Entscheidungsdatum: 23.06.2017
Nimmt der Ersteher die ersteigerte Immobilie eigenmächtig in Besitz, trifft ihn die Obliegenheit, ein Verzeichnis über die in der Immobilie vorgefundenen, von dem Zuschlagsbeschluss nicht erfassten Gegenstände zu erstellen und deren Wert schätzen zu lassen. Kommt er dem nicht nach, muss er beweisen, inwieweit die Angaben des Schuldners zu dem Bestand, Zustand und Wert der Gegenstände, die sich im Zeitpunkt der Räumung in dem Haus befunden haben sollen, unzutreffend sind, soweit dessen Angaben plausibel sind.
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 23. Mai 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin und ihr Ehemann waren Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks. Nach Anordnung der Zwangsversteigerung im Jahr 2008 erhielt der Beklagte am 9. Dezember 2009 den Zuschlag. Er nahm das Haus ohne Hinzuziehung eines Gerichtsvollziehers in Besitz und ließ es durch eine private Firma räumen. Einen Teil der vorgefundenen Einrichtungs- und Kunstgegenstände gab er in ein Auktionshaus. Im April 2010 wurde das Haus abgerissen.
Die Klägerin hat zunächst - aus eigenem und abgetretenem Recht - von dem Beklagten die Herausgabe einer Vielzahl von Gegenständen verlangt, im Wesentlichen Bilder und Möbelstücke, die sich in dem Haus befunden haben sollen. Im Verfahren vor dem Landgericht haben die Parteien hinsichtlich zahlreicher Einzelpositionen den Rechtsstreit für erledigt erklärt; hinsichtlich weiterer Positionen hat die Klägerin die Klage zurückgenommen. Zuletzt hat sie Schadensersatz in Höhe von 567.825 € wegen Nichtherausgabe von Gegenständen, weitere 500 € wegen unberechtigter Wegnahme eines Geldscheins sowie Schadensersatz in Höhe von 30.140,82 € wegen Beschädigungen an den zurückgegebenen Gegenständen verlangt. Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 4.310 € nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wendet sie sich mit der von dem Senat zugelassenen Revision. Der Beklagte beantragt deren Zurückweisung.
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der Beklagte dem Grunde nach gemäß §§ 992, 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, soweit er die im Wege der verbotenen Eigenmacht in Besitz genommenen Gegenstände nicht oder nur in beschädigtem Zustand herausgeben könne. Gleichwohl habe die Klage im Wesentlichen keinen Erfolg. Die Klägerin habe nicht substantiiert dargetan, dass sich die von ihr genannten Einrichtungs- und Kunstgegenstände bei Inbesitznahme durch den Beklagten noch in dem Haus befunden hätten bzw. dass sie unbeschädigt gewesen seien. Ihr kämen keine Darlegungs- und Beweiserleichterungen zu Gute. Zu Unrecht berufe sie sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur sogenannten kalten Räumung einer Wohnung durch den Vermieter. Anders als bei einem Mietverhältnis fehle es hier an der für eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast erforderlichen Sonderverbindung zwischen der Klägerin und dem Beklagten.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend bejaht das Berufungsgericht die Haftung des Beklagten dem Grunde nach. Indem dieser das in der Zwangsversteigerung erworbene Haus ohne die in § 885 ZPO vorgeschriebene Hinzuziehung eines Gerichtsvollziehers in Besitz genommen und die vorgefundenen Einrichtungs- und Kunstgegenstände eigenmächtig hat wegschaffen lassen, hat er gegenüber der Klägerin und ihrem Ehemann in verbotener Eigenmacht gehandelt (§ 858 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB) und deren Eigentum verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB). Sie sind Eigentümer des in dem Haus befindlichen Mobiliars geblieben, da sich der Zuschlag gemäß §§ 90, 55, 20 Abs. 2 ZVG i.V.m. § 1120 BGB hierauf nicht erstreckte. Der Beklagte ist daher, soweit er die in Besitz genommenen Einrichtungs- und Kunstgegenstände nicht mehr oder nicht mehr unbeschädigt herausgeben kann, dem Grunde nach zum Ersatz des der Klägerin und ihrem Ehemann daraus entstandenen Schadens verpflichtet.
2. Nicht frei von Rechtsfehlern nimmt das Berufungsgericht jedoch an, dass die Klägerin für den Bestand der in dem Haus befindlichen Objekte sowie für deren Zustand und Wert im Zeitpunkt der Inbesitznahme durch den Beklagten beweispflichtig ist.
a) Grundsätzlich hat nach den allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung derjenige, der einen anderen wegen verbotener Eigenmacht auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, die anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen. Allerdings hat der Bundesgerichtshof in den Fällen der sogenannten kalten Räumung, wenn also ein Vermieter die Wohnung seines Mieters ohne Vorliegen eines gerichtlichen Räumungstitels in verbotener Eigenmacht in Besitz nimmt, eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zu Lasten des Vermieters angenommen. Diesen trifft für die in der Wohnung befindlichen Gegenstände eine (nach-)vertragliche Obhutspflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB, zu der auch die Pflicht gehört, die Interessen des durch Ortsabwesenheit und mangelnde Kenntnis von der Inbesitznahme an einer eigenen Interessenwahrnehmung verhinderten Mieters zu wahren. Er hat deshalb nicht nur dafür Sorge zu tragen, dass an den in Besitz genommenen Gegenständen keine Beschädigungen oder Verluste eintreten; vielmehr obliegt es ihm auch, bei der Inbesitznahme ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufzustellen und deren Wert schätzen zu lassen, um dem Mieter eine Sicherung seiner Ansprüche zu ermöglichen. Ein Verzeichnis ist nur dann entbehrlich, wenn es sich ersichtlich um verbrauchte und damit offenkundig wertlose (Einrichtungs-)Gegenstände handelt, an deren Dokumentierung der Mieter bereits auf den ersten Blick schlechthin kein Interesse haben kann. Kommt der Vermieter der Inventarisierungspflicht nicht nach, geht der Schadensausgleich des Mieters auch dahin, dass der Vermieter verpflichtet ist zu beweisen, in welchem Umfang Bestand, Zustand und Wert der der Schadensberechnung zugrunde gelegten Gegenstände von den Angaben abweichen, die der Mieter hierzu gemacht hat, soweit dessen Angaben plausibel sind (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 45/09, NJW 2010, 3434 Rn. 15 ff.).
b) Diese Grundsätze gelten entsprechend, wenn ein Ersteher in der Zwangsversteigerung die ersteigerte Immobilie und die von dem Zuschlagsbeschluss nicht erfassten Einrichtungsgegenstände ohne Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers eigenmächtig in Besitz nimmt.
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es nicht an der für eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast erforderlichen Sonderverbindung zwischen dem Ersteher und dem Zwangsversteigerungsschuldner. Eine solche wird zwar nicht schon allein durch den Zuschlag an den Ersteher (§ 90 ZVG) begründet. Der Zuschlagsbeschluss, der nach § 93 Abs. 1 ZVG ein Vollstreckungstitel auf Räumung und Herausgabe des Grundstücks ist (vgl. Senat, Urteil vom 18. November 2016 - V ZR 221/15, NW-RR 2017, 260 Rn. 13), bildet aber die Grundlage der Sonderverbindung, die mit dem Vollstreckungszugriff zur Entstehung gelangt. Durch den Vollstreckungszugriff entsteht zwischen dem Ersteher als Vollstreckungsgläubiger und dem Schuldner eine gesetzliche Sonderbeziehung privatrechtlicher Art, aus der Sorgfaltspflichten gegenüber dem anderen Teil erwachsen (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2015 - IX ZR 301/13, NJW-RR 2015, 850; Urteil vom 10. Februar 2005 - IX ZR 211/02, BGHZ 162, 143, 148). Ein Vollstreckungszugriff liegt aber nicht nur dann vor, wenn der Ersteher das in den §§ 885, 885a ZPO für die Zwangsvollstreckung vorgeschriebene Verfahren einhält, er also den Schuldner durch den Gerichtsvollzieher aus dem Besitz des Grundstücks setzen und sich in dessen Besitz einweisen lässt (§ 885 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Um einen eine Sonderverbindung begründenden Vollstreckungszugriff handelt es sich vielmehr auch dann, wenn der Ersteher das von dem Gesetz vorgesehene formalisierte Räumungsverfahren nicht einhält und sich stattdessen an die Stelle eines Gerichtsvollziehers setzt, indem er die Immobilie eigenmächtig gegen oder ohne den Willen des Schuldners in Besitz nimmt.
bb) Aus der durch den Vollstreckungszugriff begründeten Sonderverbindung und den daraus erwachsenen Sorgfaltspflichten folgt die Pflicht des Erstehers, die Interessen des Schuldners zu wahren und diesem die Sicherung seiner Ansprüche zu ermöglichen. Bei einem Vollstreckungszugriff unter Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens werden die Interessen des Schuldners dadurch gewahrt, dass der Gerichtsvollzieher die beweglichen Sachen, die nicht Gegenstand des Zuschlagsbeschlusses sind, dem Schuldner bzw. einer Ersatzperson übergibt (§ 885 Abs. 2 ZPO), bei Abwesenheit des Schuldners oder einer Ersatzperson die vorgefundenen Gegenstände in Verwahrung bringt (§ 885 Abs. 3 ZPO) oder diese nach Dokumentation in einem Protokoll in der Immobilie belässt (§ 885a Abs. 2 ZPO). Erfolgt der Vollstreckungszugriff auf die ersteigerte Immobilie unter Umgehung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens, ändert dies nichts daran, dass der Ersteher aufgrund der bestehenden Sonderverbindung auf die Interessen des Schuldners Rücksicht zu nehmen hat. Ihn trifft daher die Obliegenheit, ein Verzeichnis über die in der Immobilie vorgefundenen von dem Zuschlagsbeschluss nicht erfassten Gegenstände zu erstellen, das einen zuverlässigen Überblick über den vorhandenen wesentlichen Bestand und Zustand der Sachen bietet (vgl. BT-Drucks. 17/10485, S. 31 zu § 885a Abs. 2 ZPO), und deren Wert schätzen zu lassen. Die Erstellung eines Verzeichnisses ist nur dann entbehrlich, wenn sich in der Immobilie nur verbrauchte und für eine weitere Verwendung ersichtlich unbrauchbare Sachen befinden, an deren Dokumentierung und Aufbewahrung der Schuldner bereits auf den ersten Blick schlechthin kein Interesse haben kann (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 45/09, NJW 2010, 3434 Rn. 16 sowie § 885 Abs. 3 Satz 2, § 885a Abs. 3 Satz 2 ZPO). Kommt der Ersteher der Obliegenheit zur Dokumentation nicht nach, hat er im Streitfall - ebenso wie der Vermieter bei der „kalten Räumung“ - zu beweisen, inwieweit die Angaben des Schuldners zu dem Bestand, Zustand und Wert der Gegenstände, die sich im Zeitpunkt der Räumung in dem Haus befunden haben sollen, unzutreffend sind, soweit dessen Angaben plausibel sind (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 45/09, NJW 2010, 3434 Rn. 17).
c) Danach trägt grundsätzlich der Beklagte, der seiner Obliegenheit zur Erstellung eines Verzeichnisses nicht nachgekommen ist, die Darlegungs- und Beweislast für sein Vorbringen, dass sich die von der Klägerin benannten Gegenstände bei der Inbesitznahme des Hauses nicht mehr darin befunden hätten oder wegen massiver Schäden wertlos gewesen seien und dass die zurückgegebenen Möbelstücke und Kunstgegenstände bei Inbesitznahme bereits die beanstandeten Beschädigungen aufgewiesen hätten.
III.
Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), da sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es nicht deshalb an der für eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast erforderlichen Plausibilität der Angaben der Klägerin, weil sie und ihr Ehemann im Zeitpunkt der Inbesitznahme der Immobilie durch den Beklagten schon über einen längeren Zeitraum in wirtschaftlich beengten Verhältnissen gelebt hatten. Die Wohnung auch eines in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlichen Schuldners ist üblicherweise mit Einrichtungsgegenständen und Bildern ausgestattet. Im konkreten Fall spricht hierfür zudem, dass sich bei der Inbesitznahme durch den Beklagten Einrichtungs- und Kunstgegenstände in dem Haus befanden (die an ein Auktionshaus und an die mit der Räumung beauftragte Firma gelangt sind). Der Plausibilität steht auch nicht entgegen, dass das Haus über längere Zeit nicht bewohnt gewesen sein soll; denn die Klägerin trägt vor, ihr Ehemann habe es immer wieder einmal betreten und ihr Sohn habe sich zuletzt Mitte November 2009 darin aufgehalten, ohne dass Veränderungen am Inventar festgestellt worden seien.
Ob Letzteres zutrifft oder, wie der Beklagte behauptet, Einrichtungsgegenstände während des Leerstands des Hauses durch Diebstähle entwendet oder infolge von Wassereinbrüchen beschädigt worden sind, ist bei dieser Sachlage keine Frage der Plausibilität des Vortrags der Klägerin, sondern im Rahmen der Beweisaufnahme über die Behauptungen des Beklagten zu dem Zustand des Inventars zu klären. Auch die unterschiedlichen Behauptungen der Parteien zu dem genauen Bestand und dem Zustand der Möbel und Bilder im Zeitpunkt der Inbesitznahme durch den Beklagten berühren nicht die Plausibilität des klägerischen Sachvortrags. Vielmehr ist es Sache des Beklagten, zur Überzeugung des Gerichts - die gemäß § 286 ZPO allerdings auch aus den Gesamtumständen gewonnen werden kann - nachzuweisen, inwieweit der Bestand und tatsächliche Zustand der vorgefundenen Gegenstände von den Angaben der Klägerin abweichen.
Stresemann |
|
Brückner |
|
Weinland |
|
Kazele |
|
Hamdorf |
|