten aus dem dinglichen Recht bis auf einen unbedeutenden Rest entfallen ist und deshalb jetzt zu den Nachteilen des Verpflichteten in einem groben Missverhältnis steht.
bb) Allerdings kann, was das Berufungsgericht nicht gesehen hat, die unveränderte Ausübung eines dinglichen Wohnungsrechts eine unzumutbare Belastung darstellen, die der Grundstückseigentümer bzw. sein Erbe nicht hinnehmen muss, wenn der Grundstückseigentümer oder eine diesem nahestehende Person mit dem Berechtigten des Wohnungsrechts nicht mehr auf dem belasteten Grundstück zusammenleben will, weil dieser an einem von ihnen ein vorsätzliches Tötungsdelikt begangen hat. Folge dessen ist aber regelmäßig nicht die Verpflichtung zur (entschädigungslosen) Aufgabe des Rechts, sondern die Verpflichtung, es auf Verlangen des Grundstückeigentümers nicht mehr selbst, sondern durch Überlassung an Dritte auszuüben.
(1) Der Senat hat zwar entschieden, dass sich die Gründe für einen gesetzlichen Anspruch auf Aufgabe der Dienstbarkeit nur aus dem dinglichen Verhältnis der Beteiligten ergeben können, wenn zwischen ihnen - wie hier - keine zusätzliche schuldrechtliche Beziehung - etwa eine Sicherungsabrede aus einem Altenteilsvertrag (vgl. etwa Art. 16 Satz 1 BayAGBGB) - besteht (vgl. Urteil vom 27. Januar 1960 - V ZR 148/58, NJW 1960, 673 f.). Es trifft im Grundsatz auch zu, dass deshalb bei Dienstbarkeiten normalerweise nur die objektiven Benutzungsverhältnisse zu berücksichtigen sind.
(2) (a) Bei einem dinglichen Wohnungsrecht ist es aber jedenfalls dann anders, wenn der Berechtigte - wie hier - nur Teile des Anwesens bewohnen darf. Das Wohnungsrecht umfasst dann nämlich nach § 1093 Abs. 3 BGB auch die Befugnis, die zum gemeinschaftlichen Gebrauch der Bewohner bestimmten Anlagen und Einrichtungen mitzubenutzen. In Ausformung dieser Regelung sind in der Bewilligung des Wohnungsrechts des Beklagten ausdrücklich ein Zugang zu Hof und Garten und ein Recht zur Mitbenutzung von Garten und Garage vorgesehen. Dürfte der Berechtigte ein solches Wohnungsrecht auch dann unverändert weiter ausüben, wenn er an dem verpflichteten Grundstückseigentümer oder an diesem nahestehenden Personen ein vorsätzliches Tötungsdelikt begangen hat, kann das zu einer für die Betroffenen, die auf dem Grundstück leben, unzumutbaren Situation führen. Ihnen würde der Berechtigte nämlich bei der Benutzung der dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienenden Teile des Grundstücks im Alltag immer wieder begegnen und sie allein dadurch stets aufs Neue an die Tat erinnern. Wenn die auf dem Grundstück lebenden Betroffenen solche Begegnungen nicht ertragen können oder möchten, muss ein Weg gefunden werden, ihnen diese zu ersparen.
(b) Ob diese tatsächlichen Voraussetzungen hier vorliegen, hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht festgestellt. Ihr Vorliegen lässt sich mangels abweichender Feststellungen aber auch nicht ausschließen. Deshalb ist für das Revisionsverfahren zu unterstellen, dass die auf dem Grundstück lebende Schwägerin des Beklagten mit diesem nicht mehr unter einem Dach wohnen möchte.
(3) Der österreichische Oberste Gerichtshof (fortan Oberster Gerichtshof oder OGH) hat, worauf die Klägerin zutreffend hinweist, in einer vergleichbaren Situation - es ging um den Mord an dem Grundstückseigentümer - die Annahme eines Rechts der Erben zur Kündigung des dinglichen Wohnungsgebrauchsrechts als vertretbar angesehen (Beschluss vom 19. November 2013 - 4 Ob 198/13s, abrufbar über das österreichische Rechtsinformationssystem - RIS - www.ris.bka.gv.at).
(a) Die von dem Obersten Gerichtshof für das österreichische Dienstbarkeitenrecht gewählte technische Lösung - Kündigung des dinglichen Rechts - wäre als solche zwar nicht auf das deutsche Dienstbarkeitenrecht übertragbar, weil es sich von dem österreichischen in einem zentralen Punkt unterscheidet. Nach § 524 ABGB erlöschen die Servituten „im Allgemeinen auf diejenigen Arten, wodurch nach dem dritten und vierten Hauptstücke des dritten Teils Rechte und Verbindlichkeiten überhaupt aufgehoben werden“. Diese Verweisung umfasst nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs systematisch auch die - allerdings an anderer Stelle eingefügten - Vorschriften über die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund (OGH, Urteil vom 25. September 1973 - 3 Ob 127/73, JBl 1974, 618 und Urteil vom 30. September 1993 - 8 Ob 569/92, NZ 1994, 20, 21; weitere Einzelheiten bei Mayrhofer, JBl. 1974, 593, 600 f.). Eine vergleichbare Verweisung auf solche Vorschriften nach dem Vorbild des § 524 ABGB kennt das deutsche Dienstbarkeitenrecht nicht. Das schließt einen auf § 242 BGB, § 1020 Satz 1 und § 1169 BGB (analog) gestützten Anspruch auf Aufgabe eines dinglichen Wohnungsrechts unter daran angelehnten Voraussetzungen aber nicht von vornherein aus.
(b) Der Oberste Gerichtshof, auf dessen Rechtsprechung sich die Klägerin inhaltlich stützt, lässt die Kündigung eines dinglichen Wohnungsgebrauchsrechts nicht aus jedem Grund zu, der zur Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund berechtigt; er stellt bei der Kündigung von Servituten vielmehr höhere Anforderungen (OGH, Beschluss vom 13. März 2002 - 9 Ob 233/01g und Urteil vom 15. Dezember 2009 - 5 Ob 220/09b, beide abrufbar über RIS - www.ris.bka.gv.at). Die Kündigung einer Servitut ist danach nur als äußerstes Notventil (Ausdruck von Gschnitzer, JherJB 76[= 2. F. Bd. 40] S. 317 ff., 350) möglich, um in untragbar gewordenen Situationen Abhilfe zu schaffen (OGH, Urteil vom 30. September 1993 - 8 Ob 569/92, NZ 1994, 20, 21, Urteil vom 15. Dezember 2009 - 5 Ob 220/09b und Beschluss vom 19. November 2013 - 4 Ob 198/13s, sämtlich [auch] abrufbar über das RIS - www.ris.bka.gv.at). Zu berücksichtigen ist bei der dabei vorzunehmenden umfassenden Abwägung (OGH, Urteil vom 30. September 1993 - 8 Ob 569/92, NZ 1994, 20, 21) insbesondere auch, ob es andere zumutbare Wege zur Konfliktlösung gibt (OGH, Urteil vom 22. Dezember 1988 - 8 Ob 648/88, SZ 61 Nr. 281 S. 591 f.).
(4) Ob unter solchen Voraussetzungen im deutschen Dienstbarkeitenrecht ein Anspruch auf Aufgabe eines dinglichen Wohnungsrechts aus Treu und Glauben zu bejahen wäre, muss hier nicht entschieden werden. Eine Verpflichtung des Berechtigten, sein Wohnungsrecht aufzugeben, scheitert regelmäßig - und auch hier - daran, dass eine den beiderseitigen Interessen gerecht werdende Auflösung der aufgezeigten Konfliktlage im deutschen Dienstbarkeitenrecht auch ohne dieses letzte Mittel möglich ist.
(a) Der aus einer Dienstbarkeit Berechtigte ist mit dem Eigentümer des dienenden Grundstücks nicht nur durch das bloße Bestehen des dinglichen Rechts verbunden. Vielmehr entsteht zwischen ihnen durch die Begründung des dinglichen Rechts ein gesetzliches (Begleit-)Schuldverhältnis (Senat, Urteile vom 28. Juni 1985 - V ZR 111/84, BGHZ 95, 144, 146 f., vom 3. Februar 1989 - V ZR 224/87, BGHZ 106, 348, 350, vom 19. September 2008 - V ZR 164/07, NJW 2008, 3703 Rn. 17 und vom 18. Dezember 2015 - V ZR 269/14, ZfIR 2016, 233 Rn. 18 f.). Ausdruck dieses gesetzlichen Schuldverhältnisses ist die in § 1020 Satz 1 BGB bestimmte Verpflichtung des Berechtigten, bei der Ausübung der Dienstbarkeit die Interessen des Grundstückseigentümers tunlichst zu schonen. Dürfen der Eigentümer und der Berechtigte, wie das bei einem auf bestimmte Teile des Anwesens beschränkten Wohnungsrecht der Fall ist, eine Anlage oder, wie hier, ein Haus auf dem Grundstück gemeinschaftlich benutzen, hat dieses Schuldverhältnis gemeinschaftsähnliche Züge.
(b) Das führt dazu, dass sie bei Uneinigkeit über die Benutzung des Anwesens analog § 745 Abs. 2 BGB wechselseitig eine der Beschaffenheit des Anwesens und den eingeräumten Rechten entsprechende ordnungsmäßige Verwaltung und Benutzung verlangen können (Senat, Urteil vom 19. September 2008 - V ZR 164/07, NJW 2008, 3703 Rn. 26; RGZ 173, 367, 374). Die in diesem Sinne ordnungsmäßige Benutzung eines Hausgrundstücks, an dem ein gegenständlich beschränktes Wohnungsrecht besteht, kann es in Extremsituationen erfordern, dass der Wohnungsberechtigte auf Verlangen des Grundstückseigentümers von der persönlichen Benutzung seines Rechtes Abstand nimmt und die Ausübung des Wohnungsrechts nach Maßgabe von § 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB einem Dritten überlässt. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Inhaber des Wohnungsrechts den früheren Eigentümer getötet hat, diesem nahe stehende Personen weiterhin auch auf dem Grundstück leben und es nicht ertragen können oder wollen, dem Berechtigten im Alltag immer wieder zu begegnen und dadurch an dessen Verbrechen erinnert zu werden. Die gebotene schonende Ausübung auch eines Wohnungsrechts lässt sich in einer solchen Extremsituation nur durch einen Rückzug des Berechtigten von der persönlichen Ausübung des Wohnungsrechts auf der einen und die Zustimmung des Grundstückseigentümers zu der Überlassung der Ausübung des Wohnungsrechts an einen Dritten auf der anderen Seite erreichen.
(c) Eine solche Regelung ist rechtlich möglich. Zwar dürfte der Wohnungsberechtigte ohne eine entsprechende Vereinbarung mit dem Grundstückseigentümer nach § 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB den Gebrauch des Wohnungsrechts Dritten nicht überlassen. In der Bewilligung des Wohnungsrechts für den Beklagten ist das ausdrücklich so festgelegt. Der Grundstückseigentümer kann aber einer entsprechenden Überlassung des Wohnungsrechts auch nach dessen Bestellung und abweichend von der ursprünglichen Bewilligung zustimmen und sie damit ermöglichen (Senat, Urteil vom 19. Januar 2007 - V ZR 163/06, NJW 2007, 1884 Rn. 20; Staudinger/Mayer, BGB [2009], § 1092 Rn. 5).
(d) Der Klägerin ist zuzumuten, den drohenden Konflikt auf diesem Weg aufzulösen.
(aa) Sie selbst könnte ihren Anspruch auf eine Beschränkung der Ausübung des Wohnungsrechts durch Überlassung des Gebrauchs an einen Dritten gegen den Beklagten unmittelbar mit dem Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB durchsetzen. Sie wäre nicht gezwungen, den Beklagten zunächst auf Abschluss einer entsprechenden Benutzungsvereinbarung in Anspruch zu nehmen (vgl. Senat, Urteil vom 19. September 2008 - V ZR 164/07, NJW 2008, 3703 Rn. 26).
(bb) Dieser Weg der Auflösung des Konflikts wahrt auch die trotz des begangenen Verbrechens bestehenden schützenswerten Interessen des Beklagten. Das Wohnungsrecht ist ihm nämlich nicht schenkweise eingeräumt worden. Vielmehr hat er dem Bruder 1997 seinen Miteigentumsanteil an dem bis dahin gemeinschaftlichen Grundstück geschenkt und sich dabei das Wohnungsrecht vorbehalten. Dieses hatte damit nicht nur dienende Funktion; es ist ein eigenständiger Vermögenswert, der ihm, worauf das Berufungsgericht zu Recht hingewiesen hat, als strafrechtliche Nebenfolge seiner Tat nicht entzogen worden ist und auch nicht entzogen werden konnte. Dem entspricht es, ihm das Wohnungsrecht nicht auf zivilrechtlichem Wege zu entziehen, wenn - wie hier - eine zumutbare Alternative zur Auflösung des Konflikts ohne eine solche Maßnahme besteht.
(cc) Es muss deshalb nicht entschieden werden, ob die Aufgabe eines dinglichen Wohnungsrechts, das sich der Überlasser in einem unentgeltlichen Überlassungsvertrag vorbehalten hat, auch ohne eine Entschädigung verlangt werden könnte. Das ist, wie ein Blick auf die Vorschriften des Landesrechts über den Altenteilsvertrag zeigt, zweifelhaft. Denn danach verpflichtet die Teilkündigung des schuldrechtlichen Wohnrechts auf Veranlassung des Berechtigten zu einer Geldrente, ohne dass dabei nach dem Gewicht der Kündigungsgründe unterschieden würde (vgl. etwa Art. 19 BayAGBGB, § 16 AGBGB BW, Art. 15 § 9 AGBGB NRW, § 15 AGBGB RP; ähnlich auch das österreichische Übergabsvertragsrecht: OGH, Urteil vom 22. Dezember 1988 - 8 Ob 648/88, SZ 61 Nr. 281 S. 592 und Beschluss vom 19. März 2003 - 7 Ob 287/02 k, abrufbar über das RIS - www.ris.bka.gv.at).
III.
1. Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Sache nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif ist und der geltend gemachte Anspruch auf Aufgabe des Wohnungsrechts danach nicht besteht (§ 563 Abs. 3 ZPO).
2. Entgegen der von ihrem Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertreten Ansicht ist von der an sich gebotenen Endentscheidung nicht abzusehen, um der Klägerin durch Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht Gelegenheit zu geben, ihre Klage zu ändern und (hilfsweise) die Verurteilung des Beklagten zu beantragen, von seinem Wohnungsrecht nicht persönlich Gebrauch zu machen und den Gebrauch des Wohnungsrechts einem Dritten zu überlassen.
a) Das Revisionsgericht muss die Sache zwar an das Berufungsgericht zurückverweisen, wenn das Berufungsgericht bei zutreffender rechtlicher Sicht den Parteien einen Hinweis nach § 139 ZPO hätte erteilen müssen, um sie zu einem ergänzenden Vortrag zu veranlassen. In einem solchen Fall ist den Parteien auf diesem Weg die Einführung neuen Vorbringens in den Rechtsstreit zu ermöglichen (Senat, Urteile vom 28. Juni 1968 - V ZR 22/65, WM 1968, 1109, 1110, vom 17. März 1995 - V ZR 100/93, BGHZ 129, 112, 122, vom 23. Januar 2015 - V ZR 107/13, juris Rn. 23 und vom 4. Dezember 2015 - V ZR 142/14, VersR 2014, 597 Rn. 35). Anders als die Klägerin meint, hat das Berufungsgericht hier aber weder einen gebotenen Hinweis unterlassen noch versäumt, auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken.
b) aa) Auf die Stellung zusätzlicher Anträge - hier des Antrags auf Verurteilung, den persönlichen Gebrauch des Wohnungsrechts zu unterlassen - darf der Richter nach § 139 Abs. 1 ZPO nur hinweisen oder hinwirken, wenn solche Anträge in dem streitigen Vortrag der Parteien bereits zumindest andeutungsweise eine Grundlage haben (Senat, Beschluss vom 2. Oktober 2003 - V ZB 22/03, BGHZ 156, 269, 272; BGH, Urteil vom 25. September 1952 - IV ZR 22/52, BGHZ 7, 208, 211 f. mit Negativbeispiel und Urteil vom30. April 1984 - II ZR 293/83, BGHZ 91, 132, 134 mit Positivbeispiel; MüKoZPO/Wagner, 4. Aufl., § 139 Rn. 42). Daran fehlt es hier.
bb) Die Klägerin hat von Anfang an die Ansicht vertreten, der Beklagte habe durch sein Verbrechen sein dingliches Wohnungsrecht verwirkt und dieses Recht entschädigungslos aufzugeben. Sie hat dem entsprechend von Anfang an allein die Verurteilung des Beklagten beantragt, der Löschung seines Rechts zuzustimmen. Ihrem Vortrag - auch noch demjenigen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - ist nicht andeutungsweise zu entnehmen, dass es ihr im Kern oder wenigstens auch darum gehen könnte, der Schwägerin des Beklagten - gegebenenfalls auch auf einem anderem Weg - Begegnungen mit dem Beklagten als demjenigen zu ersparen, der ihren Lebensgefährten getötet hat. Sie hat die Erwägungen in dieser Richtung, die das Landgericht in seinem Urteil angestellt hat, weder inhaltlich aufgegriffen noch zum Anlass genommen, einen Hilfsantrag mit dem jetzt angedeuteten Antragsziel zu stellen. Sie ist vielmehr auch nach einem Hinweis des Berufungsgerichts auf seine Zweifel an der Erfolgsaussicht der Berufung uneingeschränkt bei ihrem bisherigen Standpunkt und dem bisherigen Antrag geblieben. Nichts deutete darauf hin, dass sie statt der angestrebten entschädigungslosen Löschung des Rechts auch eine Beschränkung seiner Ausübung akzeptieren oder auch nur in Betracht ziehen könnte.
Stresemann Schmidt-Räntsch Czub
Kazele Göbel